Zunächst mochte Cranston diese Schlußfolgerung nicht akzeptieren.
»Du willst also sagen«, stellte er fest, »daß Malmesbury und seine Kollegen, die sogenannten ›Ritter vom Schwan‹, einen Privatkrieg gegen diese selbsternannten Bauernführer führten?«
»Ja«, bestätigte Athelstan. »Diese Männer sind arrogant, Sir John, und sie sind sich ihrer Rechte und Privilegien voll bewußt Sie sind in einer Welt aufgewachsen, in der jedermann wußte, wo sein Platz war, aber damit hat die Große Pest Schluß gemacht. Ganze Dörfer wurden ausgelöscht. Arbeitskräfte wurden knapp, und die Bauern wurden reicher, nicht nur durch den Landerwerb, sondern auch, indem sie ihre Arbeitskraft gegen Höchstgebot verkauften.« Athelstan strich mit der Fingerspitze um den Rand seines Humpens. »Und was konnte die Krone tun? Sie brauchte diese Bauern für ihre Kriege in Frankreich und für die Steuern, also nahmen Malmesbury und ihresgleichen das Gesetz selbst in die Hände.«
Athelstan schwieg und nahm einen Schluck Bier, wobei er durch das Fenster schaute, um sich zu vergewissern, daß niemand sie belauschte. »Stellt sie Euch vor, Sir John, diese arroganten Grundherren, im Mantel und mit heruntergelassenem Visier, und bis an die Zähne bewaffnet. Sie fielen über das Haus irgendeines armen Bauern her, zerrten ihn von seinem Tisch weg und stießen ihn zur Hinrichtung, während sie die Verse aus der Totenmesse sangen: das Dies Irae.«
»Und die Pfeilspitze, die Kerze und das Stück Pergament?« fragte Cranston.
»Oh, diese Ritter schickten immer eine Warnung. Die Kerze ist ein Symbol für die bevorstehende Beerdigung des Opfers. Die Pfeilspitze ist das Zeichen für einen gewaltsamen Tod, und das Wort ›Memento‹ ist ein mit Widerhaken versehener Hinweis, man möge sich an die früheren Morde erinnern, die von diesen Männern begangen wurden.« Er seufzte. »Und die roten Kreuze, die den toten Opfern in die Gesichter geritzt wurden, dienten als grausige Warnung für die anderen.«
»Und wie ging es weiter?« fragte Cranston.
»Ich vermute, daß Malmesbury und seine Bande ihren Willen durchsetzten. Nachdem eine Anzahl von Bauemführem ermordet worden war, wurden die anderen umsichtiger. Jedoch« -Athelstan schaute mit zusammengekniffenen Augen in die grelle Sonne - »das Böse, das wir tun, Sir John, stirbt nie. Es bleibt uns auf den Fersen und lauert in den Winkeln unserer Seele. Und damit kommen wir zum Regenten.« Athelstan senkte die Stimme. »Gaunt hat Ländereien in der walisischen Grenzmark. Er dürfte gründliche Erkundigungen über diese arroganten Grundbesitzer eingezogen haben, und ich bin sicher, er hat ihre geheimen Freveltaten entdeckt. Er hat dafür gesorgt, daß sie ins Parlament gewählt wurden und warnte sie brutal: Entweder unterstützten sie ihn, oder er würde das Gericht nach Shropshire schicken und ihr Geheimnis ans Licht bringen.«
»Aber Malmesbury und der Rest leisten dem Regenten doch erbitterten Widerstand.«
Athelstan lächelte düster. »Ach, Sir John. Wie oft habt Ihr schon Schach gespielt? Da beobachtet man auch, wie der Gegner seine Figuren bewegt. Manchmal hält man seine Entscheidungen für fehlerhaft, ja, für töricht, aber am Ende, wenn man die Dame verliert und der König in der Falle sitzt, dann erkennt man, wie feinsinnig sein Plan gewesen ist.«
»Mit anderen Worten, das Spiel ist noch nicht vorüber?«
»Nein, Sir John, das ist es keineswegs.«
»Aber die Morde«, sagte Cranston. »Dabei hat Gaunt die Hand doch bestimmt im Spiel.«
»Mylord Coroner.« Athelstan spielte mit der Troddel am Strick um seinen Leib. »Er könnte. Er könnte sogar behaupten, er führe eine rechtmäßige Hinrichtung durch. Aber concedo - ich halte es nicht für sehr wahrscheinlich. Nein, da ist noch jemand anderes ins Spiel gekommen. Wir haben drei Möglichkeiten. Erstens: Sir Miles. Wir dürfen nicht vergessen, daß Coverdale ebenfalls aus Shropshire kommt. Ist einer seiner Verwandten durch Malmesburys Hand gestorben? Dann hätten wir wiederum Pater Benedict. Er scheint der Erinnerung an seinen toten Freund Antony sehr verbunden zu sein. Ist er ein Mann, der Gottes Urteil vollstreckt? Oder …« Athelstan zögerte.
»Oder was?« Cranston war gespannt.
»Nun, ich rede von den Rittern immer, als handele es sich um einen Geheimbund unter Führung von Sir Edmund Malmesbury, und glaubt mir, Sir John, was immer sonst die Wahrheit sein mag, Malmesbury ist wirklich ihr Anführer. Aber da gäbe es noch eine Überlegung.« Athelstan beugte sich über den Tisch. »Woher wissen wir, daß die anderen darin verwickelt waren? Aylebore oder Elontius, möglicherweise auch beide, haben sich vielleicht nicht des geringsten Verbrechens schuldig gemacht. Aber sie könnten sich als Racheengel sehen.«
»Du meinst, Aylebore und Elontius könnten wegen dieser Justizmorde in Shropshire vor vielen Jahren gelitten haben?«
»Möglich.« Athelstan streckte sich und wandte sein Gesicht der Sonne zu. »Kommt, Sir John.« Er lächelte dem Coroner zu. »Der heilige Dominikus hat immer gesagt, nach einem guten Essen soll man mit einem Freund in einem schönen Garten Spazierengehen und plaudern.«
Cranston hatte seine düstere Stimmung vergessen; er stand auf, um Athelstan zu begleiten. Sie spazierten um Kräuter- und Blumenbeete herum und setzten sich am Ende des Gartens auf eine Steinbank in einer Blütenlaube. Athelstan lehnte sich zurück und lauschte dem trillernden Gesang der Vögel.
»In Augenblicken wie diesen, Sir John, wird mir klar, warum das Paradies als Garten beschrieben wird.« Athelstan hob das Gesicht in die Sonne.
»Aye«, sagte Cranston. »Und wie im Garten Eden, Bruder, gibt es immer eine Schlange, und es liegt Mehltau auf der Rose.«
Athelstan strich sich mit dem Daumen über die Lippen. »Laßt uns noch einmal zusammenfassen, was wir bisher wissen.« Er gab dem Coroner einen Rippenstoß. »Na los, Herr Justizbeamter, Ihr habt doch gut gespeist. Jetzt benutzt auch Euren rasiermesserscharfen Verstand.«
»Nun, zunächst einmal wissen wir, daß Sir Edmund Malmesbury und bestimmt auch diejenigen, die jetzt ermordet wurden, in Shropshire schreckliche Verbrechen begangen haben. Zweitens. Unser edler Regent bedient sich dieses Wissens, um die Herren zu erpressen - wozu allerdings, das müssen wir noch herausfinden. Drittens wissen wir, daß diese wackeren Ritter eine Bruderschaft namens ›Ritter vom Schwan‹ gegründet haben; sie zerbrach, als der berühmte Kelch gestohlen wurde, der allerdings soeben wieder aufgetaucht ist.« Cranston machte eine Pause. Seine Hand kroch zu dem Weinschlauch unter seinem Mantel, aber Athelstan schob sie spielerisch zurück.
»Mylord Coroner, wir sind noch nicht fertig.«
»Gut. Wir wissen, daß diese Ritter herkamen und dann gleich die Morde begannen. Zum Zeitpunkt des Todes erhielt jedes Opfer eine Warnung. Sir Oliver Bouchon verließ die Schenke und bekam einen Schlag auf den Kopf: Vermutlich hat er Westminster nicht verlassen; sein Leichnam wurde in die Themse geworfen und trieb bis Tothill Fields, wo er im Schilf hängenblieb. Wir wissen nicht, warum er fortging, wohin er wollte, und wer ihm folgte. Als nächster wurde Sir Henry Swynford von einem Mann, der sich als Priester ausgab, mit einer Garotte erdrosselt.«
»Und in diesem Fall war der Mörder am kühnsten«, warf Atheisten ein. »Wir wissen nur, daß er in der Schenke erschien, Swynford hinrichtete und wieder verschwand. Gott weiß, was passiert wäre, wenn der echte Priester dazugekommen wäre; nachdem ich Pater Gregory begegnet bin, glaube ich allerdings nicht, daß es allzu schwierig gewesen wäre, ihn zum Narren zu halten.«
»Und dann Hamett«, fuhr Cranston fort. »Wir wissen, daß er das Bordell am Montag abend verließ und flußaufwärts nach Southwark fuhr, um diesen Gauner Brasenose zu suchen. Jemand machte sich Hametts Wunsch, diesen verflixten Affen zu kaufen, zunutze und lockte ihn in die Monstranzkammer nach Westminster. Wie es dem Mörder allerdings gelingen konnte, in die bewachten Kreuzgänge und wieder hinaus zu gelangen, unbemerkt und noch dazu mit einem Schwert oder einer Axt bewaffnet, das ist unbegreiflich. Und heute morgen schließlich«, endete er, »war es Sir Maurice Goldingham. Er verspürt ein dringendes Bedürfnis, eilt zu den Latrinen und stirbt beim Scheißen. Wieder bleibt es ein Rätsel, wie der Mörder mit einer Armbrust in die Kreuzgänge und wieder hinaus gelangen konnte.«
»Es sei denn natürlich, er wäre schon drin gewesen«, fügte Atheisten hinzu. »Vielleicht konnte er mit einem Siegel an den Wachposten vorbeikommen, und die Armbrust hat er womöglich irgendwie hineingeschmuggelt.« Atheisten seufzte verdrossen. »Sir John, der Mörder muß doch einen Fehler begangen haben. Was war dieser schwarze Schmutz, den wir unter Sir Bouchons Fingernägeln gefunden haben?« Er hörte ein Schnarchen und schaute zur Seite; Sir John saß mit einem seligen Lächeln auf dem Gesicht da und war fest eingeschlafen.
Athelstan lehnte sich zurück und sonnte sich. Ich sollte nach St. Erconwald zurückkehren, dachte er. Wie gern hätte er mit Benedicta zusammengesessen und über die alltäglichen Dinge des Lebens geplaudert. Athelstan rutschte unruhig auf der Bank hin und her. Ja, er hätte gern in seinem eigenen Haus gesessen oder die Kinder unterrichtet oder sogar den Schiedsrichter zwischen Watkin und Pike in ihrem endlosen Kampf um die Macht im Gemeinderat gespielt.
Aber natürlich gab es auch andere Dinge, um die er sich kümmern mußte. Das Glockenseil mußte erneuert werden. Er wollte sich vergewissern, daß die Statue des Heiligen Erconwald wieder sicher auf ihrem Sockel stand, und Huddle mußte beaufsichtigt werden. Wenn der Maler sich selbst überlassen bliebe, würde er jeden Zollbreit des Kirchengemäuers nach seinem eigenen Belieben mit Gemälden bedecken. Lächelnd dachte Athelstan an Perline Brasenoses Eskapade; hoffentiich war »Cranston, der Affe« wieder wohlbehalten im Tower. Irgendwann in nächster Zukunft würde er sich mit diesem jungen Mann und mit Simplicitas unterhalten müssen; inzwischen dürfte die Geschichte sich ja in ganz Southwark herumgesprochen haben. Athelstan schloß die Augen und betete im stillen, daß niemand aus seiner Gemeinde, vor allem nicht Crim, je noch einmal den Berberaffen und Cranston in einem Atemzug erwähnen möge. Auch Pike hatte manchmal den Teufel im Leib; er war imstande, Huddle auf einen Krug Ale einzuladen und den Maler dazu anzustiften, Perlines Possenstück in einem Kirchengemälde zu verewigen.
Athelstan hörte ein Geräusch. Er öffnete die Augen, aber es war nur Banyard, der mit zwei Eimern Erde vom Komposthaufen kam. Er stellte sie ab, lächelte Athelstan zu und ging ins Haus. Athelstan erhob sich - behutsam, um Sir John nicht zu wecken. Er atmete den Duft von Thymian, Rosmarin und Majoran aus dem Kräutergarten ein.
»Ich gehe nach St. Erconwald zurück«, brummte er, »wenn das alles hier vorbei ist.«
Eine Biene summte dicht an seinem Gesicht vorbei. Er wich einen Schritt zurück und wedelte sie weg. Welchen Fehler, dachte er, hatte der Mörder begangen? Der Mord an Swynford war dreist gewesen, das stand fest, aber wie sah es bei Hamett und Goldingham aus? Und was hatte bei Hametts Sachen gefehlt, als sie auf dem Bett verstreut gelegen hatten? Gähnend wandte Athelstan sich wieder der Laube zu. Er schüttelte Cranston wach.
»Auf, Sir John!«
Cranston öffnete die Augen und schmatzte. Dann reckte er sich. »Wohin jetzt, guter Bruder?«
»Es ist ein warmer Tag«, sagte Athelstan. »Laßt uns in unsere Zimmer zurückkehren, Sir John. Morgen müssen wir früh aufstehen, wenn der König und der Regent nach Westminster hinunterziehen. Um welche Zeit soll die Prozession beginnen?« Cranston erhob sich schwerfällig. »Ich weiß es nicht, aber ich schicke einen Boten zum Savoy und lasse nachfragen.« Über die Zumutungen des Regenten murrend, schlurfte Cranston zum Gasthof zurück und stieg müde die Treppe hinauf.
Athelstan folgte ihm. Gern hätte er noch aufgeschrieben, zu welchen Schlußfolgerungen er und Sir John gelangt waren, aber Sonne und Ale hatten ihn schläfrig gemacht. Er legte sich auf seine Pritsche; als er wieder aufwachte, wurde es bereits dunkel. Er weckte Sir John, und sie verbrachten den Rest des Abends in der Schankstube, wo sie auf Malmesbury, Elontius und Aylebore warteten. Es war vollends dunkel geworden, als die drei Abgeordneten kamen, Schulter an Schulter, die Hände an ihren Dolchen. Sie grüßten Cranston und Athelstan mit flüchtigem Kopfnicken und setzten sich an einen eigenen Tisch. Ihr mürrisches Benehmen und ihre bedrückte Haltung besserten sich erst, als Banyard ihnen das Beste aufgetischt hatte, was die Küche bieten konnte, und ihnen auch eine offene Flasche Wein auf den Tisch stellte.
»Das Köstlichste, das die Gascogne hervorbringen kann«, sagte der Wirt. »Kommt, Ihr Herren, füllt Eure Becher.«
Er nahm die Flasche und schenkte jedem der Ritter den Becher großzügig voll. Die drei, angstvoll und bang, tranken hastig und schenkten sich gleich nach, bis das Feuer in ihrem Leib wieder brannte und die Arroganz in ihren Mund zurückkehrte. Cranston erklärte flüsternd, er könne sich das nicht länger ansehen, und stürmte hinauf in seine Kammer, aber Athelstan, der absichtlich langsam aß, beobachtete die drei aufmerksam. Der Abend nahm seinen Lauf. Allmählich zeigten sich die drei Ritter wieder aufgeblasen wie zuvor und unterhielten sich blökend wie die Esel über das, was während der Nachmittags- und Abendsitzung der Commons geschehen war. Natürlich zogen ihre Stimmen die Aufmerksamkeit aller anderen Gäste auf sie, der Anwälte, Schreiber und Beamten vom Königlichen Gericht und aus dem Schatzamt. Alle sammelten sich um den Tisch und lauschten mit feierlichen Mienen, als die drei Abgeordneten verkündeten, was mit dem Königreich nicht in Ordnung sei.
»Wehe dem Reich, dessen König ein Knabe ist«, rief Malmesbury. »Das« - er klopfte auf den Tisch und stieß zwischendurch leise auf - »ist die Wurzel allen Übels.«
Bei dem Gedanken an das, was er jetzt über diese Männer wußte, drehte sich Athelstan der Magen um. Am liebsten wäre er auch hinausgegangen, blieb aber fasziniert von ihrer Heuchelei sitzen und beobachtete sie weiter. Nur hin und wieder schimmerte ihre Angst vor dem Mörder ihrer Kollegen auf. Ein Schreiber mit weinerlichem Gesicht und fettsträhnigem Haar fragte sie, wer dieser Mörder wohl sein könne. Malmesbury sah ihn an wie ein verängstigtes Kaninchen und verbarg das Gesicht dann in seinem Becher, während Aylebore das Gespräch auf ein anderes Thema brachte. Hin und wieder ging einer von ihnen hinaus auf die Latrinen. Atheisten sah mit Belustigung, daß alle drei sich stämmige Knechte gemietet hatten, die sie bewachen mußten. Als Aylebore, hastig an seiner Hose nestelnd, wieder hereinkam, erwartete Atheisten ihn bei der Tür.
»Ihr habt Euch einen Beschützer gekauft, Sir Humphrey?«
Der Ritter hob den Kopf; er hatte ein sabberndes Biergesicht. »Na, Ihr taugt ja nicht viel«, höhnte er und lockerte den Gürtel um seinen Bauch. »Kann nicht mal pissen gehen, ohne daß jemand auf mich aufpaßt.«
Er wollte weitergehen, aber Atheisten versperrte ihm den Weg. Das höhnische Grinsen erstarb.
»Wenn Ihr solche Angst habt«, flüsterte Atheisten, »warum reist Ihr dann nicht zurück nach Shropshire?«
Sir Humphrey schaute zu Boden; sein Blick war glasig vom Trinken.
»Oder bekennt Eure geheimen Sünden?« fuhr Atheisten unerbittlich fort.
Aylebores Kopf fuhr herum. Seine Augen waren steinhart. »Bekennt, daß Ihr jene Männer ermordet habt«, sagte Atheisten mit festem Blick. »Erinnert Ihr Euch, Sir Humphrey? An die Bauernführer, die ein besseres Leben wollten, aber die Ihr und Eure Kameraden hingerichtet habt - oder sollte ich sagen, ermordet um Eurer eigenen, selbstsüchtigen Interessen willen?« Aylebores Gesicht wurde häßlich, aber Atheisten sah auch die Angst in seinen Augen.
»Bekennt es«, wiederholte Atheisten.
Aylebore reckte ihm sein Gesicht entgegen, aber auch der faulige Atem aus dem Mund des Mannes ließ Atheisten nicht zurückweichen.
»Wenn ich etwas zu bekennen hätte, Pater«, zischte Aylebore, »dann nicht vor Euch. Und wenn ich getötet habe, dann habe ich es im Namen einer Sache getan, von der Ihr nichts versteht.« Atheisten trat einen Schritt zurück. »Oh, ich verstehe Euch sehr gut, Sir Humphrey. Einem solchen Teufel begegne ich jeden Tag. Er ist unter verschiedenen Namen bekannt: Eifersucht, Neid, Zorn, Machtgier.«
Aylebore wollte antworten, aber da rief Malmesbury ihn herüber. Der Ritter schob Athelstan grob beiseite. Athelstan holte tief Luft.
»Ich habe es versucht, o Herr«, flüsterte er. »Viel mehr kann ich nicht tun.«
Er durchquerte die Schankstube und stieg die Treppe hinauf zu seiner Kammer. Erst jetzt wurde ihm klar, wie beängstigend seine Begegnung mit Aylebore gewesen war. Er hatte Mühe, zu beten; noch immer dachte er mit Abscheu an den häßlichen Ausdruck von Bosheit im Gesicht des Ritters. Athelstan legte sich auf sein Bett und bemühte sich, beherrscht zu atmen und sich abzulenken, indem er sich vorstellte, er sei in St. Erconwald und bete dort vor dem Altar. Endlich lag er ruhig da, und der Schlaf ließ ihm die Lider schwer werden. Er döste, und Bilder trieben ihm durch den Kopf; fast war er eingeschlafen, als ihm einfiel, was in Hametts Kammer gefehlt hatte. Der Ordensbruder setzte sich auf.
»Das kann doch nicht sein! Bestimmt nicht…«, sagte er in die Dunkelheit. »Zwei Dinge waren es, die fehlten!«
Er stand auf, ging zum Tisch, zündete eine Kerze an und nahm den Federkiel von seinem Schreibtablett. Er arbeitete bis in die frühen Morgenstunden und zeichnete alles auf, was sich seit ihrer Ankunft im Gasthof »Zum Ungeheuer« zugetragen hatte, und auf einem anderen Stück Pergament notierte er die Namen all derer, die sie kennengelernt hatten. Als er sich hinlegte, um noch ein bißchen zu schlafen, war sein vager Verdacht schon sehr viel klarer.
*
Am nächsten Morgen fühlte Athelstan sich bleiern und verquollen. Er las seine tägliche Messe in einer der Seitenkapellen der Abteikirche und antwortete höflich auf Pater Benedicts Erkundigungen. Danach eilte er zum Gasthof zurück, frühstückte und ging dann hinaus zum Fluß, wo er noch stand, als Cranston ihn fand.
»Wir müssen bald gehen, Bruder.« Er nahm den Ordensbruder bei der Schulter und drehte ihn um. »Was ist denn, Athelstan? Du siehst aus, als ob du kaum geschlafen hättest.« Er nahm Athelstans Hand und drückte sie. »Ich kenne dich doch«, fuhr er aufgeregt fort und strahlte dabei vor Vergnügen. »Du hast angefangen, dieses Geheimnis zu entwirren, ja?«
»Ich bin noch nicht sicher, Sir John.« Athelstan schaute zur aufgehenden Sonne. »Aber sollten wir uns jetzt nicht der Prozession des Regenten anschließen?«
»Ach was!« Cranston winkte ab. »Die gute Nachricht, Bruder, lautet, daß wir nicht dabeizusein brauchen. Er will, daß wir ihn nachher im Kreuzgang erwarten, nachdem der König zu den Abgeordneten der Commons gesprochen hat.«
Sie kehrten in den Gasthof zurück, und Athelstan spazierte mit geheimnisvoller Miene davon und sagte Sir John nur, er solle sich keine Sorgen machen, er werde nicht weit gehen. Cranston kannte seinen Sekretär gut genug, um ihn nicht weiter auszufragen; wenn Athelstan sich über irgend etwas den Kopf zerbrach, verschloß er sein Herz vor allem anderen, einschließlich der beharrlichen Nachfragen des Coroner.
Eine Stunde später klopfte Athelstan, gewaschen, rasiert und in seine beste Kutte gekleidet, an Cranstons Tür. Der Coroner hatte schon ungeduldig gewartet; er sparte sich die Fragen und trieb den Bruder statt dessen eilig die Treppe hinunter und zur Abtei. Athelstan hatte noch nie so viele Soldaten an einem Ort versammelt gesehen, nicht nur Gardeposten und Bogenschützen, sondern auch schwerbewaffnete Soldaten und adlige Bannerträger des Königlichen Hofstaats füllten Kreuzgänge und Gärten. Cranston mußte seine ganze Autorität aufwenden und Coverdale zu Hilfe rufen. Endlich gelang es ihnen aber, sich zum Vestibül durchzukämpfen, wo es wimmelte von Höflingen, Kammerherren, Pagen und Knappen, prächtig anzusehen in Gaunts Livree, im Blau, Rot und Gold des Königlichen Haushalts. Coverdale, der sie hergeführt hatte, zeigte auf die geschlossenen Türen des Kapitelhauses.
»Der Regent ist drinnen«, sagte er leise, »und er hat bereits zu den Abgeordneten gesprochen. Jetzt hat der junge König begonnen.« Er unterbrach sich, als mächtiger Beifallsdonner, gefolgt von Jubeln und Klatschen, aus dem Kapitelhaus drang.
»Der junge König ist gut aufgenommen worden«, stellte er dann fest.
Athelstan dachte an Richards elfenbeinweißes, von wunderschönem Blondhaar umrahmtes Gesicht, an die strahlend blauen Augen und sein angeborenes Gefühl für Takt und Höflichkeit, und er wußte, daß es dem jungen König nicht schwerfallen würde, solchen Zuspruch zu finden.
»Genau wie sein Vater, der Schwarze Prinz«, brummte Cranston. »Jeder hat ihn geliebt, und niemand hat schlecht über ihn gesprochen.«
Athelstan nickte taktvoll und schaute zu der Fratze eines wasserspeienden Ungeheuers hinauf. Er wollte Cranston nicht widersprechen; der Coroner hatte dem Vater des Königs mit Inbrunst angehangen. Gleichwohl kannte Athelstan die Erzählungen über die Grausamkeiten des Schwarzen Prinzen in Frankreich, vor allem in Limoges, wo er Frauen und Kinder in einem zugefrorenen Stadtgraben hatte verhungern lassen. Und in der Tat hegte Athelstan die gleichen Vorbehalte gegenüber dem jungen König. Zu schön, dachte er, zu liebreizend, um gesund zu sein. Athelstan hatte sich von den schönen Augen und dem süßen Lächeln nicht betören lassen. Noch nie zuvor hatte er bei einem so jungen Menschen auch solche Dunkelheit gesehen; sie entsprang Richards tiefem und dauerhaftem Haß auf seinen Onkel, den Regenten.
Athelstan warf einen Blick zurück zum Kapitelhaus, als er hörte, wie die Abgeordneten wiederum in tosende Beifallsrufe ausbrachen, klatschten und trampelten. Das dauerte eine Weile. Die folgende kurze Stille wurde vom gellenden Schmettern der Fanfaren unterbrochen. Die Türen des Kapitelhauses schwangen auf. Zwei in Brokat gekleidete Herolde kamen heraus, jeder mit einer silbernen Trompete in der Hand. Alle paar Schritte blieben sie stehen und ließen eine Fanfare ertönen. Hinter ihnen kam ein Bannerträger in glänzender Mailänder Rüstung; er hielt sein blankes Schwert vor dem Gesicht wie ein Priester sein Kruzifix. Kammerherren begannen das Vestibül zu räumen, und der König, gekleidet in ein strahlend silbernes Gewand mit goldenen Lilien, verließ das Kapitelhaus an der Hand seines Onkels. Die beiden Fürsten lächelten einander wie auch die Menge ringsum an. Hätte er es nicht besser gewußt, so hätte Athelstan glauben mögen, Gaunt und Richard seien einander liebevoll zugetan wie Vater und Sohn.
Hinter dem König kamen weitere Edelleute und Hofbeamte, gefolgt von der Masse der Abgeordneten, von denen einige noch immer brüllten: »Vivat! Vivat Rex!«
»Wir gehen jetzt besser«, drängte Cranston. »Gaunt hat befohlen, wir sollten ihn vor der Tür der Abteikirche erwarten, wo der König ein paar armen Leuten, die an den Skrofeln erkrankt sind, die Hand auflegen will.«
Athelstan folgte ihm hinaus und durch die Kreuzgänge zu einem eigens vorbereiteten Platz vor dem mächtigen Portal der Abteikirche. Arbeiter des Königlichen Haushalts hatten hier eine Estrade errichtet und mit purpurnen Wollteppichen bedeckt. In der Mitte standen zwei Throne. An jeder Ecke war ein Ritter des Königlichen Hofstaats mit einem Banner postiert, welches das Königliche Wappen und die Insignien John von Gaunts trugen.
Bogenschützen in der Livree des weißen Rehs hatten diesen Platz abgesperrt. Eine wimmelnde Zuschauermenge drängte gegen diese Mauer aus Stahl, begierig darauf, einen Blick auf ihren König zu werfen. Cranston wechselte ein paar Worte mit einem Königlichen Gardesoldaten, der sie daraufhin hinter die Absperrung ließ. Sie mußten noch einmal eine halbe Stunde warten, bevor der König, noch immer an der Hand seines Onkels, seine Prozession durch die Abtei beendet hatte und durch das Hauptportal herauskam, begrüßt vom Begeisterungsgebrüll der Menge. Als die beiden, flankiert und umgeben von Beamten und Rittern des Hofes, Platz genommen hatten, lächelte Gaunt zu Cranston herüber und winkte die beiden heran. Sir John und Athelstan knieten auf Kissen vor den Thronen nieder und küßten nacheinander den Ring des Königs und des Regenten. Aller majestätischen Feierlichkeit des Anlasses zum Trotz, hielt Richard nichts von müßigem Zeremoniell; er klatschte kindlich in die Hände.
»Oh, kniet doch nicht, Sir John!« rief er. »Ihr dürft stehen - und Ihr auch, Bruder Athelstan.« Er beugte sich vor und flüsterte: »Wenn es nach mir ginge, würdet Ihr neben mir sitzen, der eine zur Rechten und der andere zur Linken. Wäre das nicht angemessen, liebster Onkel?«
»Geliebter Neffe«, antwortete Gaunt ebenfalls lächelnd, »Sir John und Bruder Athelstan sind zwei Eurer treuesten Untertanen.« Mit eleganter Handbewegung deutete er auf die Menschenmenge. »Aber es warten noch Hunderte darauf, Euch zu begrüßen.«
Der König weigerte sich, den Blick abzuwenden. »Die können warten. Die können warten!« fauchte er erbost.
Für einen Augenblick verschwand das Lächeln. Athelstan sah in die blauen Augen und wußte, daß der König dieses Zusammentreffen nutzen würde, um seinen Onkel zu reizen und zu ärgern. »Mylord Regent, Ihr habt uns befohlen, herzukommen.« Cranston war darauf bedacht, sich nicht in diese tödliche Rivalität verwickeln zu lassen.
»Immer neue Todesfälle, Sir John«, antwortete der Regent schroff. »Neue Todesfälle unter den Abgeordneten, was uns die Aufgabe nicht eben leichter macht.«
»Was für Todesfälle?« fragte der König.
»Geliebter Neffe, ich habe es Euch schon erzählt. Gewisse Abgeordnete wurden auf barbarische Weise ermordet. Bisher«, fuhr Gaunt mit einem erbosten Seitenblick auf Cranston fort, »wurde wenig unternommen, um das zu verhindern oder den Mörder zu entlarven.«
Der König lehnte sich zurück, gelangweilt und beleidigt, weil er von diesem Gespräch ausgeschlossen war; anscheinend interessierte er sich mehr für die Fransen am Ärmel seines Gewandes.
»Nun?« fragte Gaunt.
»Mylord Regent«, sagte Athelstan eilig, »Ihr sagtet ›bisher‹. Aber unsere Arbeit hier ist noch nicht beendet.«
»Dann sagt es mir bitte, wenn sie es ist«, fauchte Gaunt.
Der König beugte sich plötzlich wieder vor und zog Athelstan am Ärmel. »Ich habe meine Sache im Kapitelhaus sehr gut gemacht«, sagte er. »Ich habe mein Parlament um Unterstützung und Gefolgschaftstreue gebeten.«
»Wir haben den Jubel gehört, Euer Gnaden«, antwortete Athelstan.
Der König zog ihn zu sich heran. »Mein Onkel ist derjenige, den sie nicht leiden können«, flüsterte er laut. »Ich glaube, mir hätten sie auch den Mond geschenkt, wenn ich darum gebeten hätte.«
»Es kann sein, daß sie um die Amtsenthebung des Lord Coroner ersuchen«, warf Gaunt höhnisch ein. »Es gab Klagen, Euer Gnaden, über die schrecklichen Mordtaten hier in der Abtei.« Die Stimmung des Königs schwang jäh um. Er machte eine schnelle Geste.
»Sir John Cranston ist der Coroner des Königs in London«, erklärte er knapp. »Und wenn die Abgeordneten der Commons versuchen, ihn zu beseitigen, dann breche ich ihnen den Hals.« Er beugte sich vor. »Bruder Athelstan, Sir John, bitte bleibt bei uns. Onkel, wenn ich jetzt den Bettlern die Hand auflegen soll, dann laßt es uns bitte rasch hinter uns bringen.«
Gaunt schnippte mit den Fingern, und Athelstan und Cranston traten zur Seite. Wieder schmetterten die Fanfaren, und Königliche Herolde lenkten eine Reihe von zerlumpten Armen, Männern und Weibern, zur Estrade, die allesamt sehnlich die Berührung des Königs erwarteten. Noch mehr aber schätzten sie die Silbermünze, das Brot und den Wein; Bedienstete des Königs verteilten das alles an einem Tisch hinter der Estrade. Cranston und Athelstan sahen zu, wie die Bettler vorbeischlurften. Einige hatten den jämmerlichen Versuch unternommen, sich zu waschen und umzuziehen, aber alle sahen ungepflegt und schmutzig aus mit ihren zotteligen, fettigen Haaren und den verkniffenen, hageren Gesichtem. Manche hatten offene Geschwüre an Händen und Füßen, und viele trugen weder Schuhe noch Sandalen, aber alle traten vor den Thron und knieten auf dem Kissen vor dem König nieder. Athelstan sah mit Bewunderung, wie der junge König seine eigenen Gefühle unter demonstrativer Fürsorge verbarg. Der König lächelte jeden Bettler an, beugte sich vor und zeichnete ihm ein Kreuz auf die Stirn. Hier und da drückte er einem die Hand oder flüsterte ein paar Worte der Ermutigung. Mit glänzenden Augen ließ der betreffende Bettler sich dann um den Thron herum zu handfesterer Unterstützung führen.
Die Reihe schien kein Ende zu nehmen. Athelstan beobachtete sie aufmerksam, und er bedauerte, daß nicht einige Bettler aus seiner eigenen Gemeinde darunter waren. Dann bemerkte er zwei Männer, die sich langsam heranschoben. Sie kamen ihm bekannt vor. Sie wirkten zielstrebiger als die, die ihnen vorausgegangen waren. Atheisten beobachtete vor allem den kleineren der beiden, und plötzlich krampfte sich sein Magen zusammen: Der Mann mit seinen blutleeren Lippen, der gebrochenen Nase und der Narbe unter dem linken Auge - war das nicht einer von den Kerlen, mit denen Pike sich nach Auskunft Joscelyns, des Wirts, immer in der Schenke »Zum Gescheckten« traf? Atheisten drehte sich zu Cranston um, aber der war in ein Gespräch mit einem der Ritter vertieft, den er anscheinend von früher her kannte. Atheisten zupfte ihn am Ärmel, aber Cranston schüttelte ihn ab.
»Sir John, ich glaube …« Atheisten packte den Coroner beim Arm.
»Herrgott im Himmel, Bruder, was ist denn?«
Atheisten deutete auf den Mann. »Sir John, ich glaube, der da ist kein Bettler.«
Cranston hörte die Beunruhigung in Athelstans Stimme, und sein Bekannter nahm sie ebenfalls wahr. Aber als die beiden Männer vortraten, zückte der Bettler, statt auf dem Kissen niederzuknien, ein Messer und schlug damit weit ausholend nach dem Gesicht des Königs. Richard fuhr zurück, und Gaunt reagierte blitzschnell. Atheisten hatte noch nie gesehen, daß jemand so schnell den Dolch zog. Der Bettler bog den Arm zurück, um einen zweiten Streich zu führen, als Gaunt schon vorsprang und dem Mann seinen Dolch mit beiden Händen in die Brust stieß. Der Attentäter taumelte zurück; Blut sprudelte ihm aus Mund und Wunde, noch ehe Knappen und Ritter sich von ihrem Schreck erholt hatten. Der Messerstecher drehte sich mit weit aufgerissenem Mund um und taumelte gegen seinen Kameraden, der ihn abschüttelte und sich in die Menge flüchten wollte.
Wieder handelte Gaunt blitzschnell. Ein Bogenschütze war herbeigesprungen und hatte den Pfeil auf die Sehne gelegt; Gaunt nahm ihm die Waffe ab und riß den Bogen hoch; der lange, federbewehrte Pfeilschaft lag zwischen seinen Fingern. Der Komplize des Bettlers rannte durch die Menge, die sich vor ihm teilte. Der Regent stand da wie aus Stein gemeißelt, den Bogen fest in der Hand. Ein Schwirren, und der Pfeil mit der Gänsefeder traf den Flüchtigen dicht unter dem Nacken und bohrte sich wuchtig ins Fleisch. Der Mann taumelte, machte noch einen, zwei Schritte, sackte dann auf die Knie und kippte zur Seite. Chaos und Bestürzung breiteten sich aus. Ritter eilten herbei und bildeten eine Mauer aus Schilden um den jungen König. Offiziere bellten ihre Befehle. Die Bettler, die den königlichen Thron noch nicht erreicht hatten, wurden brutal zurückgeprügelt. Soldaten liefen mit gesenkten Spießen herbei, und Bogenschützen gingen hinter ihnen in Stellung, während Gaunt den König packte, der starr vor Schrecken dasaß. Das Königliche Gefolge, darunter auch Cranston und Athelstan, zog sich in die Abtei zurück, und die mächtigen Flügeltüren schlugen dröhnend zu.
»So schnell!« keuchte Athelstan. »Sir John, es ging so schnell! Gerade war noch alles ruhig, und der König legte den Armen die Hand auf…«
Er wollte zum König gehen, um den sich die Höflinge drängten, aber Cranston hielt ihn zurück. »Laß es, Bruder«, riet er. »Sie lassen jetzt niemanden in seine Nähe.«
Gaunt stellte die Ordnung wieder her; er brüllte die Offiziere an, verfluchte die mangelnde Wachsamkeit und befahl, den König auf der Stelle in den Tower zu bringen. Herolde liefen hinaus, um für Ruhe zu sorgen und die Menge zum Warten aufzufordem. Athelstan hörte die Fanfarenstöße und die Rufe der Herolde durch das Geschrei der Menge. Endlich war die Ordnung halbwegs wiederhergestellt,, und Gaunt rauschte hinaus, um zum Volk zu sprechen; in scharfen, knappen Sätzen verkündete er, daß der junge König durch Gottes Gnade unversehrt sei, während die Attentäter bereits in der Hölle schmorten. Noch während er sprach, schien es, als seien die Heldentaten des Regenten bei der Rettung seines jungen Neffen bereits aller Welt bekannt. Als Cranston und Athelstan leise durch ein Querschiff verschwanden, hörten sie das Gebrüll der Menge und ihren Jubel über die Schnelligkeit und die Tapferkeit des Regenten.
»Du sagst, du kanntest diesen Attentäter?« fragte Cranston. »Ich habe ihn schon in Southwark gesehen«, antwortete Athelstan abwehrend. »Er steht im Ruf eines Unruhestifters.« Cranston nickte. Aber als sie die Abtei hinter sich hatten und durch eine schmale Gasse zum »Ungeheuer« hinunterwanderten, zog er den Ordensbruder in den Schatten eines Hauseingangs.
»Er war einer der Anführer der Großen Gemeinschaft des Reiches, nicht wahr?« fragte er. »Einer von diesen Idioten, mit denen dein Pike sich herumtreibt.«
Athelstan drückte Cranston die Hand. »Sagt niemals weiter, was ich Euch verrate, Sir John«, flüsterte er rauh. »Pike ist ein Trottel, ein Säufer und ein Schwätzer, aber er ist weder ein Verräter noch ein Mörder. Er hatte die Hand nicht im Spiel.« Er atmete heftig ein. »Aber der Regent sehr wohl!«
»Im Namen Gottes, Bruder!«
Athelstan trat einen Schritt zurück und spähte die Gasse hinunter.
»Sir John, denkt doch«, sagte er leise. »Wie konnten diese Attentäter so dicht herankommen? Und findet Ihr nicht auch, daß der Regent unglaublich schnell gehandelt hat?« Athelstan lächelte düster. »Sir John, denkt an meine Worte. Binnen einer Stunde ist Gaunt der Held von London, und wer kann sich dann noch gegen ihn stellen?«