Meine Freundin Judith schneidet mit einer Nagelschere einem toten Heimchen den Kopf ab und wirft den beinbesetzten, haarigen Vorderleib weg. Den Hinterleib lässt sie in eine kleine Porzellanschale auf dem Küchentisch fallen, die Art von Schälchen, die man für Oliven oder Knabberbrezeln verwenden würde. Die Innereien des Heimchens sind so weiß und cremig wie Frischkäse. Draußen zanken sich Spatzen im Garten, ihre zwitschernden Rufe bilden das Hintergrundgeräusch des knirschenden Schneidens durch Chitin und des feuchten Platschens von Insektenteilen, die nacheinander auf einem Haufen landen. Neben dem Schälchen steht eine Spülwanne aus Plastik. Als ich mich hinüberlehne, um hineinzuspähen, starren dunkle Augen aus einem Wirrwarr hell umrandeter Gesichter zu mir herauf.
Die Wanne ist voller Mauerseglerküken. Die erwachsenen Tiere sind für ihre anmutige Luftakrobatik berühmt, die Jungen vor mir aber ähneln einer Kreuzung zwischen U-Bahn-Maus und einem Stapel überraschend lebhafter Kienspäne. Ihre klauenbewehrten Füße sind so winzig, dass die Vögel damit nicht laufen, sondern lediglich schlurfen können, und die unglaublich langen Flügel ragen in einer Vielzahl verrückter Winkel hervor. Judith, eine sanfte und bedächtige Frau, die sich ihr silbernes Haar zu einem praktischen Bob hat schneiden lassen, hebt einen der Nestlinge aus der Wanne und setzt ihn auf ein mit Küchenkrepp bedecktes Handtuch. Dann nimmt sie ein Stückchen aus der Schale und berührt damit die Spitze des winzigen Schnabels, der sich sogleich zu einem riesigen, rosafarbenen Rachen öffnet und sich dann um Judiths vorderen Finger schließt. Das Heimchen rutscht die Kehle des Vogels hinunter. Ein weiteres folgt.
Judith ist so konzentriert bei der Arbeit, dass sie die Stirn runzelt; sie füttert ihre Vögel mit der ruhigen Sicherheit, die man nur aus langer Erfahrung gewinnt. Vor siebzehn Jahren stolperte sie beim Gassigehen mit ihrem Hund über etwas, das sie zunächst für einen Haufen Federn am Straßenrand hielt. Es war ein Mauerseglerküken. Sie hob es auf und nahm es mit nach Hause. Zahlreiche Experten sagten ihr, es sei zu schwierig, einen jungen Mauersegler aufzuziehen, und er würde sicherlich sterben. »Er starb natürlich nicht«, erzählte Judith mir später. »Er überlebte. Aber die Lernkurve war ziemlich steil.«
Sie ist mittlerweile so bekannt für ihr Geschick, Mauerseglerjunge aufzuziehen, dass man ihr Waisen aus ganz Ostengland bringt. Manchmal werden sie von Tierärzten gebracht, manchmal von ganz normalen Bürgern, die Judiths Namen im Internet fanden, nachdem sie auf aus dem Nest gefallene Vögel gestoßen waren. Dieses Jahr hatte Judith rund dreißig junge Mauersegler unter ihren Fittichen und alle mit Heimchen und vitaminpulverbestäubten Wachsmottenraupen großgezogen. Einige der Vögel schaffen es nicht — für gewöhnlich weil ihre Erstretter sie falsch gefüttert haben —, doch die meisten werden erfolgreich wieder ausgewildert und schlagen dem Tod ein Schnippchen. Und die Möglichkeit, genau das zu erleben, ist der Grund, warum ich in Judiths kleinem Bungalow in einem Dorf in der Nähe des amerikanischen Luftwaffenstützpunkts von Suffolk sitze, wo sie früher als Beauftragte für Kommunikation und öffentliche Angelegenheiten gearbeitet hat. Lässt der Wind später an diesem Vormittag nach, lassen wir einige ihrer jungen Schützlinge frei. »Es kann schon sehr ermüdend sein«, sagt Judith, »allein das frühe Aufstehen! Doch lässt man einen frei, ist das schiere Magie. Und manchmal sitze ich abends im Garten, sehe zwanzig, dreißig, vierzig Mauersegler am Himmel und denke: Ich weiß, dass sie es nicht sind, aber es könnten alle meine sein.«
Meist berühren wir wilde Tiere nur, wenn wir sie jagen oder studieren oder wenn sie in ernsthaften Schwierigkeiten sind, und Letzteres ist in der Regel unsere Schuld. Wir entfernen Nester, tränken Seevögel in Öl, überfahren Hasen und Füchse, sammeln Unfallopfer unter Fenstern und Stromleitungen auf. Als ich zwölf war, zog ich eine Brut Gimpel auf, die mir ein Nachbar gebracht hatte — er hatte ihren Nistbaum gefällt. Als ich die Küken in die Freiheit entließ, hatte ich das überwältigende Gefühl, ein Unrecht wiedergutgemacht zu haben, eine Schuld an der Welt, die der Mensch auf sich geladen hatte.
Vor dem Hintergrund der Umweltzerstörung und des sich überstürzenden Artenrückgangs sind unsere gesellschaftsumfassenden Ängste hinsichtlich der Auswirkungen, die wir auf die Natur haben, oft mit Tragödien einzelner Tiere verknüpft. Sich um verletzte und verwaiste Tiere zu kümmern, bis sie wieder so weit sind, in die Natur zurückzukehren, kann sich wie ein Akt des Widerstands, der Wiedergutmachung, ja sogar der Erlösung anfühlen. Ein einzelnes Finkengelege in den 1980er-Jahren durchzubringen hat den Rückgang britischer Singvogelpopulationen nicht aufhalten können. Doch ist das schlichte Gefühl der Gerechtigkeit, das ich empfand, als ich die Vögel rettete, dadurch vergrößert worden, dass ich auf diese Weise Dinge gesehen habe, die ich sonst nie gesehen hätte: wie die Finken schliefen, wie sie miteinander kommunizierten, ihre Unmengen faszinierender Eigenarten.
»Wir fühlen uns verantwortlich«, erklärt Norma Bishop, geschäftsführende Direktorin von Lindsay Wildlife Experience im kalifornischen Walnut Creek, der Amerikas älteste, 1970 gegründete Auffangstation angegliedert ist. »Es ist ein wenig wie mit Noah und seiner Arche.« Die Mitarbeiter solcher Auffangstationen betonen immer wieder, dass ihre Tiere keine Haustiere sind und dass ihre Aufgabe darin besteht, die Tiere so schnell wie möglich wieder auszuwildern, doch schmieden auch sie unausweichlich emotionale Bande mit ihnen. Die Vorschriften in Großbritannien gestatten es Privatpersonen, sich um verletzte oder anderweitig schutzbedürftige Tiere zu kümmern, vorausgesetzt, sie halten sich dabei an geltende Richtlinien zum Tierwohl. In Amerika ist die Rehabilitation von Wildtieren lizenzierten Experten vorbehalten, die meist für wohltätige Einrichtungen arbeiten. Doch unabhängig von der Position ist immer ein immenses Engagement beteiligt: Die Pfleger verwaister Elefanten in Kenia etwa schlafen jede Nacht bei den Tieren, wobei sie sich jedoch abwechseln, da man mit einer zu engen Bindung an einzelne Pfleger riskiert, dass der Babyelefant es nicht verkraftet, wenn sich der Pfleger oder die Pflegerin eine Nacht freinimmt.
Warum retten Menschen Tiere? Der angesehene Tierarzt John Cooper denkt, dass »der Anblick einer hilflosen Kreatur irgendetwas im Menschen anspricht. Wir fühlen uns einem Imperativ unterworfen. Wir haben eine Pflicht.« Dem stimmt Bishop zu: »Ich glaube, die meisten Menschen, vor allem Kinder, können ein Tier einfach nicht leiden sehen.« Die Lindsay-Auffangstation nimmt alles auf, von Rotluchsen bis zu Schlangen, von Entenküken bis zu Singvögeln, was ihr von besorgten Bürgern gebracht wird — manchmal aus vielen Kilometern Entfernung. Der von Los Angeles aus operierende Kolibripfleger Terry Masear ist davon überzeugt, dass Tiere zu retten »fundamentale Emotionen auslöst, die unsere tiefsten Unsicherheiten hinsichtlich unserer Menschlichkeit, unserer Sterblichkeit und unseres Platzes in der Natur offenbaren«. Häufig führen diese Unsicherheiten zu missglückten Rettungsversuchen: Die meisten »verloren gegangenen« Ästlinge oder im hohen Gras schlafenden Rehkitze sind keineswegs verloren gegangen, sondern werden immer noch von ihren Eltern gefüttert.
Vielen Mitarbeitern von Auffangstationen wird vorgeworfen, sie seien zu sentimental, und ihre Arbeit wird als Akt des Mitgefühls einzelnen Tieren gegenüber abgetan, die wenig oder keinen Nutzen für den Naturschutz hat. Eine vernunftgesteuerte Ansicht, allerdings eine, die nicht versteht, worum es geht. Es ist schwer, eine bedeutungsvolle Bindung zu Tieren aufzubauen, deren Leben in der Natur kaum Berührungspunkte mit dem unseren aufweist. Fledermäuse sind fast jedem von uns ein schier unlösbares Rätsel, flackernde Geschöpfe der Luft, die kurz und plötzlich aus der Nacht auftauchen. Eine Kleine Braune Fledermaus jedoch in der Hand zu halten, ihr aus nur wenigen Zentimetern Entfernung in die feuchten Augen zu sehen, ihre nach oben gebogene Schnauze und die zarten, mausähnlichen Ohren aus nächster Nähe betrachten zu können — das verwandelt das Tier in etwas, das sich schon viel leichter lieb gewinnen lässt. Wie Mitarbeiter von Auffangstationen über ihre Arbeit sprechen, erinnert mich exakt an das, was ich selbst beim Retten von Tieren empfunden habe: Es ist ein beinahe berauschendes Gefühl, etwas kennenzulernen, das so ganz anders ist als man selbst, es gut genug verstehen zu lernen, dass man es nicht nur am Leben erhalten, sondern auch dorthin zurückbringen kann, wo es wie ein Teil in einem Puzzle eine Lücke in der Welt hinterlassen hat.
Judith muss nicht gegen Vorwürfe der Sentimentalität ankämpfen. Die Anzahl der Mauersegler ist in Großbritannien im Laufe der vergangenen zwanzig Jahre um mehr als fünfunddreißig Prozent gesunken. Jeder Vogel, den sie rettet, sagt sie, kann das Schicksal der Spezies tatsächlich entscheidend beeinflussen. Immer mehr Menschen mauern Löcher unter der Dachtraufe alter Gebäude zu, und moderne Gebäude bieten Mauerseglern meist gar keine Nistmöglichkeit. Vor ähnliche Probleme sieht sich der Schornsteinsegler in Nordamerika gestellt: Dort werden immer mehr stillgelegte und baufällige Schornsteine abgerissen. Viele Renovierungsfirmen wissen nicht um die Abhängigkeit der Segler von Gebäuden, wissen nicht, dass sie ihre Heimstätten zerstören, weil sie schlicht nicht wissen, dass die Tiere da sind. Die Begegnung mit einem geretteten Segler kann all das ändern. »Haben die Leute erst einmal einen Mauersegler in der Hand gesehen, reagieren sie geradezu ehrfürchtig«, erzählt Judith. Überall in ihrer Küche hängen Karten von Menschen, die ihr Glück wünschen oder selbst schon einen Mauersegler gebracht haben, und manchmal kommen die Retter auch vorbei, um zu sehen, wie es ihren Küken geht. Manche fühlen sich angespornt, Nistkästen für Segler unter dem Dach ihres Hauses anzubringen und die Vögel in ihrem eigenen Heim willkommen zu heißen.
Der Wind hat sich gelegt, am Himmel über dem Haus breitet sich eine blaue Lache aus. Judith hat sieben Mauersegler in eine mit Küchenkrepp ausgekleidete Transportbox gesetzt, wo sie sich zu einem Federklumpen geballt haben. Einer hat sich hinübergelehnt, um sanft die Mantelfedern eines Nestgenossen zu putzen. Als ich ihnen zusehe, fällt mir auf, dass mir noch nie zuvor Küken mit einem solchen Kuschelbedürfnis begegnet sind. Als hätte man sie mit Magneten versehen, drücken sie sich eng aneinander, Flügel an Flügel.
Die Fahrt zu Judiths Lieblingsort, um die Vögel freizulassen — das Kricketfeld des Dorfs —, ist kurz. Als wir ankommen, treten gerade zwei lokale Mannschaften gegeneinander an, doch nach kurzen, freundlichen Verhandlungen halten die Kricketspieler inne und sehen zu. Judith nimmt einen Mauersegler aus der Box, drückt ihm einen raschen Viel-Glück-Kuss auf den Federscheitel und reicht ihn mir. Viele Menschen denken, man müsse Mauersegler beim Freilassen hoch in die Luft werfen; das kann jedoch zu ernsthaften Verletzungen führen, wenn der Vogel noch nicht bereit ist. Die richtige Methode ist, den Vogel auf der erhobenen, ausgestreckten Hand zu halten, sich so hinzustellen, dass das Gesicht des Tiers in den Wind weist, und zu warten. In der strahlenden Luft wirkt der Mauersegler seltsam, irgendwie unirdisch, eine fragile Konstruktion aus schuppenförmig angeordneten Federn und ungelenken Flügeln. Er hat sich zusammengekauert, seine winzigen Klauen umklammern meine Finger, seine tiefen, dunklen Augen leuchten wie reflektierende Astronautenvisiere. Was er wohl sehen kann? Magnetfeldlinien, vielleicht, aufsteigende Luft und fliegende Insekten und die Andeutung von Sommergewittern. Das flache Grün unter ihm hat mit ihm rein gar nichts zu tun. Ich hebe meine Hand noch etwas höher. Jetzt kann ich nur noch warten.
Er starrt eine Zeit lang in den Wind und beginnt dann zu zittern. Erwartungsvoll. Denke ich. Sachliche Erklärung: Der Vogel wärmt seine Brustmuskeln auf und macht sich flugbereit. Emotionale Erklärungen: gespannte Erwartung, Verwunderung, Freude, Schrecken. Die empfindlichen Fadenfedern zwischen Schwungfedern und Flankengefieder werden von der Brise gestreichelt und fühlen das erste Mal ihr Element.
Nichts hat sich erkennbar verändert, doch etwas passiert, wie das Bordelektroniksystem eines Flugzeugs, das eingeschaltet wird und online geht. Blinkende Lampen, Motorcheck. Bereit. Die Analogie stimmt jedoch nicht ganz, denn ich werde gerade Zeuge, wie sich etwas in etwas Neues verwandelt. Ich hege keinerlei Zweifel, dass dies hier ebenso eine Transformation ist wie eine Libellenlarve, die aus dem Wasser krabbelt, die Larvenhülle durchbricht und als geflügeltes Wesen daraus hervorgeht. Auf meiner geöffneten Hand verwandelt sich ein Geschöpf, das bisher nur Küchenkrepp und Plastikwannen kannte, in ein ganz anderes Geschöpf, dessen Heimat fortan Tausende Meilen Luftraum sein werden.
Dann entschließt sich der Mauersegler. Er streckt die winzige Spitze seines Schnabels nach oben, macht einen Buckel und lässt sich in einer schmerzhaften Reihe steifer, knirschender Flügelschläge von meiner flachen Hand fallen. Fünf oder sechs Sekunden lang fühlt sich alles furchtbar falsch an. Der Vogel befindet sich kaum dreißig Zentimeter über dem Boden, mein Herz rast. »Hoch! Hoch! Hoch!«, ruft Judith. Nichts ist falsch. Wir sehen nur einem Vogel beim Fliegenlernen zu. Der Mauersegler bewegt sich ruckweise fort, als lege er einen anderen Gang ein, und beginnt aufzusteigen. Höher und höher flackert er in den abendzirruswolkendurchzogenen Himmel. Sorgfältig zieht er einen Kreis über unseren Köpfen, dann steigt er sogar noch höher auf und fliegt schnurstracks nach Süden. Die Kricketspieler applaudieren. Ich sehe auf meine Handfläche hinab. Dort, wo sich der Vogel mit den Klauen festgeklammert hat, bevor er losließ, ist an meiner Daumenbeere ein kleiner Kratzer entstanden. Festgeklammert an einer Hand, die das letzte Solide sein sollte, das der Vogel in den kommenden Jahren berühren würde.