Die Leichenputzerin kann da nur wenig tun.« Banyard deutete auf den kopflosen Torso Sir Francis Hametts. Seine Überreste lagen auf einer schäbigen Plane in einem Schuppen hinter dem Gasthaus. Der Kopf war zur Seite gerollt wie ein Ball, die Augen waren halb offen, und Blutergüsse markierten die Stellen, wo der Kopf in der Krypta über den Boden gerollt war.
»Um Himmels willen, zeigt ihm doch ein wenig Achtung«, knurrte Cranston.
»Ich rede von den Dingen, wie sie sind, Mylord Coroner, nicht, wie sie sein sollten.«
Athelstan kniete nieder. Er bekreuzigte sich, schloß die Augen und betete das Requiem. »Herr, gib ihm die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihm. Herr, laß ihn ruhen in Frieden, Amen.«
»Amen«, bekräftigte Cranston.
»Was um alles in der Welt wollte er in der Monstranzkammer?« fragte Athelstan und erhob sich.
»Das weiß der Himmel«, antwortete Sir Miles Coverdale. »Die Commons haben gestern lange getagt. Aber danach war die Abtei menschenleer, obgleich die Abgeordneten natürlich noch auf dem Gelände blieben und miteinander plauderten.«
»Und Eure Wache hat weiter Dienst getan?« fragte Athelstan. »0 ja. Auch in der Nacht. Niemand kann die Kreuzgänge betreten oder verlassen, ohne das besondere Siegel vorzuzeigen, das die Abgeordneten bei sich tragen.«
»Und wer hat die Kreuzgänge in der letzten Nacht betreten?« fragte Cranston beharrlich. »Kommt schon, Mann, Ihr wißt doch, was wir wissen wollen.«
Coverdale, blaß geworden, schüttelte den Kopf. »Ich kann es ehrlich nicht sagen, Sir John. Dauernd gehen Abgeordnete ein und aus. Wie Ihr wißt, kann es abends kalt werden, und viele sind dann vermummt und tragen Kapuzen. Aber zweierlei kann ich sagen: Erstens, niemand ohne den besonderen Paß hat die Kreuzgänge und den Bereich rings um das Kapitelhaus betreten oder verlassen.«
»Und das Vestibül?« fragte Athelstan. »Werden die Doppeltüren dort auch noch bewacht?«
»Nachts nicht so streng wie am Tag, wenn die Commons in Sitzung sind, aber es stehen Wachen im Korridor, der dort hinführt.«
»Und kann einer sich erinnern, daß Sir Francis an ihm vorbeigekommen ist?«
»Ja, einer erinnert sich unbestimmt. Es folgten noch andere, aber es war dunkel. Wie gesagt, die Abgeordneten sind vermummt und tragen Kapuzen; sie sind arrogant und herrisch. Sie zeigen das Siegel, schlagen den Mantel zurück, damit man sieht, daß sie kein Schwert tragen, und dann wird ihnen die Tür geöffnet.«
»Aber Ihr wolltet uns zwei Dinge sagen«, erinnerte Cranston ihn.
»Ach ja.« Coverdale deutete mit wedelnder Hand auf Hametts enthauptete Leiche. »Sir John, Ihr habt doch schon Hinrichtungen oder Enthauptungen nach der Schlacht gesehen. Um einem Mann den Kopf abzuschlagen, braucht man entweder ein Breitschwert oder eine zweihändige Axt. Aber wer das Abteigelände betreten will, muß zeigen, daß er keine solche Waffe bei sich trägt. Nur Kostümdolche sind erlaubt.«
Athelstan schlug die Ränder der dunklen Plane über den Leichnam.
»Ist es denn möglich«, sagte er, »daß sich jemand ungesehen auf das Abteigelände stiehlt?«
»Danach habe ich den Vater Abt gefragt«, sagte Coverdale. »Aber es gibt keine geheimen Gänge oder Korridore. Ihr müßt bedenken, Bruder Athelstan, daß die Monstranzkammer unmittelbar vor dem Kapitelhaus liegt. Hamett - und sein Mörder -mußten an mindestens drei meiner Wachtposten vorbei, und der Mörder mußte auch wieder zurück.« Er lächelte schmal und zuckte die Achseln. »Was kann ich noch sagen? Abgeordnete dieser und jener Grafschaft gingen dauernd ein und aus. Einige besuchten den Schrein der Heiligen Faith, andere die Abtei an sich. Ein paar kamen noch einmal her, um ihre Sachen abzuholen. Meinen Soldaten kann man nichts vorwerfen«, fuhr er abwehrend fort. »Sie haben ihre Befehle. Sie fragen nach dem Paß, vergewissern sich, daß der Betreffende keine Waffen bei sich hat, und lassen ihn weitergehen.« Coverdale wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Es gibt so viele Abgeordnete, und die Abtei hat mehrere Eingänge.«
»Jeder braucht also ein solches Siegel«, stellte Athelstan fest. »Jawohl«, sagte Coverdale. »Oder einen entsprechenden, von einem Abgeordneten Unterzeichneten Brief. Aber meine Leute haben den strikten Befehl, jemanden, der mit einem solchen Brief kommt, festzuhalten und mich rufen zu lassen.« Er zuckte die Achseln. »Seit der Parlamentseröffnung ist keiner vorgewiesen worden, und letzte Nacht schon gar nicht.«
»Könnte der Mörder ein Mönch gewesen sein?« fragte Athelstan.
»Unmöglich«, sagte Coverdale abschätzig. »Die Brüder dürfen den Kreuzgang benutzen, aber Vestibül und Kapitelhaus sind ihnen versperrt. Meine Soldaten würden sich auch daran erinnern, wenn ein Mönch versucht hätte, hinein- oder herauszukommen.«
»Damit bleibt nur eine Möglichkeit.« Athelstan rieb sich die Nase und trat auf den Hauptmann der Wache zu. »Ich will niemanden beleidigen, Sir, aber könnte Sir Hametts Mörder ein Soldat gewesen sein?«
Coverdale lief rot an.
»Ich sage dies nur«, fuhr Athelstan unbeirrt fort, »weil ein Soldat mit Schwert und Axt bewaffnet ist Auch hätte er die Möglichkeit, das Vestibül vor dem Kapitelhaus zu betreten.«
»Ihr meint, jemand wie ich?«
»Das habe ich doch nicht gesagt, Sir Miles. Ich habe lediglich eine Feststellung getroffen.«
Cranston, der sich auf einen umgestürzten Eimer gesetzt hatte, begriff, worauf Athelstan hinauswollte, und Banyard wußte es ebenfalls. Der Wirt zog sich ein paar Schritte zurück, als wolle er sich aus der Reichweite von Coverdales Zorn bringen. Sir Miles aber blieb ruhig, auch wenn seine Wangen sich fleckig rot färbten.
»Ihr solltet mit Eurer Befragung fortfahren, Bruder«, fauchte er. »Sir Francis’ Kollegen erwarten uns im Schankraum. Sie werden Euch erzählen, daß er sie gegen meinen Befehl - und gegen ihren Rat - kurz vor der Vesper verlassen hat.«
»Und Ihr werdet uns natürlich erzählen, wo Ihr da wart?«
»Jawohl, Bruder: Ich war mit anderen Offizieren des Regenten im Savoy-Palast, um die königliche Prozession nach Westminster vorzubereiten, die am Samstag morgen stattfinden soll. Mylord Gaunt und eine stattliche Anzahl seiner Ritter werden feierlich beeiden, daß ich bei ihnen war.«
»Zur Vesperstunde?« fragte Athelstan, der ein kurzes Flackern in Coverdales Blick bemerkt hatte.
»Nun ja, kurz danach.«
Athelstan wandte sich ab. »Master Banyard, wie lange bleibt der Tote hier?«
»Bis heute nachmittag.«
»Gab es eigentlich irgendein Anzeichen für Raub?« wollte Cranston wissen und erhob sich ächzend und grunzend von seinem Eimer.
»Nicht das geringste«, sagte Coverdale hastig.
Athelstan trat noch einmal zu dem Leichnam und schaute auf ihn herunter; er sah, wie sich ein Rinnsal von Blut langsam und dickflüssig unter der schmutzigen Plane hervorkräuselte. Coverdale sah es auch und wandte sich hastig ab. »Die anderen warten«, sagte er knapp.
Er wandte sich zum Gehen, aber dann blieb er noch einmal bei Athelstan stehen und reckte ihm das Gesicht entgegen. »Stellt nur Eure Nachforschungen an, Bruder«, flüsterte er. »Ich bin kein Mörder.«
Athelstan wollte antworten, als aus der Schenke Geschrei und dann Fußgetrappel zu hören war. Christina kam mit wehenden Haaren in den Schuppen gerannt. Sie warf einen Blick auf den Toten und wich zurück.
»Was ist denn, Mädchen? Was ist?«
Sie folgten ihr hinaus.
»Die Ritter«, schrie sie. »Da ist jemand in die Schenke gekommen.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wer. Einer der Küchenjungen sagt, er war ganz in Schwarz gekleidet; er hat ihm einen versiegelten Beutel und einen Brief für Sir Edmund Malmesbury gegeben. Der Junge hat beides zu den Rittern gebracht, Sir Edmund hat es aufgemacht, und jetzt schreien sie alle. Er ist gefunden! Er ist gefunden!«
»Wer ist gefunden?« fragte Cranston und drückte den Arm des Mädchens.
»Das weiß ich nicht«, stammelte sie. »Aber jetzt sind sie alle ganz aufgeregt und streiten wegen eines Kelches, der gestohlen wurde.«
Cranston marschierte sofort zur Schenke hinüber. Athelstan blieb noch, um sicherzustellen, daß der Leichnam anständig zugedeckt wurde. Dann schloß er die Tür und überquerte den Hof. Ein Hahn mit prachtvollem Gefieder stand auf einem Haufen fetter schwarzer Erde und krähte sich die Seele aus dem Leib. »Du hast eine schöne Stimme, Bruder Hahn«, sagte Athelstan leise und wünschte sich beiläufig, er hätte auch einen solchen Vogel und ein paar Hennen in St. Erconwald. Aber dann dachte er an Bonaventura und an Ursulas bösartige Sau und schüttelte den Kopf. »Du würdest dort nicht singen, Bruder Hahn.«
Er ging weiter über den Hof. In der Ferne sah er den blinkenden Fluß und die lange Kette der Kornbarken, die hinauf nach Queenshithe oder Dowgate fuhren. Athelstan schob die Hand in die Tasche seiner Kutte und berührte den Maulkorb, den er in der Nacht zuvor untersucht hatte. In der ganzen Aufregung hätte er ihn fast vergessen; er mußte dem ehrenwerten Coroner sagen, daß er dem unheimlichen Katzendieb eine Falle stellen solle. Seufzend betrat er die Schenke.
Cranston hatte die Schankstube räumen lassen. Die vier Abgeordneten saßen mit roten Gesichtern um den Tisch herum und starrten einen blankpolierten Zedernholzkelch an, der vor ihnen auf dem Tisch stand. Ab und zu beugte sich einer von ihnen mit glitzernden Augen vor und strich mit der Fingerspitze darüber. Coverdale räkelte sich auf einer Bank am Fenster und sah neugierig zu. Cranston war drüben bei den Weinfässern und kostete, wie er sagte, von seines Wirtes bestem Gascogner. Banyard war ganz aus dem Häuschen; er starrte den Kelch an und schüttelte den Kopf.
»Was ist das?« fragte Athelstan.
»Was das ist?« Sir Humphrey Aylebore rieb sich den kahlen Schädel, und wie ein Kind, das nicht länger an sich halten konnte, beugte er sich vor und packte den dunklen Holzkelch. »Das ist der Gral!« verkündete er.
Athelstan ging hin und nahm ihm den Holzkelch aus den Händen. Die Trinkschale war flach, und Stiel und Fuß fühlten sich schwer an. Das Holz war blank, nicht nur, weil es poliert war, sondern auch infolge seines großen Alters. Athelstan dachte an die Sage von Artus und fragte sich, ob dieser Kelch wirklich der Gral sein könne: der Kelch, den Christus beim Letzten Abendmahl benutzt hatte, um Wein in Sein Blut zu verwandeln, auf daß die Welt davon trinke.
Der Kelch wies keinerlei Markierung oder Verzierung auf, und Athelstan verbarg seinen Argwohn. Sein Mißtrauen gegen Reliquien wurde in letzter Zeit immer größer; er hatte schon genug Holz vom Wahren Kreuz Christi gesehen, um daraus eine Kriegsflotte zu bauen, und wenn er jeden Tuchfetzen gesammelt hätte, der vom Leichentuch des Erlösers stammte, so hätte die Stoffbahn vermutlich von London bis York gereicht.
Er blickte auf. Malmesburys Augen glitzerten. Was immer ich denke, erkannte Athelstan, diese Männer glauben, dies ist der Gral.
»Bruder Athelstan, bitte.« Malmesbury streckte flehentlich die Hände aus.
Athelstan reichte ihm den Kelch. Der Ritter nahm ihn zärtlich entgegen, wie eine Mutter ihr Kind.
»Ihr sagt, der habe einmal Euch gehört?« Cranston kam herüber; er hielt einen randvollen Weinbecher in der Hand, zwinkerte Athelstan zu und schlürfte hastig.
»Er gehört uns!« fauchte Goldingham. Er entriß Malmesbury den Kelch, drehte ihn um und zeigte auf die schwachen Umrisse eines Schwans, die unter den Fuß geritzt waren. »Vor Jahren ist er eines Nachts verschwunden, als wir in Lilleshall Abbey waren.« In seinen Augen blinkten die Tränen, und seine Stimme klang erstickt. »Seitdem ist nichts mehr gutgegangen für uns.«
»Was soll das heißen?« fragte Athelstan.
Goldingham schüttelte den Kopf; er hielt den Kelch in beiden Händen und wiegte sich vor und zurück, als könne diese Reliquie ihn vor allem Unheil bewahren.
»Und jetzt ist er Euch zurückgebracht worden?« fragte Cranston.
»Ja«, sagte Malmesbury. »Ein Fremder hat ihn an der Schenkentür abgegeben.« Er hob den Lederbeutel hoch, der versiegelt gewesen war. »Hier war er drin, mit einem Fetzen Pergament, auf dem mein Name stand.«
Athelstan nahm Beutel und Pergament und betrachtete beides aufmerksam.
»Wie das?« rief Coverdale. »Wie kann irgend jemand in London wissen, daß ein Kelch, der vor Jahren aus einer Abtei in Shropshire gestohlen wurde, Euch gehört?«
»Das wissen wir nicht«, knurrte Sir Humphrey über die Schulter. »Wir wissen nur, daß der Kelch gestohlen wurde und daß er jetzt wieder bei seinen rechtmäßigen Eigentümern ist«
»Glaubt Ihr, daß ein Zusammenhang mit dem Mord an Sir Francis Hamett besteht?« fragte Athelstan.
Die Aufregung in den Gesichtem der Ritter legte sich ein wenig. »Ich meine«, fuhr Athelstan fort, »ist es möglich, daß Sir Francis den Kelch die ganze Zeit hatte? Und daß der Kelch jetzt, da er tot ist, zurückerstattet wurde?«
»Erklärt uns, was Ihr da redet, Bruder!« rief Goldingham. Athelstan lächelte und setzte sich ihm gegenüber auf einen Schemel. »Das kann ich nicht. Es scheint mir nur ein merkwürdiger Zufall zu sein, daß einer Eurer Kollegen letzte Nacht starb und daß heute morgen ein lange vermißter Kelch zurückgebracht wird.« Athelstan hatte zwar einen Verdacht, aber den behielt er für sich. »Sir Francis ist tot.« Er betonte jedes seiner Worte. »Weiß einer von Euch, weshalb er letzte Nacht in die Monstranzkammer ging? Mit wem wollte er sich dort treffen? Da unten ist nämlich weiter nichts«, setzte er hinzu, »und daher kann Sir Francis nur dort hingegangen sein, um jemanden zu treffen. Und diese Person hat ihn ermordet.«
»Wir wissen davon nichts«, antwortete Sir Thomas Elontius und fuhr sich mit der Hand durch sein gesträubtes rotes Haar. Seine vorquellenden Augen hatten einen verängstigten, gehetzten Ausdruck. »Wir waren alle hier im ›Ungeheuer‹.«
»Keiner von Euch ist weggegangen?« fragte Cranston und trat neben Athelstan.
»Ihr könnt unseren Wirt fragen«, sagte Elontius.
»Das stimmt«, erklärte Banyard und kam herüber. »Alle fünf Abgeordneten waren hier. Ich habe ihnen die Spezialität des Hauses serviert: junge Gans, frisch und zart, mit würziger Sauce. Meine Gäste haben nach Herzenslust gegessen und getrunken und sind dann hinauf in ihre Kammern gegangen. Ich wußte nicht, daß Sir Francis noch fortgegangen war.«
»Und Ihr seid alle hiergeblieben?« fragte Cranston noch einmal. »Ja«, antworteten die Ritter im Chor.
»Aber eins leuchtet doch ein«, gab Athelstan zu bedenken. »Wenn Sir Francis Hamett fortging, ohne daß jemand ihn gehen sah, dann könnte jeder von Euch, ja, dann könntet Ihr alle ebenfalls unbemerkt fortgegangen sein.«
Banyard machte ein verdutztes Gesicht, als Athelstan dies sagte. Er seufzte und kratzte sich die Wange. »Die Schenke hat drei oder vier Ausgänge«, sagte er, »und abends ist hier Hochbetrieb. Bruder Athelstan, mein Gasthaus ist berühmt für sein Essen, für gutes Bier und starken Wein. Die Leute kommen und gehen ohne Unterlaß. Das ›Ungeheuer‹ ist eine Gastwirtschaft, kein Burgverlies.«
»Und Ihr könnt schwören«, sagte Athelstan, zu den Abgeordneten gewandt, »daß keiner von Euch weggegangen ist?« Er starrte sie alle nacheinander an, aber alle nickten.
»Wir waren müde«, erklärte Sir Humphrey Aylebore. »Jawohl, Bruder, wir waren müde und verängstigt. Wir haben gegessen und getrunken.« Er lächelte gezwungen. »Ich nehme an, meine Kollegen haben getan, was ich auch getan habe: Ich habe Türen und Fenster meiner Kammer verriegelt und mich dann unter der Bettdecke versteckt. Wir haben geschworen, in Westminster nirgendwo hinzugehen, wenn wir nicht mindestens zu zweit sind.«
»Wißt Ihr, warum Sir Francis Harnett weggegangen ist?« Cranston schlürfte seinen Wein und schmatzte geräuschvoll.
»Nein«, erwiderte Malmesbury und schaute den Coroner verachtungsvoll an.
»Ach, kommt, Sir Edmund«, gab Cranston fröhlich zurück, »Sir Francis ist uns inzwischen wohlbekannt als einer, der ständig zur Stadt ein und aus ging und in geheimen Geschäften hierhin und dorthin eilte.«
»Sir Francis war ein geschäftiger kleiner Mann. Gott schenke ihm die ewige Ruhe«, sagte Goldingham. »Wir waren einst eine Schar von Brüdern, Sir John.« Er deutete auf den Kelch. »Aber als der gestohlen wurde …« Er zuckte die Achseln. »Jeder von uns ging seiner Wege, und Sir Francis als erster. Oh, er flüsterte vor sich hin und huschte hin und her, aber keiner von uns weiß, warum er bei Dame Mathilda weggegangen ist oder weshalb er so dumm war, allein in die Monstranzkammer zu steigen.«
»Hat er je einen jungen Soldaten namens Perline Brasenose erwähnt?«
»Nicht, daß ich wüßte«, antwortete Sir Edmund. »Aber Goldingham hat recht: Harnett war ein Eigenbrötler, mit seinen Karpfenteichen, seinen Bestiarien und exotischen Tieren. Er hat uns nie gesagt, wohin er ging oder was er vorhatte. Hätte er es getan, dann würde er heute morgen noch leben.«
»Ihr habt von Perline Brasenose gesprochen.« Sir Thomas Elontius beugte sich vor und flüsterte Sir Humphrey Aylebore etwas ins Ohr. Dieser nickte. »Perline ist ein Soldat in der Garnison im Tower?« fragte Elontius dann.
»Ja«, sagte Athelstan.
»An den erinnere ich mich.« Elontius legte die Finger an die Lippen. »Am letzten Sonntag waren wir im Tower. Als wir von dort fortgingen, sahen wir, wie Sir Francis am Torhaus mit einem jungen Soldaten sprach.«
»Worüber?« fragte Athelstan.
»Das weiß ich nicht«, sagte Elontius. »Aber Hamett kam ziemlich aufgeregt zurück.«
Cranston wühlte in seiner Tasche und förderte die kleine Wachskerze, die Pfeilspitze und das Stück Pergament zutage.
»Diese Gegenstände wurden bei Harnetts Leichnam gefunden, genau wie bei Swynford und Bouchon. Wollt Ihr weiterhin behaupten« - sein Blick ging von einem Ritter zum anderen -, »daß sie Euch nichts sagen?«
»Nun, mir jedenfalls nicht«, gab Sir Thomas zurück; sein rotes Haar sträubte sich, und die blauen Augen quollen hervor. »Und es kümmert mich einen Scheißdreck, Sir John.« Er richtete einen Finger auf den Coroner. »Ich weiß nur, daß irgendein Verrückter fleißig einen nach dem anderen aus unserer Mitte abschlachtet, ohne daß Ihr etwas dagegen unternehmt.«
»Ich kann nicht überall gleichzeitig sein!« fauchte Cranston.
»Es ist ein Alptraum«, brüllte Sir Thomas und schnippte mit den Fingern zu Banyard hinüber. »Bring uns etwas zu trinken, Mann!« Dann lächelte er den Wirt an. »Das einzig Gute an London ist dieses Gasthaus. Die Preise sind vernünftig, das Essen ist vorzüglich, die Zimmer sind sauber. Sogar Hamett, der geizige Hund, hat das einmal gesagt.«
Athelstan wartete, bis der Wirt mit einem Tablett voll Bechern zurückkam und sie vor den Rittern hinstellte, bevor er sich mit dem Krug herüberbeugte. »Möchtet Ihr auch etwas, Bmder?« Athelstan schüttelte den Kopf. Aus irgendeinem Grund war ihm ein bißchen flau im Magen, und er hatte immer noch Mühe, das Bild dieser grausam verstümmelten Leiche vor seinem geistigen Auge zu vertreiben. Er dachte an Banyards Schilderung von der Nacht, in der Bouchon gestorben war, und es reizte ihn zu fragen, was Sir Francis Hamett wohl gemeint habe, als er sagte, »die alte Methode« sei »die beste Methode«. Aber damit würde er verraten, daß Banyard gelauscht hatte, und die Ritter hier würden ihn ohnedies nur belügen.
»Wirt!« Cranston drehte sich um. »Hat Hamett irgendwelche Nachrichten nach London hineingeschickt, schriftliche oder mündliche?«
Der Wirt kam zurück und kratzte sich am Kopf. Ein ratloser Ausdruck trat auf sein dunkles Gesicht. »Nein«, sagte er.
»Ich habe seine Sachen durchgesehen«, sagte Malmesbury. »Sir John, da findet sich nichts. Ein Stundenbuch, ein Tintenfaß, Becher, Kleidung, nichts Bemerkenswertes.«
»Wißt Ihr, warum Hamett sich mit einem Soldaten aus der Tower-Garnison treffen wollte?« fragte Athelstan.
»Wenn ich es wüßte, würde ich es Sir John sagen«, antwortete Malmesbury sofort.
Athelstan beugte sich vor und nahm den Kelch noch einmal zur Hand. »Und Ihr habt keine Ahnung, woher dieser Kelch kam oder wer ihn zurückgebracht hat?«
»Das ist wirklich ein Rätsel«, warf Goldingham ein, der seinen Becher halb zum Mund erhoben hatte. »Ich habe ihn vor vielen Jahren das letzte Mal gesehen, Bruder, und jetzt taucht er wie aus dem Nichts wieder auf.«
»Und das macht Euch gar nicht neugierig?« fragte Cranston. »Ehrlich gesagt, Sir John«, erwiderte Aylebore, »mich kümmert es einen Scheißdreck! Ich wünschte nur, wir könnten ihn in eine Schatulle legen und mit den Leichen unserer ermordeten Gefährten nach Shrewsbury zurückkehren.«
»Wieso tut Ihr es dann nicht?« Athelstan sah Malmesbury an. »Der Regent wird Euch doch sicher entschuldigen.«
»Das ist unmöglich«, knurrte der Abgeordnete. »Wir vertreten die Grafschaft Shropshire und ihre Städte. Wie sollten wir unsere plötzliche Flucht erklären? Und woher wissen wir, daß uns der Mörder nicht folgen würde?« Er fuhr mit der Fingerspitze um den Rand seines Weinbechers herum. »Außerdem, wie Sir John Cranston ja schon sagte, würde unsere Flucht in den Augen vieler so aussehen, als wären wir schuldig.« Er nahm einen Schluck Wein. »Und schließlich haben wir eine Aufgabe: Die Steuerforderungen des Regenten müssen abgewehrt werden.«
»Und das macht Ihr?« fragte Cranston.
»Aye«, sagte Malmesbury.
»Aber wenn der junge König zu den Commons kommt und Euch um Unterstützung bittet?«
Malmesbury zuckte die Achseln. »Ihr kennt das alte Sprichwort, Sir John: Alles zu seiner Zeit.«
»Ich will noch weiter gehen.« Sir Humphrey Aylebore deutete auf den Kelch, den Athelstan noch immer in der Hand hielt. »Was mich betrifft, Bruder: Ich würde Euch diesen Kelch schenken, wenn Ihr den Mörder unter uns entlarven könntet.«
»Unter Euch?« Athelstan legte den Kopf auf die Seite. »Sir Humphrey, wieso glaubt Ihr denn, daß der Mörder in Eurem Kreise zu finden ist?«
»Das liegt doch nahe, oder?« antwortete der Ritter aufgebracht. »Vielleicht hat Sir Francis diesen Perline letzte Nacht getroffen, und vielleicht ist der Kerl auch gar nicht aufgetaucht. Aber der Mörder ist gekommen.«
»Und?«
»Herrgott, Bruder, treibt doch jetzt keine Spielchen! Die Abtei ist gut bewacht. Zwei oder drei Postenketten mit Soldaten und Bogenschützen. Niemand würde in das Vestibül vor der Monstranzkammer gelassen, der nicht ein besonderes Siegel mit sich führt… Und kommt mir nicht damit, daß man dieses Siegel fälschen kann. Grünes Wachs, vom Abdruck des Großsiegels des Königreichs ganz zu schweigen - das ist schwer zu beschaffen und unmöglich zu fälschen.«
Nach diesen Worten war es totenstill in der Schankstube.
»Ich sage doch die Wahrheit, oder nicht?« Aylebore sah sich um.
»Der Mörder …« Er stieß mit seinem stumpfen Finger in die Luft. »Der Mörder muß ein Siegel haben. Er muß gewußt haben, wann Sir Francis von hier fortgegangen ist, und er muß jemand sein, der absolut unangefochten in der Abtei ein und aus gehen kann.«
»Aber was ist mit dieser Axt?« fragte Malmesbury besorgt. »Oder mit dem Schwert - womit auch immer er Hamett den Kopf abgeschlagen hat? Kein Abgeordneter darf auf dem Gelände der Abtei eine Waffe tragen.« Er drehte sich um und schaute zu Coverdale, der zurückgelehnt hinter ihm auf der Fensterbank saß.
»Was meint Ihr, Sir Edmund?« fragte Athelstan.
»Was ist, wenn der Mörder in die Abtei geschickt wurde? Wenn man ihn nach seinem Belieben ein und aus gehen ließ?«
»Überlegt Euch, was Ihr da sagt«, warnte Coverdale.
Athelstan stand lächelnd auf und stellte den Kelch wieder auf den Tisch. »Wie dem auch sei«, sagte er sanft. Er spürte, daß die Atmosphäre sich veränderte, und wollte nicht in einen wütenden Streit hineingezogen werden. »Sir John, ich denke, wir sollten uns Sir Francis’ Sachen einmal ansehen.« Er deutete auf den Kelch und den Lederbeutel, in dem er gekommen war. »Meine Herren, darf ich diese Dinge für eine Weile ausborgen?« Malmesbury machte ein zweifelndes Gesicht. Goldingham zuckte die Achseln, aber Sir Humphrey Aylebore stand auf und drückte Athelstan Kelch und Beutel in die Hand.
»Wenn es hilft, Bruder, behaltet beides, so lange Ihr wollt.« Er lächelte. »Aber seht zu, daß unser Gral nicht noch einmal verschwindet.«
Cranston leerte seinen Becher und funkelte die Abgeordneten an. »Ihr Herren, Ihr müßt mir Euer Wort geben. Bleibt zusammen hier im Gasthof. Geht nachts nicht hinaus, nicht zu mehreren und schon gar nicht allein. Sagt einander stets, wo Ihr seid und was Ihr tut. Einverstanden?«
Jeder der Ritter gab sein Wort.
Cranston wandte sich an Banyard. »Wirt, hast du eine Kammer für meinen Secretarius und eine für mich?«
»Ihr könnt Swynfords und Bouchons haben.« Der Wirt stand auf und rief einen Küchenjungen heran. »Während Ihr Euch Sir Francis’ Kammer anseht, werde ich dafür sorgen, daß neue Laken aufgezogen und frische Binsen auf den Boden gestreut werden.«
Cranston dankte ihm und folgte Athelstan die Treppe hinauf. Unterwegs trafen sie Christina, die Bündel von frischen Binsen auf dem Arm trug; die Spitzen kitzelten sie an der Nase. Athelstan wartete, bis ihr Niesanfall vorüber war.
»Gesundheit, mein Kind.«
»Danke, Pater.«
»Wo hat Sir Francis gewohnt?«
»Da müßt Ihr noch eine Treppe höher steigen. Die Tür ist offen.« Athelstan stieg die nächste Treppe hoch, gefolgt von dem ächzenden und stöhnenden Coroner. Das Zimmer war hübsch eingerichtet: ein Vierpfostenbett, zwei große, metallbeschlagene Truhen, ein schmaler Tisch, ein paar Schemel. Kohlenbecken standen in den Ecken, aber sie brannten nicht; das Fenster stand offen, so daß die warme Sonne hereinscheinen und die Kammer mit ihrem sanften Glanz erfüllen konnte.
»Die sagen immer noch nicht die Wahrheit, was?« meinte Cranston und schloß die Tür hinter ihnen.
»Nein, Sir John.«
»Glaubst du, der Mörder ist einer von ihnen?«
»Es muß so sein, Sir John. In diesem Gasthof gibt es mehr Türen, Gänge und Korridore als in einem Kaninchenbau. Jeder von ihnen hätte sich hinausschleiehen, Sir Francis in die Monstranzkammer folgen und ihn dort ermorden können.«
»Und die Mordwaffe?« fragte Cranston.
»Athelstan seufzte. »Ja, ja, das ist ein Rätsel. Aber wir dürfen dabei nicht außer acht lassen, welche Rolle Sir Miles Coverdale und der Regent bei all dem spielen.«
»Und der berühmte Kelch?«
»Ah!« Athelstan hob den Deckel an einer der schweren Truhen. »Sir John, tut mir einen Gefallen. Geht hinunter in die Schankstube und beauftragt einen Burschen, zur Abtei zu laufen und Pater Benedict herzubitten. Nein, nein, ich hab’s mir anders überlegt, Sir John. Der Junge soll ihm sagen, wir erwarten ihn in einer Stunde in der Kapelle von St. Faith. Außerdem möchte ich gern die Monstranzkammer sehen, in der dieser Mord stattgefunden hat. Ach, und - Sir John, um welche Zeit wird der Markt in der Cheapside geschlossen?«
»Kurz vor Sonnenuntergang. Kommt auf das Wetter an.«
»Nun, was immer passieren mag, Sir John, wir müssen wieder in der Cheapside sein, wenn es soweit ist.«
»Warum?« fragte Cranston.
Aber Athelstan murmelte nur vor sich hin und durchwühlte den Inhalt der Truhe. Cranston zog eine Grimasse, ging zur Treppe hinaus und brüllte zu Banyard herunter, er solle einen Burschen heraufschicken. Als der Coroner wieder hereinkam, hatte Athelstan den Inhalt der Truhe und der Satteltasche Hametts auf dem Bett ausgebreitet und untersuchte nun alles.
»Nichts von Bedeutung dabei«, brummte er. »Ein Becher mit einem Schwan. Eine Sammlung von Sagen über König Artus. Kleidung, Gürtel, Dolche, ein Tintenfaß und Federkiele.« Als er sich aufrichtete, hielt er ein Stundenbuch in der Hand.
»Sir John.« Er deutete auf den Kelch, den er aus der Schankstube mit heraufgebracht hatte. »Den lassen wir hier. Bittet Banyard, die Kammer zu versiegeln.« Er warf noch einen Blick auf die bestickten Gürtel, die weichen Lederstiefel, auf Wams, Hose und Hemd. »Hier fehlt etwas«, murmelte er. »Aber ich kann nicht sagen, was.« Er kratzte sich die Wange. »Naja.«
Er nahm eine Decke und warf sie über die Sachen auf dem Bett; noch immer beschäftigte ihn das, was er nicht sah, und weniger das, was er sah.
Athelstan führte den ratlosen Coroner die Treppe hinunter. Banyard, der in der Schankstube seiner Arbeit nachging, erzählte ihnen, daß die Abgeordneten sich in ihre Zimmer zurückgezogen hatten.
»Und Sir Miles Coverdale?«
»Oh, der hat angefangen, Sir Edmund Malmesbury anzubrüllen: Seine Unterstellungen und Andeutungen gefielen ihm nicht. Dann ist er hinausmarschiert.«
»Master Banyard«, sagte Athelstan, »würdest du Sir Francis’ Kammer verschließen? Und bitte sag seinen Kollegen, ich habe ein Stundenbuch mitgenommen, den Kelch aber dagelassen.« Der Wirt versprach es, und Athelstan ging hinaus zu Cranston. »Wieso schleppst du das Stundenbuch mit?« wollte Cranston wissen, als sie durch die Gasse zu den brütenden Steinmassen der Westminster Abbey eilten.
»Sir John, habt Ihr ein Stundenbuch zu Hause?« Athelstan blieb stehen, um seine Schreibtasche zu öffnen und das Stundenbuch hineinzustecken.
»Ja, natürlich.«
»Und benutzt Ihr es zum Beten?«
»Ja.«
»Und wozu noch?«
Cranston grinste und klopfte dem Bruder auf die Schulter. »Auf die leeren Seiten vorn und hinten schreibe ich Notizen, private Gedanken und Vorsätze.« Er packte Athelstans Arm. »Hast du einen Blick in das Buch geworfen, bevor wir gegangen sind?«
»Sehr kurz nur«, antwortete Athelstan. »Ich habe aber nichts gefunden. Jetzt kommt, Sir John - wir müssen die Monstranzkammer besichtigen, und dann haben wir bestimmte Fragen an Pater Benedict zu richten.«
Athelstan war froh, daß sie beizeiten losgegangen waren, denn die Soldaten, die die Eingänge zur Abtei bewachten, erwiesen sich als ziemlich unzugänglich.
»Von mir aus könnt Ihr der Erzengel Gabriel sein«, blaffte einer von ihnen den Coroner an. Wilde Entschlossenheit lag auf seinem nußbraunen Gesicht. »Ohne Siegel darf hier keiner vorbei. Ihr habt keins, also dürft Ihr nicht hinein.«
Nach langen Diskussionen ließ der Bogenschütze sich schließlich wenigstens bewegen, Sir Miles Coverdale holen zu gehen. Als der Hauptmann kam, fand er sich mürrisch bereit, die beiden durchzulassen, aber er bestand darauf, sie persönlich durch Jericho Parlour und Kreuzgänge bis zum Vestibül vor dem Kapitelhaus zu eskortieren.
»Tagt das Parlament heute vormittag nicht?« fragte Cranston unterwegs.
»Nein, Sir John, diese Gänseherde muß ihren Stimmen ein wenig Ruhe gönnen; das Geschnatter beginnt heute nachmittag wieder. Sie beschweren sich aber schon über den Mord an Sir Francis Harnett«, fügte Coverdale verdrossen hinzu. »Schicken Petitionen an den Regenten; er soll noch mehr Bogenschützen und Soldaten hierher abordnen.«
»Macht Ihr Euch Vorwürfe?« fragte Athelstan.
Coverdale blieb an der Treppe stehen, die zur Monstranzkammer hinunterführte. »Bruder, hier sind über zweihundert Abgeordnete und ein rundes Dutzend Schreiber, die sich im Kapitelhaus treffen, von den Wachsoldaten gar nicht zu reden. Viele davon sind mir fremd; sie kommen aus so fernen Garnisonen wie Dover und Hedingham Castle. Wenn jemand das Siegel hat, sich unverdächtig benimmt und keine Waffen bei sich trägt, können wir ihn kaum daran hindern, hier hereinzukommen. Aber kommt jetzt - Ihr wolltet die Monstranzkammer sehen.« Er nahm eine Fackel aus einem Halter an der Wand und führte sie die Treppe hinunter. Unten stand ein Bogenschütze, der ihnen die Tür aufschloß, und dann betraten sie die gespenstisch dunkle Krypta. Coverdale zündete ein paar Fackeln an und deutete auf einen dunklen Fleck auf den Steinplatten des Bodens.
»Da haben wir den Toten gefunden; er hat geblutet wie ein abgestochenes Schwein.« Er wedelte mit der Hand. »Daneben lagen Pfeilspitze, Kerze und das Stück Pergament.« Coverdale zeigte auf einen der eisernen Fackelhalter. »Dort war der Kopf mit den Haaren angebunden.«
Athelstan schaute in die Richtung, in die Coverdale zeigte. Er dachte daran, mit welcher Sorgfalt Hamett sein Haar behandelt hatte; diese Erinnerung vertiefte nur das Entsetzen über den Tod des Ärmsten.
»Sonst habt Ihr nichts gefunden?« fragte er.
»Nichts, Pater.«
Athelstan sah sich um. Er konnte nichts Ungewöhnliches entdecken; da waren nur die dunklen Blutflecken und eine Atmosphäre des Bösen - als lauere der Mörder im Dunkeln und lache über ihr hilfloses Umhertappen. Athelstan dachte an das, was der Exorzist gesagt hatte, und zupfte Cranston am Ärmel. »Vielleicht gibt es in Southwark keinen Dämon«, flüsterte er. »Aber, bei Gott, Sir John - hier ist einer gewesen!«
Cranston holte seinen wunderbaren Weinschlauch hervor und nahm einen großen Schluck. Dann drückte er den Stopfen wieder hinein und sah sich fröstelnd um.
»Komm, Bruder«, sagte er hastig, »laß uns von hier verschwinden!«