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K. Böhm et al. (Hrsg.)Gesundheit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe https://doi.org/10.1007/978-3-658-30504-8_13

Klimapolitik

Heike Köckler1  
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Department of Community Health, Hochschule für Gesundheit, Bochum, Deutschland
 
 
Heike Köckler
Schlüsselwörter
KlimawandelKlimafolgenTransformation
Heike Köckler

ist Professorin für Sozialraum und Gesundheit am Department of Community Health der Hochschule für Gesundheit in Bochum. Sie hat Raumplanung studiert und arbeitet zu gesundheitsfördernder Stadtentwicklung, umweltbezogener Gerechtigkeit und partizipativen Methoden digitaler Sozialraumanalyse. Sie ist ordentliches Mitglied der Akademie für Raumforschung und Landesplanung und der IAPS (International Association of People and Environment Studies).

 

Der Klimawandel ist ein globales Phänomen mit räumlichen und zeitlichen Verlagerungen in Ursache und Wirkung, was ihn zu einer komplexen Problematik macht. Es gibt schon lange umfangreiche Wissensbestände zur Entstehung und Wirkungsweise der verschiedenen Treibhausgase hin zu einer Erderwärmung, die ihrerseits insbesondere zum Anstieg des Meeresspiegels und Extremwettern führt, was seinerseits die Veränderung von Ökosystemen mit Folgen für die Lebensräume von Fauna, Flora und Menschen nach sich zieht1 (WBGU 2011; Flannery 2005). Um Ursachen und Folgen zu begegnen, ist eine – wie der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) in seinem Jahresgutachten schon 2011 deutlich gemacht hat – „große Transformation“, also eine tiefgreifende Veränderung von Gesellschaften, erforderlich.

Das einleitende Zitat von Greta Thunberg, Klimaaktivistin aus Schweden, bezieht sich auf die vielen Wald- und Buschbrände im Jahr 2019, die uns einmal mehr gezeigt haben, dass die Folgen des Klimawandels bereits eingetreten sind. Greta Thunberg steht für einen bedeutenden Wandel im gesellschaftlichen Umgang mit dem Klimawandel. Trotz der langen Historie von Klimapolitik, die im Rahmen der globalen Umweltpolitik seit der Stockholmer Umweltkonferenz von 1972 thematisiert wird, hat es keine ausreichenden Maßnahmen gegeben. „Fridays for Future“ hat als zivilgesellschaftliche globale Bewegung den Druck aus der Gesellschaft auf Politik, Verwaltung, Wirtschaft und die gesamte Gesellschaft erhöht. Als eine Folge in Deutschland sind erste politische Beschlüsse noch im selben Jahr zu werten. Mehrere Kommunen in Deutschland haben den Klimanotstand ausgerufen und die Bundesregierung hat Eckpunkte für ein Klimaschutzprogramm 2030 verabschiedet. Ob diese jedoch zur großen Transformation im Sinne des WBGU führen, bleibt derzeit fraglich. Im Rahmen von „Fridays for Future“ haben sich verschiedene Subgruppen gebildet. Eine von diesen ist die gesundheitsbezogene Gruppierung „Health for Future“, in der sich Akteure des Gesundheitswesens für den Klimaschutz engagieren.

Die Diskursmacht des globalen Nordens in der Klimapolitik ist angesichts der eingangs erwähnten räumlichen Verlagerung von Ursache und Wirkung zentral für ein Verständnis von Fehlentwicklungen und Unterlassungen in der Klimapolitik der letzten Jahrzehnte. Das ebenfalls einleitend aufgeführte Zitat von Vanessa Nakate, Klimaaktivistin aus Uganda, steht für ein aktuelles Ereignis in diesem Zusammenhang. Sie nahm an der Pressekonferenz der „Fridays for Future“-Aktivistinnen im Rahmen des Weltwirtschaftsforums in Davos im Januar 2020 teil und wurde weder in Pressetexten noch auf Fotos der Presseagentur Associated Press repräsentiert. Es wurde ein Ausschnitt des Fotos gewählt, der ausschließlich die weißen Aktivistinnen zeigte. Es folgte nach der gebotenen Empörung in den sozialen Medien eine Entschuldigung der Presseagentur. Die rassistische Handlung gegen Vanessa Nakate ist ein Sinnbild für tiefgreifende strukturell verankerte Muster von Macht, fehlender Anerkennung und Diskriminierung in umweltbezogenen Kontexten.

Das Politikfeld Klima ist in vielerlei Hinsicht bedeutend für den Ansatz einer Strategie, die dem Ziel einer Health in All Policies entspricht. Aufgrund ihrer Komplexität ist die gesamte Klimapolitik, wie im Folgenden gezeigt wird, ein „in All Policies“-Ansatz, der in einem Wechselspiel aus staatlichen und zivil-gesellschaftlichen sowie wirtschaftlichen Ansätzen verfolgt werden kann und muss. Zudem wurden Möglichkeiten zu Veränderungen durch die Diskursmacht von insbesondere jungen Klimaaktivistinnen deutlich und stehen somit in der Sprache der Gesundheitswissenschaften für die zivilgesellschaftliche Komponente des Whole-of-Society-Ansatzes der Gesundheitsförderung (siehe Beitrag von Trojan in diesem Band).

1 Das Politikfeld Klima

Klimapolitik besteht aus den beiden Elementen Klimaschutz und Klimaanpassung. Die Gegenstände der Klimapolitik sind so vielfältig wie die Ursachen und Folgen des Klimawandels: Der Bedarf an und die Bereitstellung von Strom und Wärme sind gemeinsam mit Mobilität, Landwirtschaft und Flächennutzung die zentralen Felder des Klimaschutzes. Die Anpassung an den Klimawandel zieht sich wegen seiner vielfältigen Auswirkungen durch alle Lebensbereiche.

Aufgrund der globalen Zusammenhänge ist Klimapolitik ein Teil der globalen Umweltpolitik. Bei der Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro im Jahr 1992 wurde nicht nur die „Agenda 21“ als Abschlussdokument und Vereinbarung für eine globale zukunftsfähige Entwicklung, sondern auch die Klimarahmenkonvention verabschiedet. Auf Grundlage dieser Rahmenkonvention wurden seit 1992 eine Vielzahl von Abkommen (u. a. Kyoto-Protokoll, Übereinkommen von Paris) verabschiedet. Im Geiste von Rio 1992 und der Agenda 21 werden globale Probleme sowohl im Rahmen abgestimmter globaler Politiken als auch von Nationalstaaten und insbesondere von Kommunen als zentraler Handlungsebene verfolgt2.

Im Jahr 1988 hat sich als Teil des Umweltprogramms der Vereinten Nationen der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), auch bekannt als Weltklimarat, gegründet. Er ist ein politikberatendes Gremium, dem Forscher*innen unterschiedlicher Disziplinen angehören und das aktuelle Erkenntnisse zum Klimawandel nach Peer-Review-Verfahren in Sachstandsberichten darstellt und Szenarien zum Klimawandel entwickelt3. Der IPCC wurde 2007 für seine Arbeit mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Die in Abkommen der Vereinten Nationen im Rahmen der Klimarahmenkonvention vereinbarten Ziele gehen im Wesentlichen auf Empfehlungen des IPCC zurück. Daher haben die Vereinten Nationen den IPCC gebeten, die Auswirkungen einer Erwärmung von 1,5 Grad Celsius zu erörtern. Die Analysen wurden im Sonderbericht 2018 veröffentlicht und legen im Ergebnis nahe, den globalen Temperaturanstieg nicht um mehr als 1,5 Grad zu überschreiten. Bereits im Jahr 2015 haben die Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention im Abkommen von Paris vereinbart, den Temperaturanstieg deutlich unter 2 Grad zu senken und das Ziel von 1,5 Grad als maximalem Temperaturanstieg zu verfolgen (IPCC 2018).

Die globale Klimapolitik verfügt über ein umfangreiches Instrumentarium, und wird auf den regelmäßigen Konferenzen der Mitgliedsstaaten (COPs) kontinuierlich weiterverhandelt. Trotzdem ist immer wieder ein Scheitern globaler Klimapolitik zu verzeichnen. So wurden in den Protokollen klare Reduktionsziele vereinbart, die von vielen Vertragsstaaten nicht eingehalten werden. Auch wenn das Kyoto-Protokoll derzeit von 192 Vertragsstaaten ratifiziert ist, haben bedeutende Industriestaaten ihre Ratifizierung in Hinblick auf ihren Beitrag zum Klimawandel widerrufen. Hierzu zählen die USA, Kanada und Russland4. Eine zentrale Herausforderung der globalen Klimapolitik ist der weltweite Ausgleich zwischen Verursacher*innen des Klimawandels und denjenigen Staaten, die ihrerseits einen geringen Beitrag zum Klimawandel hatten, unter den Folgen aber bedeutend leiden. Hier spielen Fragen von Gerechtigkeit, Macht, kolonialen Denkweisen und Wirtschaftsmodellen eine zentrale Rolle (Wuppertal Institut 2005; Edenhofer et al. 2010). Vanessa Nakates Erfahrung ist hier, wie bereits beschrieben, sinnbildlich.

Als Teil der Ratifizierung der Protokolle innerhalb der Klimarahmenkonvention verfassen Nationalstaaten oder Zusammenschlüsse wie die EU eigene Ziele. So sieht die EU-Kommission die folgenden Ziele für 2030 als zentral an: „Senkung der Treibhausgasemissionen um mindestens 40 % (gegenüber 1990), Erhöhung des Anteils von Energie aus erneuerbaren Quellen auf mindestens 32 %, Steigerung der Energieeffizienz um mindestens 32,5 %“.5 Das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung aus dem Jahr 2019 sieht 55 % weniger Treibhausgase im Vergleich zum Jahr 1990 vor. Aufgrund der Unsicherheiten in der Modellierung von Klimazusammenhängen wird jedoch immer wieder kritisiert, dass die angegebenen Reduktionen nicht ausreichend sind, um das 1,5 Grad-Ziel des IPCC zu erreichen.

Neben dem Schutz des Klimas ist die Anpassung an den bereits eingetretenen und zu erwartenden Klimawandel und seine Folgen eine zentrale Säule der Klimapolitik. Im Bereich der Klimaanpassung wurde in Deutschland unter Federführung des Bundesumweltministeriums die Klimaanpassungsstrategie verfasst und 2008 vom Bundeskabinett beschlossen. Die Deutsche Anpassungsstrategie (DAS) stellt in Regionalmodellen Klimaprojekte auf, die zeigen, welche Unterschiede im Bereich der Klimafolgen in Deutschland zu erwarten sind. Die DAS umfasst 13 Handlungsfelder, zu denen auch die menschliche Gesundheit gehört. Das Umweltbundesamt begleitet die Umsetzung der Strategie mit dem KomPass (Kompetenzzentrum Klimafolgen und Anpassung).6

Kommunen sind in der gesamten Politik einer zukunftsfähigen Entwicklung und somit auch in der Klimapolitik zentrale Akteure. Teilweise verfassen sie eigene Klimaschutzziele. So sind die C40-Kommunen ein weltweiter Zusammenschluss von Städten, die Klimaschutz verfolgen. Weltweit hat Kalifornien als Bundesstaat hier eine Vorreiterrolle (Mendez 2015). In Deutschland gibt es eine Vielzahl von Kommunen mit eigenen Planungen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung. Gefördert vom Bundesumweltministerium, werden in Kommunen Klimaschutzmanager*innen eingestellt, die ämterübergreifend Klimaschutz als Querschnittsaufgabe verfolgen. Entsprechend den Verursachern des Klimawandels spielen hier insbesondere Mobilität und Flächennutzung eine zentrale Rolle. Aufgrund zunehmender Diskussion einer gesundheitsfördernden Stadtentwicklung werden von diesen Akteuren zunehmend auch Bezüge zu Gesundheit hergestellt. Wie umfangreich diese sind, wurde bislang jedoch noch nicht systematisch erfasst.

Im Bereich der Energieversorgung wird das Wechselspiel aus staatlichen und zivil-gesellschaftlichen sowie wirtschaftlichen Ansätzen deutlich. So ermöglicht das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit seinen Novellen seit dem Jahr 2000 vielfältige grundlegende Änderungen der deutschen Energiewirtschaft. Diese haben zu Änderungen in der Energiewirtschaft geführt und Innovationspotentiale freigesetzt, wenngleich immer wieder auch kritisch hinterfragt wird, ob die Änderungen im Sinne einer großen Transformation weitreichend genug sind (Müller 2012). Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist eine Reaktion sowohl auf internationale Vereinbarungen innerhalb der Klimarahmenkonvention als auch auf zivilgesellschaftlich entwickelte Ansätze einer dezentralen Energieversorgung, wie sie beispielsweise von den „Schönauer Stromrebellen“ verfolgt wurde. Hierbei handelt es sich um eine Bürgerinitiative, die im Baden-Württembergischen Schönau 1986 als Reaktion auf das Reaktorunglück von Tschernobyl gegründet wurde, um eine atomstromfreie alternative regionale Energieversorgung umzusetzen. Die Bürgerinitiative ist mittlerweile in die Elektrizitätswerke Schönau, eine bürgereigene Genossenschaft, überführt worden und wird in diesem Kontext zurecht als soziale Innovation gesehen (Sladek 2015).

Diese gesetzlichen Veränderungen haben deutliche Disruptionen in der deutschen Energiewirtschaft mit sich gebracht. Es gibt insbesondere im Bereich der Energiegewinnung neue Technologien, die alte ablösen. Gleichzeitig werden Versorgungsmonopole aufgelöst, und neue Unternehmen sind im Bereich der Energieversorgung entstanden (Berg 2017).

Es gibt neben den Stromrebellen aus den 1980er-Jahren und den Klimaprotesten des Jahres 2019 eine Vielzahl anderer Beispiele für die zentrale Rolle der Zivilgesellschaft für grundlegende Veränderungen im Sinne des Klimaschutzes, national ebenso wie international. Der Beitrag von Jansen zum Thema Energiewirtschaft in diesem Sammelband zeigt dies sehr eindrücklich.

2 Gesundheitsfolgen des Klimawandels

Da sich die Klimadebatte in die Umweltpolitik eingliedert, ist die enge Verbindung von Umwelt und Gesundheit, wie im Beitrag von Bunge in diesem Sammelband beschrieben, auch hier angelegt. So werden aufgrund des klimawandelbedingten Temperaturanstiegs die Lebensbedingungen für Überträger von Infektionskrankheiten, wie Mücken und Zecken, verbessert. Neue Krankheiten, die es bislang nicht „über die Alpen geschafft haben“, werden daher in Mitteleuropa auftreten. Hierzu zählen insbesondere Malaria, Dengue-Fieber oder Zika. Gleichzeitig hat der Temperaturanstieg Änderungen in Ökosystemen zur Folge, die ihrerseits gesundheitliche Auswirkungen haben. So führt die erhöhte Temperatur in Gewässern zu einer verminderten Gewässerqualität, beispielsweise aufgrund von Algenwachstum. Eichenprozessionsspinner können sich vermehrt fortpflanzen und zu Hautreaktionen und Atemnot führen. Neue Pflanzenarten finden einen Lebensraum in Mitteleuropa und Blütezeiten verändern und verlängern sich, was wiederum zu mehr Pollenflug, Heuschnupfen und in Folge einer Zunahme asthmatischer Erkrankungen führen kann (vgl. Städtetag 2012; Watts et al. 2019; Lancet Countdown 2019).

Eine besondere Rolle spielen auch Wetterextreme. Hier sind insbesondere Hitze, Starkregen und Sturm/Orkane zu nennen. So beschreibt die Bundesregierung 2015 in ihrem Fortschrittsbericht zur DAS: „Für das Handlungsfeld „Menschliche Gesundheit“ wurde festgestellt, dass der Klimawandel, insbesondere Hitzeereignisse, bereits gegenwärtig die menschliche Gesundheit erheblich bedroht (mittlere bis hohe Gewissheit)“ (Bundesregierung 2015: 55). Es werden Hitzebelastungen insbesondere für Herz-Kreislauf beschrieben sowie Atembeschwerden durch bodennahes Ozon, welches aufgrund fotochemischer Prozesse zu erwarten ist. Die Bundesregierung formuliert ferner: „Eine Überlastung der Rettungsdienste, der Krankenhäuser und Ärzte wird im Zuge des Klimawandels derzeit nicht erwartet“ (ebd.). Diese Einschätzung wird von einzelnen lokalen Rettungsdiensten nicht geteilt. „Witterungs- und Klimaveränderungen führen dazu, dass (…) Verletzungen durch Extremwetterereignisse zunehmen könnten“ (Bundesregierung 2008: 16). Aufgrund von Starkregenereignissen kommt es zu vielfältigen Auswirkungen, die ebenfalls eine Gesundheitsrelevanz haben.7 Diese Aussagen beziehen sich vor allem auf gesundheitliche Auswirkungen in Deutschland. Global sind die Auswirkungen teilweise deutlich gravierender (vgl. Watts 2019; Edenhofer et al. 2010, S. 21 ff..).

Wie stark die gesundheitsbezogenen Klimafolgen sind, hängt vom Ausmaß des Klimawandels ab. So haben die Autor*innen des IPCC in einem Sonderbericht die Auswirkungen einer Erhöhung der globalen Erwärmung um 1,5 Grad auf die verschiedenen Sustainable Development Goals und somit auch auf das Ziel Gesundheit wie folgt beschrieben: „Any increase in global warming is projected to affect human health, with primarily negative consequences (high confidence). Lower risks are projected at 1.5 °C than at 2 °C for heat-related morbidity and mortality (very high confidence) and for ozone-related mortality if emissions needed for ozone formation remain high (high confidence). Urban heat islands often amplify the impacts of heatwaves in cities (high confidence). Risks from some vector-borne diseases, such as malaria and dengue fever, are projected to increase with warming from 1.5 °C to 2 °C, including potential shifts in their geographic range (high confidence)” (IPCC 2018, S. 11).

Fragen sozialer Ungleichheit und Klima sind auch bezogen auf Gesundheit relevant. Durch die Einbindung in die Debatte einer zukunftsfähigen Entwicklung sind inter- und intragenerative Gerechtigkeit zentrale Fragestellungen (Wuppertal Institut 2005, Edenhöfer et al. 2010). Diese sind nicht nur im globalen Vergleich zu betrachten, sondern auch innerhalb von Staaten. Hurrikane in den USA oder Waldbrände in Australien zeigen, dass auch Staaten, die zu den Verursachern zählen, von den Folgen des Klimawandels betroffen sind. Für den Hurrikan Katrina gibt es umfangreiche Untersuchungen, die aufzeigen, dass vor allem Menschen mit einem geringen Einkommen und Afro-Amerikaner*innen besonders von den Folgen betroffen waren und auch heute noch sind. Dies wurde als eine umweltbezogene Ungerechtigkeit (Environmental Injustice) eingeordnet (Adeola und Picou 2017). Es gibt umfangreiche Analysen und Wissensbestände zur Vulnerabilität der Bevölkerung gegenüber Extremwettern, die auch für Deutschland von Relevanz sein könnten. So sind auch in Deutschland soziale Ungleichheiten im Hinblick auf Wärme als ein Faktor von Mehrfachbelastungen bei Stadtgesundheit festzumachen (Köckler et al. 2020). Mendez arbeitet für die Bay Area in Kalifornien die Bedeutung von Mehrfachbelastungen vulnerabler Gruppe bezogen auf Folgen des Klimawandels aus Perspektive umweltbezogener Gerechtigkeit heraus (Mendez 2015).

Die Relevanz sozialer Determinanten für die Auswirkungen von Klimafolgen wird auch vom IPCC erkannt und bearbeitet. In den „shared socio-economic pathways“ werden unterschiedliche Szenarien für gesellschaftliche Entwicklungspfade formuliert, die in neue IPCC-Szenarien im Hinblick auf Klimaschutz und Klimaanpassung eingehen (O’Neill et al. 2014). Aufbauend auf dieser Arbeit konnte Guillaume Rohat in seiner wegweisenden Forschung herausarbeiten, wie sich Veränderungen in der Vulnerabilität der Bevölkerung in Klimamodellierungen im Hinblick auf gesundheitliche Folgen auswirken. Er hat unter anderem in einer kleinräumigen Modellierung für Houston/Texas aufgezeigt, dass der Pfad der sozio-ökonomischen Entwicklung stärker auf die Mortalität wirkt als die klimawandelbedingte Hitze selbst (Rohat et al. 2019).

2015 wurde die Lancet Commission zu Gesundheit und Klimawandel gegründet (Watts et al. 2015). Sie hat unter anderem einen Satz von 41 Indikatoren in fünf Themenfeldern entwickelt, um mit dem sogenannten Lancet Countdown jährliche Berichte über die Entwicklungen in diesem Bereich zu liefern. Vergleichbar der Funktionsweise des IPCC basieren die Ergebnisse auf einer interdisziplinären Auswertung von Wissensbeständen verschiedener Disziplinen und dienen der Politikberatung (Watts et al. 2019).

Für Deutschland werden in einer gemeinsamen Publikation von Helmholtz Zentrum München, Bundesärztekammer, Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, Charité und Hertie School aus dem Jahr 2019 die folgenden drei Themenfelder des Lancet Countdown als besonders relevant angesehen: hitzebedingte Risiken des Klimawandels einschließlich Umsetzung entsprechender Anpassungsmaßnahmen sowie Klimaschutzmaßnahmen im Gesundheitssektor und zudem Ausbildungsmaßnahmen und Wissensaufbau für Angehörige von Gesundheitsberufen. (Lancet Countdown 2019).

3 Gesundheitsfolgen des Klimaschutzes

Maßnahmen zum Schutz des Klimas haben häufig einen Gesundheitsbezug wie die folgenden Beispiele zeigen: So ist die Energiewende aufgrund der Verringerung fossiler Verbrennung nicht nur positiv für die Treibhausgasbilanz, sondern führt zu einer Verringerung vielfältiger gesundheitsbelastender Emissionen, die mit der Gewinnung der Brennstoffe und deren Umwandlung in Wärme und Strom verbunden sind. Für Braunkohle als fossilem Energieträger hat Jansen dies in diesem Sammelband beschrieben.

Die Verkehrswende steht für eine Verlagerung vom motorisiertem Individualverkehr zu öffentlichem Verkehr und einer mehr auf physischer Aktivität ausgerichtete Mobilität. Auch dies ist mit einer Verringerung gesundheitsbelastender Emissionen, insbesondere von Luft und Lärm, verbunden. Die positiven gesundheitlichen Aspekte von alltäglicher Bewegung für nicht übertragbare Krankheiten sind ebenfalls hinlänglich bekannt. (Zu Verkehr und Gesundheit siehe Beitrag von Becker und Gerlach in diesem Band.)

Neben der Energiegewinnung und dem Mobilitätsbereich stellt der Wohngebäudebestand eine bedeutende Quelle von Treibhausgasemissionen dar. Hier liefert die energetische Wohngebäudesanierung einen Beitrag und wird sowohl für Vermieter*innen als auch für selbstnutzende Eigentümer*innen vielfältig finanziell unterstützt. Aus gesundheitlicher Sicht kann eine Fensterdämmung auch als passiver Schallschutz genutzt werden und zu einer Lärmminderung im Innenraum führen. Belüftungssysteme in energetisch hochwertig sanierten Gebäuden dienen unter anderem der Wärmerückgewinnung und können dank integrierter Pollenfilter eine Entlastung für Allergiker*innen im Innenraum zur Folge haben. Sanierungsanlässe können genutzt werden, um sowohl energetisch zu sanieren als auch Barrieren, beispielsweise im Bereich des Hauszugangs, abzubauen oder Diebstahlschutz zu verstärken und somit über ein erhöhtes Sicherheitsempfinden einen Beitrag zu psychischer Gesundheit zu leisten (Hiete et al. 2017).

Die Landwirtschaft als weiterer Produzent von Treibhausgasemissionen kann mit einem verringerten Einsatz von Dünger die Produktion von Lachgas vermindern. Weniger Viehwirtschaft führt zu weniger Methan-Ausstoß. Im Ergebnis ist eine klimafreundliche Landwirtschaft auch eine ökologische Landwirtschaft, die ihrerseits einen Beitrag zu gesunder Ernährung leistet (siehe Beitrag zur GemüseAckerdemie in diesem Band). Eine Regionalisierung der Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte ist mit Lagerung und Transportmobilität verbunden und liefert auf diesem Wege einen Beitrag zu weniger Treibhausgasemissionen.

Neben einer Verminderung von Treibhausgasemissionen ist der Erhalt von Waldfläche und Wiederaufforstung als Beitrag zur CO2-Bindung zu nennen. Je nach Standort der Wiederaufforstungsflächen liefern diese, wie im Folgenden gezeigt wird, auch einen Beitrag zur Anpassung an den Klimawandel. Aufforstung bietet somit sowohl in der Abschwächung von Klimafolgen als auch aufgrund der gesundheitsförderlichen Wirkung von Grünflächen einen Beitrag zur Gesundheitsförderung (Rittel et al. 2014).

4 Klimaanpassung: Prävention und gesundheitliche Versorgung

Dem Bereich der Anpassung an den Klimawandel sind vielfältige Maßnahmen zuzuordnen, die auch vonseiten der Bundesregierung in der Deutschen Anpassungsstrategie verfolgt werden. Die DAS ist nicht allein in der Umweltpolitik verankert, da neben den Ursachen auch die Folgen der Umweltpolitik in viele Politikfelder greifen. Dies gilt auch aus Sicht der Bundesregierung in besonderem Maße für das Politikfeld Gesundheit: „Insbesondere die Cluster Gesundheit, Wasser und Infrastrukturen erfordern einen integrativen Ansatz bei der Anpassung an den Klimawandel, da sie besonders viele Verknüpfungen mit anderen Clustern aufweisen: (…) Gesundheit, weil sie das Ende von vielen im Netzwerk Vulnerabilität identifizierten Wirkungsketten bildet“ (Bundesregierung 2015, S. 69). Im Fortschrittsbericht zur Anpassungsstrategie heißt es weiter: „Im Cluster Gesundheit sind mit Blick auf bestimmte Gefährdungen kurzfristige Anpassungen möglich, beispielsweise durch öffentliche Warnsysteme oder Verhaltensinformationen. Der Ausbau von Gesundheitsinfrastruktur, Rettungs- und Hilfsdiensten braucht im Gegensatz dazu etwas mehr Zeit, wird derzeit aber auch nicht als erforderlich angesehen. (…) Ein mittleres Handlungserfordernis ergibt sich für Atembeschwerden durch bodennahes Ozon, aber auch durch die Überträger von Krankheitserregern, die ihr Verbreitungsgebiet durch höhere Temperaturen verändern können. Die größte Betroffenheit wird – bedingt durch den Wärmeinseleffekt und die höhere Bevölkerungsdichte – in Ballungsräumen erwartet“ (Bundesregierung 2015, S. 68).

Den Kommunen wird eine große Umsetzungskompetenz zugesprochen. Dementsprechend hat der Deutsche Städtetag im Jahr 2012 ein Positionspapier „Anpassung an den Klimawandel – Empfehlungen und Maßnahmen der Städte“ veröffentlicht, das eine Vielzahl kommunaler Politikfelder benennt. Für viele Großstädte dient das Positionspapier als eine Grundlage für spezifische Anpassungsstrategien. Im Hinblick auf Gesundheit werden unterschiedliche Maßnahmen von der Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners und Ambrosia, über Hitzewarnsysteme in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Wetterdienst bis zur Erstellung und/oder Überarbeitung von Notfallplänen für Einrichtungen wie Behinderten-, Alten- und Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser benannt (Deutscher Städtetag 2012).

Mit der Situation vulnerabler, insbesondere alleinlebender älterer Menschen hat sich das BMBF-Projekt „Klimzug-Nordhessen“ beschäftigt. Erkenntnisse aus diesem Projekt bilden eine Grundlage für den Hessischen Aktionsplan zur Vermeidung hitzebedingter Gesundheitsgefährdungen der Bevölkerung (Grewe et al. 2012). In diesem Aktionsplan werden unterschiedliche Analyse- und Interventionsmaßnahmen benannt. Hitzeaktionspläne werden mittlerweile bundesweit als sinnvolles Instrument angesehen und in ihrer Erstellung vom Bundesumweltministerium unterstützt. Hierbei wird auch auf Arbeiten der ehemaligen Bund/Länder-Ad-hoc Arbeitsgruppe ‚Gesundheitliche Anpassung an die Folgen des Klimawandels (GAK) zurückgegriffen, die vom BMU geleitet wurde. (BMU 2017).

Soziale Ungleichheit spielt auch bei der Planung von Klimaanpassungsmaßnahmen eine Rolle. Dies wurde aus einer Environmental Justice-Perspektive für Kalifornien untersucht. So hat Solange M. Gould (2015) in ihrer Promotion die Folgen des Klimawandels aus Public Health-Sicht im Hinblick auf die Situation von Haushalten mit geringem Einkommen oder/und einer ethnischen Zugehörigkeit (people of colour) eingeordnet. Sie macht in ihrer auf Kalifornien bezogenen Arbeit deutlich, was die Associated Press im Umgang mit Vanessa Nakate auf globaler Ebene verdeutlicht hat: Bestimmte Gruppen sind in umweltpolitischen Diskursen und Entscheidungsprozessen unterrepräsentiert. Dies wird auch als eine umweltbezogene Verfahrensungerechtigkeit bezeichnet (Köckler 2017). Gould arbeitet bezogen auf Klimaschutz und Klimaanpassung für die Bay Area in Kalifornien heraus, dass eine Public Health-Perspektive die Planwerke insbesondere im Hinblick auf eine Berücksichtigung vulnerabler Gruppen verbessert hat.

5 Hindernisse und Chancen zur Berücksichtigung von Gesundheitsaspekten in der Klimapolitik

Zunächst ist festzuhalten, dass Gesundheit, wie bereits dargelegt, in der Klimapolitik bereits in vielfältiger Weise und seit mehreren Jahren berücksichtigt wird. Auch wenn etliche Wirkungsweisen bekannt sind, bleibt es doch schwierig, diese in politisches Handeln zu überführen. So hat der Deutsche Städtetag bereits 2012 vor den Gefahren von Eichenprozessionsspinnern gewarnt, die gesundheitliche Gefährdung aufgrund dieses Falters im Jahr 2019 wurden jedoch nicht verhindert.

Auch die Situation alleinlebender älterer Menschen ist und bleibt in Hitzetagen herausfordernd. Dies liegt jedoch weniger in einer mangelnden Berücksichtigung von Gesundheit in der Klimapolitik, sondern mehr in strukturellen Defiziten des Gesundheitswesens begründet. So fehlt es beispielsweise an innovativen sozialraumbezogenen Konzepten, wie Community Health Nurses/Gemeindeschwestern, die in solchen Situationen einen Beitrag zur Versorgung zu Hause liefern könnten.

Der wohl zentrale Punkt ist, dass die große Transformation mit Gewinnern und Verlierern einhergeht, was zu einer Veränderung von Machtverhältnissen führt. Wie dies möglich ist, wurde im Bereich der Energieversorgung anhand der Schönauer Energierebellen aufgezeigt. Wie schwierig es ist, wurde durch die mehrfachen Bezüge zu umweltbezogener Ungerechtigkeit (Environmental Injustice) aufgezeigt.

Gleichzeitig bietet die Klimadebatte und ihre gesteigerte Aufmerksamkeit durch die Zivilgesellschaft und hier insbesondere Dank der „Fridays for Future“-Bewegung die Möglichkeit, auch im Gesundheitsbereich strukturelle Veränderungen einzufordern und zu unterstützen. So könnte die Situation alleinlebender älterer Menschen in Verbindung mit der Klimadebatte Aufmerksamkeit erhalten und aus einer ganzheitlichen Perspektive betrachtet werden. Wichtig ist hierbei, dass Kompetenzen aus dem Public und Community Health-Bereich Klimapolitiker*innen bei Anpassungsstrategien helfen können, wie die Arbeit von Gould für die Bay Area aufgezeigt hat. Dies gilt es über eine Berücksichtigung von Inhalten zum Klimawandel in der Ausbildung von Studierenden in den Gesundheitswissenschaften, Therapie oder Medizin zu berücksichtigten. Dies ist auch eine Forderung in der deutschen Adaptation des Lancet Countdown zu Klima (Lancet Countdown 2019).

Zudem erwartet die Öffentlichkeit Antworten zu gesundheitsbezogenen Fragen, da Klimafolgen derzeit erlebbar werden und wir auch in Deutschland gesundheitlich von den Folgen durch Starkregen, Hitze oder Eichenprozessionsspinnern eingeschränkt sind.

6 Ausblick

Wie die weitere Entwicklung einer integrierten Betrachtungsweise von Klima- und Gesundheitspolitik sich entwickelt, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. So ist es zweifelsohne wichtig, dass sich Akteure des Gesundheitswesens die umfassenden und langjährigen Wissensbestände der Klimaforschung und -politik erschließen und vor dem Hintergrund ihrer eigenen Kompetenzen ergänzen. Es geht nicht darum, dass Gesundheitswissenschaftler*innen nun Radwege planen, das können Verkehrsplaner*innen besser. Aber die Nutzung von Radwegen beispielsweise über das Setting Betrieb und ein mobilitätsbezogenes Betriebliches Gesundheitsmanagement zu erhöhen und sich in diesem Sinne in Planungen für eine Verkehrswende als Teil der großen Transformation einzubringen, ist der Weg, der gegangen werden sollte.

Bedeutend für die Klimapolitik als Ganzes ist das Fortbestehen des zivilgesellschaftlichen Drucks. Um Gesundheit vermehrt auf die Agenda der Klimapolitik zu setzen und die unmittelbaren gesundheitlichen Folgen sichtbar zu machen, ist es wichtig, dass Aktivitäten wie „Health for Future“ stark bleiben. Ob diese sich auch eine Diskursmacht für Gesundheitsthemen jenseits der Klimadebatte erhalten, bleibt offen, wäre aber wünschenswert.

In der Klimapolitik wurden bereits erste Schritte in Richtung einer großen Transformation unternommen. Es wäre für eine Verfolgung von mehr Chancengerechtigkeit für Gesundheit daher eine Option, von systeminnovativen Ansätzen aus der Klimapolitik für die Gesundheitspolitik zu lernen. Außerdem sind strukturelle und organisatorische Ansätze gegebenenfalls auf das Gesundheitswesen zu übertragen, denn auch Klimapolitik verfolgt, wie gezeigt, eine „in All Policies“-Strategie.