21
Dr. Hussain
R
anim Hussain sah die rothaarige, rotäugige Frau, die vor ihr saß, an und wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihrer Einschätzung nach war die Patientin noch nicht einmal an der Schwelle zu einem Zustand, der eine Einweisung wegen Schizophrenie rechtfertigte, und die Kapazitäten des Sozialpsychiatrischen Dienstes von Camden waren ohnehin mehr als strapaziert. Andererseits hatte die junge Frau, die sich – gerade erst in die Gegend gezogen – in der Notaufnahme Primrose Hill gemeldet hatte, ganz offensichtlich Probleme und wies einige merkwürdige Symptome auf.
»Können wir das bitte noch mal durchgehen, Miss Ferguson?«
»Sie können mich … nennen Sie mich einfach Jo, wenn Sie meine Ärztin werden. Bitte nicht so förmlich.«
Ranim lächelte. »Wenn Ihnen das lieber ist, natürlich.« Sie drehte sich zu ihrem Computer, tippte etwas, ging ihre Notizen noch einmal durch. »Haben Ihre frühere Ärztin und Sie einander auch mit dem Vornamen angesprochen? Oben in North Finchley?«
»Nein.« Die junge Frau brachte ein mattes Lachen zustande. »Das ist es ja gerade. Ich bin ihm – es war ein Er – kaum einmal begegnet, einfach weil ich nie krank war. Jahr um Jahr war ich gesund und glücklich. Habe meinen Job geliebt und das Leben. Ich rauche nicht, ich ernähre mich vernünftig, ich trainiere, so viel ich kann.«
»Alkohol?«
Jo Ferguson zögerte. Sie betrachtete ihre Fingernägel. Ranim sah, dass einige abgekaut waren.
»Ja, ich trinke wahrscheinlich zu viel. Aber auch nicht sooo viel.«
Ranim tippte etwas in den Rechner.
»Wie viele Einheiten pro Woche, würden Sie sagen? Wenn ein kleines Glas Wein eine Einheit ist?«
Die Patientin schloss die Augen, rechnete, blickte auf und sagte: »Zehn Einheiten in einer Woche mit wenig? Fünfzehn in einer mit viel? Das ist dann aber keine gute Woche.«
Ranim nickte, während sie die Zahlen im Stillen mal zwei nahm. Aus langer Erfahrung wusste sie, dass abgesehen von den total Abstinenten oder Muslimen wie ihrer Familie – aber auch da gab es Ausnahmen, ihren bierseligen Onkel Danesh etwa – bezüglich des Alkoholkonsums nahezu alle logen. Verdoppelte oder verdreifachte man die geschätzte Menge, kam man der Wahrheit meist näher.
Und dennoch, selbst wenn diese Frau dreißig Einheiten pro Woche trank, jeden zweiten Tag eine Flasche Wein und an den Wochenenden noch ein paar Cocktails, konnte das diese merkwürdigen Halluzinationen nicht einmal ansatzweise erklären. Stimmen aus Geräten? Irgendetwas war da verkehrt. Aber was?
»Also bitte noch einmal von vorn. Damit ich es verstehe.«
Jo lächelte. Sanft und ernst. »Wenn Sie meinen, dass das nützt.«
Es war kein überzeugendes Lächeln. Ranim sah die Furcht im Blick der jungen Frau. Ein leichtes Beben der Lippen.
»Sie haben gesagt, vor ein paar Wochen hätten die Geräte angefangen, mit Ihnen zu sprechen, und dann hätten Ihr Handy und Ihr Laptop Ihnen Nachrichten geschickt beziehungsweise Sie via Skype kontaktiert.«
Jo faltete den Schal, der auf ihrem Schoß lag, ordentlich zusammen. »Ja, ungefähr seit zwei Wochen.«
»Und was ist so unheimlich an dem, was sie sagen?«
Ein langes Schweigen trat ein. Beide lauschten sie dem Glitschen der Autos durch den schmelzenden Schnee auf der Regent’s Park Road.
»Sie reden über, na ja, über mein Leben. Die Vergangenheit.«
Neuerliches Schweigen. Das war auffällig. Verräterisch. Jo Ferguson hielt, so Ranims Vermutung, etwas zurück, selbst jetzt, da sie ausführlicher erzählte.
»Sie reden über Sachen aus meiner Studienzeit, aus meiner Ehe, sogar aus meiner Kindheit. Sie scheinen jede Menge über mich zu wissen. Am Anfang dachte ich, die Technik ist gehackt worden, mein Ex-Mann ist wie gesagt ein Techfreak, er hat diese Geräte installiert, er hätte einen Grund für Rachegelüste, seine Frau kann mich nicht leiden, und er ist der Einzige, der so viel aus meiner Vergangenheit weiß, also müssen sie es doch sein, sie und er, oder? Das erscheint jedenfalls logisch. Andererseits …« Die ohnehin kleinlaute Stimme wurde brüchig; die Frau war den Tränen nahe. »Das mit dem Handy, das mit Skype, die Gedichtzeilen – das kommt mir vor wie echter Irrsinn, das klingt doch alles, als wär ich verrückt, oder? Und ich muss wissen, ob es so ist. Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen.«
»Hat irgendjemand sonst etwas von diesen Dingen mitbekommen?«
Jo ließ den Schal sinken, hob den Kopf, das hübsche, ängstliche Gesicht, und errötete. Versuchte zu antworten. Rang mit sich.
Schließlich schüttelte sie den Kopf. »Nein. Eine Nachbarin hat die Lampen flackern sehen, aber das kann auch meine Schuld gewesen sein, vielleicht habe ich in der App etwas falsch gemacht.«
»Also hat niemand beispielsweise gehört, wie die Home-Assistants mit Ihnen geredet oder seltsames Zeug gesungen haben? Niemand außer Ihnen?«
Noch einmal schüttelte Jo den Kopf und schob sich eine kupferrote Strähne aus dem Gesicht. Sie hatte grüne Augen.
»Nein, niemand. Auch deswegen bin ich hier. Und die unheimlichen Nachrichten verschwinden, sodass ich nichts in der Hand habe. Ich habe versucht, Screenshots zu machen, sie irgendwie zu speichern, aber sie werden immer auf wundersame Weise gelöscht.« Sie seufzte.
»Vielleicht bilde ich sie mir nur ein?«
Jetzt, da die Haare aus dem Gesicht gestrichen waren, sah Ranim, dass Jo Ferguson nach einer Woche mit ausreichend Schlaf und weniger Kummer eine sehr attraktive junge Frau sein würde. Dazu war sie redegewandt, gebildet, klar in ihren Aussagen.
Jo beugte sich vor und schaute sie flehentlich an. »Heißt das, das alles findet in meinem Kopf statt? Dann bin ich verrückt, oder? Ich bin es, die die Sachen hört. Ich bin wie mein Vater, ich hab’s Ihnen erzählt, spät beginnende Schizophrenie. Sein erstes Symptom war, dass er dachte, der Fernseher spricht mit ihm. Bei mir sind es Home-Assistants und Computer. Wo ist der Unterschied? Ich drehe durch, wie Dad, ich bin ein Schizo, eine Irre, und ich werde enden wie er. Er hat sich mit Abgasen umgebracht, so ähnlich wie Sylvia Plath hier in der Gegend.« Sie deutete zum Fenster, Richtung Chalcot Square und Fitzroy Road, wo die Dichterin tatsächlich den Gashahn aufgedreht hatte. Die Geschichte kannten alle, die lange genug am Primrose Hill wohnten oder arbeiteten.
»Und soll ich Ihnen was sagen?«, fuhr Jo fort. »Etwas echt Verrücktes? Eine Zeit lang dachte ich, ich hätte sie als Geist gesehen, also Plath, wie sie mit ihren Kindern durch den Schnee gelaufen ist.«
»Wie bitte?«
Über diese Reaktion, die offensichtliche Ungläubigkeit, dachte Jo eine Weile nach.
»Genau. So weit ist es gekommen. Ich halte es für möglich, dass ich Geister gesehen habe. Die Geister einer Dichterin und ihrer armen Kinder. Verrückter geht’s ja wohl nicht.«
Die Patientin versank in Schweigen. Ranim tippte ein paar Sätze in ihren PC
, und dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Eigentliche. Jo saß reglos da. Ihre Jeans waren noch feucht von dem Gang über den winterlichen Primrose Hill, von dem Matsch, den vorbeifahrende Autos hochgewirbelt hatten.
»Hören Sie, Jo, ich will offen mit Ihnen sprechen. Wahrscheinlich haben Sie das schon von Dr. Google gehört, aber ich sage es trotzdem: Damit ich auch nur versuchsweise eine womöglich beginnende Schizophrenie diagnostizieren oder Sie an einen Spezialisten an der Uniklinik oder meinetwegen am Royal Free Hospital überweisen kann, müssen Sie über einen Zeitraum von einem Monat hinweg eine Reihe bestimmter Kriterien erfüllen.«
»Und die wären?«
»Schwere Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Stimmenhören, unzusammenhängendes Reden – und was wir außerdem beobachten müssen, ist ein sogenanntes Verflachen der Gefühle. Eine Affektverflachung.«
Es blitzte in Jos Augen. »Aber mindestens drei dieser Symptome habe ich!«, sagte sie unglücklich. »Ich habe Wahnvorstellungen und Halluzinationen, und ich höre Stimmen.«
»Nicht annähernd schlimm oder lange genug.« Ranim hob beschwichtigend die Hand. Im Licht des winterlichen Spätnachmittags schimmerten die Straßenlaternen, die noch aus waren, rosa. »Und es liegt keine Affektverflachung vor. Demzufolge ist es zu früh, um eine schwerwiegende Erkrankung in Erwägung zu ziehen. Außerdem müssten die Symptome Sie ernsthaft in Ihrer Arbeit behindern. Sie sind Journalistin, richtig? Spüren Sie Auswirkungen auf Ihre Arbeit?«
Langsam, zögernd schüttelte Jo erneut den Kopf.
»Nein. Ein bisschen vielleicht, aber: nein. Ich schreibe nach wie vor. In letzter Zeit habe ich nicht mehr so viele Themen angeboten, langsam wird das Geld knapp, aber das liegt daran, dass ich so abgelenkt bin.«
»Aber Sie können schreiben?«
»Ja, schreiben kann ich. Wenn ich mich hinsetze und einfach anfange, hilft das sogar. Dann vergesse ich mich und meine Sorgen.«
Ranim lächelte, so aufmunternd sie konnte. »Na also. Wie gesagt,
von dem Punkt, an dem wir anfangen würden, an eine so dramatische Diagnose wie Schizophrenie zu denken, sind Sie noch weit entfernt …«
»Aber was ist es dann?« Verzweifelt hob Jo die Hände. »Warum höre ich Sachen, warum sehe ich Sachen? Wieso tue ich Dinge, an die ich mich hinterher nicht erinnern kann? Zum Beispiel hatte ich mir so ein Dating-Profil angelegt, bei OkCupid, egal, wo, jedenfalls ist es verschwunden. Ich kann mich nicht erinnern, es gelöscht zu haben, aber das muss ich doch getan haben! Was passiert mit mir?«
Ranim hob die Hand. »Warten Sie, warten Sie, langsam.«
Jo wartete. Aus traurigen Augen sah sie sie an.
»Vieles davon könnte einfach emotionaler Stress sein«, fuhr die Ärztin fort. »Sie sind frisch geschieden, Sie haben Geldsorgen, Einsamkeit ist ein Thema: Sie arbeiten von zu Hause aus, und dort sind Sie meistens allein, sagten Sie. Vielleicht haben Sie wegen irgendetwas Schuldgefühle. Das kann auch ein Faktor sein. Und jeder, der unter Stress steht, ist in der Lage, Sachen zu sehen. Das ist normal, ein Reflex, die Stimme im Dunkeln, die geisterhafte Gestalt auf der Straße – das sind keine Halluzinationen, es ist der Kopf, der nach Gefahren Ausschau hält.« Sie wartete darauf, dass sich in Jos Gesicht eine Reaktion zeigte. Da, jetzt sah sie es wieder, das leichte Beben der Lippen. Sie sprach weiter. »Außerdem könnte der Skype-Anruf mitten in der Nacht auch ein besonders lebhafter Traum gewesen sein. Und die SMS
und Bildnachrichten, die verschwunden sind – vielleicht haben Sie sich die nur vorgestellt. Wie gesagt, der gestresste und ängstliche Geist kann uns alle möglichen Streiche spielen – ohne dass wir verrückt sind.«
»Hm.« Jo blickte auf ihre schwarzen Stiefel hinunter und dann hinüber zu den Kleiderhaken. Dann auf die Uhr.
»Eine Frage habe ich noch, Jo.«
»Ja?«
»Konsumieren Sie Drogen?«
»Wie bitte?«
»Sie wissen schon. Kokain? Ecstasy? Ketamin? Vielleicht ein bisschen Marihuana. Vertrauen Sie mir, Sie können es mir sagen.«
Jo stand auf und schlüpfte in ihren Mantel. Ihre Abwehr war entschieden und glaubhaft.
»Nein, überhaupt nicht! Nichts davon!«
»Es könnte viele Ihrer Symptome erklären.«
»Aber ich nehme nichts davon. Und zwar schon seit …«, sie zwinkerte ein paarmal, »… seit einer Ewigkeit nicht mehr, seit der Studienzeit.«
Ranim zuckte die Achseln. »Nicht einmal Tranquilizer oder Schlaftabletten?«
Jo wurde rot. Und schwieg.
Aha,
dachte Ranim und lächelte aufmunternd. »Okay, ich vermute, Sie nehmen Schlaftabletten, richtig? Wenn das der Fall ist, müssen Sie sie irgendwo gekauft haben.« Ranim drehte sich zu ihrem Bildschirm um. »Denn soweit ich sehe, ist Ihnen so etwas nie offiziell verordnet worden. Keine Anxiolytika, keine Tranquilizer, kein Antidepressivum, gar nichts.«
Zögerlich sagte Jo: »Ich nehme Xanax. Und manchmal Valium.«
Ranim fuhr auf. »Was?«
Ihre neue Patientin starrte beschämt zu Boden und sagte: »Nach der Scheidung habe ich eine lange Asienreise gemacht, von Laos nach Kambodscha und von da nach Thailand und Malaysia. Es war wunderbar, aber ich hatte öfter einen Jetlag, und die Bustouren waren anstrengend, und dann hat jemand gesagt, dass man das Zeug einfach so kaufen kann – Xanax. Valium. Also hab ich mir was gekauft. Eine Menge. Und es hat geholfen, ich konnte in den Zügen schlafen und in Flugzeugen, und ich hatte keine Stimmungsschwankungen mehr. Xanax hilft wirklich.«
»Und Sie nehmen es immer noch?«
»Ja, mal nehme ich es eine Zeit lang, dann wieder nicht. Aber das Zeug ist in Ordnung, oder nicht?« Inzwischen waren die Laternen draußen an, die Straße gab ein schwarz-weißes Winterbild ab. »Ich meine, es sind ja nur Schlaftabletten, dort drüben kriegt man die in der Drogerie. Da brauchen Sie kein Rezept.«
Ranim erhob sich ebenfalls, ging auf Jo Ferguson zu und legte ihr freundlich die Hand auf die Schulter. »Das sind sehr starke Drogen, Jo. Diazepam – das ist eine andere Bezeichnung für Valium – sollte nicht länger als ein paar Wochen eingenommen werden. Und was Xanax betrifft oder Alprazolam«, sie atmete geräuschvoll aus, »das ist richtig gefährlich. Wissen Sie, dass es in Großbritannien praktisch illegal ist? So gut wie niemand darf Xanax verschreiben, weil es extrem schnell süchtig macht und viele ungute Nebenwirkungen haben kann. Und der Entzug kann äußerst problematisch verlaufen; es ist eine der wenigen Drogen, bei denen unvermitteltes, vielleicht unfreiwilliges Absetzen, wenn es nicht richtig gemacht wird, zum Tode führen kann. Und Sie nehmen Xanax einfach so und dann wieder nicht? Wie viele haben Sie noch?«
Jo zuckte die Achseln und lächelte vorsichtig hoffnungsvoll, einerseits wohl erleichtert über die Diagnose, andererseits nervös und verlegen. »Ich weiß nicht. Ein paar Hundert? Ich habe mir Unmengen mitgebracht, weil sie mir so geholfen haben, klar zu denken; ich hatte keine Ängste mehr, ich habe besser geschlafen, aber … meinen Sie wirklich, dass diese Tabletten an allem schuld sind?«
»Ja!« Ranim erhob die Stimme, um ihrer neuen Patientin den Ernst der Sache klarzumachen. »Mein Gott, Xanax! Wenn Sie das manchmal nehmen und manchmal nicht, können Sie zeitweise auf Entzug sein, ohne es zu wissen, und das kann zu Verwirrung führen, zu Feindseligkeit, Dissoziation, Derealisationserleben – zu allem Möglichen. Darum müssen wir uns kümmern, wir müssen Sie richtig entwöhnen. In ein paar Wochen, wenn Sie sich etwas beruhigt haben,
kommen Sie bitte wieder. Und ich möchte, dass Sie bis dahin Ihre gewohnte Dosis Xanax täglich nehmen und beobachten, was die regelmäßige Einnahme bewirkt. Danach erst können wir einen Plan machen, wie wir Sie sehr langsam und sicher davon runterbringen. Okay?« Die Ärztin schüttelte den Kopf. »Und was auch passiert, Sie dürfen die Dosis auf gar keinen Fall erhöhen!«
Jo schlang sich den Schal um den Hals und knöpfte den Mantel zu. Ihr Lächeln schien eine Spur sicherer.
»Gut, vielen Dank. Danke. Vielleicht ist es ja nur das: ein paar blöde Pillen, die ich in Phnom Penh gekauft habe. Ich hab sie eingeworfen oder nicht, fast wie Süßigkeiten. Dumm. So was von dumm.«
»Ja, gut, wenigstens sind wir noch darauf gekommen. Auf Wiedersehen, Jo, und verabreden Sie bitte draußen einen Termin für in etwa zwei Wochen.«
»Mach ich. Und … danke.«
Ranim sah ihr einen Augenblick nach, tippte ein paar Notizen in den Rechner und vermerkte etwas in Jo Fergusons Patientenakte. Dann stand sie auf und trat ans Fenster.
Da draußen war sie. In der Kälte. Wanderte nach Hause. Es fiel neuer Schnee. Die Straße lag verlassen da. Die kleinen Cafés und schicken Tierhandlungen, das vietnamesische Pho-Restaurant, alles still. Der Schnee war schön im Mondlicht: dichte Flocken, die schnell zu Boden segelten. Sie leerten die Straßen, verwandelten Autos in anonyme weiße Haufen.
In dieser melancholisch schönen Szenerie stach die einsame Gestalt von Jo Ferguson deutlich heraus. Wie eine Polarforscherin sah sie aus, so eingemummelt mit Schal und Mütze. Auf dem Weg zu etwas weit Entferntem. Entschlossen, an einen Ort vorzudringen, an den zu gelangen sinnlos und trotzdem gefährlich war.
Einen Moment lang empfand Ranim tiefes Mitleid mit dieser jungen Frau, die offenbar vollkommen allein war, aber was konnte sie tun?
Sie gab sich einen Ruck, kehrte an ihren Schreibtisch zurück, beugte sich vor und drückte die Telefontaste zum Empfang.
»Schicken Sie mir bitte den Nächsten, Fiona.«
Dann setzte sie sich an den Rechner und brachte ihre Notizen zu Jo Ferguson zu Ende. Hinweise auf Bipolarität oder Depression. Für Diagnose zu früh. Klären, sobald Xanax ausgeschlichen ist. Alkoholkonsum ebenfalls beobachten.
Kurz hielt Ranim die Finger still, dann tippte sie weiter: Außerdem tiefer liegende Symptome schizophrenen Verhaltens. Möglicherweise genetisch.