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Jo
D as Klicken am anderen Ende der Leitung tut weh. Polly hat aufgelegt, Simon ist unerreichbar. Ich habe seiner Frau ein Pornovideo von ihm und mir geschickt. Obwohl ich gar nichts dafürkann, frisst die Scham mich von innen auf wie ein Parasit. Wo hat mein Feind dieses Video her?
Für den Moment muss ich mich aufs Jetzt konzentrieren. Reine Selbsterhaltung. Vielleicht sollte ich für eine Weile verschwinden. Ja. Allein sein. Aber heimlich. Raum zum gründlichen Überlegen, weit weg von den Assistants und ohne ihr Wissen. Ich werde einen Ausweg finden. Einen Trick. Aber zu wem kann ich gehen? Freunde kann ich nicht fragen, ich habe keine mehr. Mum zu fragen wäre mir, nach dem, was Will am Telefon gesagt hat, zu peinlich. Was, wenn sie alles weiß?
Vielleicht kann ich mich heimlich in einem Hotel einquartieren, einen fremden Rechner und ein fremdes Telefon benutzen?
Wo kann ich hin? Mir fällt ein, dass ich vor Weihnachten für eine alte amerikanische Freundin, die zu Besuch kam, ein Hotel gebucht habe. Es war billig, gemütlich und zentral gelegen. An der Baker Street. Das würde gehen. Aber wie hieß es noch?
Auf meinem Online-Kontoauszug müsste es auftauchen: Ich habe mit der Karte bezahlt.
Ich gehe ins Wohnzimmer, klappe den Laptop auf und spüre die ganze Zeit, wie Electra mich beobachtet, wie sie jede meiner Bewegungen analysiert, mein Verhalten auswertet, aber es ist mir egal. Sie sieht nicht mehr, als dass ich online auf mein Konto schaue. Das tue ich regelmäßig. Routine. Besonders, seit ich so wenige Aufträge habe und das Geld immer knapper wird.
Ich gebe Passwort und PIN ein, werfe einen Blick auf den Auszug, und mir klappt die Kinnlade herunter.
Da sind mehrere Nachrichten: BITTE MELDEN SIE SICH UNVERZÜGLICH !
Als ich nach unten scrolle, wird schnell klar, worum es geht.
Da ist es. Oder eher: Da ist nichts. Alle meine Konten sind leer, auch meine kostbare Rücklage ist weg, mein ohnehin winziger Notgroschen, die paar Hundert Pfund für den richtigen, ernsthaften Notfall; das Geld ist auf das normale Girokonto transferiert worden, und das ist ebenfalls leer. Mein gesamtes mageres Guthaben, jeder einzelne Cent – aufgesaugt wie von einem Vampir und den Konten anderer Leute gutgeschrieben. Anonymen Firmen.
DD Ltd.
Transfare Corp
AI Logistics
Ready BC
Habe ich für jemand anderen Bitcoins gekauft? Habe ich als Software getarnte Pornos gekauft? Spielt das irgendeine Rolle? Ich bin mittellos. Nein, schlimmer als das. Meine Kreditkarte ist, bevor sie gesperrt wurde, bis zum Limit belastet worden; alle meine Konten sind bis zur Grenze des Kreditrahmens – und darüber hinaus – überzogen. Und zu meinem Entsetzen wird mir bewusst, dass ich Ende Januar mit einer Steuernachforderung aus meiner freiberuflichen Tätigkeit zu rechnen habe, die ich, so gering sie auch ausfallen mag, vielleicht dreitausend oder viertausend Pfund, niemals werde bedienen können.
Ich werde zahlungsunfähig sein. Freunde, von denen ich mir etwas leihen könnte, habe ich nicht. Selbst zu Tabitha kann ich nicht gehen; sie glaubt, ich wolle ihr einen Mord oder Totschlag anhängen, von dem sie nichts weiß.
Wie sie sagt.
Ich sitze in der Klemme. Ich bin ruiniert. Früher hätte ich meinen Bruder anzapfen können, aber auch der misstraut mir. Alles, was ich noch habe, sind die paar Scheine und Münzen in meiner Tasche. Genug für ein paar U-Bahn-Fahrten. Und dann?
Gott.
Mein Blick wandert in den Flur.
Bleichmittel. Seil. Messer. Pestizid.
Paracetamol.