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Etwa vierhundert Meter vom Flugzeughangar entfernt saß Markus Ritter mit seinem Team in einem schwarzen Personentransporter und starrte wie gebannt auf das Tablet, mit dem Jörg Heus sein Fluggerät steuerte. Der Drohnenpilot wirkte konzentriert wie ein Kind beim Bezwingen eines Computerspiel-Endgegners. Vor einer knappen Minute hatte er die Drohne senkrecht aufsteigen lassen, bis sie außer Hörweite war, und sie erst dann in Richtung Flugplatz gelenkt.

Ritter war heute angespannter als sonst. Wahrscheinlich, weil sie gleich zum zweiten Mal die Chance bekommen würden, den Aderlass-Mörder zu fassen. Wobei die erste Gelegenheit in Wahrheit gar keine gewesen war, und er nur in Bierlaune gerne darüber sprach. Denn im Hinblick auf die zugrunde liegende Polizeiarbeit war der Einsatz eine Lachnummer gewesen. Ein richtiges Debakel. Daher war seine Aufregung jetzt vermutlich mit der eines Großwildjägers zu vergleichen, der hier und heute die langersehnte Möglichkeit sah, den König der Big Five zu erlegen; wenngleich er für solche Idioten, die hinterhältig Tiere abknallten, kein Verständnis aufbrachte.

»Da!«, rief Heus. »Gesehen?«

»Was?« Ritters Kopf schnellte vor.

»Die Grundstücksgrenze. Hier, sehen Sie – Maschendraht.« Er deutete auf den Bildschirm.

Ritter gab ein beherrschtes Brummen von sich. Maschendraht … Toll … Offenbar war der Drohnenpilot so von der Qualität der Aufnahmen begeistert, dass ihm sein Fehlalarm nicht bewusst wurde. Allerdings, das musste Ritter zugeben, war die Begeisterung durchaus begründet, denn die Wärmebildkameras hatten in den letzten Jahren eine bahnbrechende Entwicklung durchgemacht. Natürlich waren die Kontraste nach wie vor hart, im Grunde wie bei überbelichteten Schwarz-Weiß-Fotos, aber sie waren so scharf, dass man selbst Äste und Zweige abgrenzen konnte. Vor zwei oder drei Jahren hatten Bäume auf den graustufigen Bildern noch ausgesehen wie verschwommene Brokkoliköpfe, während sie heute die Maschen des Zauns erkennen konnten, der seit Kurzem Teile des Areals umfasste.

»Soweit ich weiß, hat das Gelände neulich einen Käufer gefunden«, sagte Heus.

»Ja, ich weiß«, gab Ritter knapp zurück und hoffte insgeheim, dass Heus endlich die Klappe hielt.

»Aber viel hat sich seitdem offenbar nicht getan, wenn ich mir das hier angucke«, fuhr Heus dennoch fort. »Erscheint mir immer noch wie ein Lost Place.« Er deutete auf den Bildschirm. »Hier sehen Sie eines der Nebengebäude, die von den Alliierten im Zweiten Weltkrieg niedergebombt wurden. Der Hangar selbst, den wir gleich sehen müssten, steht noch, ist aber einsturzgefährdet. Wussten Sie eigentlich, dass …«

»Können wir uns für den Moment mal nur auf potenzielle Ziele konzentrieren?«, fragte Ritter höflich, aber bestimmt.

»Ja klar«, erwiderte Heus und verkniff sich einen weiteren Kommentar, obwohl nun der Hangar ins Bild rückte.

Stirnrunzelnd betrachtete Ritter den Bildschirm. Kein einziger Hotspot. Er sah auf die Uhr. Ein paar Minuten hatten sie aber noch. Falls dieses Treffen pünktlich stattfand, jedoch noch niemand vor Ort war, müsste sich so langsam mal jemand nähern.

»Fliegen Sie mal etwas höher«, bat Ritter, »dann haben wir mehr Übersicht.«

»Mehr Übersicht«, wiederholte Heus und spreizte zwei Finger auf dem Display, woraufhin ein größerer Ausschnitt der Umgebung um den Hangar erschien.

»Da!«, diesmal war es Ritter, der ausrief.

Auch Heus hatte es gesehen. Er zoomte ein Stückchen heraus, sodass sich der weiße Fleck am Bildrand vergrößerte und in die gut erkennbare Form eines Kleinwagens verwandelte. Motorhaube und Windschutzscheibe leuchteten aufgrund abstrahlender Wärme heller. Demnach musste das Auto kürzlich bewegt worden sein. Allerdings ließ sich kein Fahrer erkennen.

»Von der Form des Wagens könnte es sich um den Peugeot dieses Bloggers handeln«, bemerkte Ritter.

»Aber wo ist er?«, fragte Guldan, der ihm über die Schulter sah.

»Er könnte im Fahrzeug sitzen«, erklärte Heus. »Das Blechdach gibt die Wärme aus dem Innenraum so gleichmäßig an die Umgebung ab, dass sich eine Person im Wagen selbst nicht zwingend abgrenzen lässt. Aber er könnte auch im Hangar sein, da dessen Dach die Infrarotstrahlung abschirmt.«

»Wenn das so ist«, sagte Ritter, »dann richten Sie Ihren Fiffy doch mal so aus, dass wir das Fahrzeug mitsamt Hangar sowie ein gutes Stück der Peripherie auf dem Schirm haben.«

»Fiffy …«, murmelte Heus, vergaß seinen Unmut aber, als sich eine gleißend helle Silhouette vom Fahrzeugumriss löste und zögerlich auf den Hangar zubewegte.