»Mein aufrichtiges Beileid«, sagte Hermann Kreiling sichtlich betroffen, als er Fuchs die Hand reichte.
Der ließ das Händeschütteln mit hängenden Schultern über sich ergehen und ahnte, dass sein Chef ihn nicht bloß zum Kondolieren ins Büro bestellt hatte. Kreiling bestätigte diese Annahme mit den nächsten Sätzen.
»Furchtbar, wirklich furchtbar, Herr Fuchs. Ich kann das gar nicht in Worte fassen. Aber so leid mir das alles tut – mir bleibt diesmal wirklich nichts anderes übrig, als Sie von den Ermittlungen auszuschließen. Ich denke, das ist Ihnen klar?«
»Natürlich«, brachte Fuchs heiser hervor, räusperte sich. »Ich werde mich selbstverständlich aus allem heraushalten, was meine Ex-Frau betrifft.«
Kreiling neigte den Kopf. »Aber das hängt doch alles zusammen. Es ist … ein Fall .«
Fuchs sah Kreiling einen Moment lang an, bevor er nachdenklich nickte. »Das ist nur zum Teil richtig, Chef.«
Der Goldschopf neigte sich weiter vor, was Fuchs zu einer Erklärung veranlasste.
»Wir haben auf der einen Seite die Aufklärung des Verbrechens. In diesem Fall, da werden Sie mir sicher recht geben, ein No-Brainer, da wir den Täter kennen. Aber der andere, relevante Teil ist die Jagd nach ihm. Und davon möchte ich bitte nicht ausgeschlossen werden.«
Kreiling sah zu Boden, atmete geräuschvoll durch die Nase.
»Ich verspreche Ihnen auch, dass ich mich vom Haus meiner Ex-Frau fernhalte«, schob Fuchs hinterher. »Niemand wird mich dort zu Gesicht bekommen, bis es von der Spurensicherung freigegeben wurde. Genau wie ich mich von jeder Akte fernhalte, in der ihr Name steht.«
Kreiling dachte nach. Man konnte förmlich sehen, welchen inneren Kampf er ausfocht. In Situationen wie dieser hatten sie schon ein paarmal gesteckt, und bisher war es Fuchs meist gelungen, ihn umzustimmen. Doch heute würde sich dies aufgrund der Gesamtkonstellation schwierig gestalten, das war Joachim bewusst. Dennoch hoffte er, dass sein Chef ein Auge zudrücken und nicht wieder auf sein Regelwerk pochen würde.
Kreiling presste die Lippen aufeinander, während er seine Schuhspitzen betrachtete. Endlich hob er den Kopf. »Natürlich ist uns allen klar, dass Dorn hinter der Tat steckt. Aber solange wir das nicht durch unwiderlegbare Beweise gesichert haben, bleibt es ein indiziengestützter Verdacht.« Er bedachte Fuchs mit einem nachsichtigen Blick. »Sie sind doch lange genug dabei, um zu wissen, wie es läuft. Wir können Sie nicht einfach weiterermitteln lassen. Allein schon, weil der Ex-Partner statistisch gesehen am häufigsten hinter Tötungsdelikten steckt.«
»Weshalb ich, wie gesagt, auch keine Akte anrühren werde, die den Mord an meiner Ex-Frau betrifft. Sie haben mein Wort.«
Kreiling legte ein bitteres Lächeln auf. »Habe nur ich gerade ein Déjà-vu?«
»Solange ich nicht unter Verdacht stehe, ist es doch genauso wie damals«, sagte Fuchs in der Annahme, dass sein Chef auf den Fall im vergangenen Sommer anspielte, in dem ebenfalls eine persönliche Bindung zwischen ihm und einem Opfer bestanden hatte. Damals war ein guter Freund von ihm unter mysteriösen Umständen verbrannt, und Fuchs hatte seinen Chef überzeugt, den Fall von einem anderen Landkreis zu übernehmen, nachdem Kreiling dessen Bedenken wegen Befangenheit mithilfe einer Gesetzbuch-Passage zerstreuen konnte. Allerdings war ihm klar, dass die Sache dieses Mal anders lag. Als Ex-Mann der Ermordeten zählte er automatisch zum Kreis der Verdächtigen; selbst wenn dies nur pro forma war. Somit würde sein Chef heute nicht einknicken, sondern ihn auf einen anderen Fall ansetzen. Er würde ihm vielleicht sogar Zwangsurlaub aufbrummen, damit er sich von dem Schock erholte. Doch das war das Letzte, was Joachim jetzt brauchte.
»Mir ist einfach nicht wohl dabei, wenn Sie weiter an dem Fall arbeiten«, sagte Kreiling.
»Chef …«, zu seiner eigenen Überraschung sah er, wie sich seine Hand auf Kreilings Arm legte, »… bitte verdonnern Sie mich nicht zur Untätigkeit. Das wäre das Schlimmste, was Sie mir in dieser Situation antun könnten. Was ich jetzt brauche, ist Normalität. Ich brauche eine Aufgabe. Und mein Job ist nun mal das, was ich kann.« Seine Hand drückte zu. »Lassen Sie mich weiter nach Dorn suchen. Ich kenne ihn besser als jeder andere.« Bei diesen Worten verkrampfte sich sein Magen, als wollte er ihn Lügen strafen.
Auch Kreilings blassgraue Augen, die ihn undurchdringlich taxierten, schienen zu sagen: Glauben Sie eigentlich selbst, was Sie da erzählen?
Kreiling verschränkte die Arme hinter dem Rücken, verlagerte das Gewicht auf die Fußballen und sah wieder auf seine Schuhe.
Jetzt kommt die Abfuhr , dachte Fuchs.
Doch stattdessen sagte Kreiling: »Die Regeln sind klar. Sie beteiligen sich ausschließlich an der Suche nach Dorn. Alles, wirklich alles, was Ihre Ex-Frau betrifft, bleibt tabu! Haben Sie das verstanden?«
Fuchs wusste nicht, wie ihm geschah. Er nickte hastig. »Ja natürlich. Verstanden.«
Kreiling seufzte, sprach den nächsten Satz mehr zu sich selbst, während er hinter den Schreibtisch ging. »Das wird die Arbeit vorerst ziemlich umständlich machen, da wir Sie jedes Mal aus dem Sitzungsraum schicken müssen, wenn das Thema auf Ihre Ex-Frau fällt. Aber gut.«
»Ja, ich weiß. Aber ich werde mich daran halten und unaufgefordert gehen. Ein Blick von Ihnen genügt, Sie werden sehen.«
»Falls Sie doch ein paar Tage Auszeit brauchen …«, Kreiling hob die Hände, »… was jeder hier verstehen würde, dann geben Sie mir Bescheid, okay?«
»Ja, mach ich.«
»Das sage ich nicht nur, weil Sie jetzt sicher auch privat einiges zu regeln haben.«
»Ich weiß.« Im Gehen wandte Fuchs sich um. »Und Chef …«
Kreiling hob eine Braue. »Ja?«
»… danke.«