Bevor wir uns gleich wieder der Gegenwart zuwenden, wollen wir das jüngste Kapitel der deutschen Geschichte mal grob, aber auch gründlich zusammenfassen: Man hätte damals alles neu starten können. Man hätte 1990 ein ganz neues Land erfinden können. Die Voraussetzungen waren günstig! Modern Talking war tot. Kohl war am Ende. Die Westdeutschen waren ermüdet vom alten CDU-System. Auf der anderen Seite hatten die Ossis ihre Staatsführung gerade in die Geriatrie abgeschoben. Wie wäre es gewesen, wenn wir Deutschen genau jetzt, in diesem Moment, gemeinsam ganz was Neues gestartet hätten? Wie wäre es gewesen, wenn nicht nur die Ostdeutschen von vorn angefangen hätten, sondern auch die Westdeutschen?
Man hätte als Erstes mal eine neue Nationalhymne installieren können, meinetwegen »Verdammt ich lieb dich – zieh dich aus, kleine Maus, mach dich nackig!«
Das hätte auch die dauerhafte Beziehung zwischen West- und Ostdeutschland sehr gut auf den Punkt gebracht. Oder den Bratmaxe-Song. Da ist doch alles drin, was uns ausmacht: »Grillen – mehr wollen wir nicht!«
Ein Mehrwegsystem hätte man einführen können (was dann später kam), den grünen Abbiegepfeil (der dann später kam), nicht in Plastik eingeschweißte Gurken hätte man verkaufen können (was dann später kam), die Leute im Supermarkt Stoffbeutel und Einkaufsnetze benutzen lassen (was dann später kam), man hätte auch im Westen Kitas einführen können (die dann später kamen) und Doppelstockzüge (die dann später kamen).
Man hätte das neue Land anders nennen können, »Funkloch« oder »Das Land, das auf RTL keinen Superstar findet«. Das hätte man alles machen können, hat man aber nicht.
Außerdem: Der Kalte Krieg war vorbei, der Weltfrieden war da, trotzdem gab’s noch die Wehrpflicht. Warum? Man hätte im wiedervereinigten Land eine Zivildienstpflicht einführen können. Für beide Geschlechter. Oberste Regel: Alle Ostdeutschen machen Zivildienst im Westen, alle Westdeutschen im Osten. Westdeutsche Millionärskinder aus Düsseldorf gehen nach Hoyerswerda, kneten den alten Braunkohlekumpeln im Bergarbeiterpflegeheim »Adolf Hennecke« die verspannten Rücken locker, pflücken ihnen die Klabusterbeeren aus der Poperze und cremen die abgeernteten Stellen schön mit Oil of Olaz ein. Wie das duftet!
Und frisch exkommunizierte FDJler aus Bautzen gehen nach Baden-Baden, um den dortigen Millionärswitwen mit sowjetischen Drahtbürsten den Zahnstein von den Goldzähnen zu raspeln.
Man hätte Führungskräfte aus dem Osten mal in den Westen schicken können. Altgediente SED-Kader hätten als Berater zur CSU gehen können.
Was dann später kam.
Die Westdeutschen hätten damals schön was vom Osten lernen können. Es hätte schon gereicht, wenn jeder Westdeutsche mal ein Ostprodukt gegessen hätte, eine Schlager Süßtafel beispielsweise. Diese Unrechtsschokolade, zusammengeklatscht in den Betonmischmaschinen des Zuckerwarenwerks VEB Zahnwehmännchen Zittau, aus Braunkohleresten, Zuckerrübenspänen und Schweineblut – wenn gerade kein Dissident greifbar war. Jeder Westdeutsche hätte schlagartig mehr Verständnis für die Ostdeutschen gehabt, wenn er sich eine Tafel davon reingepfiffen hätte – unter Androhung von Waffengewalt.
Anders hat man das Zeug ja auch nicht runtergekriegt.
Für die Westdeutschen hat sich damals nämlich gar nichts geändert. Die haben nur ’ne neue Postleitzahl bekommen und Carmen Nebel, mehr nicht. Letztlich hat man es doch kommen sehen, dass die Mauer fällt. Dagegen hätten die Westdeutschen doch Maßnahmen ergreifen können. Jetzt brauchen sie auch nicht mehr zu jammern. Sie hätten doch von der Westseite her die Mauer mit eisenbeschlagenen Spanplatten sichern können. Da hätten die Ossis aber gestaunt: 9. November, die Ossis hauen Löcher in die Mauer, denken, sie sind frei, und stehen vor einer Spanplattenwand. Auf der steht: »Nö, is nich. Drüben bleiben, Briefe schreiben!«
Das hättet ihr machen können, liebe Westdeutsche. Habt ihr aber nicht. Also: mitgehangen, mitgefangen. Euch wäre einiges erspart geblieben.
Zum Beispiel die Thüringer Rostbratwurst. Die hat doch den Imbiss-Markt komplett umgekrempelt! Das war eine richtige Wurstumvolkung, ein Wurstaustausch! Man kriegt ja heute auf dem Weihnachtsmarkt gar keinen deutschen Döner mehr zu kaufen!
Hättet ihr die Grenze mal mit Spanplatten gesichert. Dann wärt ihr schön unter euch geblieben, mit Friedrich Merz, Uli Hoeneß, Horst Seehofer und Alexander Gauland. Der ist ja zu euch rübergekommen, bevor die Mauer stand. Aus Karl-Marx-Stadt ist er abgehauen, 1957. Wir haben gewartet, bis der weg ist, dann haben wir die Grenze hochgezogen. Das konntet ihr wirklich nicht verhindern.
Nun müsst ihr an jedem verdammten 3. Oktober bis in alle Ewigkeit »Über sieben Brücken musst du gehen« hören. Und »Wind of Change«. Dieser Plombenzieher aus Hannover wurde mittlerweile so oft im Radio gedudelt, dass ich vor lauter Zugluft schon einen steifen Hals habe.
Wessis, ihr seid doch selbst schuld, ihr habt nichts unternommen, nichts!
Ihr habt damals am Donnerstag, dem 9. November 1989, lieber zu Hause auf dem Sofa gesessen und im ZDF schön den Großen Preis geguckt, mit Wim Thoelke – und weil ihr dabei sitzen geblieben seid, habt ihr später dann den großen Preis bezahlt!
Also: Hört auf zu jammern!
Sonst müssen wir Ossis euch auch noch zeigen, wie man DAS richtig macht.