Als ich klein war, wollte ich Naturforscherin werden. Und so häufte ich nach und nach eine Naturaliensammlung an, deren Gegenstände ich auf den Simsen, Fensterbänken und Regalbrettern meines Kinderzimmers ausstellte — eine sichtbare Demonstration all der kleinen Fachkenntnisse, die ich den Seiten von Büchern entnommen hatte. Da waren Pflanzengallen zu sehen, Federn, Samen, Kiefernzapfen, lose, einzelne Flügel des Kleinen Fuchses oder des Pfauenauges, die ich in Spinnennetzen gefunden hatte; die abgetrennten Flügel toter Vögel, ausgebreitet und zum Trocknen mit Nadeln auf Karton gepinnt; die Schädel kleiner Tiere, Gewölle von Waldkauz, Schleiereule und Turmfalke sowie alte Vogelnester. Eines stammte von einem Buchfinken; ich konnte das Gebilde aus Rosshaar und Moos, aus bleichen, schorfigen Flechten und gemauserten Taubenfedern auf meiner Handfläche balancieren. Ein anderes, das Nest einer Singdrossel, war aus Stroh und weichen Zweigen geflochten und besaß eine bereits abblätternde, aus lehmiger Erde geformte Innenschale. Allerdings hatte ich nie das Gefühl, als passten die Nester zum Rest meiner geliebten Sammlung. Nicht, dass sie das Vergehen der Zeit, Vögel, die einst geflogen waren, oder das Leben im Tod heraufbeschworen hätten — nein, solche Ahnungen lernen wir erst viel später im Leben zu verspüren. Es lag eher daran, dass sie ein Gefühl in mir weckten, das ich nicht benennen konnte, ganz bestimmt aber den Eindruck, dass sich die Nester zu Unrecht in meinem Besitz befanden. Bei Nestern ging es einzig um Eier, und Eier waren Dinge, die ich auf keinen Fall sammeln durfte. Sogar als ich einmal zufällig auf eine weiße Eierschalenhälfte stieß, die eine Taube aus den Zweigen gepickt und auf einen Rasen hatte fallen lassen, hielt ein moralischer Imperativ meine Hand zurück. Ich brachte es einfach nicht übers Herz, die Eierschale mit nach Hause zu nehmen.
Die Naturforscher des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts hatten gewohnheitsmäßig Vogeleier gesammelt, ebenso wie die meisten Kinder, die in den 1940er- und 1950er-Jahren in halb ländlichen oder ländlichen Gegenden aufgewachsen sind. »Wir haben immer nur eins aus jedem Nest genommen«, erzählte mir eine Freundin einmal beschämt. »Jeder hat das getan.« So ist es schlicht einem Zufall der Geschichte zu verdanken, dass Menschen, die zwei Jahrzehnte älter sind als ich, über Naturkenntnisse verfügen, die ich nicht besitze. Da sie ihre Kindheit damit verbracht haben, Vogelnester auszuräubern, denken viele von ihnen heute noch beim Anblick eines Stechginsterstrauchs automatisch Bluthänfling und können nicht anders, als sich bei der im Vorjahr gepflanzten Hecke zu fragen, ob sie wohl ein Buchfinken- oder Rotkehlchennest beherbergen könnte. Ihre wortlosen Ahnungen sind andere als meine, sie beziehen sich darauf, wie man die Landschaft zwischen Kopf und Auge und Herz und Hand festhält. In meiner persönlichen Geschichte der Ländlichkeit waren Nester nichts, was gefunden werden sollte. Sie waren sorgfältig erhaltene blinde Flecken, zensierte Zeilen in vertrauten Texten. Dennoch besaßen sie für mich als Kind eine besondere Prominenz. Für Kinder stecken Wälder, Felder und Gärten voller abgeschiedener, verwunschener Orte: voller Tunnel und Höhlen und Zufluchten, in denen man sich verstecken und sicher fühlen kann. Als ich klein war, wusste ich ganz genau, worum es bei Nestern ging. Es ging um Geheimnisse.
Ich folgte dem Flug der Amseln, Meisen, Drosseln und Kleiber durch unseren Garten. Und in jedem Frühjahr veränderten ihre Nester meine Gefühle für mein Zuhause. Dass sich die Anwesenheit der Vögel auf diesen einen Fixpunkt, das Nest, konzentrierte, machte mir Angst. Es warf Fragen der Verwundbarkeit auf, bereitete mir hinsichtlich räuberischer Krähen und Katzen Sorgen, machte aus dem Garten einen Ort der Bedrohung, nicht der Sicherheit. Obwohl ich nie nach Nestern suchte, fand ich sie trotzdem. So saß ich etwa am Küchenfenster und leerte eine Schale Weetabix, als ich plötzlich eine Heckenbraunelle in die Forsythie huschen sah, einen mausgroßen Vogel, ganz Strichel und Tupfen und Wispern. Mir war klar, dass ich spätestens dann hätte wegsehen müssen, doch hielt ich, mir des Übergriffs bewusst, den Atem an und verfolgte die kaum zu erkennende Bewegung der Blätter, die der verschwundene Vogel verursachte, als er hinauf und durch die Zweige hindurch zu seinem Nest hüpfte. Dann sah ich nur noch schwirrende Flügel, während der Vogel aus der Hecke hinausschlüpfte und gänzlich verschwand. Als ich erst herausgefunden hatte, wo sich das Nest befand, und die Altvögel weg waren, musste ich es genauer wissen. Die meisten Nester, die ich aufspürte, lagen oberhalb meines Kopfs, also streckte ich die Hand aus und krümmte meine Finger, bis ihre Spitzen vielleicht eine warme, glänzende Glattheit berührten. Oder die unerträgliche Zartheit jungen Fleischs. Ich wusste, dass ich ein Eindringling war. Nester waren wie Schrammen: Dinge, die ich einfach anfassen musste, auch wenn ich mir wünschte, sie wären nicht da. Sie stellten alles infrage, was Vögel für mich bedeuteten. Am meisten liebte ich an ihnen, dass sie frei zu sein schienen. Spürten sie Gefahr, eine Falle oder irgendetwas anderes Bedrohliches, konnten sie wegfliegen. Beobachtete ich Vögel, hatte ich das Gefühl, an ihrer Freiheit teilzuhaben. Nester und Eier aber banden Vögel fest. Sie machten sie verwundbar.
In den abgegriffenen Büchern über Vögel, die sich in den Regalen meiner Kindheit aneinanderreihten, wurden Nester als »Zuhause der Vögel« beschrieben. Das verwirrte mich. Wie konnte ein Nest ein Zuhause sein? Damals war ein Zuhause für mich eine feste, ewig währende, verlässliche Zuflucht. Nester waren ganz anders: Sie waren jahreszeitlich auftretende Geheimnisse, die genutzt und dann verlassen wurden. Davon einmal abgesehen stellten Vögel mein Verständnis von der Natur eines Zuhauses noch auf viele andere Arten infrage. Einige Vögel verbrachten das Jahr auf dem Meer oder ausschließlich in der Luft und spürten nur dann Boden — Erde oder Fels — unter ihren Füßen, wenn sie Nester bauten oder Eier legten und so an das Land gebunden waren. Hier verbarg sich ein tieferes Mysterium. Diese Geschichte darüber, wie sich ein Leben zu gestalten hatte, ähnelte irgendwie — aber auch nur irgendwie — der, die mir als Kind erzählt worden war. Man wird erwachsen, man heiratet, man zieht in ein Haus, man kriegt Kinder. Wie Vögel da hineinpassten, war mir schleierhaft. Ganz zu schweigen von mir selbst. Die Geschichte gab mir schon damals zu denken.
Heute bedeutet Zuhause, bedeutet Heimat für mich etwas anderes: einen Ort, den man in sich trägt, keinen geografisch festgelegten Punkt. Vielleicht haben Vögel mir das beigebracht, zumindest teilweise. Manche Vogelnester sind ein Zuhause, da sie untrennbar von den Tieren, die sie gebaut haben, scheinen. Saatkrähen sind Krähenhorste — Vögel aus Federn und Knochen, aber auch Massenansammlungen von Zweigen in Februarbäumen. Mehlschwalben, die aus den Einschlupflöchern ihrer Nester unter sommerlichen Giebeln hervorspähen, sind Geschöpfe mit Flügeln, Schnabel und Augen, gleichzeitig aber auch die ganze Architektur aus gesammeltem Schlamm. Andere Vogelnester jedoch scheinen Nestern überhaupt so fern zu sein, dass das Wort selbst verschwimmt und beinahe den Halt verliert. Eines dieser Nester sieht so aus: abgesplitterter alter Fels, Knochen und hart gewordener Guano unter Überhängen, die Schatten spenden. Ein anderes so: ein Floß aus Gräsern, das sich mit dem Auf und Ab des Wassers hebt und senkt. Ein wieder anderes: ein dunkler Platz unter Dachziegeln, an den man auf Mäusefüßen kriechen kann, mit hängenden Flügeln, die gefiederten Rotorblättern in der Farbe unlegierten Stahls ähneln. Wanderfalke. Seetaucher. Segler.
Nester ziehen mich immer mehr in ihren Bann. Dieser Tage frage ich mich, wie sie wie eine Art von Gebilde wirken können, wenn Eier darin liegen, und wie eine andere Art, wenn sich Küken darin befinden. Nester und Eier sind sehr hilfreich, wenn man über Dinge wie Individualität oder Vorstellungen von gleich, anders und ähnlich nachdenkt. Ich frage mich auch, wie es sein kann, dass die Form eines Nests Teil des Phänotyps einer bestimmten Vogelspezies ist, örtliche Bedingungen gleichzeitig aber wunderschöne Eigenheiten hervorbringen. Dass der Mensch so fasziniert davon ist, wenn Vögel Nester aus Sachen bauen, die ihm gehören: Hausgimpel kleiden ihre Nester mit Zigarettenstummeln aus, die Nester von Bullock-Trupialen sind aus Schnüren gearbeitet, Milane dekorieren ihre Nistplattformen in den Bäumen mit Unterwäsche, die sie von Wäscheleinen stibitzt haben. Ein Freund von mir hat einmal ein Königsbussardnest gefunden, das fast ausschließlich aus Drahtstücken geflochten war. Es ist wie gesagt faszinierend, dass menschlicher Müll in Kreationen von Vögeln verarbeitet wird, es ist aber auch beunruhigend. Was haben sie aus dem gemacht, das wir aus dieser Welt gemacht haben? Unsere Welt überschneidet sich mit der ihren, wir teilen unsere Wohnstätten auf eine merkwürdige Art und Weise miteinander. Schon lange freuen wir uns darüber, wenn Vögel an ungewöhnlichen Orten nisten. Wir sind entzückt, wenn das Rotkehlchen seine Jungen in einer ausrangierten Teekanne aufzieht, das Amselweibchen auf einem Nest über dem Rotlicht einer Ampel hockt — diese Nester suggerieren Hoffnung, da die Vögel unsere Sachen für ihre eigenen Zwecke nutzen und damit unsere Technologien überflüssig machen, sie verlangsamen, zum Stillstand bringen, ihnen eine Bedeutung verleihen, die nicht mehr ausschließlich die unsere ist.
Doch genau das sind Nester. Ihre Bedeutung besteht immer aus einer Verflechtung von Vogel und Mensch, und so, wie der Napf oder die Wand eines Nests entsteht, entstehen auch Fragen zu unserem Leben. Planen Vögel wie wir, denken sie wie wir, wissen sie tatsächlich, wie man Knoten macht oder einen Schnabelvoll Schlamm nach dem anderen zu einem Nest zusammenklatscht — oder ist das bloß Instinkt? Nimmt die Konstruktion, die sie bauen, ihren Anfang in irgendeiner abstrakten Form, einem Bild im Kopf, nach dem der Vogel plant, statt Schritt für Schritt zu denken: So, und das kommt dahin. Diese Fragen zerren an uns. Wir folgen Plänen, wenn wir Dinge herstellen; dennoch hat jeder Mensch auch ein intuitives Gespür dafür, wo bestimmte Sachen hinkommen sollten. Wir nehmen es wahr, wenn wir Gegenstände auf einem Kaminsims arrangieren oder Möbel in einem Zimmer verteilen. Künstler nehmen es wahr, wenn sie Collagen zusammenstellen, Skulpturen schaffen, Pigmente auf einer Oberfläche zur Geltung bringen und dabei genau wissen, dass der dunkle Farbfleck just an dieser Stelle im Zusammenhang mit den anderen Flecken der Szene für eine gewisse Ausgewogenheit sorgt oder einen Konflikt provoziert. Was ist das da in uns drin? Wir sind vom Unterschied zwischen Geschick und Instinkt fasziniert, ebenso wie wir großen Wert auf die Unterschiede zwischen Kunst und Handwerk legen. Werden Pigmente in Tropfspritzern auf die Schale eines Trottellummeneis, das sich dreht, bevor es gelegt wird, geschmiert, die in ihrem Überschwang und ihrer Finesse an die Gemälde des abstrakten Expressionismus erinnern, was sagt dann die Freude, die wir an solchen Mustern haben, über uns aus? Mir kommt hier unweigerlich das Sammelbedürfnis in den Sinn, das sich manchmal in Form von Milliardären, die de Koonings und Pollocks horten, und manchmal in Form von Händlern äußert, die Margarineplastikbecher voller wunderschön gezeichneter Neuntötereier unter dem Bett oder den Dielen verstecken.
Wir sehen unsere eigenen Vorstellungen von einem Zuhause und der Familie in den Wesen um uns herum; wir verarbeiten gedanklich, erwägen und urteilen, und wir beweisen uns selbst die Wahrheit unserer eigenen Annahmen anhand eines Gebildes aus Zweigen, Schlamm und Schalen sowie gefiederter Spiegel. Auch in der Wissenschaft sind die Fragen, die wir stellen, im Allgemeinen so gestrickt. Da müssen wir nur an Niko Tinbergens Berühmtheit auf dem Gebiet der Verhaltensforschung denken, wie geduldig er die ritualisierten Gesten erforschte, die in Kolonien nistender Möwen Aggressionen mildern — und wie dies zu seinen Ängsten hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen überfüllten Städten und menschlicher Gewalt passte. Ich denke da auch an den jungen Julian Huxley, der, noch ganz im sexuellen Durcheinander der Jugend gefangen, einen Frühling damit verbrachte, balzende Haubentaucher zu beobachten und dabei über gegenseitige sexuelle Selektion und Verhaltensrituale zu spekulieren. In Henry Eliot Howards Arbeiten zum Verhalten von Vögeln sind zwischenkriegszeitliche Ängste bezüglich der Ehe zu entdecken: Er rätselt über die Vorstellungen von Revier, Nestbau sowie außerpaarlicher Kopulation und bemüht sich verzweifelt zu verstehen, was bestimmte Weibchen, die es schaffen, Männchen von ihren bewährten Partnerinnen wegzulocken, sexuell so anziehend macht. Auch die Belletristik ist voll von solchen Beispielen. In T. H. Whites Der König auf Camelot spiegeln nistendende Vögel das englische Klassensystem wider; dort ähneln die Nistklippen von Meeresvögeln wie Alk und Möwe etwa »einer unzählbaren Menge von Fischweibern auf dem größten Markt der Welt«, und die Vögel sagen Sachen wie: »Sitzt mein Hut auch richtig?« und: »Du Schnösel, lass das mal gefälligst bleiben!«, während Whites Scharen von aristokratischen Kurzschnabelgänsen hoch oben über den Slum hinwegfliegen und auf ihrem Weg nach Norden skandinavische Heldensagen über Gänse vortragen.
Einige meiner Freunde, die in ländlichen Randgebieten aufgewachsen sind, kümmern sich im Allgemeinen wenig um die geltenden Regeln der Wertschätzung der Natur und die Gesetze, die sie durchsetzen sollen. Die meisten von ihnen gehen mit Longdogs auf die Jagd. Manche wildern. Manche haben auch schon Vogeleier gesammelt. Vermutlich tun einige das immer noch, obwohl man mir nichts davon erzählt. Die meisten von ihnen verfügen über ein begrenztes finanzielles oder gesellschaftliches Kapital; ihr Anspruch auf die Landschaft, die sie umgibt, gründet sich auf lokales Feldwissen, nicht auf buchstäblichen Besitz. Beim Sammeln von Vogeleiern in diesem Zusammenhang stellen sich mir Fragen zu Eigentumsrechten, Beteiligung und Zugang zu Vergnügungen, der wirtschaftlich benachteiligten Gemeinden in der Natur gestattet ist. Billy, der junge Protagonist aus Barry Hines’ Und fing sich einen Falken, weigert sich, Fußball zu spielen und in einem Bergwerk zu arbeiten, und lehnt alle Männlichkeitsrollenbilder ab, die man ihm vorlebt. Welche Gelegenheiten, zärtlich zu sein, hat der Junge? Er streichelt Drosselküken in ihrem Nest. Er hält sich einen Turmfalken, den er liebt. Welche Arten von Schönheit können besessen werden? Als Landbesitzer steht einem das ganze Spektrum zur Verfügung, der moiréseidene Himmel, die Hecken, das Vieh, alles. Aber was ist mit dem Fabrikarbeiter? Da liegt der Hase im Pfeffer. Das Sammeln von Vogeleiern erfordert Geschick, Tapferkeit im Feld, hart erworbenes Wissen der Natur. Für einen Geist, der der verstummten Schönheit erlegen ist, kann es zur Besessenheit werden. Die Praxis hält die Zeit an. Der Sammler gewährt sich selbst die Macht, neues Leben und neue Generationen zurückzuhalten. Und mit dem Sammeln von Vogeleiern verpasst man gleichzeitig auch der Elite und all ihren Regeln hinsichtlich dessen, was und was nicht akzeptabel ist in der Beziehung zur Natur, einen Denkzettel.
Besonders verpönt war das Sammeln von Vogeleiern in der Naturgeschichtskultur im und nach dem Zweiten Weltkrieg. Zu dieser Zeit lud man die Vögel Großbritanniens mit neuer Bedeutung auf. Sie waren der Stoff, aus dem die Nation war, das, wofür wir kämpften. In diesem Umfeld war die Seltenheit der Spezies, die auf britischem Boden zusehends an Halt verloren — darunter Säbelschnäbler, Flussregenpfeifer und Fischadler —, quasi eins mit der gefährdeten Nation. So galt der Diebstahl ihrer Eier gewissermaßen als Landesverrat und das Beschützen der Vögel vor plündernden Sammlern als Dienst am Vaterland. Wieder und wieder tauchen in Büchern und Filmen aus dieser Zeit versehrte Soldaten auf, die ihre Tapferkeit auf dem Schlachtfeld bewiesen haben und nun ihrer Liebe zum Land durch den Schutz seltener Vögel, die Junge großzuziehen versuchen, Ausdruck verleihen. In dem 1949 erschienenen Buch The Awl Birds von J. K. Stanford beispielsweise, in dem das bedrohte Nest das eines Säbelschnäblers ist, oder in Kenneth Allsops Adventure Lit Their Star aus demselben Jahr, in dem es um das Nest eines Flussregenpfeifers geht. Die Wissenschaftshistorikerin Sophia Davis hat angemerkt, dass die Schurken in diesen Büchern, die Eiersammler, in der Regel »Ungeziefer« und »eine Gefahr für England« genannt werden, während die Nester für gewöhnlich von Helden bewacht werden, denen das Schicksal der Nation am Herzen liegt.
Tatsächlich sind auch im wahren Leben regelrechte Banden von Eierbeschützern und Nestbewachern aus dem Krieg hervorgegangen. Nach jahrelanger Kriegsgefangenschaft in einem deutschen Lager setzte sich der Ornithologe George Waterston mit seinen Kollegen an das erste Fischadlernest, das es seit fünfzig Jahren in Schottland wieder gegeben hatte, und beobachtete es durch das Zielfernrohr eines Gewehrs. In den 1950er-Jahren schrieb J. K. Stanford über seine eigenen Erfahrungen beim Bewachen von Säbelschnäblern: »Angespannt aufgrund der allgemeinen Atmosphäre der Heimlichtuerei saßen wir da bis lange nach Einbruch der Nacht und waren auf alles vorbereitet, sogar auf einen amphibischen Angriff bewaffneter Oologen.« Heute gelten die Sammler von Vogeleiern meist als hoffnungslos einer Sucht verfallen und gleichzeitig als Subjekte mit großen moralischen Defiziten. Diese Charakterisierungen wurden in der Kultur der Nachkriegsornithologie strikt als Gefahr fürs Gemeinwesen kodifiziert.
Eier und Krieg, Besitz und Hoffnung und Heimat. In den 1990er-Jahren — meine naturkundliche Sammlung war lange aufgelöst, das Zuhause meiner Kindheit gab es auch schon nicht mehr — arbeitete ich in einer Falkenzuchteinrichtung in Wales. In einem Raum standen reihenweise kostspielige Brutschränke, in denen Falkeneier lagen. Durch die Glasscheibe hatten die Eier die Farbe von gesprenkeltem Walnussbraun, Teeflecken und Zwiebelschalen. Das war noch vor der Ankunft neuerer Inkubatoren, die den Druck eines Brutflecks mittels mit heißer Luft gefüllter Plastikbeutel imitieren. In diesen Brutapparaten mit Gebläse lagen die Eier auf Drahtgittern. Wir wogen sie täglich, und wenn sich der Embryo allmählich dem Schlupf näherte, begannen wir mit dem sogenannten Schieren oder Durchleuchten der Eier: Wir legten sie auf eine Lichtquelle und zogen den Umriss des Schattens, der sich gegen die helle Luftkammer abzeichnete, mit einem weichen Grafitstift nach, sodass die Eierschalen nach und nach voller Linien waren, die Gezeitenkarten oder breit gemasertem Holz ähnelten. Allerdings verließ ich den Brutraum immer irgendwie verstimmt, mit einem vagen, beunruhigenden Gefühl des Schwindels. Ein vertrautes Gefühl, das ich nicht richtig benennen konnte. Eines regnerischen Sonntagnachmittags aber fand ich schließlich heraus, was das für ein Gefühl war. Ich blätterte durch die Fotoalben meiner Eltern und stieß dabei auf ein Bild von mir, das nur wenige Tage nach meiner Geburt aufgenommen worden war. Ein zartes und mageres Ding, an einem Handgelenk ein Klinikarmband und in nacktes elektrisches Licht getaucht. Ich lag in einem Brutkasten, denn ich war viel zu früh auf die Welt gekommen. Mein Zwillingsbruder hat die Geburt nicht überlebt. Und dieser frühe Verlust, gefolgt von Wochen grellen Lichts, die ich allein auf einer Decke in einem Plexiglaskasten lag, hatte mir etwas angetan, das seinen Widerhall in einem Raum voller feucht gehaltener und von einem Drahtgestell bewegter Eier in Gebläsekästen fand. Jetzt konnte ich das Gefühl benennen. Es war Einsamkeit.
Da wurde mir auch die spezifische Macht von Eiern klar, Fragen zum Verletzt- und Unglücklichsein des Menschen aufzuwerfen. Deshalb, so wurde mir plötzlich bewusst, vermittelten mir die Nester meiner Kindheitssammlung ein unbehagliches Gefühl: Sie reichten in eine Zeit meines Lebens zurück, als es auf der Welt für mich um nichts anderes ging als darum, Isolation zu überleben. Und dann. Und dann eines Tages. Eines Tages entdeckte ich, ziemlich überraschend, dass, wenn ich ein Falkenei ganz nah an meinen Mund hielt und leise, gackernde Geräusche machte, das Küken, das zum Schlupf bereit war, zurückrief. Und da stand ich nun in dem klimatisierten Raum. Ich sprach durch eine Eierschale zu etwas, das weder Licht noch Luft kannte, bald aber die sich offenbarenden Spulen und Rollen einer Westküstenbrise sowie die Wolke an einem Hang mühelos mit beinahe einhundert Stundenkilometern dahingleitend in sich aufnehmen und sich auf spitzen Schwingen in die Luft schrauben würde, hoch genug, um in der Ferne den glitzernden Atlantik zu sehen. Ich sprach durch eine Eierschale und weinte.