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Jo
W as ist das für ein komischer Geruch? Süß und auch wieder nicht. Fruchtig, aber schwer; anders, auffällig, besonders. Versprüht Jenny Parfüm in der Wohnung? Ich höre sie im Flur, wie sie Türen öffnet, hin und her geht. Die Verrückte, die in meiner Wohnung herumgeistert; meine alte Freundin auf dem Sprung, sich umzubringen.
Ich dagegen sitze traurig im kleinen Bad. Hocke auf der Kante der Klobrille. Mein Telefon hat sich verabschiedet. Es ist stockdunkel. Es gibt kein Fenster; noch nicht mal das gespenstische Licht der Straßenlaternen fällt herein.
Aber Simon ist unterwegs. Er ruft auch die Polizei. Ich muss einfach nur warten.
Vielleicht bleibt mir dazu aber nicht die Zeit.
In dem Spalt unter der Tür schimmert plötzlich ein schwaches Licht, aber nicht silbrig wie das von den Laternen oder hell wie von Glühbirnen, sondern vage, gelblich, unbeständig. Flackernd. Und jetzt dringt der erste Rauch zu mir herein, windet sich unter der Tür hindurch.
Sie hat Feuer gelegt. Dieser Geruch, das war kein Parfüm, es war etwas anderes, Petroleum, Ethanol, vielleicht Feuerzeugbenzin. Das hat Jenny immer da, für ihre Zippos. Sie fackelt die Wohnung ab.
Der Rauch wird dicker. Mir schnürt sich die Kehle zu. Eine tiefe, urwüchsige Angst lodert in mir wie die Flammen vor der Tür. Hier drin werde ich sterben, an Rauchvergiftung oder dem Feuer unmittelbar. Es ist nicht sicher, dass Simon – oder die Polizei – rechtzeitig kommt. Jetzt kann mich niemand mehr retten als ich selbst.
Ich schnappe mir ein Handtuch und halte es unter fließendes Wasser. Tränke es. Binde es mir vor das Gesicht, als Maske, als Schutzschild gegen Hitze und Rauch. Dann schiebe ich die Angst beiseite und öffne die Tür. Der Flur ist angefüllt von dickem, öligem Qualm, der die Dunkelheit noch undurchdringlicher macht. Jenseits des Qualms lodern zu beiden Seiten Flammen. Jetzt sehe ich, was Jenny angerichtet hat. Sie hat jeden einzelnen Home-Assistant mit Feuerzeugbenzin, oder was es auch ist, eingesprüht, ebenso Telefon, Laptop, alles. Sie hat gesagt, sie wolle die Geräte ein für alle Mal in Ordnung bringen, und das ist ihre Methode: Sie wirft sie den Flammen zum Fraß vor.
Die Teile brennen lichterloh, und beißender schwarzer Qualm steigt von ihnen auf; sie müssen extrem entzündliches Zeug enthalten, exotische Kunststoffe, was weiß ich, denn das Feuer wütet dermaßen, dass es bereits auf alles andere übergegriffen hat, Vorhänge, Teppiche, Stühle. Am Holz der Türrahmen züngeln Flammen empor, verspielt und tödlich zugleich. Und die Türen nach draußen sind – natürlich – abgeschlossen.
»Jenny!«, schreie ich. »Schließ die Türen auf! Electra, schließ die Türen auf!«
Es kommt keine Antwort, aber als die Rauchwolken sich für einen Moment teilen, sehe ich Jenny. Sie hockt im Wohnzimmer, wo die Flammen am unbarmherzigsten sind, im Schneidersitz auf dem Boden, eine Silhouette hinter dem Feuer auf dem Tisch, den Regalen, den türkischen Teppichen. Die ganze Wohnung brennt und wir mittendrin.
Die Hitze ist so schlimm, dass ich mir den Arm vors Gesicht halten muss; das Handtuch ist schon halb getrocknet. Außer mir vor Angst, betrete ich das Wohnzimmer. Nicht mehr lange, und der Rauch bringt mich um. Und Jenny. Schon schnappen Flammen nach meinen Knöcheln.
»Jenny!«, rufe ich in den Rauch. »Jenny! Schließ die Türen auf. Komm mit!«
Nichts. Sie bleibt reglos auf dem Boden sitzen. Zwischen schwarzen Schwaden sehe ich, dass sie am Daumen lutscht. Wie ein kleines Mädchen. Trotzig, stumm, traurig. Meine Freundin. Vielleicht hätte sie mich gern tot gesehen, aber es war mein Vater, der sie zu der gemacht hat, die sie jetzt ist. Sie wird sich nicht helfen lassen. Verzweifelt drehe ich mich um und spähe in den Flur. Wenn wir die Türen nicht aufbekommen, bleibt nur eine einzige Fluchtmöglichkeit. In Tabithas Zimmer laufen und aus dem Fenster springen. Das ist eine Fallhöhe von vier bis sechs Metern, aber im Garten liegt noch Schnee. Wir könnten uns die Knöchel brechen, wir könnten uns das Genick brechen, aber hier drin würden wir auf jeden Fall sterben.
Das Feuer beginnt zu tosen, zu brüllen wie ein Ungeheuer. Das Kitzelmonster, das wiederkommt, um uns zu vernichten. Die Hitze ist unerträglich, mir bleiben nur noch Sekunden.
»Komm, Jenny!«
Durch die Flammen strecke ich ihr die Hand hin. Sie nimmt es noch nicht einmal wahr. Sie sitzt da, in Jeans und Strickjacke, lutscht am Daumen und starrt vor sich hin. Jetzt sehe ich, dass sie sich selbst ebenfalls mit etwas übergossen hat, die Nässe färbt ihre Sachen dunkel. Das muss Feuerzeugbenzin sein. Um sie herum liegen leere Kanister verstreut. Sie will sterben. Flammen springen auf sie zu, als wollten sie sie fressen. Ich sehe Feuer an ihrer Jacke nach oben kriechen. Sie erfassen. Entsetzlich. Und die ganze Zeit sitzt sie da und lutscht am Daumen. Während sie schon brennt.
Ein letzter Versuch.
»Bitte, Jenny, nimm meine Hand. Wir können aus Tabithas Fenster springen. Bitte
Sie rührt sich nicht. Meine Haut fühlt sich versengt an. Vielleicht ist es auch für mich schon zu spät, aber ich will es versuchen.
Los! Durch die Rauchwolken im Flur, vorbei an dem Mann mit dem Hundekopf, vorbei an dem Schädel aus Mexiko, vorbei an dem Foto von Tabitha und Arlo auf dem Pferd, vorbei an der Küche, wo im Zentrum eines besonders grellen Feuerballs der Home-Assistant brennt und Regale, Kochbücher und alles in Flammen stehen. Die gesamte Wohnung brennt.
In Tabithas Zimmer. Auch hier wütet das Feuer, aber das Smart-Display, aus dem natürlich auch Flammen schlagen, steht auf der dem Fenster gegenüberliegenden Seite des Raums. Ich habe den Bruchteil einer Chance. Bevor das ganze Zimmer ein Flammenmeer ist, bevor die ganze Wohnung zu einer gefährlichen Masse aus Hitze und Feuer verschmilzt und explodiert und mich verschlingt.
Ich mache einen Satz über das Bett hinweg und versuche verzweifelt, das Fenster aufzukriegen. Es klemmt. Vielleicht vereist, vielleicht aufgrund einer Mischung aus Eis und Flammen. Das Fenster klemmt! Also muss ich es einschlagen. Als ich mich zur Seite beuge, um eine schwere Glasvase zu angeln, höre ich es plötzlich knistern und habe einen neuen, stechenden Brandgeruch in der Nase. Meine Haare brennen. Eine Flamme ist übergesprungen und hat sie entzündet. Sofort tanze ich wild herum und schlage mir gegen den Kopf und kann die Flammen tatsächlich aus den Haaren vertreiben. Dann greife ich die Vase mit beiden Händen und schmettere sie gegen das Fenster.
Die Scheibe zerspringt. Ich ziehe mir den Ärmel über die Faust und schlage ein paar von den größeren Scherben, die noch im Rahmen sitzen, heraus. Jetzt kann ich hochklettern auf den Sims. Beide Hände bluten, wo ich mich geschnitten habe. Aber dank des offenen Fensters lodert das Feuer umso wilder. Es tost und brüllt und rülpst dicke schwarze Rauchschwaden in den Winterhimmel.
Ist das Schnee da unten? Ich glaube, ja. Genug? Zu dunkel, um das zu erkennen. Die sengende Hitze in meinem Rücken ist nicht zu ertragen. Mir bleibt keine Wahl.
Ich springe.