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Felicita fand, dass ihr Kind allen Grund dazu hatte, unschlüssig zu sein, ob es auf die Welt kommen sollte. Schließlich war das Leben der Menschen nichts anderes als die Suche nach dem Glück, die sich für gewöhnlich als strapaziöse Reise entpuppte. Unterwegs verzagten sie oftmals und fragten sich, ob es tatsächlich der Mühe wert war, sich in dieser Welt abzustrampeln.

Und dennoch hatte ihr Kind, dieses unentschlossene außerirdische Wesen, unter allen Planeten ausgerechnet diese im Niedergang begriffene Welt ausgewählt und unter allen Bäuchen, in denen es sich in einen Menschen verwandeln konnte, ausgerechnet den von Felicita.

»Kein geistig gesundes Ungeborenes würde beschließen, auf die Welt zu kommen«, sagte Marianna und rümpfte abfällig die Nase. »Und nachdem sie auf die Welt gekommen sind, müssen all diese Irren auch noch so tun, als wären sie normal.«

Trotzdem hatte Marianna schon ein Bienen-Mobile für die Wiege gekauft, die tanzten, sangen und musizierten.

»Um es für sein Menschsein zu trösten«, hatte sie erklärt.

Felicita hingegen war überzeugt, dass sich ihr Kind schon irgendwie arrangieren würde. Zuerst mit den tanzenden und singenden Bienen, und auf der strapaziösen Reise, die vor ihm lag und auf der es das Ziel seines Lebens, nämlich das Glück, garantiert nicht erreichte, würde es unterwegs irgendwo Rast machen und sich ausruhen. Und zwar an einem Ort, der noch nicht verwahrlost war und wo die Menschen ebenfalls nicht ganz richtig im Kopf waren und ein bisschen ihm, dem Alien, ähnelten, weil sie mit ihrem Entschluss, auf die Welt zu kommen, genau die gleiche Torheit begangen hatten wie es.

Es würde Gefährten finden. Es würde Kompromisse eingehen, weil es sich als Teil des großen Ganzen fühlte: Die anderen sind ich, ich bin die anderen. Wenn es ihm schlecht ging, würde es jemanden zum Anlehnen haben. Und es würde auch schöne Momente geben. Egal, was Leopardi geschrieben hatte. Es würde sich verlieben, würde hin und wieder lachen. Und jemanden lieben.

Vielleicht würde es sich für Musik begeistern wie sein Großvater und sein Vater. Mittels der Musik würde es Dinge begreifen, die man andernfalls nicht begreifen kann.

Schließlich würde es das Gute gegen das Böse in der Welt abwägen und zu dem Schluss kommen, dass die Reise für die Guten nicht ganz so anstrengend war. Weil alles, was man über die Guten sagte, nämlich dass sie schwachsinnig seien, ein einziger großer Quatsch war. Wenn nicht die Guten und das Schöne siegen, wäre dann nicht längst alles vorbei? Welcher Außerirdische, mochte er noch so wahnsinnig sein, würde sonst auf die Idee kommen, sich eingeschlossen in einem Bauch in einen Menschen zu verwandeln?

Aber ein paar Stunden nach der Geburt schien es, als hätte es sich Gregorio, so hieß der Außerirdische, plötzlich anders überlegt. Er verweigerte die Nahrung und spuckte die Milch wieder aus. Eilig wurde er auf die Säuglingsstation verlegt, wo sich auch Marianna, Raffaele und Ester einfanden, wobei Letztere erst jetzt von der Schwangerschaft ihrer Tochter erfahren hatte.

Während ein Arzt das Neugeborene untersuchte, saßen die vier im Wartezimmer, Felicita im Wöchnerinnenkittel, Raffaele mit aus der Hose heraushängendem Hemd, Ester außer sich und am Rande einer Ohnmacht.

»Ich frage mich, warum ihr die Menschen dazu zwingen müsst, auf die Welt zu kommen«, sagte Marianna in vorwurfsvollem Ton zu Felicita.

»Wenn meine Tochter diesem armen Wesen einen Vater gegönnt hätte, wäre alles anders gekommen«, erwiderte Ester mit kaum hörbarer Stimme.

»Nein, sie hat gut daran getan, dieses Kind zu kriegen und den Sohn von Donna Dolores nicht zu heiraten, der sie nicht geliebt hat«, fuhr Raffaele seiner Frau über den Mund.

»Ach, hör doch auf! Jetzt ist Gregorio da, und sie wird ihn schon heiraten. Natürlich wird sie das. Wie kannst du nur zu ihr sagen, sie hätte richtig gehandelt, ihn nicht zu heiraten … Das Wohl des Kindes ist euch wohl egal?«

»Papa, glaubst du, das Kind wird sterben?«

»Nein, ich glaube, das war nur ein Versuch. Kann man es ihm verübeln? Es sehnt sich eben nach einer anderen Welt. Einer perfekten Welt. Daran leiden wir doch alle. Aber dann finden wir uns irgendwie zurecht. Auch Gregorio wird sich zurechtfinden. Bestimmt spürt er, dass wir hier draußen auf ihn warten und dass wir ihn lieben. Vielleicht reicht ihm das bereits, um zu beschließen, hierzubleiben.«

»Hast du gesehen? Marianna hat ihm sogar Hemdchen mit der Aufschrift Viel Glück mitgebracht.«

»Ja. Und Gregorio wird Glück haben. Weil er ganz sicher ein guter Mensch ist. Und die Guten haben immer Glück.«

Der Arzt kam mit dem Kind auf dem Arm aus dem Behandlungszimmer und sagte, sie würden noch ein paar letzte Untersuchungen durchführen, aber seines Erachtens sei Gregorio rundherum gesund, und die Milch komme nur deshalb wieder über die Nase heraus und drohe ihn zu ersticken, weil er aufgeregt sei.

»Klar, er ist wütend. Wer wäre das nicht?«, warf Marianna ein.

Doch sie hatte zu Hause schon alles für das Kind vorbereitet. An alles hatte sie gedacht. Als Mutter und Kind ein paar Tage später entlassen wurden, rannte sie ihnen auf der Treppe voraus nach oben und stieß mit einem strahlenden Lächeln die Tür zu einer perfekten Welt auf.

»›Du weißt doch sicher, welchem holden Lieb / Der Lenz zulächeln mag‹«, rezitierte Felicita einen Vers von Leopardi und betrat ihre Wohnung.