»Glück haben will gelernt sein!« – so verkündet die knallig gelbe Bauchbinde einer Buchreihe, deren einzelne Titel alle mit einem »Wie« beginnen. »Wie werde ich Erfolgsmensch?«, »Wie mache ich mich beliebt?«, »Wie gewinne ich Selbstvertrauen?« – für diese und andere elementare Fragen des Lebens verheißt diese Buchreihe nicht nur Lösungen, sondern Rezepte, detaillierte Fingerzeige, ausgefeilte Methoden. Derartiger Rezeptsammlungen gibt es zahlreiche. Das Schema stammt aus dem rezeptgläubigen Amerika mit seiner unübersehbaren Literatur des »How to know …« und »How to make …« Die Grundanschauung, die dahintersteht, ist im Titel eines Buches von Gordon Child ausgesprochen, das die soziale und technische Geschichte des Menschen darstellt: »Man makes himself«, Der Mensch macht sich selbst.
M. J. Bonn, einer der wirklichen Kenner Amerikas, der schon vor mehr als einem Vierteljahrhundert in »Geld und Geist« die Grundlagen des amerikanischen Welt- und Selbstverständnisses analysiert hat, schreibt in seiner »Bilanz eines Lebens«: »Die Amerikaner – weit mehr als die Deutschen – sind geborene Schulmeister. Sie nehmen nicht nur an, daß man ›Wissen‹ lernen kann, sie bilden sich sogar ein, man könne das ›Sein‹ nach bewährten Textbüchern lehren.« Das Ideal solcher Lebenstechnik – die man beileibe nicht mit Lebenskunst verwechseln darf! – ist der perfekte Allround-Mensch, der Zehnkämpfer der menschlichen Existenz. Er weiß nicht nur, wie man »es« macht, macht. Die Sprache hat mit der Wendung »Er macht sich« wieder einmal vorausformuliert.
Daß wir nach dieser Wie-Literatur greifen, daß wir auf sie gewartet zu haben scheinen, wie ihr Anwachsen und ihr Erfolg beweisen, verrät einen elementaren Defekt an unserer Stellungnahme zu uns selbst. Wir sind nicht mehr fähig, uns »mit schöner Selbstverständlichkeit« zu nehmen und zu geben. Wir sehen uns gleichsam selbst auf die Beine – und kommen aus dem Tritt –, oder auf den Schlips – und werden nervös.164
Die Reklame einer kosmetischen Seife verspricht uns, man würde durch ihren Gebrauch »sich selbst wieder sympathisch«. Hier wird als ganz selbstverständlich vorausgesetzt, daß wir uns vor der Befolgung dieses Rezeptes nicht sympathisch sind. Liegt ein solches Lebensgefühl dem Bedürfnis nach Mitteln und Methoden zugrunde, die uns in Aussicht stellen, anders zu werden, als wir sind? Frederic Prokosch läßt in seinem Roman »Die Asiaten« den Europäer angesichts des in sich ruhenden asiatischen Lebensgefühls sagen: »Wir argwöhnen, daß wir eigentlich häßlich und schwächlich und im Grunde dumm sind, selbst die Eingebildetsten unter uns …« Diese Aussage enthüllt blitzartig, welche Kosmetik für uns nicht nur ein Ausgleich von Mängeln der Natur, sondern »totales« Make up wurde, weshalb wir jede Mitgift des Lebens an Instinkt und eingewachsener Klugheit mißachten und alles von Grund auf erst erlernen zu müssen glauben. Das Mark des elementaren Selbstvertrauens ist uns angefault. Nichts ist uns geschenkt, nichts vorgegeben und vorgesehen; der Mensch ist, wie schon Kant gesagt hat, eine »Leere der Schöpfung«, die zu erfüllen ihm ganz anheimgegeben ist, und »die Natur hat gewollt, daß der Mensch alles gänzlich aus sich selbst herausbringe«. Darin sollte Größe und Freiheit des Menschen begründet sein. Aber können wir das noch glauben?
»Es genügt zu wissen, wie man es anstellt« – dieses Wort macht Julien Green in dem Roman »Wenn ich du wäre …« zum Motto des Teufels. In diesem Roman wird dem Menschen die satanische Möglichkeit in die Hand gespielt, seine Identität gewaltsam mit einem anderen Ich zu tauschen. Das ist die letzte Konsequenz der Sehnsucht, nicht mehr der zu sein, der man ist – erschreckend zu sehen, wie dicht die »wissenschaftliche« Gebrauchsanweisung des Self-make vor den Pforten der Magie steht!
Wir mögen uns nicht, wie wir sind. Wir haben noch einmal, wie Adam nach dem Essen der verbotenen Frucht, das Gefühl, daß wir nackt sind, und beginnen uns – diesmal mit Methode – zu bekleiden und zu verkleiden. Die moderne Biologie, dem Zeitgeist enger verschwistert als manche andere Wissenschaft, hat den Menschen als das »Mängelwesen ohne natürliche Ausstattung zum Dasein« definiert. Wir müssen die Möglichkeiten, dazusein, erst erlernen und erwerben. Wir müssen lernen, Glück zu haben. Aber: das Lernen selbst ist hier schon das trügerische 165Glück selbst. Das Gefühl der Erreichbarkeit, das der Leitfaden uns suggeriert, steht über dem Erreichen und vertritt es. Während ich noch nicht glücklich bin, weiß ich doch, weshalb ich es noch nicht bin – weil ich noch nicht die richtige Glückstechnik habe. Vorher war ich ganz einfach ein Pechvogel. Früher war ich vielleicht vereinsamt und unbeliebt – heute bin ich Adept des Verfassers von »Wie man sich Freunde macht«. Zwar habe ich noch keine, aber ich, weiß, wie ich welche haben könnte, wenn ich nur erst etwas weiter im Lernen wäre, und genauer und folgsamer. Auch in der Liebe – na, schweigen wir davon. Nur müßte das Leben doppelt so lang sein: erst 70 Jahre zum Lebenlernen, und dann noch einmal 70 Jahre zum Leben. Aber ob die Rezepte dann noch stimmen?166