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Hoffentlich lief alles glatt, dachte Richard Dorn, als er nun, im Gebüsch kauernd, die Augen zusammenkniff. Neben der Entfernung machte ihm die Dunkelheit zu schaffen, selbst wenn seine Augen besser funktionierten, als alle dachten. Den Grundstein für diese Fehlannahme hatte damals die Ärztin in der Uni gelegt, von der er nach seiner Verletzung betreut worden war. Denn Dr. Sibylle Heydeck hatte ihm eine Sehbehinderung attestiert, die an Blindheit grenzte, was vor allem daran lag, dass ophtalmologische Untersuchungsergebnisse maßgeblich von den Angaben des Patienten abhingen und er es mit der Ehrlichkeit nicht allzu eng genommen hatte. Daher sah er in diesem Moment, was er sehen musste. Jedenfalls fast. Denn bisher war noch alles ruhig. Doch wenn er sich nicht verschätzt hatte, würde bald Bewegung ins Bild kommen. Es musste!

Sorgen bereitete ihm nur die Frage, ob die letzten zwei Tage zum Planen genügt hatten, da er von den jüngsten Ereignissen ständig zu Schnellschüssen gezwungen worden war, was nicht zu seinen Stärken zählte. Zumindest war er bisher davon ausgegangen. Aber vielleicht irrte er sich ja, und es war an der Zeit, diesen Glaubenssatz auszumustern. Wäre schließlich nicht das erste Mal, dass er sich selbst überraschte. Dieser Standpunkt beflügelte ihn. Ein erfrischendes Gefühl nach den Anstrengungen der letzten Tage. Aber was hatte er sich kürzlich bewusst gemacht? Das Leben bestand nun mal aus Höhen und Tiefen. Hell und dunkel. Sonne und Regen.

Positiv war zum Beispiel, dass er es endlich geschafft hatte, in einem richtigen Bett zu schlafen und nicht wieder in dem stinkigen Schlafsack wie die Nächte davor. Zuerst hatte er überlegt, sich in einem der Hochstände im Stadtwald einzuquartieren, doch da sich in diesem Gebiet auch sein ehemaliger Unterschlupf befand, würden ihn dort postierte Bullen sofort ins Visier nehmen. Also hatte er sich für eine Nacht in einer alten Fabrikruine in einer verlassenen Gegend am Stadtrand einquartiert, bis ihm am Mittag des darauffolgenden Tages die rettende Idee gekommen war, da ihm das Schicksal ein weiteres Zeichen gesandt hatte; diesmal in Form eines Schildes: Kleingartenverein Wolfsgrund e.V. hatte in verspielter Schrift über dem Eingang geprangt. Sogleich war ihm aufgegangen, dass hinter dieser Hecke, die das Areal wie ein Bollwerk umgab, die Lösung seines Problems liegen würde.

So war er dem gekiesten Hauptweg gefolgt, vorbei an erschreckend gepflegten Gärten, auf denen Lauben, Pavillons oder richtige Häuschen standen. Er bog aufs Geratewohl ab und ließ sich von kleinen, verschlungenen Pfaden immer tiefer in die Urwaldhölle urbanen Spießertums führen, bis er zunehmend weniger Kleingärtner antraf, die Unkraut jäteten, Setzlinge pflanzten oder Triebe zurückschnitten. Zudem schienen die abgelegenen Grundstücke nachlässigeren Menschen zu gehören, denn einige waren regelrecht zugewuchert. Vor einer Bretterbude aus dunklem Holz blieb er stehen, da ihn das Häuschen wie magisch anzog. Er warf einen Blick zwischen den sauber gescheitelten Gardinen ins Innere und war begeistert. Für die nächste Nacht war das hier seins! Für die kommenden hatte er schon eine Alternative im Kopf, sofern es die Umstände erfordern würden. Er hebelte das Fenster mit einem eisernen Pflanzstab aus dem Blumenbeet auf, kletterte ins Innere und überprüfte die Räume. Wohnzimmer, Schlafzimmer, Klo. Perfekt! Zudem schien länger niemand hier gewesen zu sein. Neben den Dingen für den täglichen Bedarf gab es sogar einen Computer, selbst wenn dieser uralt war und sich nur über einen lahmen Prepaid-Router mit dem Internet verband. Doch es hatte gereicht, um nach dem Blogger zu suchen und via Chat mit ihm Kontakt aufzunehmen.

Nun, kauernd im Gebüsch, wurde er bei dem Gedanken an Marek, den Blogger mit dem unsäglichen Pseudonym Ghost­hunter-X, ziemlich nervös. Wieso tat sich da vorn nichts? War dieser Schlumpf doch mehr an paranormalem Mist interessiert als an einem Interview mit einer echten Berühmtheit? Oder hatte er den Schwanz eingezogen, weil ihm die Eier fehlten? Wenn dieser Spacko kniff, wäre sein Plan im Arsch.

Dorn spürte einen Druck in sich aufsteigen. Aus alter Gewohnheit biss er sich in den Arm. Registrierte das Knirschen der Haut, als die Zähne ins Fleisch sanken, und nahm die beruhigende Wirkung des Schmerzes wahr. Von den Hunderten, wenn nicht Tausenden Malen zuvor wusste er, dass die Haut das abkonnte und der Abdruck meist innerhalb von Minuten wieder verschwand. Und die Blutergüsse wären spätestens in zwei Wochen Geschichte. Als er seine Kaumuskulatur wieder entspannte, strömte ein wohliges Gefühl durch seinen Körper. Weniger, weil der Schmerz nachließ, sondern endlich die erhoffte Bewegung ins Bild kam. Auf Marek Mazur war also Verlass! Oder besser gesagt auf sein Geltungsbedürfnis, auf die menschliche Gier nach Anerkennung und Geld. Und was noch wichtiger war: Er selbst konnte sich auf seine Intuition verlassen. Denn er hatte mal wieder den goldenen Riecher gehabt.