»Selbstverständlich«, sagte Martina Wuest, »allerdings haben wir nur den echten, heiß löslichen Kakao. Manche finden den zu bitter. Aber meiner Meinung nach schmeckt der viel besser als diese Instantpulver, die ja fast nur aus Zucker bestehen.«
»Da sage ich nicht Nein.« Dorn erwiderte das Lächeln der Gastgeberin.
»Möchten Sie Schlagsahne dazu?«
Er stellte die Aktentasche ab. »Vielen Dank, aber ich will Ihnen keine Umstände machen.«
»Möchten Sie gerne Sahne darauf haben oder nicht?«
»Wirklich lieb von Ihnen, aber ein heißer Kakao reicht mir völlig.«
»Wie Sie meinen. Dann gieße ich mir einen Tee auf.«
Er folgte der Frau in die Küche und beobachtete, wie sie einen Schrank öffnete, in dem sich drei Abfallbehälter befanden. In einen davon warf sie einen Klumpen gelber Blütenblätter, den sie offenbar die ganze Zeit über in der Hand gehalten hatte. Dorn sah im benachbarten Eimer ein violettfarbenes Papierknäuel liegen, das ihn wieder an den Grund seines Besuchs hier erinnerte. Doch erst musste er noch etwas klären, denn die Frau hatte etwas gesagt, das ihn ziemlich beunruhigte.
»Sie sagten eben, Ihr Partner sei mit dem Hund draußen. Was haben Sie denn für einen?«
»Oh, eine richtige Bestie.« Sie drehte sich um, hob eine Hand an die Hüfte. »So groß und ziemlich bissig.« Als sie seinen Gesichtsausdruck sah, musste sie lachen. »Mögen Sie keine Hunde?«
»Oh doch!«, log er. »Sehr sogar.«
»Das sieht mir aber nicht so aus.«
»Sagen wir einfach, ich habe einen gesunden Respekt vor großen und fremden Hunden. Erst recht, wenn sie beißen.«
Sie lächelte. »Dann können Sie ganz beruhigt sein. Krümel ist in Wahrheit ein belgischer Zwerggriffon, genauer gesagt ein Brüsseler Griffon. Kennen Sie die?« Sie goss Milch in eine Tasse und Wasser in eine andere, die sie beide in die Mikrowelle stellte. Dann drehte sie am Timer-Rädchen.
Dorn tat derweil so, als dächte er nach. »Hm … Ich bin mir nicht sicher.«
»Von der Größe und der Farbe her ähneln sie Yorkshireterriern, aber die Griffons haben so einen niedlichen Bart. Ich zeige Ihnen gleich mal ein Foto. Das sind ganz entzückende Tiere. Vielleicht nicht die hübschesten, darüber lässt sich streiten, aber man sagt, es sei die verschmusteste Hunderasse der Welt. Und wenn ich an unseren denke, kann ich das nur bestätigen. Er ist schon zwölf, aber immer noch fit wie ein Turnschuh. Zum Glück werden kleinere Hunde ja meistens älter. Nicht auszudenken, wenn er eines Tages nicht mehr da ist. Ich habe ihn damals mit in die Beziehung gebracht. Anfangs war Volker wenig begeistert davon, aber inzwischen liebt er ihn wie ein Kind.«
Dorn nahm wahr, wie sich ein Ausdruck von Traurigkeit in die Züge der Frau schlich, der mit dem Ping der Mikrowelle verschwand, als hätte sie das Geräusch erschreckt. Sie holte die Tassen heraus, warf einen Teebeutel in die eine, rührte Kakaopulver und etwas Zucker mit einem elektrischen Milchaufschäumer in die andere und zog anschließend ein Damastmesser aus einem Block, mit dem sie eine Zitrone zerteilte. Einen Schnitz davon gab sie in ihren Tee.
»Bitte sehr.« Sie reichte Dorn sein Getränk.
»Vielen Dank. Wirklich freundlich von Ihnen.«
»Kommen Sie, ich zeige Ihnen mal das Bild.« Sie ging voraus, hielt vor einer Kommode aus Eichenholz, auf der einige Bilderrahmen standen. Einen davon nahm sie zur Hand und reichte ihn Dorn. »Hier, das ist er. Unser Krümel.«
»Ach doch«, sagte Dorn, »ich kenne die Rasse.«
»Dachte ich mir. Seit diesem Film mit Jack Nicholson kennt die fast jeder.«
Sie hatte recht. Dorn erinnerte sich an den Streifen. An den fiesen, unter Zwangsstörungen leidenden Schriftsteller Melvin, den Nicholson spielte. Daran, dass es ihn auf eine merkwürdige Weise berührt hatte, dass ein Fiesling wie Melvin am Ende die Frau abbekam. Auch den Hund hatte Dorn irgendwie gemocht – immerhin trug der mit seinem Faible für Ekelpaket Melvin in erheblichem Maße dazu bei, dass man Sympathie für ihn hegte. Vielleicht war ihm dieser Film auch deshalb so gut in Erinnerung geblieben, weil er ihn auf einer tieferen Ebene erreicht hatte. Wahrscheinlich war ihm die Filmfigur ähnlicher als gedacht. Außer der Tatsache, dass Melvin Liebesromane schrieb und Menschen nur mit bösen Worten verletzte.
Er gab der Frau das Foto zurück.
Als sie es wieder an seinen Platz stellte, fiel sein Blick auf ein anderes Bild.
Und mit einem Mal schlug sie zu.
Die Faust des Schreckens traf ihn derart unvorbereitet und hart, dass zwischen seinem Hirn und den Muskeln eine Entkopplung stattfand. Zwar nur einen Sekundenbruchteil, doch dieser genügte, damit ihm das Getränk aus der Hand glitt. Und während die Tasse auf den Fliesen zerschellte und Kakao an die Wand sowie sein Hosenbein spritzte, explodierte in seinem Kopf die Erkenntnis.
»Ach herrje!« Martina Wuest starrte ihn an. »War der Kakao zu heiß?«
Wie in Zeitlupe sah Dorn an sich hinunter, auf die braune Lache mit den Scherben darin. Dann schwenkte sein Blick zu der Frau zurück, die ihn besorgt ansah.
»Ist alles okay? Haben Sie sich verbrannt?«
Dorn sah ihr benommen nach, während sie in die Küche ging.
Ihre Worte drangen wie aus weiter Ferne an sein Ohr. »Kein Problem, wirklich. Machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Ich hole schnell einen Lappen.«