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Kaugummikauend, die Basecap auf dem Kopf, betrat Dorn nach einem verfrühten Mittagessen, bestehend aus einem schmierigen Döner, den er sich in einem Hauseingang einverleibt hatte, ein Handygeschäft. Das handgeschriebene Schild im Schaufenster behauptete, es handele sich um ein Internetcafé ; in Richards Augen ein Witz. Doch genau so eine Bude brauchte er jetzt. Zumal sich der junge Araber hinter dem Tresen, den er bewusst auf Englisch angesprochen hatte, mehr für sein Handyspiel interessierte als für seinen einzigen Kunden. Aus dem Gerät dudelte Fahrstuhlmusik, die immer wieder von Geräuschen unterbrochen wurde, die Dorn an den berstenden Schädel des Penners erinnerten.

»Choose one«, antwortete der Ladenbesitzer und machte eine Geste nach hinten, wo zwei hölzerne Boxen standen, die bei Dorn Erinnerungen an die Lehrerpulte im Internat wachriefen.

Er pflanzte sich hinter Pult Nummer 2. Nach einem prüfenden Blick in den Vorraum, wo der Ladenbetreiber weiterhin auf seinem Smartphone herumdrückte, gab Dorn die Adresse eines Proxyservers ein, über welchen er eine Suchmaschine aufrief. Dort tippte er seinen Namen ins Textfeld. Der erste Eintrag führte ihn auf die Seite des BKA, wo neben einem wenig schmeichelhaften Foto von ihm ein kurzer Abriss seiner Laufbahn zu finden war. Ein gelbes Banner setzte eine Belohnung in Höhe von 25.000 Euro auf Hinweise aus, die zu seiner Ergreifung führten. Darunter fanden sich steckbriefartige Details zur Fahndung und seiner Person sowie weitere Fotos, auf denen er wesentlich besser getroffen war. Wieso hatten sie keines davon genommen?

Unterhalb der Bilder befand sich ein Link mit der Überschrift Stimme . Dorn schielte nach vorn, doch der Typ war voll in sein Spiel vertieft. Also betätigte er die Stummschaltung am Computer, startete die Datei und erhöhte langsam die Lautstärke, bis er seine eigene Stimme vernahm. Es handelte sich um eine knapp einminütige Tondatei, die man aus einem Verhör herausgeschnitten hatte. Die Cops ließen wirklich nichts unversucht, ihn zu finden.

Er drückte den Zurück-Button im Browser. Mit einem Anflug von Stolz stellt er fest, dass der zweite Treffer zu Wikipedia führte. Da hatte doch tatsächlich jemand einen Artikel über ihn verfasst. Wenn das nicht einem Ritterschlag glich. Dorn las ihn aufmerksam durch und rief dann den Link mit den Verfassern auf. Wie das Kuchendiagramm zeigte, stammte über die Hälfte des Textes von einer Person, während sechs weitere Korrekturen oder Ergänzungen beigesteuert hatten. Der Inhalt des Artikels war, wie für ein Nachschlagewerk üblich, sachlich und frei von jedweder Wertung verfasst. Dennoch hätte er zu gerne gewusst, wer hinter dem Text steckte. Es musste ja eine Art Fan sein. Leider handelte es sich bei allen Angaben um Pseudonyme, die keine Rückschlüsse auf die Klarnamen zuließen.

Zurück bei den Sucheinträgen, klickte er auf den Link zur Seite von Europe’s Most Wanted Fugitives , wo er tatsächlich auf Rang 2 der meistgesuchten Verbrecher glänzte. Zu seiner Verärgerung stellte er fest, dass der Erstplatzierte – ein ebenfalls wegen Mordes gesuchter Mann – weitaus weniger auf dem Kerbholz hatte. Aber wenigstens standen sie beide vor dem verabscheuungswürdigen Kinderschänder auf Rang 3.

Die Seite von Interpol war dagegen eine richtige Enttäuschung. Zunächst musste er sich dort mithilfe einer internen Suchmaschine zwischen unzähligen anderen Verbrechern aufstöbern, von denen es bloß grobkörnige Fotos gab. Auch sein Eintrag wirkte lustlos verfasst, wie dahingerotzt. Daher verlor er rasch das Interesse. Zurück in der Suchmaschine, überflog er die anderen Einträge, bei denen es sich meist um reißerische Artikel auf den Internetseiten von Privatsendern handelte. Doch eine soeben von einem Onlinemagazin veröffentlichte Headline stach heraus. Genau genommen der Name der interviewten Person, welcher auf geradezu blasphemische Weise zusammen mit seinem eigenen in eine und dieselbe Schlagzeile gepackt worden war. Während Richard Dorn den kurzen Text mit immer enger werdenden Augen las, dachte er: Das hätten Sie besser nicht getan, Herr Kommissar. Niemand, wirklich niemand nennt Richard Dorn ein Schwein. Und niemand ist unangreifbar.

Diesem Irrglauben war schließlich schon der Psychofritze aufgesessen.