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Jo
I
ch arbeite, es schneit, ich arbeite, es ist kalt, und drüben am Parkeingang strotzt das Relief von St Pancras, der von einem Wolf angegriffen wird, nur so von riesigen Eiszapfen. Sibirische Trostlosigkeit hat sich über London gelegt. Nach Putney und Ealing gehen keine Bahnen mehr, auf der Archway Road kommen Busse auf dem vereisten Gefälle ins Rutschen und bleiben liegen; an den Straßenrändern türmen sich schmutzige Schneehaufen, blockieren den Zugang zu Geschäften, Reinigungen und der Hälfte der Cafés am Parkway.
Und ich arbeite. Beende mein Stück über Camden. Schicke es ab. Der Redakteurin gefällt’s. Sie fragt nach etwas Neuem, fordert mich auf, Vorschläge zu machen, ein bisschen Geld zu verdienen. Eifrig verspreche ich, mich zu melden. Ich brauche das Geld – und die Ablenkung.
Keine Ahnung, ob das etwas zu bedeuten hat, aber die Assistants halten sich seit einer Weile zurück. Gelegentlich höre ich ein paar Töne schräge Musik oder eine Zeile aus einem Gedicht, oder im Fernseher läuft plötzlich das Video von Simon und mir im Gespräch, auch wenn ich gerade arbeite oder esse oder mir Der Exorzist
oder Blair Witch
anschaue.
Was die Assistants wohl nicht wissen, ist, dass ich an einem Plan bastele; ich fixiere ihn handschriftlich, in verborgenen Winkeln der Wohnung oder irgendwo in Camden im Pub oder Café, in einem Notizbuch, sodass sie es nicht sehen, wie der Typ in Orwells 1984
, der
sich immer vor den Televisoren versteckt.
Ich notiere lange Flussdiagramme, skizziere mögliche Verbindungen, male Mengendiagramme in Bezug auf mögliche Verdächtige, Leute, denen ich wehgetan habe, Leute, denen ich nicht wehgetan habe, und wie zum Beispiel Simon mit ihnen allen verbunden ist. Schließlich bin ich schlau, ich habe einen Einserabschluss, ich kann besser sein als Simon oder Simon und seine Komplizen, ich kann besser sein als jeder Nerd-Mistkerl, wer es auch ist, der dieses Programm geschrieben und in jeden digitalen Winkel meines schwindenden Lebens geschmuggelt hat. Es gibt einen Weg, ihn oder sie oder sie alle auszutricksen. Es muss einen geben.
An diesem Nachmittag ist es wie an allen anderen Tagen dieses bösartigen Winters auch: Ich gehe nach draußen und bringe meinem letzten Freund ein bisschen Suppe. Autos löffelt sie, leckt sich die Lippen, reicht mir die Schüssel und verabschiedet sich. Ich nehme die Schüssel, überquere die vereiste Straße und kehre in die Wohnung zurück.
Parfüm.
Es hängt eindeutig Parfümduft in der Wohnung. Ein Duft, der sagt: Tabitha ist wieder da.
Und tatsächlich, im Flur stehen Koffer. Ich wundere mich. Ich habe mich so weit von der Normalität entfernt, dass ich kaum mitgekriegt habe, wo meine Freundin war, was sie gemacht hat, ich nehme an, es war eine Art Skiurlaub mit Arlo, vielleicht waren sie auch irgendwo in Ostasien.
Als ich ins Wohnzimmer komme, steht sie in schickem Pullover, schicken Jeans und schicken Stiefeln am Fenster, nippt Tee und schaut hinaus. Sie ist so schlank, dünner als ich. Schon immer war sie dieses bisschen dünner.
Jetzt dreht sie sich um und sieht mich neugierig an. Mir fällt auf, dass sie braun gebrannt ist, und sofort weiß ich wieder, wo sie waren.
Vietnam. Genau. Eine Woche Sonne in Vietnam. Ich zögere, spüre auf einmal eine große Distanz zwischen uns; sie hat zwar kein Wort gesagt, aber sie muss von den Mails, die ich verschickt habe, wissen; muss wissen, wie seltsam ich mich scheinbar benehme. Sie hat nichts gesagt, aber ich muss reden.
»Hallo, Tabs, schön, dich zu sehen. Wie war euer Urlaub?«
»Super«, sagt sie mit einem Achselzucken. »Mal abgesehen vom Schlangenblut. Arlo hat darauf bestanden, dass wir welches trinken. Offenbar gut für die Männlichkeit. Aber sonst – super. Allerdings hatte ich gehofft, dass, wenn ich zurückkomme, die Eiszeit vorbei ist, dass es nicht noch schlimmer ist als vor der Abreise.« Dazu wedelt sie mit der Hand, die die leere Tasse hält, in Richtung Fenster. »Aber was soll’s? Ich muss mir einfach schneetaugliche Schuhe kaufen. Bei Jimmy Choo gibt’s eine schöne Auswahl.«
»Ja?«
Sie bedenkt mich mit einem mitleidigen Blick.
»Habe ich dich gerade unten mit Autos reden sehen?«
Ich werde rot.
»Ja … ja, hast du. Er ist so was wie ein Freund geworden, weißt du? Ich bringe ihm manchmal ein bisschen Suppe oder ein Sandwich. Er ist total harmlos, und er ist interessant, er kann richtig eloquent sein.«
Ihr Blick ist von tiefer Skepsis erfüllt.
»Er ruft Autos, Autos, Autos
, Jo. Das ist es, was er den ganzen Tag sagt. Das ist nicht eloquent, das ist nicht die Gettysburg Address. Es sei denn, Abraham Lincoln hätte auch ein Toyota-Haus gehabt.«
»Nein«, begehre ich auf. »Nein, du irrst dich, ehrlich. In ihm steckt viel mehr. Er ist ein bisschen verrückt, aber nicht komplett …«
Ohne dass ich es darauf angelegt hätte, scheint meine Chance gekommen. Jetzt oder nie. Tabitha muss es erfahren. Das ist mehr als überfällig. Über Jamie weiß sie ohnehin Bescheid, warum sollte ich das Tabu nicht brechen, jetzt, da meine Gesundheit auf dem Spiel steht
oder, genau genommen, mein Leben?
»Wir müssen reden, Tabitha.«
Sie kommt vom Fenster herüber und setzt sich aufs Sofa, die Knie züchtig geschlossen, vornehm und sexy zugleich, wie die kluge, vielversprechende Prinzessin eines kleinen, wohlhabenden Landes, Dänemarks etwa oder Norwegens. Ihre Stiefel weisen nicht die kleinste Spur von Schnee oder Feuchtigkeit auf. Vielleicht schwebt sie oder bewegt sich auf dem Pferderücken fort.
Tabitha fängt an.
»Geht es um diese Mails, die du herumgeschickt hast? Ich hab so einiges gehört, Jo. Ich kann nicht behaupten, dass ich mir keine Sorgen um dich mache. In Wahrheit mache ich mir inzwischen noch viel größere Sorgen. Was ist bloß in dich gefahren, um Gottes willen, warum führst du dich so auf? Ich wusste, dass du einsam bist, ich habe versucht, dir Tipps zu geben, aber das?«
»Psst!« Ich zeige auf die Assistants, den Bildschirm des Smart-Displays, den schwarzen Zylinder.
Sie starrt mich konsterniert an. »Was?«
»Psst!« Und gestikulierend gebe ich ihr zu verstehen, dass sie mitkommen soll, mir folgen, hier entlang, und dazu forme ich mit den Lippen das Wort bitte
.
Achselzuckend folgt sie mir in ihrem rotbraunen Pulli, der aussieht, als hätte sie ihn gerade vor einer Stunde aus einer edlen Schachtel mit Seidenpapier genommen. Zögernd fragt sie: »Dein Ernst?«
Ich zeige auf das kleine Bad. Soweit ich herausgefunden habe, ist das der einzige Raum, in dem die Assistants nichts sehen und hören. Normalerweise mache ich mir hier meine geheimen Notizen. Fixiere mögliche Lösungen für das Rätsel.
Bitte,
wiederhole ich stumm.
Sie zuckt die Achseln: Okay
.
Wir betreten den kleinen Raum, und ich drehe den Wasserhahn auf,
um zusätzliche Geräusche zu haben. So werden wir nicht gehört. Ungläubig starrt Tabitha mich aus weit aufgerissenen blauen Augen an.
»Wird das ein Agentenfilm? Spreche ich für den nächsten James Bond
vor? Wie toll!«
Ohne auf ihre Sprüche einzugehen, sage ich schnell: »Du hast mir erzählt, dass Arlo deine Home-Assistants beobachtet.«
Jetzt neigt sie den Kopf. Ein Stirnrunzeln deutet sich an.
»Ja, darüber haben wir gesprochen …«
»Sieht und hört er alles, was hier abläuft?«
»Nein, natürlich nicht! Ich hab’s dir doch schon mal gesagt. Er kriegt nur Alarmsignale, wenn die Sicherheit gefährdet ist, wenn ein Schloss aufgebrochen wird oder die Home-Assistants nicht funktionieren. Er liest nicht nach, worum es geht, wenn ich mit Electra spreche. Was ich ohnehin nicht tue, ich bin ja kaum hier. Wir wollen sogar Smart-Locks einbauen lassen, weil ich so viel weg bin.« Ihre Miene verfinstert sich zusehends. »Hör zu, Jo, ich habe zu tun.« Dabei zeigt sie auf ihren Bauch, der einen Hauch schwanger aussieht und mir sofort ein schlechtes Gewissen macht. »Ich habe heute Nachmittag einen Termin beim Gyn, muss mich durchchecken lassen. Kannst du bitte einfach sagen, was los ist? Warum hast du diese Horrormails verschickt?«
»Ich habe sie nicht verschickt. Ich habe keine einzige von diesen Mails verschickt.«
»Was?«
»Ich schwör’s, glaub mir.« Ich flehe sie geradezu an.
Das kalte Wasser läuft. Wir, zwei Frauen in einem winzigen Bad, starren einander an. Achselzuckend hört sie sich meinen Protest an. »Ich habe das nicht getan, ich schwöre es, ich habe überhaupt nichts getan!«
In ihrem Gesicht malt sich Verwirrung. Dazu vielleicht Mitleid.
»Okay. Dann stelle ich die naheliegende Frage: Wer hat sie verschickt?« Sie guckt, als versuche sie sich einen ironischen Spruch zu verkneifen. Vielleicht hat Pazuzu der sumerische Winddämon sie verschickt oder ein Monster aus einem der Gruselfilme, die ich so gern schaue? Aus den Thriller-Drehbüchern, die ich einfach nicht zustande bringe?
Ich verstehe ihre Skepsis, ärgere mich nicht darüber.
»Die Home-Assistants.«
Tabitha weicht einen Schritt zurück. Mir war gar nicht klar, dass das in diesem kleinen Raum möglich ist: ungläubig einen Schritt zurückzuweichen.
»Wie … bitte?«
»Die Home-Assistants haben sie verschickt.«
Sie hat schwere Zweifel, das zeigen die Furchen in ihrer gebräunten Stirn.
»Die was? Electra? HomeHelp? Du meinst, die haben sich irgendwie in deinem Laptop eingenistet und schießen Hassmails in die Welt? Warum sollten sie das tun? Sind sie besessen? Mein Gott, das ist doch einfach nur irre.« Kurz hält sie inne, zögert sichtlich, weil sie mich nicht verletzen will, doch dann fährt sie fort. »Das ist das Verrückteste, was ich je gehört habe. Ich habe es schon mal gesagt, und ich sage es noch einmal, und diesmal meine ich es ernst. Bitte geh und hol dir Hilfe, Jo. Lass dir Tabletten verschreiben. Irgendein Antidepressivum. Ich kann dir einen ausgezeichneten Privatarzt empfehlen. Ich zahle. Lass mich dir helfen!«
»Nein!«, schreie ich.
Wieder runzelt sie die Stirn, jetzt eher entrüstet.
Etwas ruhiger wiederhole ich: »Nein, Tabs, ich brauche keinen Arzt und keine Tabletten. Es ist wirklich so, die Assistants sind gehackt worden, und ich versuche, herauszukriegen, von wem. Vielleicht war es Simon, vielleicht auch nicht. Egal, es ist jemand, der mir wehtun
will, und zwar richtig. Mir und den Leuten um mich herum. Irgendwer will mich in den Wahnsinn treiben oder mich dazu bringen, dass ich mir das Leben nehme. Und weil die Assistants über die Apps mit all meinen digitalen Geräten verbunden sind, meinem Laptop, meinem Handy, haben sie auch alles unter Kontrolle – Facebook, SMS
, E-Mails; sie können machen, was sie wollen, sie entscheiden über mein Leben. Tut mir leid, wenn das irre klingt, aber es ist die Wahrheit.«
Meine Freundin atmet tief durch, und dann sieht sie mir in die Augen.
»Okay, Jo. Sagen wir, du hast recht und jemand hat deine Technik gehackt, um dich aus irgendeinem Grund zu … verfolgen
.« Sie beugt sich vor. »Warum hast du mir das nicht schon viel früher erzählt? Oder Arlo? Oder der Polizei, verdammt? Warum hast du den Mund gehalten? Ich versteh das nicht, Jo, es ergibt keinen Sinn!«
Genau. Sie muss es erfahren. Ich erwidere ihren Blick, halte ihn fest.
»Weil sie über Jamie Trewin Bescheid wissen. Sie haben einen Beweis. Und sie haben gedroht, dass sie ihn, falls ich mich wehre, der Polizei zuspielen. Und du weißt, was das bedeutet.«
Das war’s. Ich habe es ausgesprochen. Ich stehe vor meiner besten Freundin und Mitverschwörerin und warte auf ihre Reaktion. Endlich ist die Wahrheit heraus, und jetzt kommt sie, die Reaktion.
»Über wen?«
Ich mache den Mund auf. Und wieder zu. »Jamie«, sage ich schließlich. »Jamie Trewin. Ich weiß, wir haben geschworen, dass wir nie wieder darüber sprechen werden. Und seit damals haben wir das auch nicht. Aber jetzt, so leid es mir tut, müssen wir.«
Halb ärgerlich, halb irritiert sieht sie mich an. Wirkt glaubhaft verwirrt. Dann fängt sie leise an zu sprechen.
»Jamie … Jamie Trewin … Warte, ja, an den Namen erinnere ich mich, war das nicht der arme Kiwi-Boy aus der Uni, der in Glasto gestorben ist? In dem schönen Sommer, als wir auch da waren?« Sie
schüttelt den Kopf. »Mein Gott, ja. Schlimm. Aber was hat das mit dir zu tun? Oder mit uns? Ich versteh’s immer noch nicht.«
Der Boden unter meinen Füßen gibt nach, meine Welt gerät bedrohlich in Schieflage. Es kann doch nicht sein, dass sie es leugnet? Aber genau das tut sie, sie leugnet es. Und sie macht mir nichts vor. Wenn Tabitha lügt, erkenne ich das; im Moment sieht es nicht danach aus. Und trotzdem ist es gelogen.
Vielleicht hat sie Angst, aber für mich ist es extrem wichtig, dass sie zur Wahrheit steht, deshalb hake ich so sanft wie möglich nach.
»Ach, Tabs, komm schon. Ich weiß, wir haben einander dieses Versprechen gegeben, aber dir ist doch bewusst, was wir getan haben: Wir haben Jamie Trewin diese Pillen gegeben – die wir von Purple Man bekommen hatten –, und er ist daran gestorben. Das war unsere Schuld. In dem Zelt. Wo wir zu dritt herumgeknutscht haben. Und irgendwoher wissen die Home-Assistants das genauso wie wir, und sie benutzen es, um mich zu erpressen, wenn nicht zu Schlimmerem. Ich habe keine Ahnung, warum, aber irgendwer benutzt den Tod von Jamie Trewin, um mein Leben zu zerstören.«
Tabitha schweigt. Sie schaut mich nicht an. Sie macht den Wasserhahn zu, seufzt, blickt vage in meine Richtung und sagt: »Ich habe buchstäblich nicht den Schimmer einer Idee, wovon du redest, Jo. Was für Pillen? Welcher Purple Man? Welches Geknutsche? Was zum Teufel soll das alles bedeuten?«
»Tabs, bitte. Tabitha …«
»Nein!« Jetzt ist sie es, die schreit. »Nein, Jo! Ich habe mich lange genug auf diesen Quatsch eingelassen. Es ist grausam und absurd, dieses ganze Jamie-wie-hieß-er-noch-Ding. Du behauptest allen Ernstes, dass wir
damit zu tun hatten? Das ist verrückt! Hatten wir nicht. Es ist nichts passiert! Das ist Schwachsinn. Ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest! Du hast dir da eine Geschichte zusammenfantasiert oder so, keine Ahnung. Ehrlich. Schluss damit!
Du verlierst die Kontrolle, du hast Wahnvorstellungen.«
Ich zwinkere ein paarmal, denn mir kommen die Tränen. Jetzt ist alles verloren.
»Hör zu«, sagt sie. »Ich mache uns einen Tee. Und dann reden wir vernünftig, nicht so wie Autos. Okay? Ist es in Ordnung, wenn ich jetzt in meine Küche gehe und einen schönen Tee mache? Kommst du klar?« Und sie legt mir eine Hand auf die Schulter. Fährt mir sanft über die Wange. Wieder einmal fühle ich mich wie ein Kind, das von der Mutter getröstet wird.
Und Tabitha redet weiter: »Süße. Es tut mir leid, dass es so weit gekommen ist. Vielleicht war ich keine gute Freundin. Ich war abgelenkt, durch die Schwangerschaft und durch Arlo; du hast irgendwie eine Art Schub. Denkst dir die seltsamsten Sachen aus. Mein Gott. Jamie Trewin? Wir? Hätten ihm giftige Pillen gegeben? Waren wir vielleicht auch bei der Mafia? Hatten wir Waffen?«
Sie lacht leise. Das tut sie wirklich. Meine Freundin lacht über die schrecklichste Erinnerung meines Lebens. Als wäre das alles erfunden. Dann verschwindet sie kopfschüttelnd aus dem Bad, und ich höre sie in der Küche. Den Kessel. Wasser. Tee.
Allein in dem weißen Raum, starre ich in den kleinen Spiegel über dem Waschbecken, betrachte mein graues Wintergesicht. Das altert. Ich begegne meinem Blick und muss wegschauen.
Das denkbar Schlimmste ist eingetreten.
Ich nehme an, Tabitha könnte recht haben; was sie sagt, ergibt Sinn.
Wahrscheinlich habe ich das Ganze erfunden. Die ganze Geschichte über Jamie Trewin und uns, über die Pillen, das Zelt, die Küsse, Purple Man. Ich rede mir das ein. Es ist eine falsche Erinnerung. Womöglich ist es nie passiert; wahrscheinlich ist es nie passiert. Wie lange leide ich schon an diesem Wahn? Wann gab es das erste Anzeichen, hat es damals in Glasto schon angefangen oder später? Ich weiß es nicht, denn ich habe nie darüber gesprochen.
Ich beuge mich über das Waschbecken, drehe das kalte Wasser wieder an und benetze mir das Gesicht. Mische frisches, kaltes Wasser mit heißen, salzigen Tränen.
Wahrscheinlich habe ich das also alles erfunden. Aber warum? Ist das das erste Anzeichen meiner Geisteskrankheit? Ich fürchte, ja. Und wenn, frage ich mich, wann es angefangen hat und wie weit es schon mit mir gekommen ist, denn ich möchte auch wissen, wie lange ich noch habe, bis ich ganz untergehe wie Daddy.