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Schon seit einer geraumen Weile war Marianna nicht mehr Marianna.

Sie sagte Sachen wie: »Ich habe ein kleines Abendessen vorbereitet, du kommst doch, oder?« Wenn sie neuerdings richtiges Essen zu sich nahm, übergab sie sich hinterher nicht mehr. Und wenn ihre Nachbarinnen Rezepte austauschten, setzte sie nicht mehr ihre gewohnte überhebliche Miene auf. Gerade stand sie vor dem Küchentisch, vor dem auf einem Lesepult aufgeschlagenen Rezeptbuch, daneben die abgewogenen Zutaten in säuberlichen kleinen Haufen.

Sie runzelte konzentriert die Stirn, als müsste sie eine Übersetzung aus dem Altgriechischen anfertigen. Ihre Schüler waren keine »Bastarde« mehr und die Kollegen nicht länger »falsch« oder »Drückeberger«. Nach dem »eigenhändig zubereiteten Abendessen« schlug sie vor, sich eine DVD anzuschauen, vielleicht sogar einen dieser Filme, die nicht schlecht ausgingen und deren Botschaft nicht lautete, dass das Leben widerlich war und dass es besser wäre, gar nicht erst geboren zu werden.

Und, am verwunderlichsten, sie trennte neuerdings den Müll.

An ihren Wäscheleinen auf der Gemeinschaftsterrasse hingen jetzt vorwiegend sündhaft teure, raffinierte Dessous. Sie ließ sich die Haare wachsen, die nach mehreren kostspieligen Bemühungen seitens des Friseurs ein hübsches Kastanienbraun mit goldenem Schimmer angenommen hatten, der gleiche Farbton, den sie als junges Mädchen gehabt hatte. Und vor allem setzte sie neuerdings die Brille nur noch auf, wenn es unbedingt nötig war.

»Und deine Brille? Du hast doch gesagt, dass du es nicht ertragen kannst, nicht zu sehen, wie die Dinge genau sind und wie die Menschen in Wirklichkeit aussehen, ob sie vielleicht kleine schwarze Punkte auf der Haut und Haare im Gesicht oder in der Nase haben und Löcher in den Strümpfen und ob der Haaransatz zu erkennen ist.«

»Aber inzwischen haben sich die Umstände geändert, und ich will das alles nicht mehr sehen.« Ein listiger Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht, als spielte sie auf etwas an, was Felicita bislang entgangen war.

Zu ihren denkwürdigen Abendessen war natürlich auch Pietro Maria eingeladen, der jetzt bei seinem Vornamen genannt wurde, die Phase des »Signor Meloni« war vorbei.

Felicita beobachtete die beiden, um herauszufinden, ob zwischen ihnen womöglich etwas war, aber sie konnte nichts Auffälliges entdecken.

»Pietro Maria hilft mir wirklich sehr mit dem Park. Er arbeitet wie ein Verrückter. Weißt du was? Er hat sogar die Bäume gerettet, die wir schon für abgestorben gehalten hatten. Und auch die armen Pflanzen, die von Parasiten befallen waren, erholen sich wieder. Er hat mir sogar einen biodynamischen Gemüsegarten angelegt …«

Dann, eines Tages, siehe da, kam sie im seidenen Morgenmantel und eleganten Pantoffeln mit Absatz nach oben in Felicitas Wohnung: »Ich muss dir was erzählen. Gestern Abend hat mich Pietro Maria ins beste Restaurant in ganz Cagliari zum Abendessen eingeladen. Es ist jetzt bestimmt zwanzig Jahre her, dass mich zuletzt ein Mann zum Essen ausgeführt hat.«

»Und dann?«

»Und dann, ich hoffe sehr, Felicita, dir nicht wehzutun, ich hoffe, dass du deinen Sisternes ein für alle Mal abgeschrieben hast. Kurz und gut, dann sind wir zusammen ins Bett.«

»Wo?«

»In einem Zimmer in der Villa natürlich. Hier hätte er bestimmt keinen hochgekriegt, mit einer wie mir! Hahaha!«