Wenn aus unserer Familie jemand leere Flaschen wegbringen soll, dann bin ich das. Aufgrund meines ostdeutschen Migrationshintergrundes wird mir notorisch unterstellt, dass ich schon am Geräusch Einweg- von Mehrwegflaschen unterscheiden kann. Aber so ist es nicht.
Und darum erhebe ich als offizieller Leergutbeauftragter unserer Familie nun laut klagend meine Stimme, weil ich jeden Tag aufs Neue, jeden Tag mehr, und zwar beim Pfandflaschen-Wegbringen, merke, dass in unserem Land etwas fundamental falsch läuft! Ich mache mir so meine Gedanken. Über Death Metal beispielsweise. Diese Spielart des Heavy Metal besteht nicht nur aus satten Gitarrenbrettern und intensiv geprügelten Schlagzeuggewittern, sondern vor allem aus vom Sänger geführten Selbstgesprächen in grunzender Lautsprache.
Der Gesang beim Death Metal ist ein sprachlicher Cocktail aus Flüchen, wie man sie ausstößt, wenn man morgens leicht verkatert in einem Hotel unter der Dusche steht, genauer in einem Designhotel, und nach dem Einseifen an dem Ding, das eine Mischbatterie sein soll, an dieser verfluchten scheiß Kunstinstallation von Grohe, mit schmierigen Seifenfingern erfolglos den Wasserhahn sucht, während der Seifenschaum aushärtet und zu jucken beginnt. Der zweite Bestandteil des satanistischen Death-Metal-Gesangs ist das Stöhnen eines Saunagängers beim einhundertachtzig Grad heißen Aufguss.
Seit Kurzem gibt es noch eine härtere Spielart des Death Metals, sie heißt Angry Empty Bottle Death Metal. Kreiert wurde dieser Stil in der Schlange von mir, an einem deutschen Pfandflaschenautomaten, und zwar von einem Familienvater, der versuchte, den Recycling-Anforderungen gerecht zu werden, die die Gesellschaft an ihn stellt, und daran scheiterte.
Dieser magische Moment der Musikgeschichte spielte sich ab am Pfandflaschenautomaten im »LPG«-Biomarkt. Besagter Familienvater rülpste bis dato noch nie von menschlichen Ohren vernommene, tiefdunkle Verwünschungen direkt in den Pfandflaschenautomat, dieses MRT für Leergut, hinein:
»Warum werde ich diese leere Bio-Apfelsaft-Flasche hier nicht los? Es ist verflucht noch mal die gleiche Apfelsaftflasche wie die, die es hier bei der LPG gibt. Nur habe ich sie drüben bei Denn’s gekauft. Oder um die Ecke bei Bioland, was weiß ich? Aber ist das nicht egal? Es ist in Form, Farbe und Gewicht DIE deutsche DIN-Fruchtsaftflasche. Diese Fruchtsaftflasche aus deutschem Glasbaustein ist im ganzen Land bekannt. In Flensburg, in Oberammergau, in Bautzen und in Düsseldorf. Überall wird deutscher Saft in dieser deutschen Saftflasche verkauft. Jeder kennt diese Pulle, nur diese brunzdumme doofe Kiste vor mir nicht? Diese Flasche ist die deutsche Einheit. Sie sollte Kanzlerin sein, denn diese Flasche ist transparent, man kann sie aussaugen, man kann sie mit eigenen Inhalten füllen und wenn man ihrer überdrüssig ist, kann man sie zurückgeben und bekommt sein Geld wieder. Gibt es irgendeine Politpfeife, mit der man das Gleiche tun kann? Diese Flasche hier mag jeder Deutsche – es sei denn, er säuft Oettinger. Für diese fünf Kilo schwere, schusssichere Saftpulle hier muss man im Gym trainieren, um sie anheben zu können. In ihr kann man sogar Atommüll verklappen. Ein Schiff, das mit dieser Flasche getauft wird, sinkt! Postuliert der erboste Mitbürger, wobei er eine Oktave erreichte, die jedes Erdbeben neidisch gemacht hätte.
Wenn man diese Pulle falsch anhebt, hat man Rücken.
Ich habe jetzt Rücken. Habe sie hier in dieses Automatenloch gesteckt, nur um von dieser Riesenkiste, deren EINZIGE Aufgabe es ist, leere Flaschen zu schlucken, und die dümmer ist als eine Brötchentüte, gesagt zu bekommen, dass sie in einem Bioladen, der deutsche Fruchtsaftflaschen mit deutschem Fruchtsaft drin verkauft, mitten in Deutschland, diese deutsche Fruchtsaftflasche nicht akzeptiert. Weil sie zwar aus der Region ist, aber nicht AUS DIESER REGION HIER! Weil ich nämlich diese Flasche, die es auch in diesem Bioladen gibt, nicht in diesem Bioladen gekauft habe, sondern gegenüber beim Feind! Ich empfinde das als grobe Kompetenzüberschreitung eines nationalsozialistisch verstrahlten lokalpatriotischen Pfandautomaten, und das prangere ich an!«
Während der erboste Mann röhrend wie ein erkälteter Hirsch sein Leid klagte, rammte er die Flasche immer wieder in den Pfandflascheneinzugsschacht, woraufhin sie der Automat dem Mann wieder in die Hand spuckte.
Immer schön im Takt. Und mit dem gleichen erniedrigenden Geräusch, das damals Jörg Drägers Kandidaten in Sat.1 um die Ohren flog, wenn sie den Zonk erwischt hatten, und weiter dröhnte es tief und finster aus dem Mann heraus.
»Mann, du Doofding! Warum kriege ich diese deutsche Saftflasche hier nicht los? Ich halte mich doch an eure Regeln. Ich bin Biodeutscher, ich weiß, was man hier zurückgibt: keine Weinflasche, keine Eierpappe und auch keine abgeleckte Wurstpelle, wie das vielleicht Unwissende aus dem Ausland tun, für die das ein großer Integrationstest ist. Ich weiß, dass hier nur leergeschluckte Pfandflaschen reinkommen. Was ist das für eine vorkaiserliche Bioladen-Kleinstaaterei hier? Guck genau hin, du Automat. Da steht ›Bio‹ drauf. Und ›Der von hier‹, du blindes Ding. Ich ramm dir das Teil jetzt in den Hals.«
Der Mann tat, wie angekündigt. Jetzt ertönte ein anderes Piepzeichen. Im Display des Automaten erschien die höhnische Meldung: »Container voll«.
Der Mann wieder: »Was soll das heißen? Ich hab doch gar nichts reingesteckt! Spinnst du? Das ist Arbeitsverweigerung. Du faules Stück Elektroscheiße! Wo ist dein Stecker, ich such jetzt deinen Stecker. Und dann reiße ich ihn mit der Dose aus der Wand!«
Abwechselnd nach oben und nach unten Ausschau haltend hampelte der Mann, angetrieben vom ungebremsten Willen zum Umsturz, um den Automaten herum und grunzte dröhnend weiter: »Ich will doch auch nur funktionieren. Ich habe eine LPG-Mitgliedskarte, die Biocompany-Karte und die Payback-Karte. Ich kaufe Mehrweg, weil Tetrapacks scheiße sind. Ich will den Wertstoffkreislauf schließen, und ein dummer Blechkasten mit Pfandflaschenbulimie will mich davon abhalten! Bei Edeka verweigert der Automat sogar die Annahme von Bio-Apfelsaftflaschen, die in exakt diesem Edeka verkauft werden. Was ist da los? Der Automat des LPG-Bioladens, also du, nimmt hingegen sehr wohl Joghurtgläser von Edeka an, obwohl in diesen Gläsern niemals Bio-Joghurt drin war und das Zeug darum logischerweise auch nicht in diesem Biosupermarkt vertickt wird! Darüber sollte Ken Jebsen mal was machen, aber das ist wohl selbst ihm zu doof! Ich schraub dich jetzt ab und schleife dich zur Metro, und da stopfe ich dich in einen noch viel größeren Pfandflaschenautomaten-Automaten rein. Mal sehen, wie viel Geld ich dann zurückkriege, HAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA!«
Es war eine besänftigende Tüte Eierplätzchen, die für Ruhe sorgte. Ein Auszubildender zum Einzelhandelskaufmann hatte sie dem Wutbürger in die Hand gegeben, hakte ihn unter und führte ihn sanft aus dem Laden, wo schon einer dieser jetzt überall rumstehenden YouTuber wartete, um mit dem musikalischen Newcomer einen Clip aufzunehmen, der später viral gehen sollte.
So entstand Extreme Angry Empty Bottle Death Metal. Eine Musikform, die ohne das verwirrende Wertstoffkreislaufsystem und Pfandflaschenautomaten undenkbar gewesen wäre.