Ein strahlender Septembernachmittag. Auf den Wellen der Regnitz brachen sich glitzernd die Sonnenstrahlen. Passanten schlenderten über die Obere Rathausbrücke, versonnen ein Eis schleckend. Die Christl, das beliebte Passagierschiff, brach zu einer weiteren Ausflugsfahrt Richtung Hafen auf. Im Café gegenüber der Anlagestelle schlürften die Studenten Espresso.
Nur Privatdetektivin Katinka Palfy hatte es eilig. Ihr aktueller Fall war gelöst. Das Problem bestand nur darin, dass sie dem Täter den Diebstahl von 15.000 Euro nicht nachweisen konnte. Er musste sich quasi selbst überführen.
Die alte Elsa Klar hatte ihr Geld einfach nicht bei einer Bank einzahlen wollen. Sie war sogar schon zu einem Zeitpunkt, als sie noch im Besitz ihrer geistigen Kräfte war, nicht davon zu überzeugen gewesen, dass Geld bei einer Bank am besten aufgehoben war. Inzwischen wies sie eindeutige Anzeichen von Demenz auf und wurde von Tag zu Tag Argumenten weniger zugänglich. Jeden Morgen trug sie das Kuvert mit dem Geld in der Wohnung umher und suchte ein neues Versteck.
Der Ort, an dem Marga Klar, die Tochter der alten Dame und Katinkas Auftraggeberin, den Umschlag zuletzt gesehen hatte, war unter der Spüle in der Waschküche gewesen, wo das breite Abflussrohr einen Knick hatte. Genau in diesen Knick hatte die alte Dame ihr Erspartes hineingesteckt. Am Morgen. Am Abend war das Geld weg. Über den Verlust vergaß Marga völlig ihren Ärger über die Haushaltshilfe, die an ebendieser Stelle lange nicht mehr sauber gemacht hatte.
Als Katinka in die Hasengasse einbog, in deren Schatten ihre kleine, aber mittlerweile etablierte Detektei lag, standen sämtliche Beteiligte schon vor der Tür. Zwei Männer und zwei Frauen.
»Pardon!«, rief Katinka überschwänglich. »Ich hätte Sie nicht warten lassen dürfen. Aber bei dem Verkehr ist ja kaum ein Durchkommen!«
»Genau!«, grunzte ein hagerer Mann mit strahlend blauen Augen. »Die Touristenbusse nerven ganz schön. Bleiben in den engsten Gässchen stehen, damit die Rentner auch ja in Ruhe aussteigen können. Und dahinter steht sich das arbeitende Volk die Beine in den Bauch.«
»Lebst du nicht von den Touris?«, fragte eine der beiden Frauen mürrisch. Ein kleiner, quadratischer Kopf saß auf ihrem korpulenten Körper, als wäre er irgendwann versehentlich gegen das Original ausgetauscht worden. Ihr Haar trug die Spuren couragierter Farbexperimente.
»Grüß Gott, Frau Klar!« Katinka reichte der Frau die Hand. Ihre Auftraggeberin hatte keinen Schimmer, wer das Geld gestohlen haben könnte: einer ihrer beiden abgebrannten Brüder oder die Haushaltshilfe, Eva Horwitz, eine Blondine mit Schatten unter den Augen, die mit grimmig verschränkten Armen in der schattigen Gasse stand? Andere Personen kamen letztlich nicht infrage.
»Können wir vielleicht anfangen?«, raunzte der hagere Mann. Er hieß Theo Klar und arbeitete nach mehreren ungünstig gewählten beruflichen Abzweigungen als Taxifahrer. »Zeit ist Geld.«
»Locker bleiben«, tönte der andere Mann in breitem Dialekt. Er war Manfred Klar, der zweite Bruder, tätig als Gastronom. Er war kräftiger gebaut als Theo und hatte auch dichteres Haar, das er nun mit Schwung aus dem Gesicht kämmte.
»Kommen Sie alle herein!« Katinka schloss die Tür auf und brachte zu ihren zwei Besuchersesseln noch zwei Extrastühle aus dem Nebenraum. »Machen Sie es sich bequem.«
»Haben Sie denn rausgefunden, wer meiner Mutter den Zaster geraubt hat?«, fragte Manfred Klar.
»Selbstverständlich.« Katinka setzte sich hinter den Schreibtisch.
»Dann tippe ich auf Frau Horwitz.« Manfred war es ernst. »Die klassische Geschichte. Haushaltshilfe stiehlt der anvertrauten dementen Person das Ersparte. Liest man nicht ständig von solchen Sachen?«
»Sind Sie wahnsinnig?« Eva Horwitz’ Wangen färbten sich rosa. »Ich habe nie darauf geachtet, wo Frau Klar das Geld versteckte. Dazu habe ich gar keine Zeit!«
»Sie sind doch alleinerziehend, oder?« Abschätzig musterte Manfred Evas Kleidung. »Haben zwei Kinder, kaufen Klamotten aus zweiter Hand. Damit jammern Sie meiner Mutter doch immer die Ohren voll, wie?«
»Was erlauben Sie sich!« Eva Horwitz bebte vor Ärger.
Theo, der Taxifahrer, konsultierte demonstrativ seine Armbanduhr. Keine ganz billige Armbanduhr. »Brauchen wir noch lange? Ich muss wieder auf die Straße. Außerdem weiß ich gar nicht, wie ich hier helfen kann. Immerhin habe ich meine Mutter seit Monaten nicht mehr gesehen.«
»Du machst es dir auch wirklich leicht!«, beschwerte sich seine Schwester. »Alles hängt an mir. Ich kümmere mich um jede Kleinigkeit. Dass Mutter so lange wie möglich in ihrer Wohnung bleiben kann. Ich organisiere und mache und tue, aber …«
»Ihr Bruder war aber bei Ihrer Mutter«, schaltete sich Eva Horwitz plötzlich ein.
Theo wurde rot. Es stand ihm nicht besonders gut.
»Sicher. Manfred reißt sich immerhin am Riemen und besucht sie sonntags zum Kaffee. Oder jeden zweiten Sonntag.« Marga kniff die Lippen zusammen.
Manfred schmunzelte geschmeichelt. »Nicht, dass Sie daraus jetzt schließen, ich wüsste, wo unsere Mutter das Geld versteckt, Frau Privatdetektivin«, sagte er zu Katinka. »Davon habe ich nicht den blassesten Dunst.«
»Nicht Manfred, sondern Theo!« Eva Horwitz wies mit spitzem Finger auf den Taxifahrer. »Ja, und zwar einige Tage, bevor Sie mir sagten, dass das Geld fehlt, Frau Klar. Als ich mich um vier auf den Heimweg machte, parkte sein Taxi ein paar Türen weiter.«
Marga Klar starrte Theo an. »Du …«
Katinka Palfy wandte sich an Theo Klar, der sich aufpumpte wie ein Gockel und nach einer passenden Antwort suchte. »Das war Ihre Chance. Ihre Mutter öffnete Ihnen die Tür, Sie machten sich und Ihrer Mutter einen Tee und dann tauschten Sie in einem unbeobachteten Moment das Geld aus dem Umschlag gegen Spielgeld. Es wurde ja nicht täglich nachgezählt, ob die 15.000 noch im Kuvert sind, oder?«
Manfreds Zeigefinger schnellte vor. »Sähe dir ähnlich, alter Knabe! Du hast schon immer gern den Ahnungslosen gespielt.«
Theo Klar knirschte mit den Zähnen. »Das können Sie doch nicht ernsthaft annehmen«, wandte er sich an Katinka.
»Du hast schließlich Schulden!«, schlug seine Schwester in dieselbe Kerbe. »So eine Geldspritze – das wäre es doch!«
»Ich glaub’s nicht!« Theo richtete sich in dem Besuchersessel zu voller Größe auf. Seine blauen Augen schienen im dämmrigen Licht des Büros zu glühen. »Manfred, der alte Schwerenöter, steckt noch tiefer in den roten Zahlen als ich! Erst hat er sein Café in den Sand gesetzt, dann zahlt er Alimente für diverse Frauen und Kinder, und außerdem …«
»Augenblick!« Manfred funkelte seinen Bruder wütend an. Auf seine Stirn traten Schweißtropfen. »Ich habe ein gut gehendes Geschäft.«
»Ein Restaurant, das du vor zwei Monaten aufgemacht hast.« Marga schnaubte verächtlich. »Noch dazu ein vegetarisches Restaurant! In Franken! Hier wollen die Leute was zwischen die Zähne kriegen, versteh das doch endlich! Mit deinen Linsensuppen und Minzesoßen gehst du in null Komma nix pleite.«
»Das wollen wir doch erst mal sehen!« Manfred wischte sich mit dem Hemdsärmel den Schweiß weg. »Aber zu dir, Theo! Du bist gesehen worden. Vor Mutters Haus. Und du hast keine gute Erklärung dafür.«
Theo schien in sich zusammenzufallen. »Ja. Gut. Ich war da. Na und? Ich habe Mutter ewig nicht besucht. Ich weiß, moralisch und so weiter ist das nicht in Ordnung, die Altvorderen allein zu lassen, vor allem wenn sie abbauen, nicht mehr sie selbst sind. Aber ich konnte dann einfach nicht reingehen. Ich konnte mich nicht aufraffen und klingeln.« Betrübt schüttelte er den Kopf.
»Das ist so typisch für euch Männer!«, schnauzte Marga ihn an. »Schwächlinge, alle miteinander! Ich darf mich krummlegen, arbeiten, mich um meinen Mann kümmern, um meinen Sohn und um meine alte Mutter, ja? An mir hängt alles.«
»Vielleicht hast du ja das Geld genommen, Schwesterherz«, unkte Manfred. »Kannst du es nicht auch brauchen? Du träumst doch längst davon, mal einen richtig schönen Urlaub zu machen. Allein, ohne deinen Alten. Aber er hält dich ziemlich kurz, wie man weiß, und mit deiner Tippsenstelle …«
»Warum konnten Sie an dem Tag, an dem Frau Horwitz Sie in Ihrem Taxi beim Haus Ihrer Mutter sah, nicht klingeln?«, wandte Katinka sich an Theo Klar. Sie sprach in ganz lockerem Ton, als säßen sie in einem Café und plauderten über die kleinen Dinge des Lebens.
»Diese stinkende Enge!« Theo schüttelte sich. »Ich konnte den Geruch nach Krankheit und Alter noch nie aushalten. Deprimiert mich einfach.«
»Bei Ihrer Mutter stinkt es nicht!« Eva Horwitz wurde ganz rot vor Zorn. »Ich achte darauf, dass sie ihre Kleidung regelmäßig wechselt, ich putze und lüfte …«
»Na, na«, machte Manfred mit einem gönnerhaften Lächeln auf den Lippen. »Das mag zwar sein, aber geben Sie es doch zu … Sie putzen doch vor allem an den Stellen, wo man üblicherweise hinschaut. Ansonsten lassen Sie es langsam angehen, nicht? Sie müssen nämlich wissen«, wandte er sich an Katinka, »ich hätte Frau Horwitz gern angestellt. Als Putzfrau in meinem Restaurant. Aber in meinem Lokal nehme ich nur die wirklich guten Leute. Die auch an Stellen schrubben und wienern, wo nicht jeder gleich hinschaut.«
»Aufschneider!«, warf sein Bruder ein.
»Dass ich nicht lache!« Marga schüttelte erbost den Kopf. »Du zahlst deinen Leuten Dumping-Löhne. Damit wirst du Frau Horwitz nicht ködern.«
»Nun«, sagte Katinka lächelnd, »dann danke ich Ihnen. Ich muss Ihre Zeit nicht länger beanspruchen.«
Marga Klar starrte sie an. »Aber – wer hat das Geld denn jetzt genommen?«
Wer hat das Geld gestohlen und womit hat die Person sich verraten?