Markus Ritter, Leiter des SEK Frankfurt, erhielt die Nachricht über den bevorstehenden Einsatz in Form eines Anrufs. Eigentlich hatte er nach diesem anstrengenden Tag die Arbeitsstätte ausnahmsweise etwas früher als üblich verlassen wollen, um endlich mal wieder gemeinsam mit Frau und Tochter zu Abend zu essen. Doch so wie es aussah, würde abermals nichts daraus. Wenn er heute nach Hause käme, wäre sicher längst tiefe Nacht und seine Kleine würde seit Stunden schlafen.
Er ging in den Aufenthaltsraum, wo der restliche Trupp beisammensaß, um mit seiner Vertretung sowie bestem Freund, Daniel Guldan, die Einsatzübung für den kommenden Morgen zu besprechen.
»Na, hast du uns schon vermisst?«, fragte Guldan mit einem Grinsen, das durch die Narben von einem Säureangriff im vergangenen Jahr stets etwas schief geriet. Dennoch trug er die Entstellung mit Würde, was Markus jedes Mal aufs Neue beeindruckte. Daniel schien es bei Einsätzen nie sonderlich eilig zu haben, die Sturmhaube überzuziehen, so als wollte er sich, wie auch allen anderen, beweisen, dass es nichts gab, wofür er sich schämen musste. Markus hätte sich an seiner Stelle wahrscheinlich eine Maske anfertigen lassen, die den entstellten Gesichtsteil verdeckte wie beim Phantom der Oper, und daraus ein Markenzeichen gemacht.
»Und wie!«, gab Ritter zurück. »Aber wie es scheint, haben wir unser Soll für heute noch nicht erfüllt.«
Wie aufs Stichwort gingen fast gleichzeitig acht Pieper los, die durch geübte Handgriffe ebenso schnell wieder zum Schweigen gebracht wurden.
»Um gleich auf den Punkt zu kommen …«, fuhr Ritter fort, »… wir sollen den entflohenen Serienmörder Richard Dorn festnehmen.«
Acht Rücken richteten sich auf.
»Die Alarmierung kam von der Freundin eines Bloggers, der heute Kontakt mit Dorn gehabt haben soll. Er will sich anscheinend zwecks eines Interviews mit ihm treffen, um dafür etwas Geld abzustauben. An der Authentizität der Anruferin bestehen wohl keine Zweifel. Ihr Freund Marek stand nämlich auf der Liste der Kripo bezüglich möglicher Kontaktpersonen Dorns, da er ihn schon im Gefängnis angeschrieben und um ein Interview gebeten hatte. Treffpunkt soll heute um einundzwanzighundert im brachliegenden Hangar des alten Flugplatzes in Eschborn sein.«
Acht Augenpaare glitten zur Wanduhr.
Ritter nickte. »Richtig – uns bleiben gerade mal vierzig Minuten. Den Heli können wir leider nicht direkt vor Ort einsetzen, da wir die Zielperson keinesfalls aufscheuchen dürfen. Er wird aber in den Startlöchern stehen. Stattdessen sollten wir eine der neuen Drohnen mit Wärmebildkamera über das Gelände schicken. Die ist ab sechzig Metern Flughöhe nicht mehr zu hören und könnte ihm somit unbemerkt folgen, falls er zu flüchten versucht. Das größte Problem ist aber, dass wir so spät informiert worden sind und somit kaum Zeit für Vorbereitungen bleibt. Wir müssen zudem davon ausgehen, dass die Zielperson das Gelände von einem sicheren Versteck aus beobachtet und sich gar nicht erst blicken lässt, wenn ihr etwas verdächtig erscheint. Wir werden also in angemessener Entfernung zum Gelände bereitstehen und abwarten müssen, bis wir zugreifen können.«
Unaufgefordert hatte Guldan während der Ausführungen eine Karte der Gegend auf die Leinwand gespielt, auf der nun von Ritter auf einem Touchscreen eingezeichnete Kringel erschienen.
»Hier, in östlicher Richtung, keine fünfhundert Meter entfernt, liegt das Industriegebiet«, sagte Ritter. »Ansonsten sind, wie man sehen kann, in näherer Umgebung ringsherum nur Wälder und Felder. Wenn er mit einem Fahrzeug kommt, wovon ich ausgehe, könnte er über das Industriegebiet rasch auf die Autobahn gelangen. Oder er türmt über das riesige Feldwegenetz, das ihn nach Schwalbach, Bad Soden oder Höchst bringen könnte. Mit den ganzen Autobahnkreuzen in der Nähe ist das eine für uns ziemlich ungünstige Gegend, weshalb auch diverse Einsatzkräfte von anderen Stellen mobilisiert wurden, um der Zielperson in möglichst allen Richtungen den Weg abschneiden zu können.«
Ritter gab etwas in das Tastenfeld ein, woraufhin ein Foto von Dorn erschien.
»Zur Zielperson werde ich nicht viel sagen müssen. Alle hier wissen, dass dieser Kerl scheißgefährlich und zudem äußerst gerissen ist.« Er blendete ein anderes Foto ein. »Unser Blogger hier eher weniger. Er weiß übrigens nicht, dass wir über seinen Alleingang informiert wurden. Er hat seine Freundin nämlich in dem Glauben gelassen, die Polizei, auf ihr Drängen hin, verständigt zu haben. Sie geht davon aus, dass er Dorn allein überwältigen will, was ich, gelinde gesagt, für eine beschissene Idee halte. Wir haben es also mit einem kleinen Möchtegernhelden zu tun. Hoffen wir mal, dass ihm das nicht das Genick bricht. Also, Männers – auf geht’s!«