Weil er ein schwaches Herz hatte, konnte Felice keine schweren Arbeiten übernehmen. Und für die leichten Verrichtungen, zu denen er in der Lage war, schämte er sich.
Aber er schämte sich auch, sich an den gedeckten Tisch zu setzen und seinen Schwagern auf der Tasche zu liegen und den Schwestern, die bis spätnachts nähten, um rechtzeitig die Schneiderarbeiten für ihre Kunden fertigzubekommen.
Wenn ihm danach war, abends auszugehen, zog er sich um, trug Parfüm auf und trällerte hin und wieder sogar ein Lied. Aber wenn ihm dann einfiel, dass er seine Schwestern um Geld bitten musste, zog er die Jacke wieder aus und tauschte sie gegen die alten, zerschlissenen Sachen aus, die er zu Hause trug, und wartete, bis es an der Zeit war, seine beiden verheirateten Schwestern nach Hause zu begleiten.
Er verdingte sich mit Botengängen, brachte zum Beispiel die von seinen Schwestern genähten Kleidungsstücke zu den Kunden, aber da er kein kleiner Junge mehr war, kam er sich lächerlich vor.
»Irgendwann gehe ich in die Sowjetunion«, sagte er in diesem schleppenden, murmelnden Tonfall, den er sich angewöhnt hatte. »Dort gibt es für alle Arbeit. Eines Tages hau ich ab und komm nie wieder.«
Aber er kehrte zurück. Oder besser gesagt, blieb ohnehin fast die meiste Zeit zu Hause und traf sich nur noch selten mit seinen Kameraden vom PCI, der Kommunistischen Partei Italiens.
Wenn die Mutter Ester wieder einmal wegen ihres Verlobten anging und seine Schwester ihn hilfesuchend ansah, zuckte Felice mittlerweile nur noch die Achseln, statt sie in Schutz zu nehmen. Nachts konnte er nicht mehr schlafen, und man hörte ihn in seinem Zimmer auf- und abgehen. Bis er, bei jedem Wetter, irgendwann in den Hof hinaustrat.
In jenem Jahr ging er am 9. Mai, dem Tag, an dem die Russen das Kriegsende feierten, nicht in die Bar, wo es ein Telefon gab, über das Raffaele ihn wie jedes Jahr anrufen würde, um ihn zu beglückwünschen. Als Ester ihn daran erinnerte, zuckte er nur wieder die Achseln und erwiderte, die Sowjetunion sei viel zu weit weg.
Eines Morgens, an dem er einen Mantel ausliefern sollte, frühstückte er wie immer eine geröstete Brotscheibe und trank seinen Caffè Latte, den ihm die Mutter mit sauertöpfischer Miene hinstellte. Dann ließ er sich von den Schwestern die Adresse des Kunden geben und überquerte mit dem Päckchen unter dem Arm den Hof. Ob absichtlich so laut, dass er es hören musste, oder nur zu sich selbst, jedenfalls brummte die Mutter auf Sardisch: »Custu no esti omini« – »das ist doch kein richtiges Mannsbild«.
Weder lieferte Felice den Mantel beim Kunden ab, noch kam er nach Hause zurück.
Man fand ihn auf einem Feld in der Nähe, wo er in einem Brunnen ertrunken war. Aus dem Schmutz unter den Fingernägeln und den zerkratzten Händen schlossen sie, dass er, nachdem er sich hineingestürzt hatte, wieder versuchte, sich an den Mauervorsprüngen des Brunnens festklammernd, hinauszuklettern. Also musste er sein Unterfangen bereut haben und hatte nicht wirklich sterben wollen, aber leider war es für eine Umkehr zu spät gewesen.