„Insgesamt hat er während seiner Studienzeit vier Monate im Lager gearbeitet“, führte Christina aus. „Herr Anzengruber hat mir am Telefon erzählt, dass Benjamin Felder zuerst nur tageweise als Hilfsarbeiter für die Jahresinventur beschäftigt worden ist, aber weil er sich als sehr gute Arbeitskraft erwiesen hat und natürlich auch weil er der Sohn vom Generaldirektor ist, haben sie ihn in den Sommermonaten im Leitstand beschäftigt. Herr Anzengruber sagt aus, dass Benjamin Felder innerhalb kürzester Zeit die Anlagensteuerung bestens beherrschte.“
Franz Zmugg massierte mit geschlossenen Augen die durch die Brille verursachten Druckstellen an seiner Nasenwurzel. Das gesamte verfügbare Team des Kriminalreferats saß beisammen, Oberstleutnant Zmugg, der Leiter der Dienststelle, saß höchstpersönlich der Besprechung vor. Christina blickte wieder auf ihre Armbanduhr, es war mittlerweile fünf Minuten nach fünf Uhr. Ihr Handy klingelte. Alle Anwesenden starrten auf das kleine Ding auf dem Tisch.
„Hallo Friedel, hast du etwas Neues? Ja, wir sitzen gerade in der Einsatzbesprechung. Ja, Oberstleutnant Zmugg ist auch da, das komplette Team ist da. Ich höre. Verstanden. Wo? Verdammte Scheiße. Ist das sicher? Läuft also noch. Mist, verfluchter Mist! Okay, Friedel, danke für die Info. Wir hören voneinander.“
Christina legte das Telefon wieder auf die Tischplatte.
„Ihrem Gesichtsausdruck zufolge tippe ich auf schlechte Nachrichten, Frau Kayserling“, meinte Oberstleutnant Zmugg und setzte seine Brille wieder auf.
Christina nickte zustimmend und ließ ihren Chef nicht aus den Augen.
„Im Staubecken des Donaukraftwerkes Abwinden-Asten ist ein männlicher Leichnam gefunden worden. Vorerst ist die Identität noch nicht vollkommen festgestellt, die Prüfung der Fingerabdrücke wird in diesen Minuten durchgeführt, aber die äußeren Merkmale sind eindeutig. Ein Mann Mitte zwanzig, dreiundachtzig Kilogramm schwer, einszweiundachtzig groß, er hat Sportschuhe an den Füßen und ist mit Jeans und einem T-Shirt bekleidet. Keine Zeichen von äußerlicher Gewalteinwirkung.“
Franz Zmugg wischte über sein stets sorgsam rasiertes Kinn und biss die Zähne zusammen.
„Ist er also in die Donau gegangen. Oder gegangen worden. Bitter, sehr bitter.“
„Wir sind zu spät gekommen, Herr Oberstleutnant. Ich bin zu spät gekommen.“
Franz Zmugg stemmte seine Hände auf die Tischplatte. Er sprach energisch.
„Keine unnötigen Selbstvorwürfe jetzt, Frau Abteilungsinspektor! Sie haben in den letzten Tagen vollen Einsatz gegeben und alles richtig gemacht! Manche Dinge können wir nicht verhindern, so ist nun einmal das Leben.“
Christina nickte offensichtlich zustimmend, aber innerlich wühlten dennoch Anklagen. Warum hatte sie Benjamin Felders Situation nicht früher erkannt? Warum war sie so blind gewesen?
Wieder klingelte ihr Telefon.
„Raimund, ich höre. In Aschach! Ich verstehe. Ja, ich werde alles veranlassen. Bitte bleib in Sichtweite, ich bin in Kürze bei dir.“ Wieder starrten alle Christina an.
„Selma Felder ist in Aschach, allerdings nicht in ihrem Haus. Ihr Auto steht vor dem Haus der Familie Kammerhofer.“
Franz Zmugg sprang hoch.
„Wir rücken aus! Frau Kayserling, Sie leiten den Einsatz. Ich gebe Ihnen von hier aus Rückendeckung.“
„Danke, Herr Oberstleutnant!“, rief Christina, während sie und ihre Kollegen schon aus dem Raum eilten.