Ein Versteck, um Tiere beobachten zu können: ein Gebilde, dessen Zweck darin besteht, einen unsichtbar zu machen. Dieses hier ist ein rustikaler Holzbau mit Bänken zum Sitzen und schmalen Sehschlitzen in einer der Wände. Wenn man darauf zugeht, sieht das Versteck fast exakt so aus wie ein kleiner, verwitterter Gartenschuppen.
Ich mache mich schon in Verstecken unsichtbar, seit ich denken kann; Konstrukte wie diese finden sich in Naturschutzgebieten auf der ganzen Welt, und sie scheinen so natürlich ein Teil ihres jeweiligen Standorts zu sein wie Bäume und offene Gewässer. Trotzdem flammt eine vertraute, nervöse Vorahnung in mir auf, als ich nach der Türklinke greife, und so halte ich einige Sekunden lang inne, bevor ich die Tür öffne. Im Inneren der Hütte ist die Luft stickig; es ist dunkel und riecht nach Staub und Teeröl. Außer mir ist niemand hier. Ich schwinge die Beine über die Bank und öffne die Fensterklappe aus Holz, sodass sich ein helles Rechteck in der Dunkelheit bildet. Während sich meine Augen allmählich an die Lichtverhältnisse gewöhnen, löst sich der Raum vor mir zu einer flachen Lagune unter Kumuluswolkenstraßen auf. Beinahe automatisch lasse ich mein Fernglas über die vor mir liegende Szene schweifen und hake dabei Arten ab — drei Löffelenten, zwei Seidenreiher, eine Flussseeschwalbe —, doch bin ich mit meinen Gedanken woanders. Ich rätsle über das seltsame Gefühl der Vorahnung, versuche herauszufinden, wodurch es ausgelöst wurde.
Solche Verstecke waschen ihre Hände geschichtlich keineswegs in Unschuld. Sie sind aus Fototarnzelten heraus entstanden, die ihrerseits auf Bauten beruhen, die den Menschen näher an Tiere heranbringen sollten, damit Ersterer Letztere töten konnte: Unterstände für die Entenjagd, Hochstände für die Jagd auf Wild, Baumplattformen zum Schießen von Großkatzen. Die Jagd hat die Naturbeobachtungspraxis unserer heutigen Zeit auf zahllose uneingestandene Arten und Weisen geformt, zu denen beispielsweise auch die Taktiken gehören, die angewendet werden, um Tiere in Sichtweite zu bringen. Ebenso wie Jäger Köder für Hirsche und Rehe auslegen und Enten anlocken, legen die Mitarbeiter von Naturschutzgebieten flache Futterteiche an, damit sich Watvögel in der Nähe von Verstecken aufhalten, oder stellen Futterstationen für scheue nachtaktive Säugetiere auf. Im schottischen Hochland kann ein berühmtes Versteck durch das Auslegen von Erdnüssen Besucherinnen und Besuchern die fünfundneunzigprozentige Chance bieten, die seltenen Baummarder — wendige, baumlebende Beutegreifer — zu Gesicht zu bekommen.
Was man aus einem Versteck heraus sehen kann, ist angeblich die waschechte Realität, also Wildtiere, die sich absolut natürlich verhalten, weil sie nicht wissen, dass sie beobachtet werden. Sich in ein Augenpaar in einer abgedunkelten Holzkiste zu verwandeln hat allerdings auch eine Nebenwirkung: So distanziert man sich von der allumfassenden Landschaft um das Versteck herum, wodurch die Trennung zwischen Mensch und Natur verstärkt wird und wir das Gefühl haben, Tiere und Pflanzen seien etwas zum Ansehen, niemals zum Anfassen. Manchmal erinnert mich das Fenster vor mir fatal an den Bildschirm eines Fernsehers.
Man muss jedoch nicht unsichtbar sein, um Wildtieren bei ihrem vollkommen natürlichen Verhalten zuzusehen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Geschöpfe wie Erdmännchen, Schimpansen und kleine braune Vögel namens Graudrosslinge studieren, ist schon seit Langem bekannt, dass man die Tiere mit der Zeit an die Anwesenheit des Menschen gewöhnen kann. Sich verstecken ist allerdings eine Gepflogenheit, mit der man nur schwer brechen kann. Der List, etwas zu beobachten, das einen seinerseits nicht sehen kann, haftet eine zweifelhafte Befriedigung an, und dies ist tief in unserer Kultur verankert. Wenn Wildtiere unerwartet in unserer Nähe auftauchen und scheinbar unbeeindruckt von unserer Anwesenheit sind, fühlen wir uns mitunter genauso verlegen und unsicher, wie wir uns verhalten sollen, wie Teenager beim Gesellschaftstanz.
Vor einigen Jahren ging ich mit meiner Freundin Christina in einem Park in einer englischen Kleinstadt spazieren, als plötzlich Gestalten erschienen, die ich sonst nur aus Verstecken zur Vogelbeobachtung kannte: Fotografen in Flecktarnkleidung mit 300-Millimeter-Objektiven und dem Ausdruck akuter Konzentration im Gesicht. Wir sahen in die Richtung, in die die Kameras wiesen. Keine drei Meter von uns entfernt schwammen zwei von Großbritanniens scheuesten Säugetieren in dem seichten Fluss, der sich durch den Park zog. Otter! Sie schienen uns nicht bemerkt zu haben, und wenn doch, dann waren wir ihnen absolut gleichgültig. Ihre nassen Flanken glänzten wie Teer, als sie sich im Wasser herumrollten. Ab und zu kamen sie an die Wasseroberfläche, um mit ihren scharfen weißen Zähnen knirschend auf Fischen herumzukauen und sich Tropfen aus den steifen Tasthaaren zu schütteln, dann schlüpften sie wieder hinab und schwammen den Fluss hinunter, im Schlepptau die Fotografen, die ihnen wie Paparazzi folgten und zeitweise rückwärts rannten, weil die mitgebrachten Objektive für solche Nahaufnahmen nicht geeignet waren. Es war faszinierend. Wir folgten den Ottern ebenfalls flussabwärts und hielten in der Nähe einer Frau mit einem Kleinkind und einem Baby im Kinderwagen an. Auch sie beobachteten die Tiere. Die Frau erzählte mir, sie liebte die Otter. Sie waren Teil ihrer Stadt. Teil ihrer Gemeinde. Sie hatten alle Kois aus dem Fischteich vom Herrenhaus gefressen, fuhr sie amüsiert fort. »Die waren stinksauer — die Kois müssen ein Vermögen gekostet haben!« Dann wandte sie ihren Kopf in Richtung der Fotografen: »Sehen die nicht ulkig aus?« Außerhalb eines Verstecks wirkten sie tatsächlich lächerlich; sie waren so an ihre Ferngläser, Tarnkleidung und teuren Zoomobjektive gewöhnt, dass sie sie auch dann benutzen mussten, wenn sie vollkommen überflüssig waren.
Obwohl Verstecke Orte sind, die dem Beobachten von Tieren dienen, sind sie gleichermaßen lohnenswerte Orte, um Leute zu beobachten, die Tiere beobachten, und das eigenartige Sozialverhalten Ersterer zu studieren. Einer der Gründe, warum ich zögerte, bevor ich mein kleines Versteck betrat, war der, dass sich dort möglicherweise schon jemand aufhielt. In ein überfülltes Versteck zu platzen ist wie zu spät zu einer Theateraufführung zu kommen und sich seinen Platz zu suchen. In solchen Verstecken herrschen ungeschriebene Gesetze. Wie im Theater oder in der Bibliothek hat man leise zu sein oder allerhöchstens flüsternd zu sprechen. Manche dieser Gesetze sollen offensichtlich bewirken, dass die Tiere von der Anwesenheit des Menschen nichts mitbekommen; man darf beispielsweise generell nicht telefonieren, die Tür laut schließen oder gar zuknallen oder die Hand aus dem Fenster strecken. Andere jedoch muten etwas merkwürdiger an und rühren von einem ganz speziellen Problem her: Unsere Aufgabe in einem Versteck besteht darin, so zu tun, als sei man nicht da. Befindet sich also mehr als eine Person darin, ist das Gefühl der Körperlosigkeit — die Voraussetzung für das So-tun-als-ob — in Gefahr. Menschen, die derlei Verstecke regelmäßig aufsuchen, lösen das Problem oft räumlich. Als sich Christina, sie stammt aus Melbourne, das erste Mal in ein Versteck begab, fragte sie sich, warum sich die Leute auf der Bank so weit wie möglich auseinandersetzten und damit die Plätze in der Mitte, die mit dem besten Blick, frei ließen. »Ich tippte auf selbstaufopfernde englische Etikette«, erzählte sie mir, »bevor mir klar wurde, dass sich die Leute so weit wie möglich auseinandersetzten, weil sie so weit wie möglich auseinander sein wollten.«
Außerdem beäugt man sich in solchen Verstecken hinsichtlich der Expertise des jeweils anderen konstant gegenseitig, während man da sitzt und gezwungenermaßen den geflüsterten Unterhaltungen darüber lauscht, was draußen zu sehen ist. Es herrscht die reinste Agonie, wenn jemand etwas Falsches sagt. Ich erinnere mich noch an die eisige Stimmung in der Hütte an einem schönen Frühlingstag in Suffolk, nachdem ein Mann seiner Begleitung anvertraut hatte, dass er gerade eine Schermaus beobachtete. Jeder andere im Versteck wusste, dass die etwas schwerfällige Kreatur mit dem langen Schwanz eine große Wanderratte war, doch niemand sagte etwas. Ein Mann hustete. Ein anderer schnaubte vernehmlich durch die Nase. Die Spannung im Raum war unerträglich. Aufgrund tadelloser britischer Reserviertheit fühlte sich niemand imstande, den Mann über seinen Irrtum aufzuklären, da ihn das in den Augen seiner Begleitung herabgesetzt hätte. Ein paar der Insassen hielten es nicht mehr aus und verließen das Versteck.
Die Gründe dafür, ein Versteck aufzusuchen, sind so vielfältig wie die Menschen, die es aufsuchen. Manche haben die Kamera in der Hand und hoffen auf das perfekte Porträt einer vorüberfliegenden Weihe oder Eule. Manche haben stattdessen einen sachkundigen Naturforscher dabei, der ihnen Bestimmungstipps zuflüstert, manche nutzen die Hütte aber auch nur, um sich auf einem langen Spaziergang zwischendurch ein wenig auszuruhen. Die meisten setzen sich und suchen die Umgebung ein paar Minuten lang mit einem Fernglas ab, bevor sie beschließen, dass es dort nichts hinreichend Interessantes oder Seltenes gibt, das sie zum Bleiben bewegen könnte. Es gibt aber noch eine andere Art der Beobachtung aus einem Versteck heraus, die ich zunehmend lieb gewinne. Sie findet statt, wenn man voll und ganz die Möglichkeit akzeptiert, wenig oder nichts Aufregendes zu sehen. Dann wartet man es buchstäblich ab. Eine Stunde oder zwei im Dunklen zu sitzen und die Welt durch ein Loch in der Wand zu betrachten erfordert meditative Geduld. Man gibt sich selbst Zeit, Wolken dabei zuzusehen, wie sie von einer Seite des Himmels zur anderen ziehen und bewegliche Schatten auf neunzig Minuten offenes Wasser werfen. Eine schlafende Schnepfe, den langen Schnabel ins blassspitzige Schultergefieder gesteckt, den Körper an Schilf im Licht-Schatten-Streifenmuster gedrückt, wacht auf, hebt die Flügel und streckt sich. Ein Reiher, minutenlang reglos wie eine Marmorstatue, lässt den Hals wie eine Kobra vorschnellen, um einen Fisch zu fangen. Je länger man da sitzt, desto mehr löst man sich von diesem Ort, während man gleichzeitig mit ihm verwächst. Das plötzliche Auftauchen eines Hirschs oder Rehs am Seeufer, eine Entenschar, die beidreht und flatternd auf dem aufspritzenden, sonnenbeschienenen Wasser landet — sie werden zu Schätzen, durch die simple Tatsache des Vergehens der Zeit.