Kapitel Neun

Damals

F ünf Minuten lang standen wir einfach nur stocksteif da. Die eiskalte Luft in der Scheune biss mir bis ins Mark. Mein Gesicht pochte. Der Ort stank nach dem Blut, das sich um die Leiche herum angesammelt hatte. Ein weiterer Fleck, der sich all den anderen gesellte, nur dass es jetzt seiner war.

Ich ächzte unter Schmerzen und wartete, überzeugt davon, dass er sich wie ein Zombie aus dem Beton erheben würde. Jedes Mal, wenn die Scheune knarrte, zuckte ich zusammen und erwartete, dass seine Gliedmaßen zuckten. Doch sie taten es nicht. Ich hielt Maddie dicht an meiner Seite, eine Hand lag schützend auf ihrem weichen Haar.

"Wie ist dein Nachname, mein Schatz?", fragte ich.

"McKenna." Ihr Gesicht neigte sich nach oben, das schwache Licht prallte an der Spitze ihrer Knollennase ab. "Gehen wir jetzt von hier weg?"

Ich beugte mich herunter, so dass wir auf gleicher Höhe waren. "Nun, als erstes rufen wir die Polizei an. Oder wir fahren zur nächsten Polizeistation."

"Okay", sagte sie.

Zum ersten Mal seit etwa achtundvierzig Stunden schwang ich das Scheunentor auf. Aber kaum hatte ich einen Fuß nach draußen gesetzt, blieb ich stehen. Ein Schneesturm hatte fast einen halben Meter Schnee über die Landschaft gelegt. Wir stapften hinaus und rutschten auf den matschigen Stellen aus, die bereits von Peters Stiefeln abgenutzt waren.

Maddie schwang die Tür des Bauernhauses auf und hatte Freude daran, mich herumzuführen. Ich hielt meinen Körper fest umschlungen und wurde mir bewusst, dass das schwindende Adrenalin nun erlaubte, all den Schmerz zu spüren, den ich verdrängt hatte. Mein Gesicht, meine Rippen und mein Hals - alle Körperstellen, die er berührt hatte - brannten, wie Fleisch, das in eine heiße Pfanne gefallen war. Ich begann zu husten, was durch meinen Körper rasselte und die brennenden Wunden nur noch mehr verärgerte.

"Kannst du mir zeigen, wo das Telefon ist?", fragte ich. Ich beugte meine gute Hand und spürte das Gewicht der Handschellen um mein Handgelenk. Hätte ich klar denken können, hätte ich McKennas Körper nach den Schlüsseln durchsucht.

Dann richtete sich meine Aufmerksamkeit auf das Haus. Ich war mir nicht sicher, was ich vom Haus eines Serienmörders erwartet hatte, aber es war sicher nicht dieses kitschige Bauernhaus im Shabby-Chic-Stil. Offensichtlich hatte er es seit dem Tod seiner Mutter nicht mehr renoviert, aber er hatte es ordentlich gehalten. Ich nahm an, dass das für einen Mann, mit einem gut durchdachten Plan, mich zu entführen und zu ermorden, durchaus Sinn machte. Dann fragte ich mich, wo all die Leichen versteckt waren. Auch dafür würde er einen Plan gehabt haben. Würde die Polizei sie jemals finden? Ein Gefühl von Verantwortung traf mich. Meine Stimme könnte den Familien, die ihre Kinder vermissen, einen Abschluss bringen.

"Papa hat ein Telefon", sagte sie.

"Habt ihr eins im Haus?"

Sie blinzelte, ohne zu verstehen. Aus ihrer Reaktion schloss ich, dass McKenna ein Handy hatte, aber kein Haustelefon.

Dann erinnerte ich mich an das Handy, das ich während des Laufs in meiner Jackentasche hatte. "Was hat dein Papa mit meinen Sachen gemacht?"

Sie nahm meine Hand und führte mich die Treppe hinauf, die an altmodischen, holzgetäfelten Wänden mit einer Sockelleiste entlangführte. Über dem Geländer sah ich Fotos einer Familie, und es dauerte einen Moment, bis ich erkannte, dass es sich um Peter McKenna mit seinen Eltern handelte. Peter war auf den Fotos nie älter als etwa zehn Jahre und stand immer vor seiner Mutter, die ihre breiten Hände auf seine Schultern gelegt hatte. Ich sah nichts weiter als eine ganz normale Familie, die posierte und lächelte. Ich blieb stehen und starrte auf ein Foto, das vor dem Bauernhaus aufgenommen worden war, auf der Suche nach Hinweisen, aber ich war mir nicht sicher, welche. Ich neigte mich dem Porträt dieser Frau zu und versuchte, Hinweise auf Bosheit zu finden. Aber sie erinnerte mich an viele Frauen, die ich in den frühen Neunzigern auf Fotos. Sie hatte weiches, flauschiges Haar über einem runden Gesicht und eine Brille mit Plastikrahmen um die Augen. Ihre rosa geschminkten Lippen waren so weit geöffnet, dass man ihre Zähne sehen konnte.

Doch mir fielen zwei seltsame Dinge an Frau McKenna auf. Ihr fehlte der kleine Finger an der rechten Hand, und in der Mitte ihrer linken Hand war eine Narbe.

"Das ist Oma", sagte Maddie und zeigte auf sie.

"Ich weiß, Süße. Kanntest du sie?"

Maddie schüttelte den Kopf. "Nein. Papa hat gesagt, sie ist gestorben."

"Weißt du etwas über ihre Hand? Da hat sie ein Aua."

Maddie nickte, so ernst wie ein Bestattungsunternehmer. "Wie das, was Papa mit den Frauen macht."

"Der Nagel?"

"Ja. Und diesen Finger auch." Maddie tippte mit ihrem Zeigefinger auf Oma McKennas Hand.

Ich erschauderte und fragte mich, wer das Peters Mutter angetan hatte. Sicherlich war Peter zu jung, da er auf dem Foto noch ein Kind war. Es musste jemand sein, der mit der Mutter verwandt war oder ihr nahe stand. Vielleicht Peters Vater oder seine Großeltern. Vielleicht hatte Peter es gesehen oder Peters Mutter hatte den Vorgang bei ihrem Sohn wiederholt. Ich wollte nicht länger darüber nachdenken.

"Lass uns das Handy suchen", sagte ich und ging weiter, bevor ich die Beherrschung verlor.

Maddie schlenderte durch das Haus und brachte mich zu einem Schlafzimmer am Ende des Flurs. Inzwischen pochte mein ganzer Körper vor Schmerz. Ich stolperte, bückte mich und zitterte. Sobald ich die Polizei gerufen hatte, musste ich mich umziehen und die Heizung im Haus anmachen, oder besser noch, ein Feuer machen. Sie öffnete die Tür und wies mit einer Geste auf ein Kleiderbündel, das auf einem ordentlich gemachten Bett lag. Mein Handy lag dort auf meiner zerknitterten Jacke. Ich schnappte es mir und versuchte, den Bildschirm zu entsperren, aber es war tot. Natürlich war es das. Ich war seit Tagen hier und war mit einem Akkustand von dreißig Prozent aus dem Haus gegangen.

"Scheiße." Ich suchte in den Taschen meiner Jacke nach meinen Schlüsseln, aber sie waren weg. "Weißt du, was dein Papa mit meinen Autoschlüsseln gemacht hat?"

"Er ist damit gefahren", sagte sie.

Also ist er mein Auto wohl losgeworden. Ich hatte mich schon gefragt, ob es jemand finden würde. Inzwischen musste doch eine Suche stattfinden. Das Problem war, dass niemand von meinen Alleingängen hier oben wusste. Nicht mein Ex. Nicht meine Eltern. Niemand. Sie würden in der näheren Umgebung suchen, nicht hier draußen, mitten im Nirgendwo. Ich hatte gehofft, dass die Polizei mein Auto auf dem Weg ins Moor verfolgen könnte, aber die Landschaft war nicht gerade ein Hotspot für Videoüberwachung.

"Okay, egal. Weißt du, wo dein Papa sein Handy aufbewahrt?"

"In seiner Jeans", sagte sie und tippte in die Tasche ihrer eigenen.

"Die, die er gerade trägt?", fragte ich.

Sie nickte enthusiastisch.

Mein Herz sank. Ich wollte nicht dorthin zurückkehren. Der Gedanke, diesen Mann wiederzusehen, obwohl ich wusste, dass er tot war, erfüllte mich mit einem Schrecken, der mich noch viele Jahre lang nachts aufwecken würde. Ich hatte noch nie das Gefühl von krabbelnder Haut erlebt, nicht wirklich, aber jetzt prüfte ich meine Arme und Beine, um sicherzugehen, dass sich keine Kakerlake unter mein Fleisch gegraben hatte.

"Was ist mit einem Auto? Hat Papa eins?"

"Ja."

"Weißt du, wo die Schlüssel sind?"

Sie zuckte mit den Schultern.

Ich vermutete, dass sie entweder in der Küche oder auf Peters Leiche waren. Auf jeden Fall war ich zu schwach, um zu fahren, und wir müssten sowieso zuerst den Schnee wegschaufeln.

"Lass uns erst einmal aufwärmen, okay?"

Sie sah mich mit einem offenen Gesicht an, so vertrauensvoll und süß. Ich fragte mich, wie lange es her war, dass sie mit einer Frau zusammen war, die nicht von ihrem Vater gequält wurde. Sie hob ihre Hand zu meiner, als ob sie wollte, dass ich sie wieder hielt, und ich nahm sie sanft und führte sie zur Tür. Doch bevor wir gingen, warf ich noch einen Blick auf das ganze Zimmer. Ich war so auf meine Kleidung fokussiert gewesen, dass ich den Rest des Raumes ignoriert hatte.

"Oh mein Gott", murmelte ich.

Überall waren ordentlich gefaltete Stapel von Frauenkleidern in Plastikbehältern. Ich sah hochhackige Schuhe, Wanderschuhe und Turnschuhe. Es musste ein halbes Dutzend Stapel sein, jeder in seiner eigenen Aufbewahrungsbox. Ich hielt mir eine Hand vor den Mund und biss auf meinen Finger, um zu verhindern, dass mir die Galle hochkam. Sie hatten es nicht raus geschafft. Sie waren verschwunden.

"Komm schon", sagte ich mit zitternder Stimme. "Lass uns ein Feuer machen und uns aufwärmen. Dann können wir versuchen, ein Ladegerät zu finden, oder... oder das Telefon deines Vaters."

"Cool!", sagte Maddie strahlend und drückte meine Hand.