Migräneattacken: Sie sind wie Regen, wie eine Kugel, die eines Morgens Tage nach der Androhung von Gewalt erst noch in der Kammer steckt. Eine Kugel, die durch die Sperrvorrichtung rutscht und in den Schlitz deines Rückenmarks fällt, bevor der langsame Schuss mit einer schirmartig sich auftürmenden Regenwolke leeren Drucks beginnt, die einen so schwindlig macht, als wachse da tatsächlich eine Gewitterwolke aufsteigender Luft heran; sie bauscht sich immer weiter auf, bis ihre Ränder ausfiedern und mit deinem Schädel übereinstimmen. Dann zwei Daumen, die dir auf die Nebenhöhle drücken und sich über deinen Kiefer schieben, und seltsame Streifen schnellen Schmerzes wie Sommerblitze, wenn du eine Tasse anhebst, einen Stift in die Hand nimmst. Sie vergraben sich in deiner Schulter, tief an Stellen, die es gar nicht gibt, bis sie wehtun. Und kommt dann der Schmerz ganz, ist er einseitig, manchmal in der linken Schädelhälfte, manchmal in der rechten, obwohl er so heftig ist, dass man ihn in keiner der beiden Hälften einsperren kann. Er feuert rasch hintereinander, wie eine Fahne, die im Wind knattert, oder trommelt tief wie der Herzschlag, und manchmal tränt einem ein Auge, das Auge auf der Seite, wo der Schmerz ist, und es kommt zu dem, was die Ärzte das Postnasal-Drip-Syndrom nennen, bei dem die Welt nach brühend heißem Metall und Salzlake schmeckt. Mehrmals mitten in einem Migräneanfall hatte ich das starke und plötzliche Gefühl, aus Kobalt zu bestehen: Das liegt teilweise an dem Geschmack in meinem Mund und teilweise daran, dass ich mich so schwer fühle. Hauptsächlich aber liegt es daran, dass die Interferenz in meinem Kopf manchmal die Gestalt der zarten Linien blaublumiger Verzierungen auf antikem chinesischem Porzellan annimmt. Schiffswracks, Knochen, Perlen. Ja, es stimmt schon, Migräneattacken versetzen mich in Metaphernstimmung, eine nach der anderen, und noch mehr, denn sie sind immer zu viel, auf eine Art und Weise, die sie unerträglich macht, ohne jeglichen Filter.
Dreißig Prozent aller Migränikerinnen und Migräniker leiden im Zusammenhang mit ihren Kopfschmerzen auch an visuellen Störungen. Diese hatte ich nur einmal, an einem stürmischen Abend bei einem Literaturfestival. Ich war gerade emsig dabei, Bücher zu signieren, als sich ein Funkensprühregen, eine Reihe bläulicher, blitzender Phosphene wie beim Kurzschluss einer Lichterkette aus der oberen rechten Ecke meines Sehfelds nach unten hin ausbreitete, bis ich fast nichts anderes mehr sehen konnte. In medizinischen Fachbüchern wird das Phänomen Flimmerskotom genannt. Und geflimmert hat es, das kann man sagen. Ich bin ausgeflippt. Ich signierte weiter, lächelte weiter, klammerte mich mit allen zehn Zehen ins Innere meiner Schuhe und dachte, ich müsste sterben — bis dann der Schmerz kam.
Obwohl sie wehtun, helles Licht zu einem brutalen Eindringling machen und mich dazu zwingen, mich ins Bett zu legen und so viele Schmerzmittel zu schlucken, wie ich gerade noch darf, ohne mir selbst zu schaden, haben meine Migräneattacken auch etwas Nützliches. Ihre Nützlichkeit besteht nicht im Schmerz. Der ist furchtbar. Ich hasse ihn. Ich hasse es auch, wie viel Lebenszeit mir durch ihn verloren geht, dass ich mich ihm gegenüber so hilflos fühle, und ich hasse die Tränen, die die Kissen, die ich umkrampfe, durchnässen. Doch erinnern mich die Attacken daran, dass wir nicht so solide gebaut sind, wie viele von uns so munter annehmen. Dass die Definition von Gesundheit, die die Weltgesundheitsorganisation 1948 aufgestellt hat — der Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechlichkeit —, auf genau niemanden zutrifft und eine nett formulierte Phrase ist, die weniger an Utopie als vielmehr an Behindertenfeindlichkeit grenzt. Dass Vollkommenheit uns nicht immanent sein kann, konstruiert wie wir sind aus chemischen Stoffen und Netzwerken und kausalen molekularen Leitbahnen und durch uns fegenden Elektrizitätsstürmen; kein Mensch kann sich jemals vollkommener Gesundheit rühmen.
Migräne ist eine unglaublich weitverbreitete — mehr als eine Milliarde Menschen leidet an ihr —, aber höchst rätselhafte neurologische Erkrankung. Wir wissen noch nicht einmal genau, was Migräne eigentlich ist, nehmen jedoch an, es handelt sich bei ihr um einen Kontrollverlust des Gehirns hinsichtlich seines Inputs, eine sensorische Verarbeitungsstörung, die teilweise erblich ist. Wir wissen, dass sich die Blutgefäße der Hirnhaut während der Attacke weiten und dass die Anfälle mit Aktivität im Gasser-Ganglion verbunden sind, der Basis des Nervennetzwerks, das für die Gesichts- und Kaumuskulatur zuständig ist. Wir wissen, dass mit Auren einhergehende Migräneattacken mit Wellen elektrischer Aktivität im Gehirn assoziiert sind, der sogenannten kortikalen Streudepolarisierung. Doch wer eine Migräne hat, weiß, dass er nichts weiß. Der Schmerz löscht das Wissen aus, macht das Verstehen vollkommen überflüssig. Da gibt es nichts zu wissen oder zu verstehen. Subjekte, Objekte — alles egal. Du bist alles, was es gibt, und alles an dir tut weh.
Manche Frauen haben die Migräne meist um die Zeit ihrer Periode herum — Frauen sind dreimal so häufig von Migräne betroffen wie Männer, demnach scheinen Geschlechtshormone eine Rolle zu spielen. Dieser Zusammenhang ist für mich nicht nur relevant, weil ich eine dieser Frauen bin, sondern auch weil in meinem Leben die Menstruation sehr eng mit der Migräne verwandt ist. Beide sind eindeutig identifizierbar — ich blute oder ich krümme mich vor Schmerzen und weine —, und an beiden ist eine Abfolge von Vorsymptomen beteiligt.
Ich brauchte fast dreißig Jahre, um die Robustheit meines prämenstruellen Musters zu erkennen, doch heute weiß ich, dass es in der Woche vor meiner Periode immer einen einzelnen Tag gibt, an dem ich darüber fantasiere, Fremde zu ermorden, vor allem langsame Autofahrer, und einen weiteren, an dem ich mich bei beinahe allem in sentimentale Tränen auflösen könnte: der Werbung im Supermarkt, der auf Hochglanz polierten Ecke eines Eichentischs, die in der Sonne glänzt, einer Taube, die aus einem Weißdornstrauch auffliegt. Den Großteil dieser Woche ähnelt die Stimme meines inneren Kritikers verführerischem, honigsüßem, warmem Baklava. Sie flüstert mir ein, ich sei eine schreckliche Person und die schlechteste Schriftstellerin der Welt, und ich glaube ihr. Doch nach Jahrzehnten der Verwirrung sind diese Zustände nun wie alte Freunde, und ich heiße sie mit einer gehörigen Portion Schalkhaftigkeit willkommen.
Die Vorsymptome meiner Migräneattacken sind ebenso überaus spezifisch. Zwei bis drei Tage, bevor mein Kopf zu schmerzen beginnt, füllt sich mein Kühlschrank mit Flaschen voller Bananenmilch. Ich gähne viel und habe Durst, obwohl ich ausreichend trinke. Meine Gelenke tun weh. Beim Einkaufen greife ich zu dunkler Schokolade und süß eingelegter Roter Bete. Ich bin hundemüde und so unbarmherzig schlecht gelaunt, dass mich selbst der schönste Vogelgesang stört. Ich kann die Symptome jetzt aufzählen, doch wenn der Kopfschmerz dann kommt, kommt er immer überraschend. Ich sehe ihn nie kommen. Die Symptome sind Aspekte der frühesten Stadien der Migräne, ihre Prodrome, die dem Schmerz vorausgehen. So stellt sich heraus, dass einige der berüchtigtsten Migräneauslöser gar keine Auslöser sind: Der Heißhunger auf Schokolade ist genauso Teil der Migräne wie der Kopfschmerz, der folgt.
Hat der Schmerz dann nachgelassen, beginnt die Postdromphase, zu der ich eine ganz spezielle Beziehung habe. Obwohl ich mich in ihr schwach, wie in Watte gepackt, langsam und dumpf fühle, ist sie auch die Phase, in der mir das Schreiben am leichtesten fällt. Was auch immer da in meinem Gehirn vor sich geht, sorgt dafür, dass die Worte fließen und meine Wahrnehmung der Welt geschärft wird; die Tage scheinen wie neu geschmiedet und voller überraschender Schönheiten. Gerade jetzt sitze ich in einer solchen Phase an meinem Küchentisch und schreibe, mit einem Heat Pack über Nacken und Schultern drapiert, um die nach zweitägigem Schmerz verkrampften Muskeln zu entknoten. Heute Morgen habe ich kurz nach Sonnenaufgang über den hinteren Zaun meines Gartens und ein Haferfeld zu den Tälern und Hügeln um mein Haus herum gesehen, der Himmel perlmuttartig, das tiefer gelegene Land in leuchtenden Nebel gehüllt. Für eine Migränikerin mit Angst vor hellem Sonnenlicht stellt das langsame Gleiten in die weicheren Tage und früheren Nächte des Herbstes eine enorme Erleichterung dar.
Doch irgendetwas stimmte nicht. Ich schüttelte den Kopf. Schüttelte ihn noch einmal und fragte mich, ob ich vielleicht kränker war als gedacht, denn ich konnte ein lautes Brummen hören, ein niederfrequentes Brausen wie von einem Flugzeug, das über einen hinwegfliegt beziehungsweise nicht fliegt, sondern mitten im Flug am Himmel hängen geblieben ist, da das Geräusch sich weder verlagerte noch dem Doppler-Effekt unterworfen war — es war so unbeweglich wie der Nebel. Eine wahrnehmbare Quelle hatte es nicht; es schien vom Boden zu kommen, aus der Luft, vielleicht sogar, durchzuckte mich der Gedanke, aus meinem Inneren. Vielleicht war es ein mir bislang unbekanntes Anhängsel der Migräne, eine mir neue akustische Halluzination. Die Sorge breitete sich wie ein Buschfeuer aus und kribbelte in scharfkantigen, glitzernden Wellen über meine Haut, bis auf einmal eine Ringeltaube im Baum über mir zu singen begann: ein tiefes Gurren, das dieselbe Frequenz hatte wie das Geräusch um mich herum. Mit dem Gefühl des Erstaunens, das mir den Nacken hinunterlief und sich als Gänsehaut an meinen Armen manifestierte, wurde mir plötzlich klar, dass das Brummen von Tauben kam, Hunderten von ihnen, die sich hier versammelt hatten, um Nachlese zu halten und die bei der Ernte heruntergefallenen Körner aufzupicken. Sie riefen aus Bäumen und Hecken und von Zaunpfählen aus einem Umkreis von mehreren Kilometern, alle auf einmal und in solch großer Anzahl, dass die einzelnen Rufe zu einem Gesamtgesang verschmolzen. Ich hatte mir das Geräusch also nicht eingebildet. Es war kein Symptom. Es war wirklich da. Und im Aufruhr Hunderter anderer Gemüter war ich von Freude überwältigt. Egal wie alt ich bin, dachte ich — manchmal werde ich noch immer auf Dinge treffen, die mir neu sind. Vielleicht interpretierte meine wacklige Neurologie zu viel in das Erlebnis hinein, aber manchmal, so dachte ich weiter, schelten wir uns ganz umsonst. Manchmal sind nicht wir schuld, sondern die Welt.
Ich habe einmal einer Freundin von meiner ewigen Unfähigkeit erzählt zu erkennen, dass ich mich mitten in der Prodromphase einer Migräne befinde. Andere erkennen die Bedeutung ihrer Symptome sofort, sagte ich. Die meisten Menschen tun das. Nur ich nicht. »Das ist schon komisch«, fuhr ich fort. »Leugne ich sie absichtlich, weil ich es hasse, Migräne zu haben?« Sie sagte eine Zeit lang nichts und erwiderte dann vorsichtig: »Vielleicht. Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit. Hast du schon einmal daran gedacht, dass diese Unfähigkeit vielleicht selbst ein Migränesymptom ist? Manche Dinge sind so geschaffen, dass es Teil ihres Erlebens ist, sie nicht zu sehen, sie nicht zu verstehen.«
Migräniker wie ich sind Experten im Verdrängen. Wir wissen genau, wie er sich anfühlt, dieser Fingerspitzendruck hinter den Augen und dem Herzen; wir wissen genau, dass er da ist, und glauben gleichzeitig, er existiere nicht. Deshalb denke ich oft an Migräne, wenn ich die Nachrichten höre, obwohl wir viel mehr über den Klimawandel als über einseitige Kopfschmerzattacken wissen. Während ich hier sitze und schreibe, fressen sich Waldbrände in Sibirien durch unzählige Hektar langsam wachsender Kiefernbestände. Der Amazonas brennt. Dörfer fallen ins Meer. Auf schmelzendem Permafrost blühen Methankrater. Hunde ziehen Schlitten durch Schmelzwasser. Der heißeste Sommer. Schon wieder der heißeste Sommer. Und schon wieder. Hurrikans, die über dem Atlantik Schlange stehen. Einer, zwei, drei. Es ist leicht, über einem Foto von einem verhungernden Eisbären zu trauern, angesichts der Vorhersagen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Schrecken zu empfinden, entsetzt zu sein, wie viele Menschenleben Wirbelstürme und Überschwemmungen bereits gekostet haben und noch kosten werden. Noch leichter aber ist es, jegliche Kenntnis vom Zusammenbruch des Systems abzustreiten. Wir sind unfähig, die einzelnen Punkte miteinander zu einem Gesamtbild zu verbinden. Wir wissen, dass wir in Schwierigkeiten stecken, verlagern unsere Ängste aber auf greifbare, vorstellbare Schrecken, die wir heraufbeschwören. Wir machen uns über im müllverseuchten Meer treibende Strohhalme und Einkaufstüten Sorgen, die höhnisch Ctenophoren und andere Quallen nachahmen. Manche suchen sich in einer imaginären Heimat einen Anker, während die wirkliche Heimat um uns herum abbrennt oder ertrinkt. Andere beschwören Feinde herauf, die unser Zuhause und das uns Vertraute bedrohen. Wir halten an Geschichten fest, die wir im Internet lesen und die unseren Schrecken zu Vorstellungen von Intrigen und dem Austauschen hochrangiger Persönlichkeiten kanalisieren — Verschwörungstheorien, die wie millenaristische Pamphlete durch die Luft flattern, alte, selbst gedruckte Handzettel, nur jetzt in digitaler Tinte geschrieben. Doch dass wir in Schwierigkeiten stecken, wissen wir.
Eine Erklärung für unser Nichtbegreifen besteht in etwas, das ich so oft gelesen habe, dass es mir allmählich wie die Art von Wiederholung vorkommt, die aus der Verzweiflung heraus geboren wird. Wir sind unfähig, uns die Tatsache des Klimanotstands begreiflich zu machen, so das Argument, weil sich unser Gehirn schlicht so entwickelt hat, wie es sich entwickelt hat. Dass wir nicht reagieren können, liegt tief in unserer evolutionären Vergangenheit begründet. Wir sind darauf programmiert, etwas so Großes und Allumfassendes nicht verstehen zu können. Gesagt zu bekommen, es sei nicht unsere Schuld, ist zwar eine Erleichterung, macht die Situation aber nicht im Geringsten besser. Der Grund, warum ich an Migräne denke, wenn ich etwas über den Klimanotstand lese, ist meine Vermutung, dass unsere Untätigkeit vielleicht genau so funktioniert, wie Migräne funktioniert. Was, wenn es nicht an unserer evolutionären Vergangenheit liegt, dass wir nicht verstehen können? Was, wenn dies absolut nichts mit dem Selektionsdruck unserer Vorfahren zu tun hat? Was, wenn wir in diesem Augenblick mit einem strukturellen Problem konfrontiert werden, das es unmöglich macht, Symptome als Vorwarnungen zu verstehen? Meine Migränesymptome sind eine Aneinanderkettung unzusammenhängender Dinge, die nicht nur nichts miteinander, sondern auch nichts mit dem Schmerz, der folgt, zu tun zu haben scheinen: Rote Bete, Bananenmilch, Gähnen, Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen, Erschöpfung. Es ist schwer, diese Dinge miteinander in Beziehung zu setzen oder sie als Teile eines Ganzen zu sehen. Und ebenso schwer ist es für uns zu verstehen, dass Dinge, von denen man uns erzählt hat, sie stünden in keiner Beziehung zueinander, Dinge, die scheinbar nur zufällig mit den Mechanismen der Welt verbunden sind, Dinge wie landwirtschaftliche Produktion, Lebensmittellieferwege, internationale Handelsabkommen und globale Unternehmenskultur, um nur einige von vielen zu nennen — dass diese Dinge ursächliche Symptome des Klimanotstands sein könnten. Wir sind von unserer heutigen Zeit darauf konditioniert, bestimmte Arten von Problemen und Lösungen nicht zu verarbeiten, weil diese nicht zu dem passen, was man uns über die Gesellschaft beigebracht hat. Man hat uns glauben gemacht, wir könnten Entscheidungen, die die Welt verändern, im Supermarkt treffen, dass es einzig auf unsere individuellen Entscheidungen ankommt, dass wir im Kleinsten handeln sollten, um große Veränderungen herbeizuführen — auf Energiesparlampen umsteigen und Dieselautos sowie Plastikstrohhalme meiden. Aber manchmal sind nicht wir schuld, sondern die Welt. Tollkühner Widerstand und stattfindende Veränderungen sind kollektive, nicht individuelle Akte. Was wir brauchen, ist die konzertierte kulturelle Aktion der Massen, und die sollten wir schleunigst organisieren.
Viele Jahre lang überkam mich ungeheurer Fatalismus, wenn ich die ersten Anzeichen einer bevorstehenden Migräne verspürte. Ich wusste, dass es bereits zu spät war — da konnte ich mich in ein abgedunkeltes Zimmer zurückziehen, so viele Liter Mineralwasser in mich hineinkippen und mir so viele Aufnahmen von Walgesängen anhören, wie ich wollte, nichts half. Alles, was ich tun konnte, war, mich hinzuhocken und auf den Schmerz zu warten, der die Welt auslöschen würde. Vor Kurzem aber habe ich ein Migränemittel ausprobiert, das die Wirkung des natürlichen Botenstoffs Serotonin imitiert und selektiv die migräneentzündeten kranialen Blutgefäße verengt. Da das Medikament beispielsweise Frauen nach der Menopause und Menschen mit Herzbeschwerden gefährlich werden kann, ist es in Großbritannien zwar nicht rezeptpflichtig, doch muss der Migränepatient einen umfangreichen Fragebogen ausfüllen und seine Gesundheit in aller Breite mit der Apothekerin oder dem Apotheker diskutieren, bevor er es kaufen darf.
So viele Jahre lang hatte ich angenommen, meine einzige Option sei es, die Migräne durchzustehen, mich an den Schiffsmast zu fesseln und zu warten, bis der Sturm vorüber war. Und diese Option habe ich heute noch: Manchmal ist die Migräneattacke zwar schlimm, bedeutet aber nicht das Ende der Welt. Die halte ich aus, weil ich weiß, dass die Wirksamkeit des Medikaments mit zunehmender Einnahme nachlässt. Doch wenn sich der Schmerz bis zum Bruchpunkt steigert — und wenn es so weit ist, weiß ich es mit absoluter Sicherheit —, schlucke ich eine Pille, und nach etwas mehr als einer Stunde ist der Schmerz verschwunden. Das Licht am Himmel wird wieder weich, meine Augen hören auf zu tränen, die Qual zerstreut sich wie Wolken nach einer vorüberziehenden Wetterfront. Zwar fühle ich mich noch tagelang wie benebelt und irgendwie seltsam, aber der Schmerz ist verschwunden. Und das Seltsamste daran ist, dass ich jedes Mal, wenn ich das Mittel nehme, glaube, dass es nicht wirken wird. Dass es unmöglich wirken kann. Und doch tut es das. Jedes Mal. Was für mich jedes Mal an ein Wunder grenzt.
Natürlich kann man das, was mit unserem Planeten geschieht, nicht damit vergleichen, was mit dem Gehirn eines Migränikers geschieht. Wenn es sich nur um den eigenen Körper dreht, dürfen wir unsere eigenen Entscheidungen hinsichtlich dessen treffen, wie wir mit Beeinträchtigungen dieses Körpers umgehen. Trotzdem gibt es bei beiden Dingen Aspekte, die einander ähneln. Mein Migränemantra war immer So ist es eben, bis mir klar wurde, dass es so nicht sein muss. Wir befinden uns bereits in den frühen Stadien des ökologischen Zusammenbruchs unseres Planeten, in der Prodromphase der Katastrophe. In unseren endzeitlichen Traditionen ist die Vorstellung verankert, die Apokalypse ginge sehr rasch vonstatten, an einem einzigen, letzten, grauenerregenden Tag. Doch funktionieren die Systeme der Welt im Ganzen nicht gemäß den Zeitbegriffen des menschlichen Lebens; wir sind schon mittendrin in der Apokalypse, wofür Waldbrände und Hurrikans der Kategorie 5 ebenso sichere Anzeichen sind wie das Tier, das aus dem Abgrund aufsteigt.
Apokalyptisches Denken ist ein ausgesprochen mächtiger Gegner des Handelns. Es nimmt uns die Handlungsmacht und vermittelt uns das Gefühl, alles, was wir nun noch tun könnten, sei zu leiden und auf das Ende zu warten. Doch so dürfen wir jetzt nicht denken. Denn eine Apokalypse ist nicht immer ein verheerendes Ende, nicht immer eine Katastrophe. In seinem früheren Sinn bedeutete das Wort eine Offenbarung, eine Vision, eine Erkenntnis, eine Entschleierung bislang unbekannter Dinge, und ich hoffe inständig, dass die Offenbarung, die uns die derzeitige Apokalypse bringt, das Wissen ist, dass es in unserer Macht liegt einzugreifen. Ebenso wie die Strukturen des migränegequälten Gehirns geändert werden können — auch wenn wir das nicht glauben, bis es tatsächlich geschieht —, so können auch die Strukturen einer Welt geändert werden, die sich scheinbar unausweichlich auf fossile Brennstoffe und grenzenloses wirtschaftliches Wachstum verlassen muss. Wir können etwas unternehmen, das unmöglich und zwecklos scheint, aber absolut und gerade jetzt erforderlich ist. Wir können Druck ausüben, uns zu Wort melden, demonstrieren und weinen und trauern und singen und hoffen und kämpfen für die Welt, gemeinsam mit anderen, selbst wenn wir nicht daran glauben, dass wir damit etwas bewirken können. Selbst wenn Veränderung unmöglich scheint. Denn auch wenn wir nicht an Wunder glauben, so gibt es sie trotzdem, und sie warten darauf, dass wir sie finden.