Auf den ersten Blick sehen sie aus wie Taucher in einem öligzähflüssigen Element, deren Mündern breit schwabbernde Luftblasen widerspenstig entquellen. Auf den zweiten Blick erkennt man, daß diese Blasen nicht aus Luft bestehen, sondern Wolken lapidarer »Wortstöße« sind, die die Helden der Comic-Strip-Welt emporsteigen lassen, um den Betrachter ihrer aufgezeichneten Taten noch genauer zu informieren, als es die primitive Strichzeichnung erlaubt.
Die »Comic-Strips«, auch kurz »Comics« genannt, gehören zu den elementaren Vergnügungen unserer Zeit, deren Erfolg bei flüchtiger Betrachtung unwahrscheinlich anmutet. Wie ist es möglich, daß diese Bildstreifengeschichten das Gemüt der Zeitgenossen zu bewegen und zu fesseln vermögen, während gleichzeitig der Film in höchster technischer Vervollkommnung dasselbe besorgt? Wie kommt die simple Strichzeichnung mit den unvermeidlichen Sprüngen von Bild zu Bild auf gegen die dichte, gesättigte, perfekte Realisierung des Geschehens, wie sie der Film bietet? Dabei kann es keinen Zweifel geben, daß der Bereich der Teilnehmenden an beiden Bilderwelten ungefähr der gleiche ist, ja, vielleicht ist die Schicht der Liebhaber von Comics heute schon etwas breiter als die der Kinofreunde. Beobachten Sie einmal um sich herum, wer alles auf den Super-Cowboy Cisco und den kosmischen Allroundman Gordon und wie sie alle heißen mögen anspricht! Nicht umsonst sind die Comics heute schon das Produkt einer weltmächtigen Industrie.
Die auf Krise gestimmten Kulturanalytiker sind natürlich längst hier »ins Geschäft gestiegen«. Sie haben die Verdrängung und Degradierung des Wortes, die Verbilligung der Emotionen und manches andere reklamiert und insgesamt das Phänomen der Comic-Strips dem großen Kapitel »Bildersucht« eingegliedert. Hier fängt die Aufgabe der Analyse jedoch erst an, wenn man beachtet, wie extrem verschieden die Artung der »Bilder« ist, die der Zeitgenosse sucht. Unser Vergleich zwischen 130Film und Bildstreifengeschichte ist ja noch ganz ungenügend; der technische und wirtschaftliche Aufwand ist nicht vergleichbar, aber auch nicht der zeitliche und psychische Aufwand des Teilnehmers. Und die Intensität der Teilnahme, das Interesse, die Erwartung, die Stärke der Emotion – das alles entzieht sich der Messung. Aber gerade in dieser Hinsicht muß eine grundsätzliche Feststellung gemacht werden, die zunächst erstaunlich klingen mag: die simple Strichzeichnung ist der perfekten Photographie im Bereich der elementaren Emotion überlegen. Die Zeichnung ist viel fähiger zum Destillat, zum Akzent; sie braucht ihre Objekte nicht zu suchen, um sie abzubilden, sondern kann sie nach dem Maß der Einsicht in die Zusammenhänge von Bildelement und psychischer Reaktion frei »konstruieren«. Trotz des unvergleichlich geringeren Aufwandes an Apparatur ist der Comic-Strip im strengen Sinne »technischer« als der Film; er entspricht der künstlichen Synthese geforderter Atomverbindungen in der modernen Chemie gegenüber einer nur aus dem Naturstoff herauspräparierenden Methode.
Die Möglichkeiten solcher Bildtechnik hängen, wie gesagt wurde, von dem Maß der Einsicht in die Wechselbeziehungen von Bild und Seele ab. Und hier sind wir theoretisch wie praktisch schon unerhört »einsichtig« geworden. Die Impulse kommen vor allem aus der tierischen Verhaltensforschung, die uns gezeigt hat, daß in der optischen Welt des Tieres nur ganz wenige und ganz einfache Elemente bestimmte lebenswichtige Reaktionen auslösen. Das gemeinsame Charakteristikum dieser Elemente ist ihre Unwahrscheinlichkeit innerhalb der sonstigen Umwelt; eine bestimmte Farbkomposition, eine Silhouette, eine Bewegungseigenart werden zum »Reizschema«, das ein entsprechend an diesen »Auslöser« gekoppeltes Verhalten ingangsetzt. Daß es solche Zusammenhänge auch beim Menschen, insbesondere in der Schicht seines sexuellen und sozialen Verhaltens gibt, steht außer Zweifel. Die ganze Puppenindustrie arbeitet nach einem »optimalen Schema«, das unweigerlich die mütterlich-hegenden Emotionen des Mädchens anspricht. Die Reklamepsychologie weiß längst, daß keine Photographie mit dem graphisch synthetisierten »Typ« konkurrieren kann, der die erwünschte Interessengruppe anspricht und »emotionalisiert«.
Die Comic-Strips sind solche vollsynthetischen Schema-Kompositionen. Sie bringen das Heroische, das Erotische, das Rührende – je nach131dem – auf die elementarste Formel. Sie lösen die natürliche »Verpackung« all der Reize, die uns aus unserer Umwelt anzusprechen vermögen, und bringen nur den »Inhalt«, die pure Essenz zu Gesicht. Sie sind Symptom einer überreizten Zeit, deren Emotionen immer schwieriger auszulösen sind. Ihrer »künstlerischen« Faktur nach gehören sie in den Bereich der Karikatur; das überzeichnete Heroische oder Erotische muß unweigerlich zum Lachen reizen, sobald es nur die Reizempfänglichkeit genügend abgestumpft hat. Es ist freilich Geschmacksache, ob man die Erwartung solcher Überreizung, die plötzlich mit Wut oder Gelächter die Karikatur entdecken läßt, als optimistisch oder pessimistisch bezeichnen will.132