Auf dem Flur begegnete Fuchs Barrakuda-Röhm. Dem gehetzten Blick nach, den er ihm zuwarf, war er wohl auf dem Weg zu Lara. Joachim entschied, sich einen Spaß daraus zu machen. Schon Laras Gesicht eben war zu komisch gewesen.
Er wies mit dem Daumen über die Schulter. »Sie ist in ihrem Büro. Erwartet dich schon.«
Röhm sah ihn an, doch seine Miene spiegelte etwas anderes als die erhoffte Verlegenheit.
»Ich wollte eigentlich zu dir«, sagte Röhm und wirkte beinah zerknirscht.
Joachim sah auf die Uhr. »Eigentlich muss ich ja los.«
Röhm nickte schmallippig. »Okay. Ich dachte nur, es sei vielleicht wichtig …«
»Was denn?«, fragte Fuchs, den Röhm mit diesem Teaser am Haken hatte.
Christian neigte den Kopf. »Lass uns kurz zu mir gehen. Dauert auch nicht lange.«
Fuchs folgte ihm. Beim Betreten des Büros seines Vorgesetzten beschlich ihn ein ungutes Gefühl. Hatte Röhm etwa spitzgekriegt, dass er heimlich in seinem Büro gewesen war und in seinen Aufzeichnungen gewühlt hatte. Was, wenn er eine Nanny-Cam besaß und ihn jetzt mit den Aufnahmen konfrontieren würde?
Der Erste Hauptkommissar bot ihm einen Platz vor seinem pedantisch aufgeräumten Schreibtisch an.
Joachim blieb stehen. »Danke, aber ich habe wirklich keine Zeit.«
»Verstehe. Also gut … Ich dachte, dass dir das, was ich zu sagen habe, vielleicht ein wenig von der Last abnimmt, die du vermutlich seit … ähm … neulich mit dir herumschleppst.«
Joachim atmete innerlich auf. Es ging also nicht um seinen nächtlichen Einbruch. »Da bin ich jetzt aber gespannt.«
»Ja. Das könnte dich aber echt umhauen. Also sag später nicht, ich hätte dir keinen Platz angeboten.« Verkrampftes Lächeln. »Jedenfalls ist die Sache so brandaktuell, dass bisher kaum jemand davon weiß.«
»Okay …« Jetzt war Joachim wirklich gespannt.
»Während ihr am Bahnhof wart«, fuhr Röhm fort, »war auch meine Wenigkeit nicht ganz untätig. Du hast vielleicht mitbekommen, dass zwischenzeitlich der Kardiologe deiner Ex-Frau in den Fokus geraten ist, weil mir sein Verhalten während der Befragung seltsam erschienen war.«
Joachim versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Vor allem, da er die wahre Version der Ereignisse durch Lara kannte.
»Jedenfalls hat mir das keine Ruhe gelassen«, erklärte Röhm. Sein Augenlid zuckte nervös. »Gerade auch, da wir spurentechnisch keinerlei Beweise für Dorns Täterschaft am Tatort finden konnten … Er müsste demnach extrem sauber gearbeitet haben, was unter den gegebenen Umständen keinen Sinn machen würde – erst recht nicht, wenn es um einen Racheakt ginge. Da hätte ich noch eher eine Nachricht wie bei Frau Wuest erwartet. Daher bin ich später noch mal zu dem Arzt gefahren. Vorgeblich, um mir die EKG-Befunde zu holen, vor allem aber, um an seine Fingerabdrücke zu kommen, ohne gleich eine offizielle Sache daraus zu machen.«
Fuchs fielen fast die Augen raus, was Röhm zu amüsieren schien. Er wedelte mit den Händen wie ein Showmaster, der den Applaus kappt. »Aber ich mache es kurz, schließlich bist du in Eile.«
»Moment, Moment …«, Fuchs schüttelte ungläubig den Kopf, »… nur, dass ich das richtig verstehe – du hast jemandem heimlich Fingerabdrücke abgeluchst und diese inoffiziell auswerten lassen?«
»Nun ja …« Verlegenes Lächeln. »Am Ende habe ich ihn natürlich offiziell vorgeladen, um Abdrücke zu nehmen – obwohl ich das Ergebnis da bereits kannte. Aber davor habe ich ein wenig getrickst und ihm einen Kugelschreiber mit einem Plastikklemmbrett gereicht, auf dem er irgendein überflüssiges Formular ausfüllen sollte. Zunächst einmal hat er mit rechts geschrieben, was, zugegeben, zwar nur ein kleines Indiz ist, doch die Auswertung der Abdrücke im Anschluss hat tatsächlich einen Treffer ergeben.« Weil Joachim die Zusammenhänge offenkundig noch nicht verstand, fügte Christian hinzu: »Da er deiner Ex-Frau ja diesen Rekorder umgehängt hat, gälte er im Grunde als berechtigter Spurenleger. Der Punkt ist aber, dass wir auf ihrer Leiche einen hauchzarten Fingerabdruck aus Blutrückständen gefunden haben – ihrem Blut –, und der stimmt in zwölf Minutien mit seinem überein.«
Fuchs spürte, wie ihm alle Farbe aus dem Gesicht wich. Ließ sich nun doch auf den Stuhl sinken. »Aber warum sollte ihr Arzt …?«
»Das wissen wir noch nicht, Joachim. Wir gehen von einem Eifersuchtsmotiv aus. Er scheint zudem seine Nummer sowie sämtliche Chatverläufe mit Claudine von ihrem Handy gelöscht zu haben, um den Beweis für ihre private Verbindung zu verschleiern.«
»Kann er ihr nicht Blut in der Praxis abgenommen haben, welches dann beim Anbringen des Rekorders auf ihrer Haut gelandet ist?«, überlegte Joachim laut, dem diese Wendung einfach nicht in den Kopf ging. Allein schon, weil er Dorn nicht exkulpieren wollte.
»Theoretisch schon. Aber er hat ihr an diesem Tag kein Blut abgenommen, sondern nur diesen Apparat umgehängt. Somit gehen wir davon aus, dass er sie unmittelbar nach Zufügen der Verletzungen oder post mortem berührt hat. Von der Lage des Abdrucks her könnte er sie mit der Hand am Hals gepackt haben, um sie während ihres Todeskampfs in Schach zu halten. Gewürgt wurde sie laut Autopsiebericht jedoch nicht. Aber es gab noch einen weiteren Abdruck von ihm, und zwar außen auf der Türklinke des Hauses, womit bewiesen wäre, dass er vor Ort war. Allerdings wollte er sich nicht weiter dazu äußern, sondern hat stattdessen auf einem Anwalt bestanden. Seither schweigt er beharrlich. Davor stritt er natürlich alles ab, hatte sich aber da schon in ein paar ordentlichen Widersprüchen verheddert. Ich könnte mir vorstellen, dass er im Laufe der Nacht einknickt. Erst recht, wenn wir ihn mit dem Blut in seinem Wagen konfrontieren. Denn wie mir eben von der KTU mitgeteilt wurde, sieht sein Lenkrad beim Luminol-Test aus wie eins dieser Leuchthalsbänder für Hunde.«
Röhm, der bemerkte, wie Joachim auf seinem Stuhl zusammensank, trat hinter ihn und tätschelte ungelenk seine Schulter. »Ich dachte mir, dass es deinem Seelenfrieden dienen könnte, wenn du erfährst, dass nicht Dorn für Claudines Tod verantwortlich war und somit auch dein unfreiwilliges Interview mit Mahasti nicht dazu beigetragen hat. Und falls ich diesbezüglich während der Teamsitzung etwas unsensibel war … tut es mir leid.«
Fuchs spürte Druck hinter den Augen, versuchte, mühsam die Tränen fortzublinzeln, doch es waren zu viele Knoten, die sich lösten. Allem voran seine Schuldgefühle, Verantwortung für Claudines Tod zu tragen, selbst wenn es nur ein Fünkchen gewesen wäre. Dann diese bohrende Frage, was Benjamin verheimlichte … Dass er auch nur im Ansatz hatte denken können, dass sein eigener Sohn auf irgendeine absurde Weise in die Tat verwickelt sei. Und zu guter Letzt die Tatsache, dass dies mit Abstand das Netteste war, was Röhm je für ihn getan hatte. Womöglich war er doch kein so übler Kerl. Wären Joachims Augen trocken gewesen, er hätte Christian umarmt. Stattdessen blieb er sitzen und rang mit seinen Emotionen. Röhm schien die Situation korrekt einzuschätzen, denn er drückte seine Schulter, teilte ihm mit, dass auch er nun losmüsse, da er und Lara noch einen Auftrag zu erledigen hätten.
»Du findest ja allein raus«, sagte Christian Röhm zum Abschied, während er seine Jacke von der Garderobe nahm. »Sag einfach der Putzfrau, sie soll abschließen.«