Im Gasthof »Zum Ungeheuer« benahm Athelstan sich erneut seltsam. Er entschuldigte sich bei Cranston und ging hinauf in seine Kammer. Athelstan war entschlossen, dem Coroner nichts von seinen Schlußfolgerungen zu erzählen. Statt dessen studierte er noch einmal alles, was er in der Nacht zuvor aufgeschrieben hatte. Bestimmte Fakten unterstrich er immer wieder mit seinem Federkiel: den schwarzen Schmutz unter Bouchons Fingernägeln, den abrupten Fortgang des Abgeordneten, Hametts Verschwinden aus dem Bordell, seinen Weg zum Fluß - und vor allem die fehlenden Gegenstände aus seiner Kammer. Dann legte er die Feder aus der Hand.
»Fehlten sie auch bei den beiden anderen?« flüsterte Athelstan und schaute auf sein Pergament. »Die Glocken von Bow!« murmelte er. »Die Glocken von Bow! Wie lasse ich den Mörder in die Falle gehen?«
Er kniete vor seinem Bett nieder und betete um Anleitung, aber seine Seele war abgelenkt, und seine Gedanken wanderten hierhin und dorthin. Er starrte zum Fenster; die Sonne ging allmählich unter. Athelstan wußte, daß er jetzt rasch handeln mußte, wenn es nicht weitere Morde geben sollte. Er hörte Geräusche und laute Stimmen von unten, gefolgt von Cranstons schweren Schritten auf dem Gang und einem Klopfen an seiner Tür. Als er öffnete, packte Sir John den überraschten Ordensbruder, von einem Ohr zum anderen grinsend, bei den Schultern und drückte ihm einen Kuß auf jede Wange.
»Oh, du schlauester unter den Mönchen!«
»Ordensbruder, Sir John. Ich bin ein Ordensbruder.«
Cranston grinste. »Von mir aus.« Er deutete mit dem Kopf zur Treppe. »Du hattest recht. Malmesbury kommt soeben vom Kapitelhaus zurück. Die Kunde, wie Gaunt seinen Neffen beschützt hat, ist wie ein Lauffeuer durch die ganze Stadt gegangen. Kein geringerer als Sir Edmund Malmesbury preist jetzt den Regenten aus vollem Halse, und er hat den Abgeordneten der Commons geraten, sämtliche Forderungen des Regenten zu erfüllen.« Cranston sah das besorgte Gesicht des Ordensbruders. »Bruder, was hast du denn herausgefunden?«
Athelstan winkte ihn herein und schloß die Tür. Er deutete auf sein Bett. »Setzt Euch, Sir John. Das Rätsel ist zum größten Teil gelöst.« Athelstan zog sich seinen Schemel heran und setzte sich dem Coroner gegenüber. »Zunächst einmal haben wir einen Regenten, John von Gaunt«, begann er, »der aus Gott weiß welchen Gründen höhere Steuern braucht. Die Abgeordneten der Commons leisten Widerstand und begegnen ihm mit entschiedener Abneigung. Er konzentriert sich auf seine redegewaltigsten Gegner.«
»Die Abgeordneten aus Shropshire?«
»Ganz recht. Sir Edmund Malmesbury und seine Kollegen, die einmal zur Bruderschaft der Ritter vom Schwan gehörten. Gaunt ist ein skrupelloser und hartnäckiger Mann. Er entdeckt ihre Geheimnisse: wie sie vor vielen Jahren das Recht selbst in die Hand nahmen und Bauemführer hinrichteten, die nur ein besseres Leben erkämpfen wollten. Gaunt sagt Malmesbury und seinen Freunden, was er weiß und was sie tun müssen, um seinen Pardon zu erlangen. Dann sorgt der Regent dafür, daß sie wieder ins Parlament gewählt werden.« Athelstan verzog das Gesicht. »Das dürfte nicht schwierig gewesen sein. Der für die Wahlen zuständige Beamte ist der Sheriff, und der wird von der Krone eingesetzt.« Athelstan fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. »Als sie in London ankommen, gibt Gaunt der Gruppe um Malmesbury zu verstehen, sie sollen ihre erbitterte Opposition weiterfuhren und den Regenten als habgierigen, arroganten und verschlagenen Fürsten darstellen.«
»Nun, zumindest hat er da ja die Wahrheit gesagt«, bemerkte Cranston.
Athelstan lächelte. »Die größten Lügen, Sir John, enthalten immer ein Fünkchen Wahrheit. Gleichzeitig nun« - Athelstan warf einen Blick zur Tür, um sich zu vergewissern, daß sie auch wirklich verschlossen war - »ist Gaunt mit seinen Spitzeln geschäftig dabei, die Große Gemeinschaft des Reiches auszuforschen. Ich vermute, daß viele ihrer Anführer in seinem Sold stehen. Den Mummenschanz heute nachmittag hat Gaunt inszeniert. Der junge König war nie wirklich in Gefahr - das wäre denn doch ein allzu gefährlicher Weg gewesen: Man hätte es immer Gaunt zum Vorwurf gemacht, wenn dem Jungen etwas zugestoßen wäre. Statt dessen spielt Gaunt nun die Rolle des Retters, des liebenden Onkels, des mächtigen Lords, der das goldene Kind verteidigt. Eine Zeitlang werden die Londoner ihm wie einem Heiligen zujubeln, bis sie ihren Verstand wiedergefunden haben. Sir Edmund Malmesbury hat ebenfalls ein Zeichen erhalten; er ist voll des Lobes für den Regenten, und er stellt nicht nur seine Opposition im Parlament ein, sondern besteht sogar darauf, daß Gaunts Forderungen erfüllt werden.«
»Aber hätte man das denn nicht auch anders bewerkstelligen können?« Cranston kratzte sich am Kopf.
»Oh, ganz sicher. Gaunt hätte verlangen können, daß Malmesbury und seine Gruppe ihn von Anfang an unterstützten, aber das hätte Verdacht erregt. Tatsächlich hätte der Regent ja auch die Wahl sämtlicher Abgeordneten manipulieren können, aber das wäre ein hohler Sieg gewesen - der Erhebung neuer Steuern zuzustimmen, ist eine Sache, sie aber einzutreiben, das ist schon etwas anderes.« Athelstan schüttelte den Kopf. »Oh, es ist wahr, Sir John, was der Herrgott gesagt hat: ›Kinder des Lichts‹. Seht Euch nur an, was Gaunt erreicht hat.« Athelstan zählte die Punkte an den Fingern ab. »Er ist Retter des Königs. Man hat ihm die Steuerforderungen erfüllt. Und weil diese Abgeordneten ja in ihre Grafschaften und Städte zurückkehren, werden die Taten des Regenten im ganzen Königreich verbreitet werden.«
»Und die Morde?« fragte Cranston. »Die hat Gaunt doch sicher nicht geplant?«
»Nein, das glaube ich nicht, aber er ist listig genug, um sie für sich zu nutzen. Sicher, es bestand die Gefahr, daß man ihm die Morde an diesen Rittern in die Schuhe schiebt, aber diesem Problem ist er geschickt aus dem Weg gegangen, indem er einen Coroner mit den Ermittlungen beauftragte, der ihm große Abneigung entgegenbringt. Und wenn Ihr jetzt Erfolg habt, Sir John, so wird Gaunt wiederum den Ruhm einheimsen: als gerechter Fürst, der auch die Mörder seiner Gegner verfolgt.«
»Und wenn ich scheitere?«
Athelstan spreizte die Hände. »Das wird Gaunt nicht kümmern. Er wird nur sehen, daß auf irgendeine merkwürdige Art Gerechtigkeit geschehen ist. Vier seiner Gegner sind tot, und Sir John Cranston trägt die Schuld.«
»Werde ich denn Erfolg haben?« Cranston packte Athelstans Arm. »Du kennst doch den Mörder, nicht wahr, Bruder? Wieso sagst du mir nicht, wer es ist?«
Athelstan beugte sich herüber und berührte sanft die Wange des Coroner. »Weil Ihr bei all Euren Possen, bei Eurem Saufen, Eurem Fluchen und Rülpsen so ehrlich seid, wie der Tag lang ist, Sir John. Ihr würdet Euch etwas anmerken lassen, und ich könnte dem Mörder keine Falle stellen.«
Cranston wurde rot, scharrte mit seinen gewaltigen Stiefeln und schaute, gerührt über dieses Kompliment, zu Boden.
Athelstan fuhr fort: »Ich möchte nur, Sir John, daß Ihr bei mir seid, wenn ich ihn fange.« Er stand auf. »Wenn ich weg bin, geht in die Schankstube hinunter und gebt bekannt, daß der Mörder mir in die Falle gegangen ist.«
»Wo willst du denn hin?«
»In die Kapelle der Heiligen Faith«, sagte Athelstan. »Aber das dürft Ihr niemandem verraten. Versprochen?«
Der Coroner hob seine fette Pranke. Dann zog er seinen Dolch aus der Scheide. »Nimm das mit, Bruder.« Er reichte ihm die lange walisische Klinge.
Athelstan wog sie in den Händen und gab sie dann zurück. »›Setzt euer Vertrauen nicht in Streitwagen‹«, sagte er, die Psalmen zitierend, »›oder in die Kraft des Bogens; der Herr selbst wird euch erretten von dem Übel, das da pirscht zu eurer Rechten und zu eurer Linken.‹«
»Na, das will ich ihm aber auch raten«, grollte Cranston und schob den Dolch wieder in die Scheide. »Und wenn du gegangen bist, was soll ich dann tun?«
»Geht nach draußen, Sir John, wartet ab und seht, wer den Gasthof verläßt. Bleibt eine Weile, und dann bringt mir alle, die noch bei Euch sind.« Athelstan nahm seinen Mantel, kehrte aber noch einmal zurück und drückte Sir John die Hand. »Mir wird nichts geschehen.« Er lächelte dem Coroner zu.
»Ist das wirklich nötig?« fragte Cranston hartnäckig. »Liegt dir so viel daran, diesem Mörder eine Falle zu stellen?«
»Ich will es ja gar nicht«, erwiderte Athelstan. »Gott will es.«
Er trat aus seiner Kammer und ging die Treppe hinunter; Cranston folgte ihm und sah, wie der Bruder erst bei der flachsblonden Christina stehenblieb, um ein paar Worte mit ihr zu sprechen, und dann bei einem Küchenjungen an der Tür. Die Leute, die in der Schankstube saßen, verfolgten ihn mit neugierigen Blicken, als er das Gasthaus verließ. Cranston ging vollends hinunter, setzte sich aber nicht an einen Tisch, sondern marschierte in die Mitte der Schankstube und strahlte in die Runde. »Warum so fröhlich?« rief Sir Miles aus einer Ecke.
»Nun, Sir«, dröhnte Cranston, »der König wurde gerettet, der Regent hat seine Steuern, und Bruder Athelstan, Gott allein weiß, wohin er gegangen ist, glaubt, daß er einen Mörder entlarvt hat!« Das überraschte Gesicht des Ritters erfüllte Cranston mit Genugtuung.
»Wer ist es denn?« stammelte der Mann mit rauher Stimme durch die Stille, die sich über die Schankstube gelegt hatte. Der Coroner tippte sich mit durchtriebener Miene an die fleischige Nase. »Ein wahres Frettchen, unser Ordensbruder«, sagte er und strahlte weiter. »Er kennt die Wahrheit.« Cranston schüttelte den Kopf. »Und die Wahrheit ist niemals das, was man erwartet.«
»Das ist doch lächerlich!« schnarrte Aylebore, der neben Elontius saß, und erhob sich halb.
Malmesbury, der totenbleich geworden war, bekräftigte diese Auffassung.
»Lächerlich mag es ja sein«, versetzte der Coroner. »Aber mein Secretarius wird handeln, wenn er es für richtig hält. Bis dahin müßt Ihr Euch schon noch gedulden.«
Cranston ging hinaus in die Dunkelheit. Er verbarg sich in einer Ecke und beobachtete die Gasse, die zur Abtei hinaufführte. Es verging eine geraume Zeit und er fragte sich allmählich, ob Athelstan recht gehabt hatte, als ein flüchtiger Schatten seine Aufmerksamkeit erregte: Eine verhüllte Gestalt huschte wie der Engel des Todes aus dem Gasthof und die Gasse hinauf.
*
Der Mörder wußte nicht, daß er gesehen worden war; er eilte weiter, entschlossen, diesen naseweisen kleinen Ordensbruder zu erwischen und ein für allemal zum Schweigen zu bringen. Was Cranston in der Schankstube gesagt hatte, ging ihm im Kopf herum. Ob der Coroner die Wahrheit kannte? Aber wie dem auch sein mochte, dachte der Mörder - er mußte handeln; er hatte sehr wenig zu verlieren und eine Menge zu gewinnen. Er überquerte den weiten, verlassenen Platz vor der Abtei und verlangsamte seinen Schritt, als er die Kette der Bogenschützen vor dem Eingang zum Jericho Parlour erblickte. Hastig wischte er sich den Schweiß aus dem Gesicht und zog das Siegel aus der Tasche. Die Wachsoldaten waren mit einem Weinschlauch beschäftigt, den sie sich teilten, und ließen ihn ohne weiteres durch. Am Eingang zu den Kreuzgängen war es genauso. Der Mörder betrat das Vestibül vor dem Kapitelhaus und atmete entspannter. Die Tür zur Kapelle stand offen, und matter Lichtschein fiel heraus. Der Mörder lächelte. Mit vorsichtigen Schritten kehrte er zu einer langen Reihe von Büschen zurück, die vor dem östlichen Kreuzgang ein dichtes Gestrüpp bildeten. Er zählte die Pflastersteine, kauerte sich beim vierten nieder und wühlte im Dickicht herum, bis er einen Ledersack zu fassen bekam und herauszog. Rasch knotete er die Schnur auf, holte die kleine Armbrust hervor und steckte zwei Bolzen in die Tasche. Dann versteckte er den Sack wieder sorgfältig und schlich sich durch das Vestibül und die Treppe zur St. Faith-Kapelle hinauf. Er stieß die Tür auf. Auf dem Altar brannte nur eine Kerze. Er sah die Kapuzengestalt, die auf dem Betstuhl kniete. Der Mörder schlüpfte zur Tür hinein, legte den Bolzen auf die Armbrust und spannte die Sehne. In der Kapelle war es totenstill. Der Mörder hob die Armbrust und fing an, die grausigen Worte zu singen. »Dies irae, dies illa …«
Er ließ den Bolzen schwirren, spürte aber im selben Augenblick, daß etwas nicht stimmte. Die Gestalt hatte sich bei seinem Gesang nicht einmal gerührt. Der Mörder tat ein paar Schritte in die Kapelle hinein, und in dem Moment flog die Tür hinter ihm zu. Er wirbelte herum. Athelstan funkelte ihn an, und neben dem Ordensbruder stand ein junger Bogenschütze mit einem Pfeil auf der gespannten Sehne.
»Guten Abend, Master Banyard. Es ist doch der Herr Wirt aus dem Gasthof ›Zum Ungeheuer?«
Banyards Hand zuckte zu dem zweiten Pfeil in seiner Tasche. »Zurück!« befahl Athelstan. »Simon hier ist ein exzellenter Schütze. Als ich durch die Kreuzgänge kam, bat ich ihn, mich zu begleiten. Wenn du versuchst zu fliehen oder das Messer unter deinem Mantel zu ziehen, wird er dir einen Pfeil in den Arm oder ins Bein schießen. Dann mußt du immer noch zuhören, aber unter schrecklichen Schmerzen.«
Banyard schlug die Kapuze seines Mantels zurück. Seine dunklen, kräftigen Züge zeigten keine Angst. Sein Blick huschte hin und her, erst zu Athelstan, dann zu dem Bogenschützen und schließlich zu dem Betstuhl.
»Oh, zerbrich dir darüber nicht den Kopf«, sagte Athelstan. »Nur ein paar Hafersäcke; einer von Simons Kameraden hat sie für mich hergeschleppt. Ich habe sie dort auf den Betstuhl gestellt und meinen Mantel darübergelegt. Bei dem trüben Licht fand ich es ziemlich lebensecht - und du ja auch.«
Banyard machte einen Schritt nach vom. Sofort ließ der Bogenschütze den Pfeil eine Handbreit vor seinem Gesicht vorbeischwirren, so daß er taumelte; als er sich wieder gefangen hatte, lag bereits der nächste Pfeil auf der Sehne.
»Ich werde wieder schießen«, versprach der Schütze leise. »Dies hier ist Gottes Haus, und Bruder Athelstan ist auf Befehl des Regenten hier.«
»Tu, was Simon sagt«, riet Athelstan. »Widerstand ist sinnlos. Draußen sind noch mehr Bogenschützen. Sie haben die Anweisung, jeden aufzuhalten, der hinaus will.« Athelstan deutete auf eine Bank an der Wand. »Setz dich dahin. Simon wird auf dich achten.«
Banyard gehorchte. Athelstan trat an den Altar. Er nahm die Kerze, die dort brannte, und zündete damit weitere Kerzen und auch zwei Fackeln an der Wand an. Dann zog er den Chorstuhl herüber und setzte sich Banyard gegenüber. Der Wirt lehnte sich an die Wand und starrte Athelstan mit halbgeschlossenen Augen an.
»Du überlegst dir wahrscheinlich, wie du diesen Überfall erklären kannst, nicht wahr?« begann Athelstan. »Ich habe mich gefragt, ob du kommen würdest. Es ist der einzige wirkliche Fehler, den du begangen hast, nicht wahr?«
Banyard verzog spöttisch den Mund.
»Deshalb habe ich Christina und dem Küchenjungen gesagt, daß ich zur St. Faith-Kapelle wollte. Als Mylord Coroner im Schankraum seine Ankündigung abgab, da bist du in Panik geraten, hast die beiden gefragt und bist mir hierher gefolgt.«
Wieder starrte Banyard ihn nur an. Der Wirt, das begriff Athelstan plötzlich, ahnte überhaupt nicht, daß der Ordensbruder von den schrecklichen Mordtaten wußte, die Malmesbury und die Seinen vor so vielen Jahren in Shropshire begangen hatten. Er war immer noch zuversichtlich; da man ihm nichts beweisen konnte, würde er sich aus dieser Falle schon wieder hinausschlängeln und jede Beschuldigung hohnlachend zurückweisen. Athelstan starrte auf einen Punkt an der Wand über dem Kopf des Gastwirts.
»Worauf wartet Ihr denn, Priester?« Banyard beugte sich vor und stützte die Hände auf die Knie. »Da bin ich also in die St. Faith-Kapelle gekommen und habe mit der Armbrust auf jemanden geschossen, der hier anscheinend lauerte.« Er zeigte auf die Säcke, die auf dem Betstuhl lagen. »Dafür wird das Kirchengericht mir vielleicht eine Buße auferlegen - aber was habe ich sonst verbrochen?«
»Du bist ein Mörder, Banyard«, antwortete Athelstan langsam. »Du hast Bouchon, Swynford, Hamett und Goldingham ermordet.«
»Und wieso hätte ich das tun sollen?«
Athelstan hörte draußen Schritte. »Das werde ich dir gleich sagen, Master Banyard. Erst einmal, glaube ich, bekommen wir Besuch.«
Die Tür der Kapelle öffnete sich. Cranston kam aufgebracht herein. Sein Blick ging von dem Bogenschützen zu Athelstan und dann weiter zu Banyard und zu dem Betstuhl.
»Bei den Zitzen des Satans!« keuchte er.
Dann bekreuzigte er sich. Coverdale und die drei Ritter, die nach ihm kamen, zeigten sich genauso überrascht. Athelstan lehnte sich auf seinem Chorstuhl zurück. Er fühlte sich wie ein Richter vor dem Urteilsspruch. Cranston, Coverdale und die anderen suchten sich rasch einen Sitzplatz. Banyard blieb weiterhin ruhig und ließ den Ordensbruder nicht aus den Augen.
»Die Glocken von Bow«, begann Athelstan. »Bei unserer ersten Begegnung, Banyard, sagtest du, du seist in Hörweite der Glocken von Bow geboren, ein Londoner also.« Er beugte sich vor. »In welcher Pfarrgemeinde? In welcher Straße? In welchem Bezirk? Sag es mir, und Sir John Cranston wird die Akten prüfen.«
Banyard starrte ihn wortlos an.
»In Shropshire bist du geboren! Dein Vater war ein schwer arbeitender Bauer«, fuhr Athelstan fort. »Er murrte gegen die Steuern, die den Herren zu entrichten waren, und gegen die Zwangsarbeit, die sie forderten, während er seine Arbeitskraft lieber gegen guten Lohn an sie verkaufen wollte. Er tat sich mit anderen zusammen, und sie stellten sich gegen die Grundherren mit ihren Schlachtrössem, Helmen, Turnieren, Steuern, Abgaben, Zehntzahlungen, Brückenzöllen und unablässigen Forderungen.« Athelstan zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht genau, was passiert ist, aber ich nehme an, dein Vater hat Leute wie diese drei Ritter hier, die sogenannte Bruderschaft der Ritter vom Schwan, einfach ignoriert.«
»Bruder Athelstan«, stammelte Malmesbury. »Ich verwahre mich …«
»Seid still!« fuhr Athelstan ihn an. »Diese Herren, angeführt von Sir Edmund Malmesbury, richteten Petitionen an die Krone, aber ohne Erfolg. Da nahmen sie das Recht selbst in die Hand.«
»Das ist Verleumdung!« Aylebore erhob sich halb, und seine Hand fuhr zum Dolch.
Coverdale sprang auf, zog sein Schwert und richtete die Spitze auf Aylebores Brust. »Hinsetzen!« befahl er. »Und wenn sich noch einer von Euch rührt, werde ich ihn niederschlagen und dann sagen, ich hätte Bruder Athelstan und den Lord Coroner beschützt!«
Sir Humphrey sackte auf die Bank zurück. Coverdale grinste von einem Ohr zum anderen und nahm ebenfalls wieder Platz, aber er hielt das Schwert vor sich und ließ den Knauf in der Hand ruhen.
»Sprecht weiter, Bruder Athelstan«, sagte er leise. »Ich glaube, Ihr werdet eine Geschichte erzählen, die ich auch ein bißchen kenne.« Er klopfte mit der Schwertspitze auf die Steinplatten. »Und es wird Euch keiner mehr unterbrechen.«
»Wie ich sagte«, fuhr Athelstan fort, »Malmesbuiy, Aylebore, Goldingham, Hamett, Swynford, Bouchon und vielleicht noch andere …« Athelstan schaute die Ritter an. »Ich dachte, einer von Euch wäre vielleicht unschuldig.«
Elontius schlug die Hände vors Gesicht.
Athelstan seufzte. »Aber nein. Ihr seid alle schuldig.« Er räusperte sich. »Diese Edelleute betrachteten sich als die Herren der Erde, als Abkömmlinge König Artus’ und seiner Ritter. Sie spielten Paladine, bis sie ihren Kelch verloren, während die Welt außerhalb ihrer Träume sich veränderte. Hart arbeitende Männer wie dein Vater, Master Banyard, erhoben sich über ihren Stand hinaus. Die Lords bildeten einen Geheimbund und überfielen mit heruntergelassenem Visier, Kapuze und Mantel einzelne Bauern. Erst warnten sie sie, indem sie ihnen eine Kerze, eine Pfeilspitze und ein Stück. Pergament mit dem Wort ›Memento!‹ schickten.« Athelstan sah, daß in Banyards Augen die Tränen funkelten. »Männer wie dein Vater müssen sich gefragt haben, woran sie sich denn erinnern sollten. Diese Drohungen wurden bald genug Wirklichkeit, denn vereinzelte Bauernhöfe wurden überfallen, die Männer verschleppt und aufgehängt, während die braven Ritter hier auf ihren Pferden saßen und das Dies irae sangen, ihr Totenlied.« Athelstan sah die drei Ritter an. Sie sahen aus, als wären sie in sehr kurzer Zeit sehr alt geworden; ihre Gesichter waren faltig, ihre Schultern hingen herab. Sie blickten nicht auf, sondern starrten gedrückt zu Boden. »Vor Gottes Auge aber bleibt keine Sünde ungestraft«, sagte Athelstan. »Die Ritter hatten wahrscheinlich Erfolg. Warnungen wurden gegeben, Warnungen wurden verstanden - aber Leute wie du, Master Banyard, vergessen nicht. Dich hielt in Shropshire nichts mehr; du flüchtetest dich nach London, wo du dir durch harte Arbeit einen Gasthof aufbautest, der für sein Essen und seine Gastlichkeit berühmt wurde.« Athelstan legte den Kopf schräg. »Ich frage mich«, sagte er, »wie lange du ihren Tod schon plantest. Hast du all die Jahre einen schrecklichen Rachedurst gehegt? Hast du gebrütet über der Pfeilspitze als Symbol für die Gewalt, über der Begräbniskerze und über der gräßlichen Drohung hinter dem Wort ›Memento‹?«
»Sie haben ihn abgeholt«, begann Banyard, »als wir am Abendbrottisch saßen, mein Vater, meine Mutter und ich. Die Tür flog auf, bewaffnete Männer, maskiert und vermummt, stürmten herein. Mein Vater wollte sich wehren, aber sie schlugen ihm das Messer aus der Hand. Lachend und johlend zerrten sie ihn in die Dunkelheit und warfen ihn auf ein Pferd.« Banyard verbarg das Gesicht in den Händen. »Meine Mutter schrie wie ein Hund, den man auspeitscht. Sie kauerte sich in eine Ecke und stopfte sich den Saum ihres Kittels in den Mund.« Er schüttelte den Kopf, versunken in den Bildern der Vergangenheit. »Wir hatten von den Morden gehört, von diesen ›Hinrichtungen‹. Mein Vater hatte eine Kerze, den Pfeil und das ›Memento‹ bekommen, aber er hatte darüber gelacht und alles ins Feuer geworfen.« Als Banyard den Kopf hob, lag in seinem Gesicht ein solches Grauen, daß Athelstan Bedauern aufkeimen fühlte. Habgier und Macht hatten das Leben dieses Mannes zerstört »Ich rannte hinter ihnen her«, berichtete Banyard. »Schnell wie ein Pfeil, aber es war zu spät. Sie brachten meinen Vater zu einer Eiche am Rande einer Wiese. Ich sah, wie er sich am Strick drehte, und hörte den Gesang dieser Schweine. Aus einem Versteck heraus beobachtete ich sie, bis ich alle ihre Gesichter gesehen hatte. Dann kehrte ich zu unserem Hof zurück. Übers Jahr war meine Mutter tot. Aber ich hatte eine Liste mit den Mördern meines Vaters.« Er rieb sich die Augen. »Ich verkaufte unser Land und kam nach London.« Banyard starrte auf seine Hände. »Ich arbeitete Tag und Nacht. Bruder Athelstan, ich habe gute Gründe, diese Männer zu hassen - aber habe ich sie ermordet?« Sein Tonfall wurde zuversichtlicher, und sein Gesicht wirkte plötzlich geheimnisvoll und verschlagen.
Athelstan erkannte, daß Schmerz und Rachsucht den Gastwirt im Laufe der Jahre um den Verstand gebracht hatten.
»Du hast sie ermordet«, sagte er leise.
»Aber Bruder«, warf Coverdale ein, »ist es denn nicht ein höchst merkwürdiger Zufall, daß diese Ritter in einer Herberge abstiegen, die dem Sohn eines von ihnen ermordeten Mannes gehört?«
»Oh, ich glaube, Banyard wußte, daß sie nach London kommen würden«, sagte Athelstan. »Früher oder später kommt jeder große Lord nach Westminster, aber natürlich hat Banyard auch ein bißchen nachgeholfen. Sir Edmund, Ihr habt schon früher im Gasthof ›Zum Ungeheuer« gewohnt?«
Der Ritter schien nichts zu hören.
»Sir Edmund.« Cranston ging zu ihm und schüttelte ihn bei der Schulter. »Bruder Athelstan hat Euch eine Frage gestellt«
»Ja.« Malmesbury hob das erschöpfte Gesicht. »Wir alle haben schon früher im ›Ungeheuer‹ gewohnt. Die Gastlichkeit, das gute Essen …«
»Und die niedrigsten Preise, nicht wahr?« fügte Athelstan hinzu und warf dem Wirt einen Blick zu. »Nur Gott weiß, was Master Banyard plante. Hoffte er vielleicht darauf, soviel Geld zu verdienen, daß er nach Shropshire zurückkehren und sich an den Mördern seines Vaters rächen könnte? Aber als dann die Parlamente einberufen wurden und Malmesbury und die anderen daran teilnahmen, da schlug seine mörderische Idee wirklich Wurzeln. Im Laufe der Jahre ermunterte Banyard sie immer wieder, bei ihm abzusteigen, und umwarb sie als seine Gäste.«
»Und wieso hat er nicht sofort zugeschlagen?« wollte Cranston wissen.
»Oh, ich bin sicher, er fühlte sich versucht, aber wie ich höre, sitzen nicht immer dieselben Adligen in jedem Parlament. Banyard sorgte nur dafür, daß sie stets in seinen Gasthof kamen, indem er ihnen viel günstigere Preise in Rechnung stellte als jede andere Herberge. War es nicht so, Sir Edmund?«
Der Ritter nickte nur.
»Natürlich«, warf Coverdale ein. »Malmesbury und seine Kollegen beglückwünschten sich zur Wahl dieses Gasthauses, weil sie hier nicht die exorbitanten Summen berappen mußten, die man den anderen Abgeordneten abnahm.«
»Das war der Köder«, sagte Athelstan. »Und dann kam noch jemand ins Spiel, und zwar niemand Geringeres als Seine Gnaden, der Regent.« Athelstan hob die Hand, als Coverdale Einspruch erheben wollte. »Nein, widersprecht nicht, Sir Miles. Der Regent weiß, daß ich die Wahrheit sage, und diese Männer hier wissen es ebenfalls. Gaunt deichselte es so, daß alle Ritter vom Schwan, alle die, die an den gräßlichen Morden in Shropshire beteiligt gewesen waren, als Abgeordnete der Commons gewählt wurden. Natürlich schickten sie wie immer einen Verwalter nach London, der ihnen Quartier beschaffen mußte, und da stand Banyard schon bereit und wartete.« Er schüttelte den Kopf. »Es war kein Zufall, Sir Miles, daß alle diese Ritter im ›Ungeheuer‹ Unterkommen konnten. Als ich gestern in Westminster war, habe ich mich bei anderen Abgeordneten erkundigt. O ja, viele von ihnen hatten um eine Kammer im ›Ungeheuer‹ nachgesucht, aber das Haus war voll gewesen. Dafür hatte der Wirt gesorgt, denn er wartete auf Malmesbury und die anderen.«
»Er hat andere abgewiesen?« fragte Malmesbury. »Damit wir bei ihm absteigen konnten?«
»Sir Edmund, wen habt Ihr nach London geschickt?«
»Meinen Verwalter, Eudo Faversham.«
»Und der hat Banyard gesagt, wer alles nach Westminster kommen würde?«
»Natürlich.«
»Und er hatte keine Schwierigkeiten, hier Zimmer für Euch zu mieten?«
»Nein, das sagte ich doch, wir waren ja schon öfter hier. Mein Verwalter kam zurück und berichtete, wir hätten eine schöne Unterkunft zu einem vernünftigen Preis.«
Banyard, der sich das alles kühl angehört hatte, verschränkte die Arme. »Und als die dann kamen, Bruder«, sagte er spöttisch, »wie habe ich sie da umgebracht?«
»Oh, das hast du gut geplant«, sagte Athelstan. »Bei Bouchon war es leicht. Am Tag seines Todes stand er abends vom Eßtisch in der Schenke auf. Er sagte nicht, daß er irgendwo hingehen wollte. Er ging einfach hinaus. Wenn er sich mit jemandem hätte treffen wollen, der gefährlich war, dann hätte Bouchon sein Schwert mitgenommen, aber als man seine Leiche aus der Themse fischte, da hatte er nicht mal ein Messer bei sich. Nein, Master Banyard - ich vermute, daß du ihn unter irgendeinem Vorwand in den Hof hinauslocktest. Vielleicht wollte er von dir wissen, wer Pfeilspitze und Kerze in der Schenke abgegeben hatte. Jedenfalls erwartetest du ihn beim Kompost, bei einem Berg fetter, schwarzer Erde. Mit einem Schlag auf den Kopf strecktest du ihn zu Boden. Er fiel auf den Kompost, was den schwarzen Schmutz unter seinen Fingernägeln erklärt.« Athelstan machte eine Pause. »Du schleichst dich zurück in die Schenke und gehst deiner Arbeit nach. Zu gegebener Zeit verabschiedest du dich. Du wirfst Bouchons Leiche auf eine Schubkarre, deckst sie mit einer Plane zu und rollst sie hinunter zur Themse; bis dahin sind es ja nur ein paar Schritte. Der Fluß hatte Hochwasser, aber Bouchons Leiche trieb in der Nähe des Ufers dahin, bis sie bei Tothill Fields im Schilf hängenblieb.«
»Und Swynford?« fragte Aylebore.
Athelstan sah, daß alle drei Ritter jetzt anscheinend Angst vor Banyard hatten. Sie sahen ihn kaum an, als wäre er wahrhaftig die Inkarnation ihrer schrecklichen Taten und zugleich die Rache, die sie selbst heraufbeschworen hatten.
»Ach, das war nicht so schwierig, wie es aussah«, antwortete Athelstan. »Banyard selbst schickte ja nach dem Priester. Er wußte, daß Pater Gregory nicht da sein würde. Tatsächlich war ein solcher Trunkenbold auch keine ernsthafte Bedrohung für seinen Plan.«
»Von diesem seltsamen Priester sah man nichts als eine Kapuzengestalt, die durch die Schankstube nach oben ging«, fiel Cranston ein. »Aber niemand konnte sich erinnern, gesehen zu haben, daß er wieder ging.« Cranston blickte strahlend in die Runde, stolz auf seine Schlußfolgerungen.
»Das war aber ziemlich waghalsig von mir, nicht wahr?« spottete Banyard. »Wenn jemand mich aufgehalten hätte …«
»Du hattest den Zeitpunkt gut gewählt«, erwiderte Athelstan. »In der Schenke herrschte Hochbetrieb, und alles drehte sich mehr um die Lebenden als um die Toten. Angenommen, jemand hätte dich aufgehalten oder erkannt, so wärest du eben der Wirt gewesen, der in seine Kammer zurückkehrte, um seinen Mantel abzulegen und dann seine Arbeit wieder aufzunehmen. Du warst sehr gerissen. Du kannst aus dem Gasthof verschwinden, wann immer du willst. Niemand stellt dir Fragen. Niemand wird Einwände erheben, und wenn jemand Erkundigungen einzieht -nun, das ›Ungeheuer‹ ist ein weitläufiger Gasthof. Da muß man sich um die Vorräte kümmern, die Keller inspizieren, und es gibt eine ganze Reihe von Nebengebäuden, in denen du angeblich zu tun haben konntest. O nein, du warst völlig sicher bis zu dem Augenblick, da du Sir Henry Swynford die Garotte um die Kehle legtest. Bei einem kräftigen Mann wie dir dürfte der Tod in wenigen Augenblicken eingetreten sein. Nur einmal warst du nah dran, entdeckt zu werden - als Christina nämlich den furchtbaren Gesang hörte. Nach getaner Tat« - Athelstan zog eine Grimasse - »schlichst du dich aus der Kammer. Du kehrtest in deine eigene Wohnung zurück, legtest den Mantel ab und warst wieder der freundliche Herr Wirt.«
Banyard beugte sich vor, als wäre dies eine Art Spiel. »Und wie erklärt Ihr Euch, Bruder, daß ich durch so viele Wachen zur Monstranzkammer gelangen und Sir Francis Hamett umbringen konnte?«
»Hametts Tod hat mich sehr beschäftigt«, sagte Athelstan. »Ein aufgeregter kleiner Mann, der nichts anderes im Sinn hatte als den Kauf eines Affen, der aus dem Tower gestohlen worden war.«
»Was sagt Ihr da?« fragte Aylebore.
»Das ist jetzt nicht mehr so wichtig«, sagte Cranston. »Aber Euer Kollege hat einen Soldaten im Tower bestochen, damit er einen Affen für ihn stiehlt.«
Malmesbury verzog höhnisch den Mund und schüttelte den Kopf. »Der Mann war schon immer ein Trottel«, sagte er leise. »Auf seinem Gut in Stokesey hat er unablässig versucht, seltsame Vögel und Tiere zu sammeln.«
»Hamett ging mit Euch ins Bordell«, fuhr Athelstan fort. »Aber wie Mistress Mathilda uns sagte, sind dort keine Schwerter erlaubt. Ihr gingt also unbewaffnet hin?«
»Ja, so ist es«, bestätigte Malmesbury.
»Aber später am selben Abend wurde Hamett am Fluß gesehen, und da trug er ein Schwert.«
»Dann muß er in den Gasthof zurückgekehrt sein, um es zu holen«, meinte Malmesbury.
»Ihr habt recht, Sir Edmund. Aber das hat Master Banyard uns nie erzählt. Als ich nun Hametts Besitztümer durchsah, stellte ich fest, daß bestimmte Gegenstände fehlten. Erst wußte ich nicht, was es war, aber dann wurde es mir plötzlich klar: Er hatte Feder und Tinte, aber weder Pergament noch Velin - keinen Fetzen, auf dem er hätte schreiben können.«
»Und was soll das alles bedeuten?« wollte Coverdale wissen. »Nun, zunächst einmal bin ich sicher, daß Hametts Kollegen allesamt ähnliche Schreibwerkzeuge hatten; sie dürften sich eine Rolle Pergament für den eigenen Bedarf mitgebracht haben, um privat oder im Parlament darauf zu schreiben.«
»Ja, das stimmt«, sagte Aylebore. »Sir Francis hatte dauernd irgend etwas zu kritzeln.«
»Aber was soll das?« fragte Coverdale.
»Sir Miles«, sagte Athelstan, »wenn Ihr ein Tier wie diesen Affen aus dem Tower stehlen wollt, was braucht Ihr dann? Bedenkt, Ihr müßt es in London halten und später dann irgendwie nach Shrewsbury schaffen.«
Der Hauptmann kratzte sich grinsend an der Wange. »Nun ja, das Tier müßte fressen. Dann brauchte es einen Käfig.« Er schlug sich die Hand vor den Mund. »Und natürlich ein Versteck.« Er zeigte auf Banyard. »Sir Francis muß dir erzählt haben, was er vorhatte.«
»Natürlich«, sagte Athelstan. »Ich vermute, Sir Francis hatte ein sehr vertrauliches Verhältnis zu unserem Wirt. Er kehrte nicht nur zum Gasthof zurück, um sein Schwert zu holen; er muß auch mit ihm über Futter verhandelt haben, über einen Karren, einen Käfig und vor allem über einen Winkel irgendwo auf dem weitläufigen Anwesen, wo er das Tier verstecken konnte, das er da zu kaufen hoffte. Nun war Sir Francis, wie einer seiner Kollegen soeben bestätigte, ständig dabei, irgend etwas zu kritzeln. Er muß eine Liste alles Nötigen aufgestellt haben, aber ich fand keinen Fetzen Pergament unter all seinen Sachen. Natürlich hatte Master Banyard alles an sich genommen, nachdem er Sir Francis den Kopf abgeschlagen hatte.«
»Und was noch wichtiger ist«, ergänzte Cranston, »Sir Francis konnte von Banyard in den Tod gelockt werden, weil dieser von den Geheimverhandlungen mit dem Soldaten aus dem Tower wußte. In seiner Hast und Aufregung vergaß Sir Francis, daß ihm ein Mörder auf den Fersen war; er hatte den Kopf voller Träume über das exotische Tier, das er bekommen sollte.«
»Und wie soll ich in die Monstranzkammer von Westminster hineingekommen sein, Bruder?« fragte Banyard höhnisch. »Wie soll ich durch die Absperrketten von Soldaten und Bogenschützen gelangt sein? Habe ich etwa die Axt geschultert und mir eins gepfiffen?«
»O nein. Es fehlte ja noch etwas bei Hametts Sachen: das Siegel. Ich habe mich auch gefragt, wo die Siegel der beiden anderen Ermordeten waren.« Athelstan sah Coverdale an. »Habt Ihr sie je gefunden?«
»Der Offizier schüttelte den Kopf. »Nein, ich …« Seine Stimme versagte. »Ich habe nie daran gedacht.«
»Aber Banyard schon«, versetzte Athelstan. »Er nahm den ersten drei Männern, die er ermordete, die Siegel ab und benutzte sie, um damit in die Abtei zu gelangen. Man kann schließlich nicht erwarten, daß die Soldaten, die dort Dienst tun, sich die Gesichter von zweihundert Abgeordneten merken. Da war ein ständiges Kommen und Gehen: Als einfache Soldaten hielten sie sich an ihre Befehle: Jeder, der das Papier mit dem Siegel des Kanzlers vorweisen konnte, mußte durchgelassen werden. Als Hamett ermordet wurde, war es fast dunkel. Abgeordnete hasteten hin und her. Banyard trug wahrscheinlich den Kapuzenmantel, den er auch jetzt anhat, und so schlüpfte er hinein.«
»Aber die Axt?« fragte Aylebore.
Athelstan deutete mit weiter Geste durch die Kapelle. »Seht Euch doch hier um, Sir Humphrey. Betrachtet die Stapel von Werkzeug und Bänken, die dunklen Nischen, die kleinen Alkoven, die Lücke hinter dem Altar.«
»Ihr meint, die Axt ist dort irgendwo verborgen?«
»Wahrscheinlich«, antwortete Athelstan. »Oder irgendwo in der Nähe der Monstranzkammer. Bevor ich ging, habe ich den Bediensteten im Gasthof gesagt, ich wolle in die St. Faith-Kapelle, um dort nach einer Axt zu suchen. Banyard ist mir hierher gefolgt, nicht nur, weil ich seine wahre Identität kannte, sondern auch, weil ich nach Beweismaterial suchte. Ich bin sicher, wenn wir die Waffe finden, wird jemand sie wiedererkennen, weil sie früher im Gasthof benutzt wurde.«
»Aber wann hat er sie hergebracht?« fragte Coverdale.
»Lange, bevor das Parlament zusammenkam«, sagte Athelstan. »Das gleiche gilt für die Armbrust, mit der er Goldingham umgebracht hat. Erinnert Ihr Euch an das Ginstergestrüpp bei den Latrinen am östlichen Kreuzgang?«
»Natürlich«, sagte Coverdale. »Bevor das Parlament hier tagte, konnte Banyard ja kommen und gehen, wie es ihm paßte.« Athelstan fuhr fort. »Und in jener Nacht ging Banyard durch das Vestibül zur St. Faith-Kapelle, holte die Axt, stieg hinunter in die Monstranzkammer und ermordete Sir Francis.« Er warf Banyard einen Blick zu und sah die Angst in den Augen des Mannes. »Der arme alte Hamett«, fuhr Athelstan fort. »Aber er starb nicht umsonst. Erst als ich mich fragte, was bei seinen Sachen fehlte, begann das Knäuel, sich zu entwirren: das Fehlen von Pergament und Siegel, sein Wunsch, den aus dem Tower gestohlenen Affen zu kaufen, dazu die Tatsache, daß er in den Gasthof zurückgekehrt war, um sein Schwert zu holen, bevor er sich nach Southwark begab - das alles lenkte meinen Verdacht auf Master Banyard. Im Licht dessen, was ich herausgefunden habe, betrachtete ich den Tod der anderen Ritter: Bouchon hatte sein Schwert nicht getragen, und er hatte schwarzen Schmutz unter den Nägeln gehabt. Auch hier deutete alles auf Banyard. Das gleiche gilt für Swynford, der in seiner Kammer im Gasthof erdrosselt wurde.«
»Und Goldingham?« fragte Malmesbury.
»Nun, als ich einmal wußte, wie Banyard durch die Wache gekommen war, war der Rest nicht mehr schwierig. Goldingham hatte einen schwachen Darm. Er redete ständig darüber, nicht wahr?«
Malmesbury nickte.
»Und zweifellos wandte er sich auch an den Wirt und bat um diese oder jene besondere Speise?«
»Ja, ja, das tat er«, bestätigte Malmesbury. »Weißbrot, in Milch getränkt. Goldingham machte immer viel Aufhebens um das, was er aß und trank.«
»Und am Morgen seines Todes?«
»Da aß er das gleiche wie wir. Porridge aus Hafergrütze, ein bißchen Brot.«
»Aye.« Athelstan nickte. »Er aß aber auch noch etwas, das Ihr nicht hattet: ein leichtes Abführmittel mit den besten Empfehlungen des Herrn Wirt, das ihm die Gedärme löste und ihn schnurstracks zum Abort eilen ließ. Banyard wußte Bescheid über das Parlament und seine Sitzungen, entweder weil er sich erkundigt oder weil er Euren Gesprächen gelauscht hatte. Er brauchte sich nur in die Kreuzgänge zu begeben und bei den Latrinen zu warten; wahrscheinlich versteckte er sich in einer der Zellen, nachdem er Armbrust und Bolzen aus dem Versteck geholt hatte. Danach war die Sache einfach. Er wußte, daß Goldingham kommen würde, entweder während der Sitzung oder gleich danach. Es kam nur darauf an, zu warten. Als niemand mehr auf den Latrinen war, schlug er zu: Ein Armbrustbolzen traf Goldingham ins Herz. Die Armbrust wanderte wieder ins Versteck, und ehe in all dem Durcheinander jemand begriffen hatte, was passiert war, hatte Banyard Westminster schon verlassen und eilte zurück zu seinem Gasthof.« Athelstan spreizte die Hände. »Wir müssen immer daran denken, daß Banyard, sollte etwas schiefgehen, stets eine Erklärung für seine Anwesenheit gehabt hätte, und dann hätte er eine neue Gelegenheit abwarten können, hier oder in Shrewsbury. Westminster indessen war der ideale Ort.«
»Niemand würde ihn vermissen«, erläuterte Cranston. »Schließlich gehört ihm ja der Gasthof. Wo er hingeht und was er da tut, ist seine Sache. Das ›Ungeheuer‹ liegt in nächster Nähe der Abtei, und weil er hier wohnt, würde nie jemand von seiner Anwesenheit Notiz nehmen.« Cranston erhob sich und baute sich vor dem Gastwirt auf. »Master Banyard.«
Banyard hob den Kopf. Er war blaß, und sein Gesicht glänzte von Schweiß.
»Master Banyard, hast du dazu etwas zu sagen?« fragte Cranston. »Zu diesen Vorwürfen?«
Banyard lächelte halb, wie über einen Witz.
»Die Axt liegt hinter dem Altar, Bruder«, bekannte er, ohne Cranston zu beachten. »Da werdet Ihr sie finden.« Blinzelnd befeuchtete er sich die Lippen. »Ich möchte einen Krug Ale«, sagte er leise. »Vom besten, das meine Schenke zu bieten hat.« Er lachte. »Aber damit ist es jetzt vorbei, was?« Er richtete sich auf und atmete tief durch. »Ich wurde als Walter Polam geboren, in der Gemeinde von St. Dunstan in Oswestry in Shropshire. Als ich fünfzehn war, ermordeten diese Mäner meinen Vater, wie sie schon andere ermordet hatten. Ich verließ Shropshire und investierte alles, was ich besaß, in eine Schenke bei Cripplegate; ich dachte, ich könnte die Vergangenheit vergessen.« Er starrte zur Decke. »Ich änderte meinen Namen. Ich heiratete, aber Edith starb am Schweißfieber. Da verkaufte ich das Haus und kaufte den Gasthof ›Zum Ungeheuer. Habt Ihr Euch je das Schild angeschaut, Bruder? Es zeigt einen Ritter mit verzerrtem, scheelem Gesicht« Er nickte und wiegte sich vor und zurück. »Oh, natürlich träumte ich von Rache. Nach Ediths Tod begannen diese Träume, mich zu verfolgen. Ich gelobte mir, nach Shropshire zurückzukehren und Rache an den Mördern meines Vaters zu üben.« Banyard lächelte Malmesbury geringschätzig an. »Und dann seid Ihr ins ›Ungeheuer‹ gekommen, ein Ritter aus Shropshire, ein Abgeordneter der Commons. Und andere kamen mit Euch.
Ich begann, Euren Tod zu planen. Ich betete, daß ich Euch eines Tages alle unter meinem Dache haben würde - und so geschah es. Euer aufgeblasener Verwalter, dieser Faversham, kommt wichtigtuerisch daher - und natürlich hatte ich Zimmer für Euch.« Er warf Athelstan einen Blick zu. »Sie sind nicht alle gekommen, müßt Ihr wissen. Es sitzen mindestens zwei in Shrewsbury, mit denen ich immer noch ein Hühnchen zu rupfen habe. Aber sonst …«Er zuckte die Achseln. »Es hat sich alles so zugetragen, wie Ihr es beschrieben habt Bouchon, Swynford …« Banyard stieß mit dem Finger in Malmesburys Richtung. »Euch wollte ich bis zuletzt übrig lassen! Ich wollte warten, bis Ihr nach Shropshire zurückgekehrt wäret, damit ich Euch an demselben Baum aufknüpfen konnte, an den Ihr meinen Vater gehängt habt…«
»Banyard«, unterbrach Sir John. »Ich verhafte dich wegen des schrecklichen Verbrechens des Mordes.«
»Und was ist mit denen da?« erwiderte der Wirt mit verächtlichem Blick. »Sind das nicht auch Mörder?« Er grinste. »Ich möchte mit ihnen zusammen am selben Galgen hängen.«
»Ihr könnt uns nichts anhaben«, schrie Malmesbury. »Der Regent hat uns für alle Verbrechen Pardon angeboten.«
Sein Blick wurde furchtsamer, als Coverdale sich erhob und ein Pergament aus seiner Tasche entrollte. Der Hauptmann der Garde legte jedem der drei Ritter die Hand auf die Schulter. »Sir Edmund Malmesbury, Sir Humphrey Aylebore, Sir Thomas Elontius, ich verhafte Euch wegen Mordes.«
»Das ist doch Heuchelei!« schrie Aylebore und sprang auf. »Der Regent hat uns Pardon versprochen. Mit welcher Autorität handelt Ihr hier?«
Sir Miles hielt das Pergament in die Höhe; es trug das Siegel John von Gaunts.
»Alle Eure Namen stehen hier, Sir. Der Regent hat mir das Dokument heute morgen ausgehändigt. Ich sollte es erst vollstrecken, nachdem der König vor den Abgeordneten gesprochen hatte.«
»Aber der Regent hat uns Pardon versprochen…« Malmesbury hatte Tränen in den Augen.
Sir Miles lächelte. »Das kann nur Seine Gnaden, der König, Sir.« Flink zog er den drei Männern die Dolche aus den Gürteln, ging zur Tür und rief nach der Wache. Eine Zeitlang herrschte Chaos in der Kapelle; Malmesbury und seine Kumpane beteuerten lauthals ihre Unschuld und verfluchten den verräterischen Regenten, Banyard lachte wie von Sinnen, überhäufte sie mit Beschimpfungen und tanzte fast vor Freude über das, was geschehen war. Schließlich aber wurde die Kapelle geräumt, und eine Bogenschützeneskorte führte die Gefangenen ab. Coverdale verbeugte sich vor Cranston und Athelstan und ließ die beiden allein in der stillen Kapelle zurück.
Der Coroner setzte sich und wischte sich die Stirn ab. Athelstan ging zum Altar hinauf, schob ein paar Bänke beiseite und fand dahinter an der Wand eine scharfgeschliffene Axt. Er kam damit herunter, setzte sich auf Banyards Platz und legte die Axt behutsam neben sich auf den Boden.
»Wenigstens hat er sie saubergemacht«, murmelte er. Er blickte auf, als Cranston einen großzügigen Schluck aus seinem stets gegenwärtigen Weinschlauch nahm. »Wir müssen alles dem Pater Abt berichten, damit die Kapelle gesegnet und neu geweiht werden kann.«
Cranston drückte den Stopfen in den Weinschlauch und schaute Athelstan betrübt an.
»Ich kann Eure Gedanken lesen, Sir John«, gestand Athelstan leise. »Warum habe ich Euch nicht eingeweiht, hm?«
»Du hast alles allein gemacht«, murrte Cranston.
»Nein, das stimmt nicht, Sir John. Ihr seid so leicht zu durchschauen wie klares Wasser an einem Sommertag. Wenn ich Euch anvertraut hätte, daß es Banyard war, dann hättet Ihr alles mit einem Blick oder Zeichen verraten.« Athelstan deutete mit dem Zeigefinger nach unten. »Hier, in dieser Kapelle, mußte ich Banyard in die Falle gehen lassen. Jetzt ist alles erledigt.« Er lächelte düster. »Der Regent ist ein gerissener Fuchs.« Mit einem Blick zum Kruzifix hinauf fragte er sich einen Augenblick lang verzweifelt, ob der Tod Christi, die liebe Gottes oder der Dienst der Kirche irgend etwas mit einer Welt zu tun hatten, in der Männer wie John von Gaunt die Oberherrschaft hatten. »Gaunt war sehr schlau«, bestätigte Cranston. »Er hat diese Ritter gezwungen, herzukommen. Er hat sie erpreßt und seine Gegner in inbrünstige Anhänger verwandelt, um dann die Falle zuschnappen zu lassen und sie wegen der geheimen Verbrechen zu verhaften, wie er es ihnen vorher angedroht hat.« Cranston seufzte geräuschvoll. »Wie um alles in der Welt wird das nur enden?«
»Oh, Gaunt wird sich gnädig zeigen«, meinte Athelstan. »Malmesbury und die Seinen werden ein volles Geständnis ablegen und ein saftiges Bußgeld zahlen müssen, und dann werden sie geloben, auf Pilgerfahrt zu gehen. O ja, Gaunt wird am Ende wieder reicher geworden sein. Er wird sie beim Geldbeutel fassen, und Malmesbury und seinesgleichen werden nach seiner Pfeife tanzen.«
»Und Banyard?«
»Was glaubt Ihr, Sir John?«
Der Coroner rieb sich das Kinn. »Wir können den einen nicht ohne die anderen hängen«, antwortete er langsam. »Ich glaube also nicht, daß Banyard in Tybum oder in Smithfield baumeln wird. Gaunt wird seine Habe beschlagnahmen und stolzer Besitzer einer sehr gut gehenden Herberge werden. Banyard wird man in die Verbannung zwingen und ihn ohne einen Penny in der Tasche als Bettler durch Europa wandern lassen.« Cranston lächelte grimmig. »Weißt du, Bruder, ich habe soviel Haß in diesem Mann gesehen … Wenn ich Sir Edmund Malmesbury wäre, ich würde nicht mehr ruhig schlafen können.« Schwerfällig erhob sich der Coroner. »Nichts geht wirklich zu Ende, nicht wahr, Bruder? Wir sind wie die Mistsammler. Wir kehren den Unrat zusammen und schaffen ihn fort, damit er Augen und Nasen derer, die um uns herum leben, nicht belästigt.« Er stöhnte und gab seinem Gefährten dann einen Rippenstoß. »Eins hast du aber nicht erklärt. Warum hatten Hamett und Goldingham rote Kreuze im Gesicht?«
Athelstan zuckte die Achseln. »Banyard wollte wohl ein Zeichen setzen, im buchstäblichen wie im übertragenen Sinne. Wahrscheinlich hatte er nicht jedesmal genug Zeit.«
»So furchtbare Taten«, meinte Cranston traurig.
Athelstan stand auf. »Sir John, Ihr werdet melancholisch. Laßt uns ins »Heilige Lamm Gottes‹ gehen und feiern. Wir haben getan, was wir konnten; mehr verlangt der Herrgott nicht, und mehr will Er auch nicht.« Er drückte Cranston die Axt in die Hand. »Jetzt kommt und seid wieder der muntere Jack Cranston, und wenn Ihr es seid« - Athelstan trat einen Schritt zurück und hob die Hand -, »dann schwöre ich auch, ich spreche nie wieder von einem Berberaffen.
John von Gaunt saß in seinem Privatgemach hoch oben im Savoy-Palast. Er starrte durch das offene Fenster zum Abendstern hinaus und lächelte bei sich über den Erfolg seines raffinierten Plans. Geistesabwesend spielte er mit dem Amethystring an seinem Finger.
»Nur einen Haken hat die Sache«, murmelte er und warf einen Blick hinüber zu seinem kapuzenverhüllten Schreiber, der an einem kleinen Pult saß. Gaunt hatte sich Coverdales Bericht sehr aufmerksam angehört und insgeheim bewundert, wie scharfsinnig Athelstan das verzwickte Netz aufgeknüpft hatte, das Gaunt da gewoben hatte. Der Regent richtete sich auf. Mit Cranston wurde er fertig; der Coroner war Königlicher Beamter. Aber Athelstan? Gaunt schaute zu seinem Schreiber hinüber. »Du setzt jetzt einen Brief an Prior Anselm in Blackfriars auf«, befahl er. »Sag ihm, ich bin dankbar für die guten Dienste, die Bruder Athelstan geleistet hat; jetzt aber fürchte ich für ihn in diesem Meer von Sorgen, vor dem wir stehen. Sag ihm …« Gaunt hob einen Finger. »Sag ihm, ich möchte, daß Athelstan versetzt wird; seine Fähigkeiten lassen sich in den Hallen von Oxford besser verwenden.«
Gaunt lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, schloß die Augen und träumte seinen dunklen Traum von der Macht.