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Als an Felicitas Geburtstag die Gäste alle zur vereinbarten Uhrzeit eintrafen, waren die beiden Zimmer ihrer Wohnung festlich erleuchtet und dufteten nach Möbel- und Bohnerwachs.

Bald herrschte dort ein dichtes Gedränge, und es wimmelte vor Päckchen, Schleifen, Shorts, Kniestrümpfen, Fliegen, Haarreifen, Zöpfen, Samtröcken, Glencheck-Anzügen, Lackhandtäschchen.

Als die Lichter ausgemacht wurden und nur noch die sechs Kerzen auf der Geburtstagstorte brannten, sangen die Kinder: »Tanti augurii aa tee! Tanti augurii aaa tee!« – »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!« Dann ein großer Applaus.

In diesem Moment wünschte sich Felicita ganz plötzlich, nicht zu existieren, nie geboren worden zu sein, und empfand eine brennende Sehnsucht nach einem anderen Land, von dem sie nichts wusste, aber wohin sie dennoch gern geflohen wäre. Fliehen. Jetzt oder nie. Und sie huschte ins Schlafzimmer ihrer Eltern, wo sie sich unter dem großen Ehebett versteckte.

Dann sah sie, wie sämtliche Gäste ans Bett traten.

»Ist da jemand?«

Sie lüpften den Saum der Tagesdecke, als wäre es ein Theatervorhang, und sagten, sie solle unter dem Bett hervorkommen. Sie wollten doch feiern. Es sei doch schön, gefeiert zu werden, oder nicht?

»Nein, ich komme nie mehr heraus«, erwiderte sie.

»Aber warum denn?« Auch ihre Mama hob den Theatervorhang hoch und sah sie voller Sorge und Enttäuschung an.

Während sie unter dem Bett lag, hörte sie das Gemurmel der anderen Kinder und deren Eltern. Jemand hob einen Zipfel der Tagesdecke hoch und machte: Huhhh! Huhhh!, und unterdrückte ein Lachen.

»Ist sie schüchtern, schämt sie sich?«

»Nein. Sie ist nicht schüchtern und schämt sich vor niemandem, im Gegenteil. Neulich ist sie sogar auf ihr Schulpult geklettert und hat vor allen getanzt«, worauf die Leute erneut näher traten und unters Bett lugten.

Dann sah sie die Lackschuhe ihrer Mutter auf sich zukommen. Ester, die noch niemals die Hand gegen sie erhoben hatte, versuchte, sie mit einem Besen unter dem Bett hervorzubugsieren, aber Felicita wehrte die Angriffe geschickt ab.

»Du kommst jetzt sofort raus!«

»Nein, ich bleibe hier!«

Als Felicita sah, dass sämtliche Schuhpaare das Zimmer verließen – die mit den hohen Absätzen, die mit den Schleifen, die mit Schnürsenkeln, die Ballerinas und sogar ein Paar orthopädische Schuhe, wurde ihr klar, dass sie sich nicht weiter um sie kümmern und im Esszimmer eben ohne sie feiern würden.

Dann hörte sie ihre Mutter mit lauter, weinerlicher Stimme verkünden, dass alle ihre Geschenke bitte wieder mitnehmen sollten. Und trotzdem schwor sich Felicita: »Ich werde nie mehr von hier unten hervorkommen.«

Aber sie hatte Hunger und musste Pipi machen, es war Winter, der Boden war eiskalt, sie hatte kein Kissen, und ohne ihr Kissen konnte sie nicht einschlafen.

Als es irgendwann still und dunkel wurde, hörte sie ihren Vater von der Arbeit nach Hause kommen. Die Mutter erzählte ihm alles, aber er kam nicht zu ihr. Das war noch nie zuvor passiert. Nun, dachte sie, ich habe es nicht anders verdient. Hatte der Vater ihrer Freundin, der Pfeife rauchte, ein großes Buch unter dem Arm trug und lange Haare hatte wie diese Rockgitarristen, ihr nicht besser gefallen als ihr eigener?

Sie schwor, sich nie wieder einen anderen Vater oder eine andere Heimat oder ein anderes Leben zu wünschen.

Und kroch unter dem Bett hervor und trat in die Küchentür. Ester und Raffaele saßen am Tisch, und sie sah, dass ihre Mutter rot geweinte Augen hatte.

»Wem bloß dieses Kind gehört, das sich so unmöglich benommen hat?«

»Euch! Euch! Ich bin euer Kind!«

Zum Glück hielten ihre Eltern, ihr Vater wegen seiner Erlebnisse in einem Konzentrationslager der Nazis und ihre Mutter wegen der Prügel, die sie von ihrer Mutter bezogen hatte, nichts von harter Bestrafung.

Ester ging zum Kühlschrank und holte ein Stück der Geburtstagstorte heraus, die sie vor den Gästen in Sicherheit gebracht hatte. Die Torte war von der Sorte, die Felicita am liebsten mochte, abwechselnd Schichten von Vanille- und Schokoladencreme und mit kunstvollen Sahneschnörkeln verziert. Das Stück war großzügig bemessen, und Felicita verschlang es genüsslich.

Dann klappte ihre Mutter aus der falschen Anrichte im Esszimmer das Bett hervor, auf dem Felicita schlief, und hielt ihr den auf dem Heizkörper gewärmten Pyjama hin. Im Zimmer roch es noch immer nach Möbelwachs und dem Weichspüler von den Gardinen und ein bisschen auch nach Torte, Schaumbad mit Karamellaroma und verschiedenen Damenparfüms.

Da wurde ihr klar, wie glücklich sie sich schätzen konnte, dass sie auf einer Matratze und einem weichen Kissen schlafen durfte. Ihr Wunsch, in dieses geheimnisvolle Land zu fliehen, das in ihrer Vorstellung perfekt war, obwohl sie rein gar nichts davon wusste, war Verrat gewesen, und sie durfte nie mehr solche Gedanken hegen.