An einem nasskalten Januartag Mitte der 1970er-Jahre stand ich mit meiner Mutter an einem englischen Hang und sah Männern mit Kettensägen dabei zu, wie sie Wracks von Bäumen zersägten und Reisig auf brennende Feuer warfen. Ich war fünf Jahre alt, und die brüllenden Sägeblätter sowie der vorbeiziehende Rauch erstaunten und beunruhigten mich.
»Warum verbrennen sie sie?«, fragte ich meine Mutter.
»Es ist das Ulmensterben«, antwortete sie und zog am Knoten ihres Kopftuchs. »Alle Ulmen haben das jetzt.«
Ihre Worte verwirrten mich. Bis zum damaligen Zeitpunkt hatte ich angenommen, dass sich auf dem Land nie etwas veränderte. Damals breitete sich das Ulmensterben über ganze Kontinente aus, die Braunfäule hatte vier Milliarden Amerikanische Kastanien dahingerafft, und katastrophale neue Baumkrankheiten sollten folgen. Letzte Woche kam mir dieser kalte Hang aus meiner Kindheit wieder in den Sinn, als ich durchs ländliche Suffolk fuhr, an bunt gestrichenen Bauernhäusern und abfallenden Äckern vorbei, unter Schleiersommerwolken. Die Eschen am Straßenrand waren offensichtlich todkrank. Ihre einst prächtigen Kronen hatten sich bis zu einer gespenstischen Durchsichtigkeit ausgedünnt; statt eines wogenden Dachs gefiederter Blätter ragten blattlose Zweige nackt in den Himmel.
Es war meine erste Begegnung mit dem Eschentriebsterben, einer neuen und hoch ansteckenden Pilzerkrankung, die sich in westlicher Richtung über Europa ausgebreitet hat und wahrscheinlich fast alle Eschen auf britischem Boden töten wird. In Amerika waren die Auswirkungen des invasiven Asiatischen Eschenprachtkäfers ebenso verheerend. Und schuld daran ist die Globalisierung. Ausbrüche von Baumkrankheiten hat es zwar immer schon gegeben, doch sind es seit den 1970er-Jahren fast ebenso viele wie in der gesamten Zeit davor. Das wachsende Ausmaß und die zunehmende Geschwindigkeit des internationalen Handels haben Pflanzenarten zahlreiche Krankheitserreger und Schädlinge beschert, gegen die sie keine natürlichen Abwehrkräfte besitzen. Für Bäume lauert der Tod in Holzfurnier, Verpackungsmaterial, Schiffscontainern, Pflanzschulenpflanzen, Schnittblumen und den Wurzeln importierter Setzlinge.
Später, am Abend, suchte ich im Internet zwanghaft nach Bildern von Ulmen, nach ihren in der Luft schwebenden, ausgefransten Umrissen, auf Schnappschüssen von Dorfangern oder halb versteckt hinter Schauspielern in Filmen aus den Sechzigerjahren. Ich fand Bäume, die wie gefrorene Kumulonimbuswolken über Kricketspiele an englischen Internatsschulen ragten, Postkarten und Fotografien von Ulmenalleen in Massachusetts und an der Küste Maines, hohe Äste, die sommerlichen Straßen und Vorstadt-Oldsmobilen Schatten spendeten. Diese Bäume waren die Geister halb erinnerter Landschaften, und als ich sie mir ansah, wurde mir plötzlich klar, dass auch lebende Bäume einen verfolgen können. Die Fahrt durch Suffolk hatte die Bedeutung von Eschen für mich für immer verändert. Seitdem denke ich immer an den Tod, wenn ich eine sehe, egal wie gesund der Baum auch sein mag.
Ziehen sich Bäume jedoch eine potenziell tödliche Krankheit zu, kommen sie besser damit zurecht, als wir es tun. Viele können sich davon erholen. Die riesigen, von weißen Blüten gekrönten Kastanienwälder in den Appalachen sind beinahe vollständig verschwunden, doch aus den Wurzeln umgefallener Bäume sprießen noch immer neue Triebe. Sobald diese jedoch eine gewisse Höhe erreichen, werden sie wieder anfällig für die Braunfäule und sterben. Kastanien und Ulmen, die sich in diesem Zustand ewiger Jugend befinden, tragen weniger Früchte als die reifen Bäume und sind außerdem beunruhigend, da sie nicht in unsere Vorstellung von Bäumen passen. Wir benutzen Bäume, um unsere eigene Lebensspanne an ihnen zu messen, um unseren Begriff der Zeit an ihnen zu verankern. Für die meisten Menschen stehen sie für Beständigkeit und Kontinuität, wir sehen sie als lebende Riesen, die viele Generationen von Menschen überdauern. Wir wollen, dass sie ein hohes Alter erreichen, wir wollen, dass sie uns überragen.
Die Geisterulmen im Internet standen für eine andere Art des Aussterbens als das der Wandertaube oder des Dodos: für das Aussterben einer ganzen Landschaft. Noch Tage danach ertappte ich mich immer wieder dabei, wie ich auf die kahlen Kuppen der Hügel in meiner Umgebung starrte und mir die schwellenden Umrisse von Ulmen darauf vorstellte. Ich bereitete mich darauf vor, darüber nachzudenken, wie es hier wohl aussehen würde, wenn alle Eschen verschwunden wären. Es tat weh, mich zu einer Art vorausfühlender Solastalgie zu zwingen; der von dem australischen Umweltphilosophen Glenn Albrecht geprägte Begriff bezieht sich auf den emotionalen Stress von Menschen, die ihre Heimatlandschaften aufgrund von Umweltveränderungen nicht wiedererkennen. Er sprach zwar von den Auswirkungen der Dürre und des Tagebaus in New South Wales, man kann Solastalgie aber auch angesichts der sich erwärmenden Tundra und der Waldbrände im Südwesten der USA empfinden. Wie Dürren führen auch Baumkrankheiten zu wirtschaftlichen Einbußen und ökologischer Verarmung, während sie gleichzeitig die Orte, an denen wir leben, ihrer vertrauten Bedeutung berauben. Als Jason Van Driesche in seinem Buch Nature Out of Place über das langsame Sterben amerikanischer Wälder an hundert Jahren Baumkrankheit schrieb, stieß er an die Grenzen des Sagbaren: »Das ist meine Heimat. Wie kann man so etwas in Worte fassen?«
Es gibt jedoch Bäume, die einen trösten können. Auch von ihnen suchte ich Bilder im Internet: die letzten wenigen großen Amerikanischen Kastanien, denen man teilweise Namen gegeben hat. Der Adair County Chestnut etwa, die man 1999 in Kentucky entdeckte. Mit seiner kugelförmigen Krone hat der Baum mit den gigantischen, sich in die Höhe schraubenden Kathedralensäulen der uralten Kastanien in den Appalachen wenig gemein, doch ist er wunderschön und reckt seine dunklen Glieder und langen, gezackten Blätter zur Sonne. Rund fünfhundert Amerikanische Kastanien sind heute noch übrig, darunter die Hebron Chestnut in Maine und eine unbenannte Kastanie in Ohio. Die Menschen reisen zu diesen einzigartigen Bäumen, die dem Tod ein Schnippchen geschlagen haben; manche stehlen als Andenken sogar Blätter und Rindenstückchen von ihnen. Häufig muss die genaue Lage der Bäume geheim gehalten werden — auf einen zu treffen, so heißt es, sei wie eine Begegnung mit Bigfoot.
Engagierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Freiwillige und Mitarbeiter von Baumschulen versuchen seit vielen Jahrzehnten, die Amerikanische Kastanie in Amerika wieder heimisch zu machen, mit dem Ziel, die Landschaften, die wir verloren haben, wiederherzustellen. Einige Organisationen, beispielsweise die American Chestnut Foundation, versuchen es mit Rückkreuzungen der amerikanischen Bäume mit resistenten chinesischen Varietäten, um Setzlinge hervorzubringen, die der Amerikanischen Kastanie ähneln, aber über ausreichend chinesische Eigenschaften verfügen, damit sie die Auswirkungen der Braunfäule überleben können. Andere wie ein Team des College of Environmental Science and Forestry an der State University of New York bringen Gene von Weizen und anderen Pflanzen in Kastanienkeimlinge ein, um deren Chemie zu verändern und sie widerstandsfähiger gegen Angriffe zu machen. Trotz des zunehmenden Erfolgs von Projekten wie diesen werden sie mitunter als abwegig erachtet; stattdessen wird vorgeschlagen, die Ressourcen in das Verhindern neuer Krankheiten zu stecken und nicht zu versuchen, die alten zu heilen. Diese Position ergibt Sinn, wenn man davon ausgeht, die Gründe für den Versuch, die Bäume zu retten, seien rein ökologischer Natur. Doch selbstverständlich sind sie das nicht. Die Bäume formen die Landschaften unseres Lebens und sind deshalb mit unserem Identitätsgefühl verbunden.
Die eigene Umgebung zu kennen, zu wissen, welche Tiere es dort gibt und welche Pflanzen dort wachsen, bedeutet in zunehmendem Maße, sich beständigem Schmerz zu öffnen. Ansteckende Baumkrankheiten schaffen es in die Schlagzeilen, kleinere, weniger sichtbare Verluste nicht — und doch geschehen sie die ganze Zeit. Die Fliegenschnäpper, die noch vor zehn Jahren hier nisteten, sind verschwunden, die Wiesen in meiner Heimatstadt, die voller Leben waren, sind heute Wohnsiedlungen, in denen außer dem Menschen nichts mehr lebt. Wer ein gewisses Alter erreicht hat, neigt dazu, elegisch auf Dinge zurückzublicken, die es nicht mehr gibt: der Laden, in dem man als Kind war und der jetzt geschlossen ist; das Zimmer, das zur Erinnerung geworden ist. Doch diese kleinen, persönlichen Verluste sind, so schmerzlich sie auch sein mögen, nicht dasselbe wie der Verlust der Biodiversität. Veränderungen im Stadtbild sind nicht dasselbe wie riesige Flächen käferzerstörter Bäume: Obwohl sie auch in Geschichten über uns selbst vorkommen, drehen sich Bäume nie nur um uns. Sie stützen komplexe und voneinander abhängige Lebensgemeinschaften, und wenn Wälder allmählich immer artenärmer werden, verliert die Welt mehr als nur Bäume. So vermutet man beispielsweise, dass der Anstieg der Borrelioseerkrankungen in vielen Teilen Nordamerikas und Europas unter anderem auch der Tatsache geschuldet ist, dass weniger artenreiche Wälder das Gedeihen der Zecken, die die Krankheit übertragen, begünstigen.
Ich bin alt genug, um mich an Ulmen und die Landschaften, die sie bildeten, zu erinnern. Menschen, die nur wenige Jahre jünger sind als ich, können das nicht, für sie ist der Anblick ulmenfreier Felder beruhigend normal. Gewöhnen wir uns allmählich an ein neues Narrativ der Natur, in dem Veränderungen auf Ökosystemebene in immer kürzeren Zeiträumen an der Tagesordnung sind? Kinder, die mit sich zurückziehenden Gletschern und schmelzendem Meereis aufwachsen, mit versinkenden Dörfern, wütenden Tundrabränden und einst häufig vorkommenden, dann aber verschwindenden Bäumen — werden diese Kinder die beständigen Verluste irgendwann als Normalität ansehen? Ich hoffe nicht. Wenn es aber eines Tages keine Eschen mehr geben wird und die Landschaft flacher, schlichter und kleiner geworden ist, vielleicht wird dann jemand, der heute noch nicht geboren ist, auf einen Bildschirm tippen, Bilder aufrufen und über die verlorene Pracht dieser erlesenen, gefiederten Bäume staunen.