An einem regnerischen, windigen Tag fuhr Felicita nach Cagliari zu der Adresse, die sie in einer Zeitungsanzeige gefunden hatte. Tropfnass stand sie vor der Tür, und zu ihren Füßen hatte sich bereits eine Pfütze gebildet.
Die Vermieterin, eine junge dürre Frau mit Bubikopf und Brille, sah sich einem Mädchen in einem sackartigen Kleid gegenüber, mit fleckigen Mokassins an den großen, breiten Füßen, Augen wie die eines traurigen Clowns, da die Wimperntusche im Regen zerlaufen war, und mit Haaren, die außerordentlich voll sein mussten, denn obwohl sie völlig durchnässt waren, klebten sie nicht am Schädel.
Die Vermieterin sagte, es tue ihr leid, aber sie könne sie nicht hereinlassen, da sie soeben die Böden gewischt habe. Im Übrigen sei die Angabe in der Anzeige nicht ganz richtig gewesen, es handele sich nicht um ein Zimmer, sondern um ein kleines Apartment im ersten Stock.
»Zu dem angegebenen Preis?«
»Sicher.«
»Gut, dann komme ich morgen wieder. Dann bringe ich auch einen Regenschirm mit, ich muss unbedingt daran denken. Den vergesse ich nämlich immer. Obwohl er heute nichts genutzt hätte, der Wind hätte ihn bestimmt verbogen, und er wäre nicht mehr zu gebrauchen gewesen.«
»Nun, deswegen ist es wichtig, sich einen soliden Regenschirm zu kaufen. Hier in Cagliari weht immer ein Wind. Selten, dass der Regen gerade herabfällt. Woher kommen Sie? Sie haben einen Festlandakzent.«
»Stimmt, ich bin in Norditalien geboren und aufgewachsen, aber inzwischen lebe ich in einem Dorf im Campidano. Gut, dann fahre ich mit dem Bus nach Hause und komme morgen wieder. Und wer weiß, vielleicht habe ich bis dahin ja einen Regenschirm gekauft, der sich nicht verbiegt. Aber dürfte ich Sie noch um etwas bitten? Könnten Sie mir das Apartment beschreiben?«
Es sei genau halb so groß wie ihre Wohnung im Erdgeschoss, erklärte die junge Frau. Dazu gehöre eine kleine Küche und ein Bad – im Grunde nicht mehr als eine Toilette mit Dusche –, beides mit Fenster zum Innenhof, und ein ziemlich großes Zimmer zur Straße, wobei es sich eher um eine feuchte Gasse als eine Straße handele. Auch die Benutzung einer kleinen Dachterrasse sei inbegriffen, erreichbar über die Haupttreppe. Das Zimmer werde durch eine Glastür in zwei Räume geteilt, in ein fensterloses Esszimmer und ein Schlafzimmer.
Das hörte sich nach einer sehr schönen kleinen Wohnung an, fand Felicita.
»Welche Farbe hat die Glastür?«
»Der Rahmen ist braun.«
»Hätten Sie was dagegen, wenn ich ihn in Türkis streichen würde? So wie in arabischen Häusern, denn dieses Viertel hat ja auch was Arabisches.«
»Ja, leider. Diese verdammten arabischen Nachbarn haben einen Streifen der Terrasse in Beschlag genommen. Er ist fünfzig Zentimeter breit und geht über die ganze Länge der Terrasse, also keine Kleinigkeit. Wie auch immer, die Terrasse ist zum Wäscheaufhängen da, und wir würden sie uns teilen, zwei Leinen für mich, zwei für Sie. Übrigens, falls Sie tatsächlich hier einziehen sollten, denken Sie bitte daran, sie nicht zu grüßen, die Nachbarn. Wie gesagt, sie haben einfach ein Stück meines Hauses in Besitz genommen, um ihre Wäsche aufzuhängen, ohne etwas zu bezahlen. Ich habe zu ihnen gesagt: In Ordnung, ihr könnt eure Wäsche dort aufhängen, bis ihr eine andere Möglichkeit gefunden habt. Aber sie haben gar nicht erst nach einer anderen Möglichkeit gesucht, und damit sich meine Wäsche nicht mit ihrer vermischt, habe ich irgendwann ein Netz gespannt. Ich sehe schon, Sie sind ein nettes Mädchen, also werden Sie ja nicht vertraulich mit ihnen, das heißt, grüßen Sie sie nicht, falls Sie sich beim Wäscheaufhängen zufällig begegnen. Aber jetzt fahren Sie besser nach Hause. Ist es weit bis in Ihr Dorf? Nicht dass Sie sich erkälten.«
»O nein, ich werde nie krank.«
»Sind Sie zum ersten Mal in Cagliari?«
»Nein, ich komme oft her, zur Versammlung meiner Partei.«
»Welcher Partei?«
»Der PCI. Ich bin Kommunistin.«
»Ach so? Und warum?«
»Weil die für soziale Gerechtigkeit und Gleichheit eintreten.«
»Wollen Sie vielleicht was Warmes trinken? Oder ein Glas Wasser?«
»Gern, ein Glas Wasser bitte«, sagte Felicita. »Sieht man von der Wohnung aus das Meer?«
»Ja, man sieht es, das heißt einen kleinen Ausschnitt, und zwar vom Fenster zur Gasse hinaus.«
»Auch die Schiffe?«
»Ausschnitte von Schiffen so breit wie die Gasse.«
»Ah, das Meer und die Schiffe!«
»Wie gesagt, man sieht genauso viel vom Meer und den Schiffen, wie die Gasse breit ist. Sie tropfen jetzt übrigens nicht mehr. Wenn Sie die Schuhe ausziehen, können Sie hereinkommen, dann bekommen Sie von mir ein Paar Pantoffeln und ein Glas Wasser.«
Sie betraten das Haus, und die Vermieterin forderte Felicita auf, sich an den Tisch zu setzen. Die Wohnung war nahezu leer, schätzungsweise sechzig Quadratmeter Nichts. Abgesehen von einem Gasherd, einem Kühlschrank, einem Tisch mit vier Stühlen, ein paar vor Büchern überquellenden Regalen, die Felicita durch die einen Spaltbreit geöffnete Tür erkennen konnte, gab es nichts. Keine Vase, kein Bild, kein gerahmtes Foto, keinen Nippes, kein Kissen. Als wäre es die Wohnung eines Findelkindes, das bis vor Kurzem noch in einem Waisenhaus gelebt hatte.
»Es wäre natürlich ein großes Glück für mich, wenn ich die Sache mit der Wohnung heute noch abschließen könnte.«
»Ah, was ich Ihnen noch sagen sollte, damit Sie morgen vielleicht nicht umsonst herkommen müssen … Die Gerüche in diesem Viertel sind nicht gut. Die Italiener, die hier wohnen, kochen immer nur Blumenkohl und billigen frittierten Fisch, von der Sorte, die besonders unangenehm riecht, und die Araber tun überall Knoblauch und ihre merkwürdigen Gewürze rein, die genauso stinken.«
Dann schwieg die Vermieterin, die ihr gegenüber am Tisch Platz genommen hatte, das Kinn auf die gefalteten Hände gestützt.
»Gut, vielleicht sollte ich ein bisschen was von mir erzählen. Es ist eigentlich eine lange Geschichte, aber ich versuche, mich kurz zu fassen. Ich war, oder bin es vielleicht immer noch, mit einem Jungen zusammen, von dem ich schwanger bin. Er ist ein anständiger Mensch, vielleicht ein bisschen zu sehr, denn er sieht nur zwei Möglichkeiten, entweder werde ich das Kind los, also treibe ab, oder wir heiraten. Ich möchte aber das Kind behalten und trotzdem nicht heiraten. Möchten Sie wissen, warum ich ihn nicht heiraten will?«
»Ich möchte gar nichts wissen.«
»Ich liebe ihn, er liebt mich nicht. Er will mich heiraten, weil er sich moralisch dazu verpflichtet fühlt, wegen des Kindes. Er sagt, er würde alles darum geben, sich in mich verlieben zu können, aber es gelingt ihm einfach nicht. Er glaubt, ich sei nach Cagliari gefahren, um in einer Klinik abzutreiben. Aber das will ich nicht. Ich habe mir einen Plan zurechtgelegt: Ich werde ihm sagen, dass ich nach der Abtreibung für eine gewisse Zeit allein sein muss, um über alles nachzudenken. Da er mich ja nicht liebt, wird er mich bestimmt bald vergessen. Oder aber er vermisst mich, und ihm wird klar, dass er mich doch liebt. Meiner Mutter, die auf keinen Fall von dem Kind wissen darf, habe ich erzählt, dass ich in einer Abendschule meinen Abschluss nachholen will; mein Vater hingegen kennt meine wahren Pläne und hat mir versprochen, mich zu unterstützen. Wie auch immer, zu meinem Plan gehört auch, dass ich mir eine Arbeit suche, vielleicht als Haushaltshilfe, bis das Kind geboren wird. Wobei Haushaltshilfe vielleicht doch nicht das Richtige ist, die Arbeit ist zu schwer und zu riskant für die Schwangerschaft. Babysitter kommt auch nicht infrage, ich könnte mich bei den Kindern mit Röteln anstecken, die hatte ich nämlich noch nicht. Aber ich kann viele andere Dinge, die meine Mutter mir beigebracht hat, und ich hab da auch schon eine Idee: Geschenk- und Haushaltsartikel herstellen. Ich bin gut darin, neue Dinge aus Sachen zu machen, die andere Leute wegwerfen. Schmuck für den Weihnachtsbaum oder die Krippe. An Ostern mache ich Eier aus Schokolade und wickele sie hübsch ein. Sie sollten mal die Wunderwerke sehen, die meine Mutter für Weihnachten und andere Feste zaubert. Aber ich habe, wie gesagt, auch ein Händchen dafür. Abgesehen von Dekoration für spezielle Gelegenheiten stellen wir auch Gebrauchsgegenstände her. Aus Kartons werden zum Beispiel Schubladen und kleine Kommoden, aus leeren Klopapierrollen hübsche Stiftehalter, aus Konservendosen dekorative Becher oder Aschenbecher, aus Flaschen Lampenständer und, was noch … ah ja, aus Eisbehältern Suppenschüsseln, aus Zeitungspapier Papierblumen, für jedes Blütenblatt eine gute Nachricht. Das ist eine Spezialität von mir, weil meine Mutter Pessimistin ist und meint, sie findet nie irgendwelche guten Nachrichten in der Zeitung. Aber es gibt sie. Man muss nur mit viel Geduld die Seiten durchforsten. Meine Mutter hat auch nicht den Mut, ihre Kreationen im Dorf zum Verkauf anzubieten. Aber hier in der Stadt könnte ich es versuchen. Wobei ich, wie gesagt, auch versuchen möchte, in einer Abendschule meinen Abschluss zu machen.«
»Was für einen Abschluss?«
»Abitur, humanistisches Gymnasium. Bei uns auf dem Land gibt es kein anderes, es wird von Patres geleitet. Die Lehrer sind wirklich gut, legen aber vor allem Wert auf Latein und Griechisch, und ausgerechnet in diesen Fächern bin ich schlecht. Das Übersetzen ist mir schon immer schwergefallen. Zum Beispiel folgender Satz: ›Und nachdem die Hopliten nach vielen Schlachten und Verlusten, aber ehrenhaft den Feind dazu gezwungen hatten, einen Waffenstillstand zu schließen‹ Punkt. Und wo ist bitte schön der Hauptsatz? Was, zum Teufel, machen die Hopliten danach? Und was für ein Versmaß soll das sein? Das mit dem Versmaß ist wirklich zum Verzweifeln. Ich mag nur schöne Literatur.«
»Ich unterrichte Italienisch an einem humanistischen Gymnasium und kann Ihnen versichern, dass es keine Abendkurse für diese Schulart gibt.«
»Und was ist Ihr Lieblingsdichter? Ich meine keine altgriechischen oder römischen, sondern italienische.«
»Leopardi.«
»Das ist auch mein Lieblingsdichter, ich mag ihn wirklich sehr, ich kenne viele seiner Gedichte auswendig, finde aber, dass er nicht immer recht hat. Zum Beispiel in seinem Dialog zwischen der Natur und einem Isländer: Es gibt keinen Ort auf der Welt, wo sich dieser arme Isländer wohlfühlt. Er ist genau wie meine Mutter. Bei allem Respekt gegenüber Leopardi finde ich, dass genau das Gegenteil der Fall ist, nämlich dass es keinen Ort auf der Welt gibt, wo man sich nicht wohlfühlen kann.«
»Da bin ich anderer Meinung. Ich glaube, Leopardi hat in allem recht, aber nicht nur aus diesem Grund ist er mein Lieblingsdichter. Ich habe Sie übrigens noch gar nicht nach Ihrem Namen gefragt.«
»Felicita, nach meinem Onkel Felice, der trotz seines Namens sehr unglücklich war und sich das Leben genommen hat. Wie felicità, aber ohne Akzent.
»Also fehlt nur noch der Akzent zum Glück!«