Ich hatte den Schnee gegen eine Arbeitsreise nach Kalifornien eingetauscht, gegen heiße Luft und einen strahlend blauen Himmel, gegen Palmen und Bougainvilleen und eine Spottdrossel, die mir in meiner ersten schlaflosen Nacht ein Ständchen brachte, das sich eines exquisiten Repertoires an gestohlenen Phrasen bediente. Taub machende Kälte zu Hause, sengende Hitze in Santa Barbara — dies führte zu einer Desorientiertheit, die den schlichten Jetlag weit überstieg: Ich hatte jedes Gefühl für die Jahreszeit, in der ich mich befand, verloren. Als ich eine Woche später von Heathrow aus zurückfuhr, war der Schnee weg, meine jahreszeitliche Desorientierung aber schlimmer denn je; in meinem Inneren hatte sich dumpfe Unruhe breitgemacht. Dann jedoch fuhr ich an einem Winterweizenfeld neben der A 505 vorbei, irgendwo zwischen Royston und Newmarket, und sah aus den Augenwinkeln etwas, das alles wieder ins Lot brachte und mich im Nu in das katapultierte, was zweifelsohne der Frühling sein musste. Fünf Feldhasen, die einander umkreisten, umherrannten, über das Feld hoppelten, sich plötzlich umdrehten und auf die Hinterläufe stellten, um gegeneinander zu boxen, und die dabei unter dem weiten, nassen, silbernen Himmel Matsch aufspritzen ließen.
Das erste Mal habe ich boxende Hasen auf einem nebligen Feld in der Nähe von Winchester gesehen, als ich noch ein Teenager und davon überzeugt war, dass das, was ich da sah, Rammler waren, die miteinander um Häsinnen konkurrierten. Diese Lesart ihres Verhaltens passte so perfekt zum Sittenkodex unserer Gesellschaft, dass sie mit der Autorität der absoluten Wahrheit daherkam. Die Hasen, die um die Kämpfe kreisten, so dachte ich, waren Häsinnen, die sorgfältig das Können der jeweiligen Boxer prüften, und außerdem nahm ich an, dass der Sieger alle Weibchen bekommen würde. Falsch. Bei den meisten boxenden Feldhasen handelt es sich um Häsinnen, die sich der sexuellen Avancen ihrer männlichen Artgenossen erwehren. Sie stellen sich auf die Hinterläufe und versuchen, sie in die Flucht zu schlagen — die tierische Entsprechung einer Form von Gewalt, die ebenfalls ein Merkmal unserer Gesellschaft ist, wenngleich wir erst in jüngerer Zeit begonnen haben, offen darüber zu sprechen.
Wenn Menschen das Wort »Hase« hören, assoziieren sie damit meist auch etwas Magisches. Die Bücher über Hasen sind voller Sagen und Legenden. Sie erzählen von dem Hasen, den Boudicca unter ihrem Umhang trug und vor einer Schlacht freiließ, um aus der Richtung, in die der Hase fliehen würde, den Ausgang der Schlacht vorherzusagen. Von Hasen, die sich in etwas anderes verwandeln können. Von Hasen mit einer Affinität zum Mond. Von Hasen als Symbol des Osterfests, der Auferstehung, der Erneuerung, des Frühlings. Die meisten Menschen halten Hasen für magisch und geheimnisvoll, weil Mythen und Märchen uns sagen, dass sie es sind. Doch wurzeln diese alten Geschichten in dem Verhalten echter Hasen — und die sind tatsächlich mysteriös. Vielleicht sind sie nicht in der Lage, willentlich das Geschlecht zu wechseln, wie frühneuzeitliche Schriftsteller annahmen. Dafür aber können weibliche Feldhasen erneut trächtig werden, noch bevor sie die Jungen, die sie bereits tragen, zur Welt gebracht haben — Junge, die im Übrigen vollbepelzt sowie mit offenen Augen geboren und sehr schnell unabhängig werden. Feldhasen fressen den eigenen Kot, können auf der Flucht Geschwindigkeiten von annähernd fünfundsechzig Stundenkilometern erreichen — sie sind das schnellste Landtier in unseren Breiten — und suchen, schummrige Umrisse in der Dunkelheit, überwiegend in der Abend- und Morgendämmerung nach Nahrung. Die Einzelgänger versammeln sich in größeren Gruppen zum Fressen, wenn ein entsprechend reiches Nahrungsangebot vorhanden ist. Vor zwei Jahren stand ich in Norfolk bei Sonnenuntergang auf einem Rübenacker, als eine Gruppe von Hasen erstaunlich langsam und irgendwie unheimlich die Ackerfurchen heruntergehoppelt kam, mit vom sterbenden Licht rot gefärbten Löffeln und vom Schatten zobelbraun getöntem Fell.
Der Mensch brachte die Tiere zur Zeit der Römer oder vielleicht auch früher vom Festland auf die britischen Inseln und entließ sie in die Landschaft, wo aus den Fremden rasch Einheimische mit einem Talent für Unsichtbarkeit wurden. Feldhasen graben sich keinen Bau. Sie leben immer unter freiem Himmel, in einer Reihe von Erdmulden, den sogenannten Sassen, die über ihr Revier verstreut sind. In diese perfekt dem Körper angepassten Sassen drücken sie sich und verwandeln sich somit in einen flachen, rostbraunen Bogen, den man seiner Sache absolut sicher für einen Stein im Wintergetreide hält, bis einem zwei schwarze Ohrspitzen auf dem Rücken des »Steins« auffallen. In der Sasse sieht der Hase alles, ist selbst aber nicht zu sehen. Trittst du ihr zu nahe, springt das Tier direkt zu deinen Füßen auf und reißt mit seinen hinteren Krallen Gras aus der Erde heraus; die weiße Blume blitzt auf, und dein Herz rast vor Schreck, während der Hase in die Ferne flieht. Hasen sind Wesen der Augen, der Geschwindigkeit und der Angst, und sie besitzen die erstaunliche Fähigkeit, Dingen, die sie verfolgen — Füchse, Hunde, Adler —, davonzulaufen oder per Hakenschlagen auszuweichen.
Doch sind Fressfeinde nicht der Grund, warum die Feldhasenbestände in Großbritannien zurückgehen — es ist die Intensivierung der Landwirtschaft, die sie hart getroffen hat. Junghasen, die sich in Silagefelder drücken, werden von Erntemaschinen niedergemäht, und unsere modernen Monokulturen rauben den adulten Tieren die Nahrung. Ich sehe Hasen heute nicht mehr sehr häufig. Sie begegnen mir vor allem auf Fotos, auf Gemälden oder als Figurinen boxender Hasen in Schaufenstern — stilisierte, langohrige Gestalten, in anmutiger Konfrontation festgehalten. Doch man muss noch nie einen echten Hasen gesehen haben, um zu wissen, was er bedeuten soll: den magischen Vorboten des Frühlings.
In letzter Zeit ist der Frühling für mich etwas eher Spärliches geworden. Er kommt mittlerweile öfter in Narzissensträußen aus dem Supermarkt und österlichen Werbeaktionen zum Ausdruck als in reichen und überreichen Veränderungen, dem Duft frischen Grases, in Algen, die auf Eichenstämmen ergrünen, dem widerhallenden Trommeln des Spechts, sich weitenden Himmeln und der Rückkehr dieses undefinierbaren Lichts, das den Winter unterhöhlt. All das sind Dinge, die ich nach einigen Jahren der Arbeit drinnen vermisse. Und genau so, wie die Bedeutungen, die wir Hasen gegeben haben, niemals an die Fülle und Komplexität der lebenden, atmenden Kreaturen, die echte Hasen sind, heranreichen, genau so täuschen uns unsere festen Vorstellungen vom Frühling darüber hinweg, was aus ihm geworden ist. Der Klimawandel hat unsere Jahreszeiten verändert: Kätzchen im Winter, den Kuckuck hört man selten, und aus dem langsamen Erblühen ist ein kurzes Aufblitzen plötzlicher Wärme vor dem Sommer geworden, das einer Jahreszeit kaum mehr ähnelt. Die boxenden Hasen waren ein großartiger Anblick, doch hinter ihren kämpfenden Gestalten flackerte ein beunruhigender Schatten auf, die Ahnung, dass die Bedeutungen, die wir Dingen wie Hasen und Jahreszeiten gegeben haben, so hartnäckig bestehen bleiben, wenn ihre Originale erst verschwunden sind, dass der sich überstürzende Wandel der Dinge, die wir als ewig ansehen, manchmal schwer zu erkennen ist.