Bevor Felicita morgens zur Schule ging, machte sie die Betten und wischte die Böden. Ihre Schulkameradinnen hänselten sie wegen ihres singenden Tonfalls, der so anders war als ihrer. Eine Schar Schülerinnen folgte ihr regelmäßig auf dem Nachhauseweg und äffte ihren Singsang nach: »La Felicitaaa! La Felicitaaa! La Felicitaaa!«
Klassenkameradinnen, die sie gerne mochten, meinten, das komme daher, dass sie zu gutmütig sei. Sie sagten ihr auch, dass die Jungen, mit denen sie für kurze Zeit ausgegangen war, sie nicht wegen ihrer Unfreundlichkeit sitzen gelassen hätten, wie sie selbst glaube, sondern weil Felicitas Gutmütigkeit fast schon an Dummheit grenze. Sie müsse gemein werden, sich wehren. Aber Felicita fiel nichts Gemeines ein, und sie traf die einzige Entscheidung, zu der sie in der Lage war, nämlich den Umgang mit den wenigen zu genießen, die sie mochten – eine zugegebenermaßen kleine Welt, aber groß genug zum Leben.
Zu Hause war es noch schlimmer geworden. Mit der Großmutter unter einem Dach zu wohnen – das war wahrlich nicht einfach.
Sie war alt geworden, ohne gleichzeitig weise zu werden, und ihre Töchter hielten sie für borniert und tyrannisch und machten sie für Felices Selbstmord verantwortlich. Sie hatten regelrecht Angst vor ihr. Auch der Großvater, erzählten sie, habe unter seiner Frau gelitten und sich nicht so zeigen können, wie er wirklich war, ein netter Mann, der immer Rücksicht auf die Gefühle anderer genommen habe. Wenn er jemanden, dem er Geld geliehen hatte, das dieser ihm nicht zurückzahlen konnte, von Weitem auf der Straße auf sich zukommen sah, sei er auf die andere Seite gewechselt, um seinen Schuldner nicht in Verlegenheit zu bringen und ihm nicht den Tag zu verderben.
Felicita, meinten ihre Tanten, gleiche in jeder Hinsicht diesem Großvater, den sie nie kennengelernt hatte, den seine Güte in den Ruin getrieben und der sich deswegen die Verachtung seiner Frau zugezogen hatte. Jene, die zu gut seien, fuhren die Tanten fort, würden in ihrem Leben nichts auf die Beine stellen und zu Versagern. Aber ausgerechnet am Beispiel der Großmutter kam die Enkelin zu dem Schluss, dass es zu nichts führte, wenn man böse war, und dass das, was man über die Guten sagte, ein einziger großer Unfug war. Ihre Großmutter verstand sich gut darauf, andere zu verletzen, sogar tödlich, und was hatte sie damit erreicht? Rein gar nichts.