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Kaum hatte er laufen gelernt, versuchte Gregorio zu fliehen. Und sollte es noch lange immer wieder tun …

Eines Tages, als er schon in die Grundschule ging, sagte die Lehrerin zu Felicita, dass das Kind schon wieder weggelaufen sei.

»Unter diesen Umständen kann ich ihn bei den Proben zur Schulaufführung nicht mitmachen lassen, denn sobald er abgelenkt ist, verschwindet er durch eine Tür, und weg ist er. Sie werden bestimmt verstehen, dass ich ihm keine Rolle geben kann. Ich könnte ihn allenfalls irgendetwas in der Hand halten lassen, zum Beispiel Beeren. Meinen Sie, ob er das könnte, ein paar Beeren in der Hand halten?«

Felicita war untröstlich und ließ den Kopf hängen, ohne etwas zu sagen.

Bei einer Schulaufführung, fuhr die Lehrerin fort und war offensichtlich ganz in ihrem Element, sei es, als würde wie durch ein Wunder aus all den verschiedenen Körpern ein einziger werden. Doch leider hätten die Kinder, mit denen Felicitas Junge hin und wieder spiele, immer gleich genug von seinem komischen Wesen und ließen ihn wütend stehen. Und dann laufe Gregorio davon. Kaum lasse man ihn mit den anderen in den Garten hinaus zum Spielen – und der Schulgarten sei wirklich sehr schön, weiches Gras, schattige Bäume –, renne er schnurstracks zum Tor hinaus. Deswegen müssten sie es seinetwegen immer zumachen, aber dann versuche er, sich hinaufzuhangeln und darüberzuklettern. Warum er denn immer weglaufe? Gefalle es ihm in ihrer Schule nicht? Oder gefalle ihm die Welt nicht? Wie auch immer, es sei wichtig, dass er lerne, sich in eine Gruppe einzufügen. Er laufe hinter den Schulkameraden her wie ein schwanzwedelndes Hündchen, das spielen wolle. Aber die anderen wollten ihn nicht dabeihaben. Wann immer sie mal kurz das Klassenzimmer verlassen müsse und ein, zwei Schüler an die Tafel rufe, um währenddessen zu notieren, wer brav und wer unartig gewesen sei, finde sich sein Name in schöner Regelmäßigkeit unter den Unartigen wieder. Auch sei er mit allem hoffnungslos hintenan, er könne noch immer nicht die Schnürsenkel binden oder die Jacke zuknöpfen, kurzum, sich selbstständig anziehen. Was er denn in seiner Freizeit so mache? Ob er an keinerlei Aktivitäten teilnehme? Interessiere er sich denn für gar nichts?

»Doch, Musik! Wenn Sie wüssten, wie lange er vorm Klavier sitzt und wie eifrig er übt, wenn ich ihn zum Klavierunterricht bringe.«

»Klavier, ach wirklich?«

»Einmal hat ihm jemand ein Kinderklavier geschenkt, so ein kleines« – sie zeigte mit den Händen die Größe –, »und dafür hat er sich so sehr begeistert, dass er unbedingt ein großes haben wollte. Er hat gesagt, dass er für immer auf Spielzeug verzichten würde, wenn ich ihm ein richtiges Klavier kaufe.«

Aber die Lehrerin fand, das sei keine gute Idee, wenn er stundenlang immer allein dasitze und übe. Das Kind müsse unbedingt soziales Verhalten lernen. Sie würde ihr raten, das Klavier zu vergessen und ihren Sohn stattdessen in einer Mannschaftssportart anzumelden.

»Aber er mag keinen Sport.« Felicita war untröstlich. »Nur Klavierspielen gefällt ihm. Sie haben doch eins in der Schule. Statt ihn bei der Aufführung ein paar Beeren halten zu lassen, könnten Sie ihm da nicht erlauben, ein Lied zu spielen? Dann wird er bestimmt nicht weglaufen.«

Das sei völlig unmöglich, sagte die Lehrerin abschließend, der Junge würde einen Beerenzweig in der Hand halten.

»Gut«, erwiderte Felicita, »dann stehle ich Ihnen nicht länger Ihre Zeit.«

Sie drehte sich abrupt um, ließ die Lehrerin stehen und ging davon.

Um sich ihren Groll von der Seele zu reden, schilderte sie Marianna das Gespräch, bereute es aber sofort, denn ihre Freundin reagierte genau wie früher Ester, wenn Felicita so unvorsichtig gewesen war, ihr zu erzählen, dass ihre Schulkameradinnen sie verspotteten. Sie würde sich an dieser Lehrerin rächen, das schwor sie sich, weil sie nicht bemerkt hatte, was für ein Genie ihr Kind war.

Und so wurde Gregorios Lehrerin zu ihrem Lieblingssündenbock, und wann immer ihr zu Ohren kam, dass es mit jemandem ein schlimmes Ende genommen habe, lautete Mariannas Kommentar: »Genauso soll es der Lehrerin von Gregorio ergehen.«