Landmanns Laune war zehn Stockwerke unter dem Erdboden, obwohl er die Neuigkeit noch nicht kannte. Er hatte drei lange Schichten hinter sich, in denen er auf eine Schlagersängerin aufgepasst und dabei auf den gesamten Aufpassertrupp aufgepasst hatte. Viele tausende Menschen von acht bis achtundachtzig waren bereit, alles dafür zu tun, um den Superstar zu treffen und anzufassen, um sie dann zu heiraten und glücklich zu machen und an ihrem Glück teilzuhaben, und außerdem wild und fest entschlossen, ihre Reichtümer aus allen Fenstern ihrer Villen und Wohnungen zu werfen. Ihre Konzerte glichen einem Aufruhr, dessen Ziel ihre Erledigung war.
Besonders hart hatte ihn die Anweisung getroffen, sich nicht die geringste Unfreundlichkeit oder ein zweideutiges Wort zu erlauben. Es ging um sehr viel Geld und Folgeaufträge, und wenn er es vermasselte, würde man ihn im Eingangsbereich der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau an die Wand hängen für den Rest seiner Tage … Maximum-Hardcore-Schutzmaßnahmen für eine »debile Barbiepuppe, dafür bin ich nicht aus dem Bullenverein ausgetreten«.
Den vorsichtigen Einwand, dass es Schlimmeres gab, ließ er aus einem einfachen Grund nicht gelten: Es gab nichts Schlimmeres.
»Wir sind eigentlich nur noch mit so dämlichen Jobs beschäftigt«, sagte er, »jeder miese Söldner hat’s besser, wenn du mich fragst.«
Was ist ein Söldner? Er kämpft nur für den Sold, nur für Geld, für welche Sache ist ihm egal. Das tut ihr nicht?
Sie saßen nicht zehn, sondern nur drei Stockwerke unter der Erde in ihrem Schießbunker. Sie hatten lustlos und nur kurz trainiert (Männer, die es nicht mehr nötig hatten) und saßen jetzt an der kleinen Theke und rauchten, obwohl Rauchen verboten war, während Theresa richtig trainierte. Ein guter Ort, um sich mit dem beruhigenden Gefühl zu unterhalten, dass man in absoluter Sicherheit auspacken konnte, weil kein Wort zu verstehen war, wenn man sich nur einen Meter von ihren Zahnreihen entfernt aufhielt.
»Ich möchte mich nicht als dein Bankberater aufspielen«, sagte Fallner, »aber deine Jobs haben zum Teil auch damit zu tun, dass du anscheinend immer pleite bist und deshalb alles mitmachst. Man könnte auf die Idee kommen, dass du ein ziemlich untalentierter Jude bist.«
Ein Alarmsignal: Landmann reagierte nicht. Er hätte sagen können, dass er nicht die Privilegien des Bruders vom Chef hatte, der offensichtlich tun und lassen konnte, was er wollte, und sogar die Klappe so weit aufreißen, dass ein dicker Arsch drin Platz hatte.
»Außerdem haben wir noch einen Job, der etwas anspruchsvoller ist, falls du dich erinnern kannst«, sagte Fallner. »Wenn wir Pech haben, gehen wir dabei drauf. Spannende Sache, genau dein Ding.«
»Diese Warterei wird mich umbringen, sonst nichts. Und wenn noch ein Funken Leben in mir drin sein sollte, dann werden mir deine blöden Sprüche den Rest geben.«
»Es gibt Neuigkeiten, die dir garantiert gefallen werden, du kommst nicht drauf.«
»Es gibt Neuigkeiten, die dir nicht gefallen werden, und du kommst auch nicht drauf.«
Fallner fragte sich einmal mehr, ob er sich über Landmanns Lebensumstände endlich genauer informieren sollte. Bei der Ausbildung hatten sie ihnen eingetrichtert, dass ein stabiles gutes Umfeld wichtig war, wenn man in diesem Beruf ohne psychischen Schaden überleben wollte. Landmann machte den Eindruck, als könnte er das Geld für einen Haufen Kinder und zwei Ex-Frauen nicht mehr auftreiben.
Fallner zeigte ihm das Foto des Polizisten, der ihre Party gesprengt und ihr Büro inspiziert hatte. Und fing die Erläuterung damit an, dass der nette junge Mann spezielle politische Interessen hatte: Er war vor etwa zehn Jahren Mitglied einer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit der Bereitschaftspolizei gewesen, in der außerdem, sozusagen gut abgedeckt, eine Ku-Klux-Klan-Sektion existierte, die sich am amerikanischen Vorbild orientierte. Er war dann degradiert und noch weiter runter in den Süden versetzt worden. Die Frage, ob er sich inzwischen nur noch für ökologische Themen interessierte, könne niemand beantworten.
»Diese Arschlöcher, die alle Judenschweine und Nigger ausrotten wollen, ändern sich nie«, sagte Landmann.
Die Sache war damals aufgedeckt worden, nachdem diese Polizistin erschossen worden war, angeblich eine Aktion dieser Nazi-Terrorgruppe, um Waffen zu beschaffen. Offizieller Standpunkt: Sie und ihr schwer verletzter Kollege waren Zufallsopfer. Inoffizieller Standpunkt von Ermittlern und Mitgliedern von Untersuchungsausschüssen und Experten: Dahinter steckt möglicherweise mehr als ein Anschlag von diesen Nazis. Aber es wurde nicht untersucht, keine Beweise, jedoch eine Menge Hinweise, dass da irgendwas nicht stimmte.
»Was auffällt«, sagte er, »starkes Abwehrverhalten von Verfassungsschutz und anderen übergeordneten Behörden, um nicht zu sagen: Behinderung der Ermittlungen oder sogar Vertuschung.«
Theresa ballerte immer weiter, hatte aber mitbekommen, dass sich ihr Gespräch in eine sachliche Richtung verändert hatte.
Fallner mit mehr Details zur Klan-Sache in diesem Komplex: Der ihnen jetzt bekannte Polizist war ein Kollege der ermordeten Polizistin, die als Mitglied dieser BF-Einheit auch als Nicht-offen-ermittelnde-Polizistin tätig war, zum Beispiel als Drogenkäuferin. Und nicht nur ein weiterer ihrer Kollegen war ebenfalls Klan-Mitglied, sondern auch der Gruppenführer ihrer Einheit, und zusätzlich gab es einen Kollegen, dessen Bruder in dieser deutschen Klan-Gruppe als Sicherheitschef fungierte. Erste Zusammenfassung: Die ermordete Polizistin hatte drei Klan-Kollegen plus einen mindestens dem Klan nahestehenden Kollegen.
Und langsam würde es sogar wirklich interessant werden, behauptete Fallner (der sich außerdem darauf konzentrierte, nicht aus Versehen Jaqueline als Informationsquelle zu erwähnen): In diesem Klan-Netz waren nämlich außerdem drei V-Leute des VS am Start, weswegen man auf die irre Idee kommen könnte, dass deshalb keine Gefahr von diesem Klan-Verein ausging, und einer von ihnen hatte diese Klan-Abteilung aufgebaut, weswegen man auf die irre Idee kommen könnte, dass dieser Klan-Scheiß nur eine Falle war, um Rassisten einzusammeln, allerdings nur, falls man der irren Ansicht war, dem Verfassungsschutzverein vertrauen zu können.
»Kannste den Nazischeiß vielleicht mal etwas klarer strukturiert erklären«, sagte Landmann.
»Kann ich nicht«, sagte Fallner, »du musst einfach konzentriert zuhören. Ich werde es später auf einem Schaubild für alle genau aufzeigen.«
»Mir kommen die Tränen.«
Fortsetzung: Das waren die Fakten, die man den Berichten der Untersuchungsausschüsse entnehmen konnte. Und der V-Mann und Mitbegründer der Klan-Truppe hatte ausgesagt, dass so viele Polizisten am Klan interessiert waren, dass er eine Klan-Polizeieinheit hätte einrichten können. Frage zwischendurch: Wusste die ermordete Polizistin von den Klan-Leuten in ihrer Truppe? Wusste man nicht.
Fortsetzung: Sie kam aus dem ostdeutschen Thüringen, aus dem die Nazi-Terrorgruppe kam, und es gab Verbindungen von den baden-württembergischen Klan-Leuten zu diesen Nazis, und sie kannte aus ihrer Jugend Nazis, die sich dann in diesen Verbindungen bewegten. Es gab da eine Menge Verbindungen, denen man nicht genauer nachgegangen war. Fakten, echt jetzt, das waren Fakten – die Schlussfolgerungen waren jedoch Spekulationen, Möglichkeiten, Verdachtsmomente oder, das war nicht ausgeschlossen, Verschwörungstheorien.
»Jedenfalls ist dieser Typ bei uns aufgetaucht«, sagte Fallner, »und keine Sau weiß, ob er einfach nur ein Straßenkollege ist oder eine neue Klan-Gruppe aufbaut. Natürlich nur im Namen der speziellen Freunde unserer freiheitlichen Grundordnung. Die dann die Akten schreddern, falls einer der Typen den Befehl ausgeführt hat, dich zu erschießen, weil er den berechtigten Eindruck haben musste, dass du an einem Comeback der jüdischen Weltherrschaft arbeitest und deshalb unseren Staat in die Luft jagen wolltest.«
Theresa war jetzt stärker in Bewegung, sie ging in die Hocke und schoss in dem Moment, wenn sie auf und zur Seite sprang, und schoss wieder, wenn sie sich fallen ließ, um dann wieder in die Hocke zu gehen und weiterzuschießen. Ihr dunkelblaues Hemd hatte mehr feuchte als trockene Flecken.
»Ich weiß es zu schätzen, dass du dir Gedanken machst«, sagte Landmann, »aber hast du wirklich gedacht, dass ich diesen ganzen Scheiß nicht kenne? Hast du gedacht, dass ich über Klan-Aktivitäten im neogermanischen Reich nicht informiert bin? Wofür hältst du mich, für einen dieser Schwachköpfe, die die andere Wange hinhalten?«
»Keine Ahnung«, sagte Fallner, »aber ich hatte nicht den Eindruck, dass du an jüngerer Polizeigeschichte interessiert bist.«
»Ich möchte ergänzen«, sagte Landmann, »es gibt noch ein hübsches Detail, dem auch nicht weiter nachgegangen wurde: Der Onkel der ermordeten Polizistin Michelle war ebenfalls Polizist, Staatsschutz, exakt in dem Bereich zuständig für Rechtsextremismus, aus dem diese Nazi-Killer kamen, und seine damalige Lebensgefährtin steckte in der Naziszene und ist heute mit einem Nazi verheiratet. Und es gibt Aussagen, dass sich die erschossene Polizistin aufgrund dieser Verstrickungen wenige Monate vor ihrer Ermordung mit ihrem Onkel zerstritten hat. Man weiß nicht, ob das ’ne Rolle spielt, aber die Superbullen sind diesen Spuren nicht nachgegangen, sie haben nicht viele Fragen gestellt, das ist mal sicher. Ich zitiere einen ehemaligen hohen Beamten und Spezialisten, der es nicht mehr nötig hat, irgendwelchen Oberchefs in den Arsch zu kriechen: Wenn man den Mord an dieser Polizistin im Gegensatz zu den offiziellen Ergebnissen als ungeklärt bezeichnet, wofür es viele und gute Gründe gibt, dann muss das gesamte Verfahren gegen die Nazi-Terrorgruppe neu aufgerollt werden.«
»Und das wäre eine Katastrophe«, sagte Fallner.
»Und das wäre eine Katastrophe«, sagte Landmann, »und es könnte Tote geben.«
»Und wir haben noch nicht mal von den toten Zeugen gesprochen, die es bisher gegeben hat.«
»Ich melde mich ab. Treffen der jüdischen Weltverschwörung.«
»Du wolltest vorhin was sagen.«
»Nicht viel mehr als das, was du gesagt hast – mit der Ergänzung, dass ich glaube, dass wir einen Spitzel unter uns haben. Und ich meine damit nicht die Polizeikontakte, die wir alle haben, sondern Informationen, die weiß Gott wohin rausgehen.«
In seinem Gesicht keine Spur davon, dass er es nicht ernst meinte. Landmann spielte nur mit allen zehn Fingern, die er auf dem Tisch liegen hatte, wie Zeugen, die versuchten, in Deckung zu gehen – als eine Glock17 direkt neben den zehn Fingern auf den Tisch knallte.
»Der Spitzel bin ich«, sagte Theresa.
»Sie lügt«, sagte Fallner, »sie will mich nur schützen.«
»Ihr werdet schon sehen«, sagte Landmann, »ihr werdet noch an mich denken.«