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Am liebsten wartete Felicita darauf, dass das große Eingangstor der Sisternes aufging und die vornehme Witwe Dolores mit Pietro Maria, ihrem Sohn, in einer Kalesche herausfuhr.

Nachdem Donna Dolores’ Mann gestorben war, wollten die Dörfler ihr einen Kondolenzbesuch abstatten und der jungen Frau, die nun allein mit einem kleinen Kind dastand, ihre Hilfe anbieten. Doch an dem mächtigen Tor hing, umgeben von einem Kranz, auf dem die Blumen täglich gewechselt wurden, damit sie immer frisch waren, lange Zeit ein Schild mit der Aufschrift: »Wir bitten von Besuchen abzusehen.«

Die Sisternes hatten ein kleines Heer an Bediensteten: Der Mann, der jeden Tag mit Gartengeräten ankam, war ein anderer als der, der die Kalesche lenkte, und die junge Frau, die sich um das Kind kümmerte, war wiederum eine andere als die, die die Einkäufe erledigte, und auch nicht dieselbe wie die, die das große Tor öffnete und eine rosa Schürze und ein Häubchen trug. Außerdem wusste kein Mensch, warum all diese Bediensteten nicht aus dem Dorf stammten und sich mit niemandem anfreundeten.

Felicita verliebte sich unsterblich in den kleinen traurigen Jungen, der Halbwaise war. Als einziges Zugeständnis an die Mode trug er die Haare ziemlich lang, so wie die Beatles. Alles andere an ihm war ausnahmslos vornehm klassisch – blaue Shorts, wie die Engländer, Hemd mit schmaler Krawatte, weiße Socken und Schuhe. Aber selbst wenn er in Lumpen gekleidet gewesen wäre, hätte dieser schmalbrüstige, blasse und einsame Junge mit den traurigen Augen eine natürliche Vornehmheit ausgestrahlt, die sie, pummelig und aufdringlich, wie sie war, in hundert Jahren nicht erlangt hätte.

Aber eine Sache hatten sie immerhin gemein, beide waren sie Einzelkinder an einem Ort, wo man ohne Geschwister eine seltene Spezies war.

Außerdem waren sie beide nicht typisch sardisch. Mit dem Unterschied, dass Felicita gar keiner Kategorie angehörte, während Donna Dolores und ihr Sohn adelig waren – Adelige, die über ein winziges Fürstentum herrschten. Im Übrigen kleidete sich Donna Dolores, die nie Trauer getragen hatte, wie Grace Kelly, die gleiche Frisur, die gleichen Kostüme und vor allem die gleichen Taschen und Schuhe, beides mit Spange und einer kleinen Schleife.

Wenn das Tor geöffnet wurde, damit die Kalesche hinausfahren konnte, spähte Felicita hinein, weil sie wissen wollte, wie ein Haus von sehr reichen Sarden aussah. Aber leider wurde das Tor sofort wieder geschlossen, und das Haus der Sisternes blieb ein geheimnisvoller Ort, den zu betreten Normalsterbliche sich aus dem Kopf schlagen konnten. Selbst nur einen Blick zu erhaschen erwies sich als schwieriges Unterfangen.

Wenn sich Mutter und Sohn in der Kalesche entfernten, blieb sie völlig verzaubert mitten auf der Straße stehen und blickte ihnen nach. Und eines wusste sie ganz genau, dieser schöne und nette Junge verkörperte auf perfekte Weise die Liebe.