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Raimund nickte Christina anerkennend zu und ergriff ruhig und besonnen das Wort.

„Jetzt einmal der Reihe nach. Wie war das am Freitag? Wann sind die Burschen weggefahren und wann sind sie zurückgekommen?“

Roswitha wischte ihre Tränen mit dem Ärmel ab.

„Weggefahren sind sie gegen elf Uhr nachts. Sie haben mir nicht gesagt, wohin sie wollen. Ich habe gedacht, dass sie zur Tankstelle wollten, um Wein oder Schnaps zu kaufen. Wir haben Streit gehabt und ich habe mich in mein Zimmer zurückgezogen.“

„Worum ging es bei dem Streit?“, fragte Christina.

„Eh immer um dasselbe. Um Geld. Ich bin vollkommen pleite, und Spenden kommen wenig herein. Ich wollte, dass wir Marketing betreiben, aber der Flo und der Hias waren wie immer dagegen. Sie wollen keinen Medienwirbel.“

„Sie scheuen die Öffentlichkeit, wegen ihrer nächtlichen Aktivitäten, korrekt?“

„Ja.“

„Haben unsere Knechte etwas ausgefressen?“, fragte Annemarie Gerstenbauer nervös.

„Mama, geh wieder rein. Du regst dich sonst zu sehr auf.“

Aber Roswithas Mutter machte keine Anstalten, das Feld zu räumen.

„Wann sind die Burschen von ihrer Tour zurückgekommen?“, bohrte Raimund weiter.

Roswitha zuckte die Achseln.

„Keine Ahnung. Ich habe schon geschlafen. Ich habe erst in der Früh das Auto wieder am Hof gesehen und die zwei haben noch geschlafen. Ich dachte, sie wären verkatert.“

„Freitagnacht?“, fragte Annemarie Gerstenbauer.

Christina und Raimund fassten die Frau ins Auge.

„Ja, Freitagnacht.“

„Das war die Neumondnacht.“

„Genau.“

„Um halb zwei ist das Auto auf den Hof gefahren.“

Roswitha starrte mit offenem Mund ihre Mutter an.

„Hast du sie gehört?“, fragte sie aufgebracht.

Annemarie Gerstenbauer machte ein gequältes Gesicht.

„Ich habe nicht schlafen können, weil ihr so gestritten habt. In der Nacht bin ich dann aufs Klo gegangen und da habe ich das Auto gehört. Ich habe beim Fenster rausgeschaut und gesehen, wie die Knechte ihre Radeln in die Scheune gebracht haben und dann ins Haus gegangen sind. Die beiden haben sich geküsst!“

Christina zog ihre Augenbrauen hoch.

„Geküsst?“

„Ja, das sind zwei Warme. Und trotzdem gehen sie in deinem Bett ein und aus“, sagte Annemarie mit wehleidigem Ton an ihre Tochter gerichtet. „Ich verstehe das nicht, nein, das verstehe ich nicht.“

Christina suchte Roswithas Blick.

„Was schauen Sie so? Wir leben halt zu dritt. Ist das ein Problem?“

„Das ist kein Problem, das ist alleine Ihre Privatsache“, beteuerte Christina abwinkend und wandte sich der Mutter zu. „Vielmehr interessiert mich Ihre Aussage. Sind Sie sich mit der Zeitangabe sicher, Frau Gerstenbauer?“

„Freilich. Halb zwei war es. Ich habe ja auf die Uhr geschaut und mir gedacht, dass die zwei am Morgen schön blöd aus der Wäsche schauen werden, wenn sie auf das Dach steigen.“

„Was meinen Sie mit, auf das Dach steigen?“

Roswitha sprang bei.

„Am Samstag haben der Flo und der Hias mit der Arbeit am Scheunendach begonnen.“

„Sind sie in der Nacht noch einmal weggefahren?“

„Nein. Sie haben sich Bier aus dem Keller geholt und in der Stube getrunken. Um zwei Uhr sind sie schlafen gegangen. Ich habe dann die Bierflaschen weggeräumt.“

Christina und Raimund blickten einander mit verkniffenen Mienen an.

„Ich werde dann meine Leute einsammeln“, brummte Raimund.

„Ja, Raimund, bitte tu das.“

Raimund stapfte davon und Christina hob ihren Blick zum bewölkten Himmel, dann schaute sie auf ihre Armbanduhr. Mittagszeit. Sie fühlte ihren Magen. Unterwegs würde sie einen Happen mitnehmen müssen, irgendetwas brauchte sie, um ihren Magen zu beruhigen. Mutter und Tochter schauten Raimund überrascht hinterher.

„Was hat das zu bedeuten? Frau Inspektor, was ist jetzt los?“

Christina ließ ihren Blick von Mutter zu Tochter springen.

„Wenn die Herren um ein Uhr dreißig hier am Hof gewesen sind, bis zwei Uhr Bier getrunken haben und danach schlafen gegangen sind, können sie nicht um zwei Uhr dreizehn im Lagerleitstand den Fahrbefehl für RBG E gegeben haben.“

Sie lief im Kreis. Es war zum Verrücktwerden.