Marcus Imbsweiler

FC Einheit

Die Luft war zum Schneiden.

Es roch nach Duschgel, Deo, Zigaretten und uralten Socken. Vor allem aber nach Schweiß. Nach stechend bitterem Männerschweiß.

Nein, es war kein Spaß, Vorsitzender eines Fußballvereins zu sein.

»Männer«, rief Schenk, der Vorsitzende, und schloss die Kabinentür. »Hört mal einen Moment zu!«

Stattdessen hörten wir zu: dem Jubel und Gegröle der 15 Fußballer, ihren »Derbysieg!«-Parolen und dem ewigen »FC Einheit! FC Einheit!«. Schienbeinschoner und Stutzen wurden in die Höhe geworfen, aus der Dusche kam eine Red-Bull-Dose geflogen, die ersten Kronkorken spritzten durch den Raum. Zur Sicherheit hielt ich mich an einem Kleiderhaken fest.

»Mensch, Leute«, jammerte Schenk, aber weiter kam er nicht. Ein halb nackter Zweizentnertyp fiel ihm um den Hals und presste seinen nassen Brustpelz gegen die Krawatte des Vorsitzenden. Rhythmisches Geklatsche begann: »Alter, rück den Braunen raus! Alter, rück den Braunen raus!«

Das war er also, der ruhmreiche FC Einheit, Tabellenführer in der Kreisliga A Heidelberg.

Schenk, der noch immer von dem Bär abgeknutscht wurde, nestelte mit einer Hand seine Brieftasche hervor und zückte einen braunen 50-Euro-Schein. Jetzt kannte der Jubel keine Grenzen mehr. 50 Euro, das waren mindestens vier Kästen Bier, also deutlich zu viel für ein schmeichelhaftes 1:0 gegen die Truppe aus dem Nachbardorf. Ich musste handeln.

Bevor einer der Kicker zugreifen konnte, schnappte ich mir den Schein und hielt ihn in die Höhe.

»Erst die Arbeit, dann die Sauferei!«, rief ich. »Wir müssen reden. Über den Mord an Jennifer.«

Ein Gegentor in der Nachspielzeit hätte keine größere Wirkung erzielt. Meinen 15 Helden kippte das Grinsen aus dem Gesicht. Selbst unter den Brauseköpfen schauten sie ertappt. Als die letzte Dusche ausging, herrschte Totenstille.

Schmieriges Lächeln des Vorsitzenden. »Er heißt Koller. Privatermittler. Es gibt Neuigkeiten.«

»Polizei?«, fragte einer. Sie waren noch immer paralysiert.

»Nix Polizei«, sagte ich. »Allerdings kenne ich dort ein paar Leute. Von denen weiß ich, dass es eine neue Spur im Fall Jennifer gibt. Die Leiche wurde noch einmal untersucht, und dabei wurde Fremd-DNA entdeckt. Ist euch klar, was das heißt?«

Schweigen.

»Es heißt, dass sie von jedem von euch eine Speichelprobe nehmen werden. Sobald der Staatsanwalt sein Okay gibt.« Ich fächelte mir mit dem Geldschein Luft zu. »Es sei denn, ihr kürzt den Vorgang ab. Indem ihr mir erzählt, was vor drei Jahren passiert ist.«

Das war der Startschuss. Der Anpfiff zu einem 90-minütigen Proteststurm. Mit Rückspiel und Verlängerung! So lange wollte ich nicht warten.

»Jennifer ist tot«, brüllte ich, »und ihr flennt los, wenn es euch an die Spucke geht!«

»Warum wir?«, brüllte der Kapitän des Teams zurück. »Immer hackt ihr auf uns rum!«

»Ihr habt das Mädchen als Letzte lebend gesehen, das ist ein Fakt. Und deshalb …«

»Aber getan haben wir ihr nichts. Bescheuert ist das! Jennifer war unser größter Fan.«

»Okay. Dann der Reihe nach. 26. September vor drei Jahren. Ein Mittwochabend. Ihr begießt euren Pokalsieg, zusammen mit Jennifer. Was ist da passiert?«

»Sie hat uns Bier in die Dusche gebracht«, rief einer der Nackten und kratzte sich demonstrativ am rasierten Gemächt. »Dabei ist sie ein bisschen nass geworden. So unten rum.«

Ein paar lachten.

»Und was sagte ihr Freund dazu?«, entgegnete ich.

Sämtliche Blicke fielen auf einen der Außenverteidiger, einen schmalen Kerl mit Koteletten. »Wir waren nicht mehr zusammen«, stotterte der. »Sie ging damals mit Lars.«

»Quatsch keinen Mist!« Sein Gegenüber erhob sich. Um die Hüften ein Handtuch, in der Rechten eine Bierflasche, Piercings in beiden Brustwarzen. »Kurz mal durchgenudelt ist nicht miteinander gehen, klar?«

»Eifersucht?«, fragte ich den Schmalen.

»Wir doch nicht«, antwortete der Brustgenietete statt seiner, setzte sich neben ihn und legte ihm einen Arm um die Schulter. »Er durfte dafür an meiner Ex rumschrauben. Wir sind der FC Einheit, verstehst du, Schnüffler?«

»FC Einheit!«, erscholl prompt das Kabinenecho, gefolgt von: »Derbysieg!«

»Trotzdem gab es Streit mit Jennifer«, sagte ich.

Der Außenverteidiger schüttelte den Kopf. »Nicht mit mir. Sie hat Wolle eine gescheuert, aber ich weiß nicht, warum.«

Wolle? Aus einer Ecke kam höhnisches Gelächter. Ich erkannte den Typen mit Stiernacken wieder, der kurz vor Schluss vom Platz geflogen war. »Hab sie bloß gefragt, ob in meinem Tattoo kein Schreibfehler ist.« Grinsend ließ er die rote FC Einheit-Hose herunter. ›Ladies’ Revenge‹ stand in gotischen Lettern zwischen Bauchnabel und Penisansatz. Durch die gerodete Schamhaarlandschaft lief ein dicker Pfeil erdwärts.

»Mann, Wolfgang, musste das sein?«, meldete sich der Vorsitzende zu Wort.

»Der Wolle hat nur Hauptschule«, meinte Lars. »Da wird man doch eine Gymnasiastin um Hilfe bitten dürfen.« Er nahm einen Schluck Bier, um sich anschließend mit der Flasche an die Brust zu klopfen. Tock-tock, machte das Glas auf den Metallnieten.

»Und dann?«, fragte ich Wolle.

»Dann hab ich ihr auch eine gescheuert. Aber nur leicht, war ja ’n Mädchen.«

»Wer von euch hat Jennifer an diesem Abend als Letzter gesehen?« Ich schaute in die Runde. Achselzucken. Einer rülpste in die Stille hinein.

»Irgendwann war sie weg«, meinte der Kapitän schließlich. »Allein. Sagte nicht mal Tschüss.«

»Keiner hat sie nach Hause begleitet? Euren größten Fan?«

Wieder Stille. Mir fiel auf, dass einige verstohlen zum Torwart der Mannschaft linsten. Der zückte in aller Ruhe eine Schachtel Zigaretten, klopfte eine heraus und entzündete sie mit einem Feuerzeug.

»Das ist unprofessionell«, schimpfte Schenk, der Vorsitzende. »Rauchen nach dem Spiel! Wie oft habe ich dir gesagt, Helmut …«

»Ich habe ihr angeboten, sie mitzunehmen«, unterbrach ihn der Torwart mit derselben Gelassenheit, die ihn auch im Spiel ausgezeichnet hatte. »Aber sie wollte nicht. War mit dem Fahrrad da. Also bin ich ohne sie los.«

»Marlboro?« Ich zeigte auf die Schachtel, die er noch in seinen Pranken hielt. »Eine Zigarette dieser Marke wurde in Jennifers Jackentasche gefunden. Dabei rauchte sie gar nicht.«

Stille. Der Torwart nahm einen tiefen Zug. Dann stand er auf und kam auf mich zu. Seine Muskeln stammten zu 100 Prozent aus dem Fitnessstudio, in seinen Körper passte ich zweimal rein. Erst als sich sein Eierkopf direkt vor mir befand, blieb er stehen. »Woher willst du das wissen?«, sagte er. Sein Nikotinatem schlug mir ins Gesicht. »Sie hat eine von mir geschnorrt, fertig. Ob sie die rauchen oder sich irgendwohin stecken wollte, war mir egal.« Ohne mich aus den Augen zu lassen, streckte er den Arm aus und tippte dem Vorsitzenden mit seinem dicken Zeigefinger auf die Krawatte. »Und du spar dir deine Belehrungen, Schenk. Ein Torwart braucht seine Kippen.«

Ich hielt seinem Blick stand. »Dann kannst du mir auch nicht erklären, warum Jennifers Jacke am Tag danach auf dem Sportplatzgelände gefunden wurde, sie selbst aber versteckt im Wald?«

»Nee, kann ich nicht.« Er blies mir eine letzte Wolke Rauch zwischen die Augen, dann setzte er sich wieder.

»Mich hat das eh gewundert«, ließ der Kapitän hören. »Das mit der Jacke, meine ich. Es war doch viel zu kalt, um ohne loszuradeln.«

»Deshalb vermutet die Polizei den Täter ja auch unter euch«, sagte ich.

»Bullshit«, rief der Nackte von der Dusche her. »Da will uns einer was anhängen. Warum fragt keiner die Loser aus Sandhausen, die wir aus dem Pokal geschmissen haben? Die hatten genug Frust, um einem Fan von uns was anzutun!«

Diese Behauptung fand stürmische Zustimmung. Ja, zu den Hühnerfickern aus Sandhausen solle ich fahren, dort sei der Täter zu suchen. Der Beifall war so groß, dass ich die Bemerkung des Mittelstürmers fast überhört hätte.

»Wo ist das Sperma denn gefunden wurden?«, fragte er Schenk. »Sie war doch angezogen, hieß es.«

»Moment mal«, unterbrach ich. »Hier hat kein Mensch von Sperma gesprochen!«

Verblüfft glotzte der Typ mich an. Ob sein Vierkantschädel mehr enthielt als eine Handvoll Mittelstürmergrütze, kann ich nicht sagen. Immerhin hatte er damit ein blitzsauberes Kopfballtor erzielt.

»Von Sperma war nie die Rede«, wiederholte ich. »Nur von Fremd-DNA. Wie kommst du darauf, dass es Sperma gewesen könnte?«

»Was denn sonst?«, gab er zurück. Und verhaspelte sich bei den folgenden, überstürzt vorgebrachten Erklärungen: »Wo sie doch in Kleidern war. Wenn du da Haare findest oder Spucke oder so was, ist das keine Spur. Kann sie ja überall … von jedem hier. Der eine knutscht sie ab, der andere knallt ihr eine. Muss also was Besonderes sein, das mit der DNA. Sperma.«

»Kann. Muss aber nicht.«

»Sondern?«

»Hautpartikel unter den Fingernägeln beispielsweise.«

»Die wurden doch vor drei Jahren schon untersucht.«

Ich schwieg. Sollte ich den Kerl unterschätzt haben?

»Sie war angezogen?«, mischte sich der Außenverteidiger ein. »Da habe ich was anderes gehört.«

»Was?«, fragte ich.

»Na, dass sie so halb … also Hose bis zu den Knien runter. Hat der Förster erzählt, der sie gefunden hat.«

»Mit hochgezogenem T-Shirt«, ergänzte Wolle.

»Quatsch!«, rief der Kapitän. »Sie war vollständig bekleidet. Die Jacke sogar noch geschlossen.«

»Keine Jacke. Hast du doch gerade gehört.«

»Stimmt, hab ich vergessen«, murmelte der Kapitän.

»Sie war angezogen«, nickte der Mittelstürmer. »Keine Vergewaltigung. Deshalb frage ich mich, wo sie das Sperma gefunden haben wollen.«

Alle blickten mich erwartungsvoll an. Von mir würden sie nichts erfahren. »Jennifer nur halb bekleidet«, raunte ich dem Vorsitzenden zu. »Kannten Sie dieses Gerücht?«

»Nein«, flüsterte Schenk. »Ich war auf Dienstreise, als sie gefunden wurde. Erst am Mittwoch darauf erfuhr ich im Bürgermeisteramt, was passiert war.«

»Angezogen oder nicht.« Der unter der Dusche spielte mal wieder mit dem Nacktmull zwischen seinen Beinen. »Wenn ihr eine DNA-Probe von mir braucht, kann ich euch hier und jetzt eine verabreichen. Interesse?«

»Danke«, winkte ich ab. »Vielleicht erübrigt sich das.«

Was war Max Koller aufgefallen?