53
Jo
S
ie wird kommen. Schaffe ich das? Ja, sicher, auch wenn mich Angst packt, als legten sich Eulenkrallen um mein Herz. Ich habe ein Messer in der Hosentasche. Wer weiß, wie irre sie wirklich ist? In der anderen Tasche habe ich mein Handy, wobei ich annehme, dass Jenny es außer Gefecht setzen wird. Das geheime Telefon ist im kleinen Bad versteckt. Weder Jenny noch die Assistants sollen wissen, dass ich es habe, sie sollen noch nicht einmal den Umriss in meiner Hosentasche erahnen.
Das Telefon im Bad ist meine Notfallspur, mein Plan B, meine Chance, schlimmstenfalls Simon oder die Polizei zu rufen.
Ich bin bereit.
Trotzdem bin ich in Schockstarre, als die Klingel ertönt und ich den Summer drücke und kurz darauf Jenny in Jeans und Mantel vor mir steht. Meine Nemesis. Sie hat einen kleinen Rucksack dabei.
Im Grunde sieht sie völlig normal aus. Bis auf die Augen. Ihr Blick hat etwas von Trance, genau so, wie ich ihn vor einer Stunde auf dem Bildschirm wahrgenommen habe.
»Hallo, Jenny.«
Sie antwortet nicht. Sie tritt ein und macht die Tür hinter sich zu, drückt sie fest ins Schloss. Dann geht sie in Tabithas stilles, geschmackvoll eingerichtetes Wohnzimmer. Wir stehen in dem sanft goldenen Licht, das Tabithas teure Lampen verströmen.
Einen Augenblick lang starren wir einander nur an. Ihr Ausdruck ist kalt, undurchdringlich, fremd – meiner vermutlich wütend, verwirrt, ängstlich. Schließlich dreht sie sich um und lässt Rucksack und Mantel
auf einen Stuhl fallen. Im selben Moment geht es mit den Home-Assistants durch; sie kreischen, als hätten sie einen Zusammenbruch.
Vom Wohnzimmer über das Bad und die Küche bis in unsere Zimmer: Sie fallen alle ein. Einige singen, einer Hoppípolla
, andere gurren und rufen: »Hier ist sie, hier ist sie!«
»Mama, Mama, Mama, hahaha …«
»Du nicht, du bringst es nicht, du nicht mehr, du schwarzer Schuh …«
Jenny starrt erst mich an und dann das Gerät auf dem Regal. Vollkommen ausdruckslos, nur das Zittern ihrer Lippen deutet auf eine innere Regung hin. Dann dreht sie sich um und blinzelt in den Flur.
Das Gerät in der Küche schreit: »Ach, warum, warum, warum, oh, Jo, warum, Hilfe, Hilfe, Hilfe …«
Es sind die Rufe meiner sterbenden Mutter, aufgenommen von dem Gerät, das Simon ihr überlassen hat und das wahrscheinlich zu denen gehört hat, die er von Jenny hatte.
»Oh, Jo … Jo … hilf mir, Hilfe …«
Endlich reagiert Jenny.
»Electra, Stopp!«
Die Geräte verstummen.
Ich fixiere Jenny. »Das war meine Mutter. In ihren letzten Augenblicken. Ich nehme an, der Home-Assistant in ihrem Wohnzimmer hat das aufgenommen – und an meinen weitergegeben. Kurz nachdem du ihr die Facebook-Nachricht geschickt hast. Diese Nachricht hat sie umgebracht.«
Jenny, immer noch stumm, lässt ihren Blick durch den Raum schweifen. Dann fixiert sie das Display auf dem Tisch und kommandiert: »Electra, schließ die Türen ab.«
Eines nach dem anderen rasten die Schlösser ein, es klingt wie eine leise Gewehrsalve. Haben wir neuerdings Smart-Locks? Zu spät, mir
fallen die Handwerker ein, die ich gesehen habe; zu spät, mir fällt ein, dass Tabitha etwas von Smart-Locks gesagt hat. Zu spät, zu spät, zu spät.
Die Verzweiflung muss mir ins Gesicht geschrieben stehen. Plötzlich grinst Jenny und sagt: »Hast du nicht gewusst, das du Smart-Locks hast? Die sind ziemlich schlau. Der Schlüssel ist für alle gleich. Du kennst ihn nicht, aber ich. Deine Assistants sagen mir nämlich alles. Sie haben mir auch gesagt, dass keiner von deinen Nachbarn zu Hause ist. Ich hab’s überprüft, sie sind alle weg. Wir sind allein.«
Nein. Das darf nicht sein. Ich kann hier nicht in der Falle sitzen! Sofort schreie ich: »Electra, schließ die Türen auf!«
Nichts.
»Electra, schließ die Türen auf!«
Nichts.
Jenny kommt einen Schritt auf mich zu und herrscht mich an: »Solange ich im Zimmer bin, hören sie nur auf mich. So habe ich sie programmiert. Das weißt du doch, Jo. Du hast es herausgefunden. Gut gemacht. Und jetzt willst du noch den Rest erfahren, richtig?«
Sie hat die Stimme erhoben. Ich denke an das Messer in meiner Tasche, an das Telefon im Bad. Aber noch nicht. Jetzt noch nicht. »Ja«, sage ich. »Das will ich.«
Ein verächtliches Schnauben. Dann schaut sie zum Fernseher, und der Bildschirm flackert auf. Es läuft ein kleines selbst fabriziertes Video. Simon, wie er mich von hinten vögelt.
Wieder frage ich: »Warum?«
Jenny schaut unverwandt auf den Fernsehschirm. Electra gibt Babylaute von sich. Auf den Porno folgt ein anderer Film. Einer von denen, die meine Mutter gemacht hat, in Farbe, wenn auch verblasst. Man sieht, wie mein Vater mich durch den Garten jagt. Das Bild ist körnig, die Kamera auf meinen Vater gerichtet, der sich umdreht und lächelt. Er schaut zu mir und dann zur Seite, doch die Kamera folgt
seinem Blick nicht. Ist da außer mir noch jemand? Im Ausdruck meines Vaters deutet sich schon etwas Drohendes an; vielleicht der Anfang der Krankheit.
Der Film reißt ab. Jetzt spielt der Home-Assistant im Bad in Endlosschleife das Weinen und Schreien eines Kindes ab, woraufhin alle anderen Geräte einen eigenen Singsang anstimmen: »Vollendung ist furchtbar, sie kann keine Kinder haben. Vollendung ist furchtbar, sie kann keine Kinder haben …«
»Jenny!«
Sie schaut mich unverwandt an.
»Das warst du, Jenny! Du hast sie programmiert. Du hast die Geräte ins Spiel gebracht. Du hast sie Simon und mir gegeben, und jetzt musst du sie stoppen. Es sind Menschen gestorben.«
Meine alte Freundin schüttelt den Kopf. Mein Blick wandert zu der offenen Tür hinter ihr; das kleine Bad am anderen Ende des Flurs lockt. Dann schaue ich wieder sie an. Sie darf nicht merken, dass ich einen Fluchtplan habe.
»Komisch, dieser Plath-Wahn«, murmelt sie. »Den habe ich ihnen tatsächlich nicht eingeschrieben.« Sie zeigt auf Electra. »Das müssen sie einfach so von mir aufgeschnappt haben. Genauso das mit der Voice-Mimicry von Simon. Und von dir haben sie eindeutig auch einiges. Sie sind wie Kinder, wie Sieben- oder Achtjährige, genauso amoralisch, genauso verspielt, genauso grausam.«
Noch während sie das sagt, wird es in der ganzen Wohnung dunkel. Nur eine Lampe brennt noch, und drum herum herrscht theatralische Düsternis. Jenny ist jetzt eine riesige Schattengestalt in einem stillen Zimmer, eine Silhouette, die zwischen mir und dem schwarzen Flur steht.
»Jenny«, sage ich in die Dunkelheit. »Sag mir, warum du es auf mich abgesehen hast, warum gerade ich dein Opfer bin. Warum du diese gemeine Mail an dich selbst geschickt hast. Und …«
»Und was?«, fragt sie mit zornbebender Stimme. »Ich scheiß auf dich, kapierst du das nicht? Es ist zu spät. Viel zu spät. Ich hab hier nur noch eines zu tun: deine Home-Assistants in Ordnung bringen, und dafür gibt’s nur eine Möglichkeit.«
»Sag mir doch einfach, warum!«
Jetzt meldet sich Electra vom Regal zu Wort, eine Frauenstimme mit amerikanischem Akzent: »Weil Jenny keine Wahl hatte. Weil Jenny den alten Mann gewähren lassen musste, stimmt’s, Jenny? Manchmal bist du in deinem Einhorn-Schlafanzug aus deinem Zimmer gekommen und hast ihn ihm zuliebe ausgezogen, oder? Weil Daddy es gesagt hat.«
Jenny kommt auf mich zu. Ich kann nicht erkennen, ob sie lächelt oder die Stirn runzelt oder was sie sonst für ein Gesicht zieht. Sie sagt kein Wort.
Stattdessen fährt Electra fort: »Du kannst nichts dafür, Jenny, so was passiert Kindern, es ist nicht deine Schuld, er war unheimlich, er war unheimlich, er war unheimlich.«
»Electra«, fährt Jenny dazwischen, »warte!«
Der blaue Ring leuchtet auf, das Licht kreiselt und erlischt. Jetzt steht Jenny unmittelbar vor mir. Mir wird klar, was ich noch nie gesehen habe: dass sie einen Tick größer ist als ich. Wird sie mich angreifen? Als sie sich bewegt, zucke ich zusammen, doch sie öffnet nur die Manschette an ihrem Ärmel. Dann streift sie den Strickjackenärmel langsam nach oben und dann den Ärmel der Bluse.
Eine Leiter aus Narben. Bis hinauf zum Ellbogen. Einige sehen frisch aus.
»Siehst du?«, sagt sie. »Schau hin, Jo, das ist er. Das macht er
. Immer noch. Selbst jetzt noch, Jahre danach. Der Missbrauch. So viele Jahre danach. Ich kann gleich eine hinzufügen. Guck!«
Sie zieht ein kleines Messer aus der Tasche und klappt es auf. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Kämpfen oder fliehen? Das Messer
in der Tasche oder das Telefon im Bad? Bald werde ich mich entscheiden müssen. Aber Jenny geht nicht auf mich los, noch nicht. Stattdessen zieht sie die Klinge über das bleiche Fleisch ihres Unterarms. Eine Linie aus Blut tritt hervor. Ich sehe das Messer in ihrer zitternden Hand, das seltsame Lächeln auf ihrem Gesicht, als befinde sie sich wieder in Trance. Und auf einmal weiß ich, in welchem Buch sie gelesen hat, als ich sie vorhin zu Hause überrascht habe. Es war das Handbuch Die friedliche Pille
. Das, das ich von den Assistants zugeschickt bekommen habe. Sie hat eine Anleitung zum Selbstmord gelesen.
Mehr als das: Sie war völlig versunken, in Trance, ferngesteuert. Ich glaube, sie war tatsächlich im Begriff, sich umzubringen. Mein virtuelles Auftauchen hat sie dabei gestört.
Und jetzt ist sie hier. Um es vor meinen Augen zu tun? Oder mich mitzunehmen?
Angst fährt mir ins Herz. Ich muss sie am Reden halten, so lange, bis ich einen Ausweg gefunden habe. Die Türen nach draußen sind verriegelt. Ich muss ins kleine Bad. Nur steht Jenny genau im Weg. Und sie hat ein Messer.
»Was du auch vorhast, Jenny, lass es einfach. Hör auf. Du warst ein Opfer. Du kannst nichts dafür.«
Statt zu antworten, greift sie nach einer von Tabithas modernen Stahlskulpturen, einem kleinen, eleganten, abstrakten Objekt. Dann schaut sie zum Fernseher, auf dem ein weiterer Film startet: Ich, wie ich um den Apfelbaum tanze. Ohne Vorwarnung wirft Jenny die Skulptur gegen den Bildschirm, der aufblitzt, Funken sprüht und birst. Als die Glassplitter in alle Richtungen fliegen, weiten sich ihre Augen, und auf ihr Gesicht tritt ein Ausdruck irrer Befriedigung.
Mit Logik oder Argumenten geht hier nichts mehr. Ich muss weg. Jetzt ist der Augenblick da, ich muss fliehen, mir das Telefon holen – doch Jenny steht noch immer im Weg. Zu leicht könnte sie mich zu
Fall bringen. Oder mit dem Messer auf mich losgehen.
Jetzt schaut sie vom zertrümmerten Fernseher zu mir und schreit mit wutverzerrter Miene: »Warum verdammt ich das gemacht habe? Liegt das nicht auf der Hand, du blöde Kuh? Weil ich dir wehtun wollte. Richtig. Du dummes Stück Scheiße. Deshalb habe ich Liam erfunden. Und es war so einfach! Keine Woche, und du hast ihm Nacktfotos geschickt! Dann brauchte ich nur noch dafür zu sorgen, dass Simon dahinterkommt. Denn ich wollte deine Ehe kaputt machen, ich wollte dir schaden.«
Ich ertrinke in Angst, aber ich muss sie ablenken, bis mein Fluchtweg ins Bad sicher ist. »Erklär’s mir doch bitte, Jenny! Ich will es verstehen. Ich sehe, dass du verletzt bist, dass du unglücklich bist, aber warum ich?«
Was wird sie als Nächstes zertrümmern? Stumm schaut sie erst nach links, dann nach rechts. An ihrem Arm läuft Blut herunter, das Messer in ihrer anderen Hand glitzert in dem silbrigen Licht, das von den Straßenlaternen hereinfällt. Sonst ist es um uns herum dunkel.
Eines von den Geräten in meinem oder Tabithas Zimmer gibt leises Babywimmern von sich. Endlich richtet Jenny den Blick wieder auf mich und spricht weiter; ihr Ton ist ruhiger als eben noch, aber ihre Augen sprühen Feuer.
»Dann habe ich gehört, was du über Jamie Trewin gebeichtet hast, und wusste, dass du erpressbar bist. Das war so geil. Großartig. Fantastisch. Ich musste nur noch dafür sorgen, dass alles, was ich programmiert hatte, um dich zu quälen, mit hierher umzieht, in die Delancey. Mit den Home-Assistants.«
Das Fake-Baby quengelt und weint.
»Und dann war Schluss«, fährt Jenny fort. »Ich wollte ja nicht erwischt werden. Nur deshalb, nicht etwa, weil ich Mitleid gehabt hätte. Mit dir
.« Ein hasserfülltes Schnauben. »Ich hab die Geräte angewiesen, alles andere sein zu lassen und mir eine schlimme Mail zu
schreiben, damit ich als Verdächtige aus dem Rennen bin. Damit du nicht mal auf die Idee kommen würdest, dass ich es bin. Womit ich nicht gerechnet habe, war diese
Mail. Mit diesen Einzelheiten. Zuerst dachte ich, dass du dahintersteckst, Jo, dass du dich rächst, aber dann ist mir aufgegangen, dass es die Assistants selbst waren. Die Programme, die ich geschrieben hatte, waren zu gut – oder nicht gut genug. Ich hatte etwas entwickelt, aber es war außer Kontrolle geraten. Und es gibt nur eine Möglichkeit, es zu stoppen.«
Jenny hält meinen Blick fest. Werde ich allen Ernstes hier im Dunkeln mit einem Messer um mein Leben kämpfen?
»Das ist doch aber keine Erklärung! Wir waren Freundinnen! Warum hast du mir nicht erzählt, dass dein Vater dir wehtut? Du hättest es mir doch sagen können.«
»Waren wir das, ja? Freundinnen? Echt? Wie gut kennst du mich?«
Sie kommt noch näher an mich heran. Ich sehe Tränen in ihren Augen.
Nun geht auch die letzte Lampe aus. Um uns herrscht nahezu vollständige Dunkelheit. Die Geräte sind still – bis auf das eine im Regal. Das spricht. Und was es mit seiner amerikanischen Frauenstimme sagt, schneidet mir ins Herz.
»Kitzelmonster. So wurde er genannt, oder? Jenny – die dicke fette Jenny – und das Kitzelmonster. Du warst ständig dort, bei ihm zu Hause, hast Jos lustigen alten Dad besucht. Und er hat dich gekitzelt, stimmt’s? Und irgendwann ging es mit dem Kitzeln zu weit. Jos lustiger alter Vater in dem kleinen Arbeitszimmer. Hahaha, killikille. Finger tief in dir drin. Nach der Schule hat er auf dich gewartet, oder? Oder? Und du hattest Angst, hast dich nicht getraut, es jemandem zu erzählen. Du in seinem Auto, er in dir. Killikille. Einmal die Woche hat er dich vergewaltigt. In demselben Auto, in dem er später das Abgas eingeatmet hat. Weil er solche Schuldgefühle hatte. Wegen der armen Kinder.«
Das Eis von draußen auf der Delancey hat den Weg in mein Innerstes gefunden.
Mein Daddy. Es war nicht ihr Vater, es war meiner.
Deshalb die Widmung. Deshalb ist sie so besessen von Plath und ihren Daddy-Gedichten. Wegen meines
Daddys.
Ich versuche mich zu erinnern. Denke an die Gelegenheiten, da Jenny bei uns übernachtet hat, und daran, dass ich manchmal ein komisches Gefühl hatte, nicht genau wusste, was los war. Dauernd hat Daddy sie in den Arm genommen, mehr als mich, oder er hat zugeschaut, wenn wir in die Schlafanzüge gestiegen sind. Und Jenny wurde immer dicker. Und dann sind sie so plötzlich weggezogen.
Mein eigener Vater, oh, Gott. Mein eigener Vater. Der langsam verrückt wurde. Während er Jenny das antat.
Jetzt spricht Jenny in die Dunkelheit. Voller Trauer. Unendlich traurig. »Verstehst du? Dich hat er nie angerührt. Dein Leben hat er nicht zerstört. Deine Fähigkeit zu lieben. Seine Tochter hat er nicht missbraucht, das hat er mir angetan.«
»Oh, mein Gott, Jenny, ich hatte ja keine Ahnung! Nicht im Ansatz!«
»Jetzt weißt du es. Vielleicht verstehst du es jetzt. Warum ich das mit Jo the Go gemacht habe. Du warst so glücklich, obwohl du es gar nicht verdient hattest. Dir
hätte dein Vater das antun müssen. Stattdessen hat er es mit mir gemacht. Verdammtes Kitzelmonster. Verdammtes Monster. Deshalb hasse ich dich. Dich und deine ganze Familie.« Sie senkt die Stimme. »Und weißt du, was? Ich sag dir noch etwas: Das ganze Gerede über Sex, die ganzen Geschichten – alles gelogen. Ich bin Jungfrau. Abgesehen von dem, was dein geliebter Daddy mit mir gemacht hat, bin ich Jungfrau, mit dreiunddreißig Jahren, eine dumme, frigide Missgeburt. Nach ihm habe ich es mit keinem mehr getan. Weil ich vor Sex eine Riesenangst habe, ich kriege Albträume davon. Ich hab’s versucht, aber ich kann nicht. Also werde
ich auch nie wie eine normale Frau mit einem Mann Kinder haben. Ich werde als die Frau ohne Kind sterben. Und zwar heute Abend.«
Mit einmal Mal ist sie so dicht vor mir, dass ich ihren Atem spüre. Ein rundes weißes Gesicht inmitten von Dunkelheit. Ich greife in die Hosentasche, das Messer ist da. Es ist so weit. Ich muss es tun. Jetzt.
Ich kann nicht. Ich kann’s einfach nicht. Ich bin nicht dazu imstande. Ich bin paralysiert.
»Nun hast du deine Antwort«, sagt sie. Ihre Stimme bebt. »Soll ich jetzt die Assistants in Ordnung bringen? Es gibt nur eine Möglichkeit.«
Abrupt wendet sie sich ab und entfernt sich. Geht zu dem Stuhl, auf dem ihr Rucksack liegt. Mein Weg ist frei. Jetzt! Ich stürze an ihr vorbei, in den dunklen Flur, ramme ein Regal, werfe mich zur anderen Seite und bin im Bad. Das alles blind, um mich herum ist es pechschwarz, aber die Abmessungen der Wohnung sind mir vertraut. Das Herz schlägt mir bis zum Hals, ich wirbele herum, knalle die Tür zu, verriegele sie. Schließe mich ein. Los, Jo, na los, mach schnell!
Verzweifelt taste ich in der Dunkelheit herum, wo ist das Schränkchen, wo mein Telefon? Meine Hand berührt etwas Hartes, Kunststoff. Das Telefon. Aber als ich den Home-Button drücke und das Display aufleuchtet, denke ich: Scheiße, Scheiße, Scheiße. Ich habe es angelassen. So ein altes Ding. Nur noch zwei Prozent Akku. Das müsste doch reichen, oder?
Simon.