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Seitdem sie die Praxis von Dr. Spahn verlassen hatten, geisterte Christian Röhm eine Idee durch den Kopf. Genauer gesagt war ihm der Einfall gekommen, als Lara ihn auf das merkwürdige Verhalten des Mediziners hingewiesen hatte, das ihm ohne ihren Einwurf vermutlich entgangen wäre. Falls Lara das Vernehmungsprotokoll von Claudines Lebensgefährten noch nicht gelesen hatte – wonach es aussah –, besaß er ihr gegenüber einen Wissensvorsprung. Einen kleinen, aber feinen Vorteil, der es ihm ermöglichte, eine Verknüpfung zu bilden, die Lara bisher höchstens ahnte. Dennoch war ihre Intuition eindeutig besser als seine, das musste er zugeben. Doch was war schon ein Gefühl gegen ein Faktum? Nun galt es, diesen Vorsprung auszubauen, wofür er die Information, die er von Lothar Reus erhalten hatte, zunächst auf Herz und Nieren prüfen musste. Natürlich bestand hierbei die Gefahr, von den Kollegen belächelt zu werden, sich unbeliebt zu machen und Ressourcen zu vergeuden, weil er die Ermittlungen in eine falsche Richtung lenkte. Doch um ein Tigerjunges zu fangen, musste man auch mal bereit sein, sich in die Höhle des Tigers zu wagen, wie ein altes Sprichwort besagte. Vielleicht war endlich seine Chance gekommen, aus dem Schatten seiner Kollegen herauszutreten. Schließlich hatten sich Joachim und Lara schon mit den beiden letzten spektakulären Fällen im Ruhm sonnen dürfen. Zudem war der Zeitpunkt günstig, denn Kreilings Karriere neigte sich allmählich dem Ende zu. Da wäre es sicher kein Nachteil, wenn ihm, dem von vielen noch immer unterschätzten Ersten Hauptkommissar, zuvor noch ein großer Wurf gelänge. Wichtig war nur, kein allzu großes Aufsehen zu erregen, sondern die Idee im richtigen Moment wie beiläufig zu präsentieren. Vielleicht würde sich Lara etwas auf den Schlips getreten fühlen, aber das konnte ihm doch egal sein. War ja nicht so, als ob er, trotz seiner höflichen Avancen, Sympathiepunkte bei ihr gesammelt hätte. Ganz im Gegenteil hatte er neulich sogar mitbekommen, wie sie mit Fuchs einen Witz über ihn gerissen hatte. Falls Lara so weit gehen würde, ihren Unmut öffentlich zu äußern oder ihn gar als Plagiator zu entlarven, stünde sie bloß als schlechte Verliererin oder miserable Teamplayerin da, was sie sicher nicht riskieren wollte. So gesehen hatte er also nichts zu befürchten. Er machte ja nur seine Arbeit, folgte seinem Instinkt.

Als er nach einer schweigenden Rückfahrt gemeinsam mit Lara das Präsidium betrat, verabschiedete er sich für einen Abstecher auf die Toilette, erleichterte sich, um postwendend zurück zum Auto zu gehen und erneut zu Spahn in die Praxis zu fahren. Wenn er Glück hatte, erwischte er den Arzt noch vor dessen Mittagspause.