Dass Felicita Krebs hatte, schien Marianna ihr geradezu übel zu nehmen.
Sie warf ihr vor, eine der wenigen Gewissheiten in ihrem Leben zerstört zu haben. Felicita war nie krank gewesen, und das war auch der Grund, warum sie zu Beginn die Anzeichen verkannt und gedacht hatten, dass es etwas anderes, Harmloses sei.
Marianna war wütend und suchte nicht mehr ihre Gesellschaft. Lediglich auf der Terrasse, beim Wäscheaufhängen, trafen sie sich. Nur um etwas zu sagen, stimmte Felicita ein Loblied auf die Terrasse an: über ihnen der Himmel und zu den Füßen ein Streifen Meer, dazu die im Wind flatternde Wäsche und unten im Hafen ein winziger Ausschnitt eines Schiffs. Und immer wieder Leute, die kamen und gingen. Die wie sie Wäsche aufhängten. Nie im Leben würde sie dieses Haus gegen ein anderes austauschen wollen, und sei es das schönste und teuerste auf der Welt.
Marianna war nicht zu erweichen, sie hängte ungerührt ihre Wäsche auf und erwiderte, ohne Felicita eines Blickes zu würdigen, dass sie selbst dieses Haus verlassen würde, und zwar sofort. Sie würde weglaufen, wenn es sein musste auch im Nachthemd und ohne sich einmal umzudrehen.
»Ich treffe da immer einen Mann, am Poetto.« Felicita streckte den Kopf zwischen zwei Handtüchern hindurch. »Er ist immer allein. Geht sogar bei Sturm ins Wasser. Ich habe Angst, dass er sich umbringen will.«
»Interessiert er dich?«
»Nicht für mich. Ich dachte dabei eher an dich.«
»Hör mir bloß auf.«
»Es wäre doch gut, wenn ich jemanden für dich finden würde, den du lieben kannst.«
»Such dir doch selbst einen. Immerhin rennst du seit zwanzig Jahren hinter dem Signor Meloni her, der dich nicht liebt.«
»Welcher Signor Meloni?«
»Hast du vergessen, dass dein Sisternes in Wirklichkeit Meloni heißt?«
»Ach, stimmt. Wir sind es einfach gewohnt, ihn beim Nachnamen seiner Mutter zu nennen …«
»Das ist wirklich erbärmlich.«
»Du hast doch auch noch nie seinen richtigen Namen benutzt. Du sagst seit jeher Pietro Maria zu ihm.«
»Das ist ja auch sein richtiger Vorname.«
»Nenn mir bitte etwas, irgendetwas auf der Welt, was du gut findest.«
»Keine Ahnung. Vielleicht, dass die Menschheit im Begriff ist, sich abzuschaffen, die fortschreitende Wüstenbildung, das Abschmelzen der Polkappen und die bevorstehende weltweite Sintflut, bei der wir alle untergehen.«
»Das wäre aber schade.«
»Wieso schade? ›Siehst du das Glück, oder sahst es jemals innerhalb der Grenzen der Welt? … Vielleicht am Grunde der Höhlen?‹«
»Und mit am Grunde der Höhlen meinst du wohl hier, in der Marina? Klar, hab ich es hier gesehen, das Glück.«
»›Wacht auf, ihr Sterblichen … Der Tag wird kommen, da keine Kraft von außen und keine Bewegung von innen euch aus der Ruhe des Schlafes reißen wird.‹«
»Trennst du deswegen nicht den Müll, damit die Welt noch schneller untergeht?«
»Könnte man die vom Aussterben bedrohten Tierarten essen« – Marianna redete sich so in Rage, dass ihr eine Wäscheklammer zerbrach –, »bekäme ich bestimmt Hunger. Soll ich vielleicht so wie du einen Kilometer bis zum nächsten Plastikcontainer laufen und ein paar Kilometer, um ein Stück Karton in dem Container für Papier und eine Flasche in dem für Glas zu entsorgen? Glaubst du im Ernst, dass du damit unseren Planeten rettest? Wozu? Du kannst dich ja nicht mal selbst retten.«
Sie nahm den noch halb vollen Wäschekorb, knallte ihn auf den Boden und setzte sich auf den Hocker, den sie benutzten, um Wäsche an den höher hängenden Leinen zu befestigen.
Felicita stellte sich vor sie hin. »Du bist böse auf mich, weil ich mich nicht selbst gerettet habe? Hast du nicht gesagt, dass der Tod das Beste ist, das den Lebenden passieren kann?«
»Der eigene Tod, du Dummkopf. Aber für die anderen gibt es keinen größeren Schmerz als den Tod eines geliebten Menschen. Ihr wart meine Familie, du und Gregorio. Die einzigen Menschen auf der Welt, die ich geliebt habe. Und jetzt ist der eine nach New York gegangen und weiß nicht einmal, wie es um seine Mutter steht, die ihm nichts gesagt hat, weil sie beim Sterben die Heldin spielt, dabei ist sie nur dumm.«
»Mich kannst du ruhig beleidigen, aber die Schöpfung bitte nicht.«
»So, ich soll nicht deinen Gott beleidigen? Diesen großartigen Schöpfer? Eine Stinkwut habe ich auf den. Verstehst du? Und auf dich auch, weil du an ihn glaubst. An Weihnachten freust du dich, weil das Jesuskind geboren wurde. Und an Karfreitag fastest du und weinst ein bisschen, weil Jesus gestorben ist. An Ostern freust du dich wieder und wiederholst die Botschaft des Engels, der auf dem Stein neben dem leeren Grab saß. Was hat dieser Engel noch mal gesagt?«
»Der, den ihr sucht, ist nicht hier.«
»Er war nie hier.«
Felicita musste trotz allem herzlich lachen, und da sie nur noch einen ihrer Turbane zum Aufhängen hatte, zeigte sie ihn Marianna. »Gefällt er dir?« Sie hielt ihn hoch. »Schön, nicht wahr? Also soll ich dir nun den Mann vom Poetto vorstellen oder nicht?«
»Ach, du kannst mich mal mitsamt deinem Gott. Ich hatte dir dein Gerede fast schon abgenommen, davon dass du nie krank wirst, weil man nicht krank wird, wenn man in Harmonie mit der Welt lebt.«
In Wahrheit fand auch Felicita die kleine Dachterrasse nicht so toll, und sie war sich auch nicht immer hundertprozentig sicher, dass Jesus tatsächlich auf Erden gewesen war. Und auch nicht, dass es immer einen besonderen Grund gab, wenn man krank wurde. Man wurde einfach krank. Mehr gab es dazu nicht zu sagen.