Aus Schwänen habe ich mir nie viel gemacht, bis zu dem Tag, an dem ein Schwan mir bewies, dass ich unrecht hatte. Es war ein wolkenverhangener Wintermorgen, und ich litt an einem erst vor Kurzem gebrochenen Herzen. Ich setzte mich auf eine Betontreppe an der Schleuse Jesus Lock und starrte auf den Fluss, der ebenso kalt und grau war wie die Welt insgesamt, als sich ein weiblicher Höckerschwan aus dem Wasser hievte und auf ledrigen, eingedrehten Füßen mit Schwimmhäuten und stämmigen schwarzen Beinen auf mich zustapfte. Ich nahm an, sie wollte Futter. Schwäne können dir mit einem einzigen Flügelschlag den Arm brechen, schoss es mir durch den Kopf, eine dieser Warnungen aus der Kindheit, die im Erwachsenenalter zu Kampf-oder-Flucht-Reaktionen ausgehärtet sind. Ein Teil von mir wollte aufstehen und sich weiter wegsetzen, der Großteil von mir aber war dafür einfach zu müde.
Ich beobachtete sie, ihren Schlangenhals, das schwarze Auge, ihre blanke Hochmütigkeit. Ich erwartete, dass sie stehen bleiben würde, doch das tat sie nicht. Sie lief direkt nach oben zu der Stelle, an der ich auf der Betontreppe saß, ihr Kopf ragte über meinen hinaus. Dann drehte sie sich zum Fluss um, schob sich ein wenig nach links und ließ sich fallen, ihr Körper parallel zu meinem, so nah, dass ihre Schwungfedern an meinen Oberschenkel gedrückt wurden. Ich will nie wieder hören, Schwäne seien ätherische Wesen, nicht von dieser Welt. Das, was da neben mir saß, hatte die Massigkeit eines großen Hundes. Ich war zu überrascht, um nervös zu sein. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und suchte verunsichert nach der korrekten artübergreifenden sozialen Etikette für solcherlei Fälle. Sie sah mich an, absolut ohne Neugier, steckte den Kopf seitlich-hinten in ihr aufgestelltes Deckgefieder und schlief mit gebogenem Hals fest ein.
So saßen wir da gemeinsam etwa zehn Minuten, bis eine Familie vorbeikam und ein Kleinkind schnurstracks auf den Schwan zulief. Sie schlüpfte ins Wasser zurück und pflügte flussaufwärts davon. Als ich sie wegschwimmen sah, bewegte sich irgendetwas in mir, und ich begann mit einem Gefühl, das ich als Dankbarkeit erkannte, zu weinen. An diesem Tag wurden Schwäne für mich zu realen Geschöpfen, und das spornte mich an, die Begegnung mit ihnen auch weiterhin zu suchen.
Mein Lieblingsort, an dem ich im Winter gern Ausschau nach Schwänen halte, ist das Welney-Wildfowl-and-Wetlands-Trust-Schutzgebiet. Es liegt an den Ouse Washes, die Teil einer hoch entwickelten Auenlandschaft der East Anglian Fens sind. Die hiesige Vogelwarte ist von der üblichen baufälligen Bretterbude weit entfernt. Sie ist beheizt und mit Teppichen ausgelegt, sogar eine Vitrine mit ausgestopften Schwänen kann man sich hier ansehen. Die Jahre haben sie nikotingelb verfärbt, weshalb sie den lebenden Vögeln draußen ähneln, wie Räucherheringe lebenden Heringen ähneln.
Ebenso ungewöhnlich wie die Vogelwarte selbst sind die Besucher, die ich hier antreffe. Einige raubtierhaft aussehende Männer haben spektakuläre Teleskope von der Art mitgebracht, die man gemeinhin nur in Naturschutzgebieten sieht. Es gibt aber auch eindrucksvoll toupierte Damen eines gewissen Alters mit Ferngläsern, die so betagt sind, dass sie an Operngläser erinnern. Nicht zu vergessen die Frau im Rollstuhl, die den ganzen Weg die holprige Rampe hinunter zur Tür fröhlich singt. Es gibt Teenager aus der Gothicszene und Kleinkinder und Paare in den Zwanzigern, Sechzigern und Achtzigern und ein Baby mit rosafarbenen Strumpfhosen und Glitzertop. Wir alle — abgesehen von dem Baby, das von den Teenagern fasziniert ist — blicken aus den Panoramafenstern über anderthalb Kilometer Wasser, unterbrochen durch winzige Inselchen und gepunktete Linien, Stängel ertränkter Gräser und Ansammlungen schlafender Uferschnepfen. Schatten gibt es dort draußen keine, außer in den sich kräuselnden Räumen zwischen kleinen Wellen, die sich über die flachen Gewässer jagen. Als das Licht abnimmt, machen sich ferne Gebilde los und treiben am Horizont: Bäume, Masten, Windräder. Mehr in der Nähe sind Weiden wie Eis auf Glas gefroren. Der See schimmert quecksilbern mit dem Muster Tausender von Vögeln, so weit das Auge reicht: schwimmende Punkte von Stockente, Pfeifente, Tafelente — und Miniatureisberge, die in Wahrheit Schwäne sind.
In jedem Winter entsteht hier ein See von der Größe des Loch Lomond, der sich im Frühjahr in Feuchtweide verwandelt. Der für die Jagd auf Federwild und das winterliche Schlittschuhlaufen berühmte Ort ist für Tausende von Schwänen zur traditionellen Überwinterungsstätte geworden; sie ernähren sich von Kartoffeln, die nach der Ernte im Boden verblieben sind, sowie von Zuckerrüben und Winterweizen. Bei ihnen handelt es sich nicht um die aus Stadtparks und von Seen vertrauten Höckerschwäne, nicht um die Art von Schwan, die zu mir heraufgekommen war und sich so deutlich in mein Bewusstsein gedrängt hatte. In diesem Schutzgebiet, das kurz auch als WWT bekannt ist, leben Sing- und Zwergschwäne, Vögel, die im arktischen Island und Sibirien brüten und ganz andere Wesen sind.
Singschwäne überqueren den Nordatlantik ohne Zwischenstopp, um hierherzugelangen, und fliegen dabei zwölf Stunden lang in rund sechstausend Meter Höhe durch eisige, sauerstoffarme Luft. Es sind riesige und eindrucksvolle Geschöpfe. Doch haben es die kleineren, die Zwergschwäne, dem WWT-Mitarbeiter Shaun besonders angetan; er ist in die Vogelwarte gekommen, um vor der Abendfütterung mit uns zu sprechen. Er ist eine Art Tierpfleger: Im Sommer kümmert er sich um das Vieh, das auf den Washes grast, und im Winter, wenn das Gebiet überflutet ist, um die Schwäne. »Das Gelbe vom Schnabel verläuft weiter nach oben bis um die Augen herum«, erzählt er beinahe ehrfürchtig von seinen Zwergschwänen. »Wie gelber Kajal. Das sind so hübsche kleine Vögel.«
In der Nähe des Schaukastens mit den ausgestopften Schwänen steht eine Bronzebüste des WWT-Gründers Sir Peter Scott. Er hat die Zwergschwäne auch geliebt. Vor fünfzig Jahren ist ihm aufgefallen, dass jedes der Tiere ein anderes Muster aus Gelb und Schwarz auf dem Schnabel aufwies. Fasziniert begann er, ihnen Namen zu geben und winzige Erkennungszeichnungen von ihnen anzufertigen. Dies entwickelte sich zu einem wortwörtlichen »face book« weiter, einem Gesichterkatalog der einzelnen Schwäne, der bis in die Gegenwart fortgeführt wird. Auch heute noch können die WWT-Forscher die Vögel anhand ihres Äußeren erkennen, und Scotts Zeichnungen sowie die von ihm angelegten Stammbäume sind mittlerweile eine der am längsten laufenden Tierstudien der Welt. Gemeinsam mit den Daten der Funkpeilungs- und Beringungsstudien trägt sie entscheidend zum Schutz der Tiere bei. Den Singschwanpopulationen geht es gut, denen der Zwergschwäne leider nicht: Wahrscheinlich sind Klimawandel und Habitatveränderungen zumindest teilweise für die rasch abnehmenden Bestände verantwortlich.
Als ich klein war, kamen mir Zwergschwäne immer seltsam und glamourös vor, da sie aus der Sowjetunion hierherzogen und somit ohne mit der Wimper zu zucken den Eisernen Vorhang durchflogen. Ich habe mich oft gefragt, was hinter Peter Scotts Zwergschwanbegeisterung steckte. Als ehemaliger Marineoffizier, Sohn eines Entdeckers und erstklassiger Segelflieger musste er die heroischen Nordseeflüge der Singschwäne beinahe zwangsläufig ansprechend finden. Doch ist es auch verführerisch, sich vorzustellen, eine spezielle Ader englischen Konservatismus habe seinen Wunsch beeinflusst, aus Zwergschwänen Individuen zu machen, aus Scharen Familien, ihre Stammbäume zu verfolgen und ihnen Namen zu geben wie Casino, Croupier, Lancelot, Jane Eyre und Victoria, bevor sie jedes Jahr im Frühjahr in die Sowjetunion zurückkehrten. So leicht verfängt sich die Politik in der Wissenschaft, dass selbst so etwas wie der Kalte Krieg plötzlich und unbewusst mit den rauschenden, schlagenden Flügeln von Schwänen verwoben ist.
Nun wird das Flutlicht eingeschaltet, und das Wasser zittert. Wir schweigen erwartungsvoll, als Shaun das Gebäude verlässt und mit einer Schubkarre am Ufer wieder auftaucht, aus der er schaufelweise Körner in den See wirft. Wir drängen uns ans Fenster. Darunter ist eine Unmenge von Winterfederwild emsig mit Fressen beschäftigt: kastanienköpfige Tafelenten, Stockenten, unzählige Sing- und Zwergschwäne mit wolkigen Flügeln und schneeweißen Hälsen. Die Vögel leben absolut in freier Wildbahn, und doch sind sie hier, so zahm wie Enten vom Bauernhof, und fressen auf einer nassen Bühne, die beleuchtet ist wie ein West-End-Theater. Eine schöne Erfahrung, die jedoch nicht zu unserer Alltagsvorstellung davon passt, wie ein wildes Tier zu sein hat, wie Wildsein zu sein hat.
Etwas fehlt. Ich suche nach dem Gefühl, das ich bei dem Schwan in Cambridge hatte, aber es ist nicht da, obwohl ich ahne, wo ich es finden könnte. Ich verlasse das Gebäude ebenfalls und gehe zu den alten Bretterbuden nebenan, wo ich ein schmales Fenster öffne und die Geräuschkulisse von draußen hereinlasse. Wie klingen Tausende von arktischen Schwänen? Wie eine riesige Amateurblaskapelle, die ihre Instrumente in einem Flugzeughangar stimmt. Mein Herz hüpft vor Freude. Alle paar Sekunden mischt sich ein Glockenspiel neuer Stimmen hinzu. Die Schwäne kommen nach Hause, um ihre Schlafplätze in kleinen Familiengruppen aufzusuchen, Umrisse, die sich über die Vogelwarte erheben und auf das schwarze Wasser gleiten. Sie rufen einander in der Nacht, diese wunderschönen Zugvögel, manche mit gelben Flecken im Gesicht, manche dunkel von Kartoffelschlamm, die breiten, mit Schwimmhäuten versehenen Füße gespreizt, um beim Landen zu bremsen. Sie rufen, schlagen mit den Flügeln, zanken, tauchen mit dem Kopf ins Wasser, putzen sich, trinken durstig. Deshalb bin ich hierhergekommen. Es ist uns unmöglich, die Natur zu betrachten, ohne in ihr auch einen Teil unserer selbst zu sehen. Damals an diesem winterlichen Flussufer war ein Schwan zu mir gekommen und hatte mir eine seltsame Kameradschaft angeboten, zu einer Zeit, als ich dachte, ich könne nichts als Einsamkeit empfinden. Und was mich jetzt tröstet, als ich die arktischen Schwäne in unserer Zeit des aufsteigenden politischen Nativismus beobachte, ist, wie offensichtlich sie hier zu Hause sind.