29
Simon
E in Geräusch aus dem Flur riss ihn aus seinen Gedanken. Diesmal war es tatsächlich Polly. Er trat aus dem Arbeitszimmer, um sie zu begrüßen, doch sie starrte ihn feindselig an. Sie hatte kein Kind auf dem Arm. War nass von Schnee und Hagel. Warf wütend ihren Mantel auf den Boden.
»Polly? Was ist los? Wo ist Grace?«
»Ich hab sie bei Mutter gelassen. Ich war einfach zu wütend.«
»Aber … Ich weiß nicht … Pol…«
»Wie kannst du es wagen? Scheißkerl. Wie kannst du es wagen?«
»Was denn?«
Polly kam auf ihn zu und blieb dicht vor ihm stehen. Sie roch nach Kälte und Schweiß, nach Wut und Schnee. Sie hielt ihm ihr Handy unter die Nase und spielte ein kleines Video ab. Etwas selbst gebastelt Pornografisches. Und es war ein von ihm gebastelter Porno, ein grobkörniges Amateurfilmchen, das zeigte, wie er es Jo von hinten besorgte. Es war mithilfe eine Spiegels gefilmt; Jo lachte.
»Das hat deine verdammte Jo Ferguson mir geschickt. Und sie schreibt, dass ihr es vor einer Woche aufgenommen habt. Dass ihr immer noch vögelt.«
»Aber …«, protestierte er. »Aber … das Ding ist uralt. Sieh doch genau hin, sieh dir meine Haare …«
Schon als er es sagte, wusste er, dass es sinnlos war. Die Qualität des Videos war zu schlecht, es war mit einem miserablen Handy aufgenommen. Es war viel zu dunkel in dem Raum, das konnte genauso gut vor einer Woche entstanden sein, und wenn es zehnmal nicht so war.
Polly starrte ihn an.
»Warum soll ich dir auch nur ein Wort glauben? Wo ich doch weiß, dass du immer noch scharf bist auf sie. Hm?«
Simon versuchte, etwas zu erwidern. Er scheiterte. Weil Polly recht hatte und weil er nicht mit einer schäbigen Lüge alles noch schlimmer machen wollte.
Stumm sah er zu, wie Polly den Mantel aufhob und an den Haken hängte. Dann drehte sie sich um und sah ihn an.
Langsam, traurig und sehr ernst sagte sie: »Hör zu, Simon. Du hast eine letzte Chance. Jo muss verschwinden.« Und ohne ihm Zeit für eine Erwiderung zu lassen – wenn er denn überhaupt eine gewusst hätte –, fuhr sie fort: »Grace zuliebe will ich, dass Jo aus deinem Leben verschwindet. Ich will, dass du in diesem Augenblick aufhörst, an sie zu denken, über sie zu fantasieren, mit ihr zu reden, dich mit ihr zum Mittagessen zu treffen, auf welchem Weg auch immer mit ihr zu kommunizieren, was auch immer mit ihr zu tun zu haben. Wenn ich auch nur eine SMS finde – und ich werde nachsehen, und wie, und zwar täglich –, nehme ich Grace und verlasse dich. Dann siehst du deine Tochter jeden zweiten Sonntag eine halbe Stunde lang, und ich lerne jemand anderen kennen und gehe mit ihm nach Australien, und unsere Tochter nehme ich mit. Ich will den Sperrcode für dein Telefon und die Passwörter für deine Mails und SMS . Damit ich nachsehen kann.«
»Polly …«
»Sofort!«
Er nannte ihr seinen Sperrcode, und sie speicherte ihn in ihrem Handy. Beklommen sah er ihr zu. Das Hageltrommeln am Fenster klang wie Applaus zu seiner vollständigen Kapitulation. Das Geräusch hatte beinahe etwas Menschliches, als versuche jemand verzweifelt, sich bemerkbar zu machen. Seine Aufmerksamkeit zu ergattern. Ihn dazu zu bringen, dass er hinausspähte in die bitterkalte Dunkelheit und sah.
Es trommelte auch noch Hagel gegen die Fenster, als Polly nach nebenan ging und ihn mit einem letzten Rätsel zurückließ.
Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schneeball, geworfen von einem lachenden Kind. Es lief ihm eiskalt den Rücken hinunter.
Er hatte Jo dieses Video nie geschickt, hatte es ihr, soweit er sich erinnerte, noch nicht einmal gezeigt. Er hatte es immer für sich behalten. Sie hatten viele solche Videos gemacht, kleine Pornos, auch Fotos, aber er hatte immer zu verhindern gewusst, dass sie mitbekam, wie oft er sie beim Sex filmte, wie besessen er davon war, wie viele Fotos und Bilder er hatte: von ihr und sich. Vor allem von ihr.
Wer hatte also diesen Film aus seinen privaten Ordnern gefischt und ihn vorgeblich von Jos Mail-Account aus verschickt? Wer hatte Zugang zu seinem supergesicherten Laptop zu Hause? Niemand. Fast niemand.
Er hörte Polly in der Küche. Wie sie zornig Essen machte. Mit Tellern und Messern klapperte.