Auf Drogen, die den Zustand des menschlichen Bewußtseins verändern, liegt ein gewisses Tabu. Ihr regulärer Gebrauch ist der Entscheidung des Arztes vorbehalten, ihr irregulärer Genuß gilt als Exzeß, als Perversion, und ist gesellschaftlich geächtet. Die gesundheitlichen Gefahren genügen nicht, um dieses Tabu zu erklären; es ist wohl eine Nachwirkung jener uralten Bindung, die zwischen den berauschenden Giften und geheimen religiösen Ritualen bestand. Nur bei Tabak und Alkohol ist die Herübernahme in die Welt des öffentlichen Alltags voll gelungen; beim Tabak sind selbst höchste Grade der Süchtigkeit legitim geworden.
Auch das Meskalin ist in der religiösen Sphäre beheimatet; die Eingeborenen des südwestlichen Nordamerika und Mexikos entnehmen es der Wurzel eines Wüstenkaktus, den sie Peyote nennen, und verwenden es bei ihren Stammesriten. Der deutsche Pharmakologe Lewin hat es vor siebzig Jahren erstmalig wissenschaftlich untersucht. Aktuelle Bedeutung bekam es jedoch erst, als seine chemische Identität mit einem auch im menschlichen Körper auftretenden Stoff erkannt wurde, der aus dem Zerfall des Nebennierenhormons Adrenalin entsteht und den man im Verdacht hatte, daß es bei psychischen Erkrankungen des Menschen nicht unbeteiligt sei. Solche Erkrankungen treten in Form von Bewußtseinsveränderung auf, die bis zur Spaltung des Bewußtseins, zur Schizophrenie gehen können, in der die Einheit des Erlebnis- und Willenszusammenhanges zerbrochen wird. Die Droge Meskalin, ein Alkaloid wie Nikotin und Koffein, ermöglichte es der Forschung, die Vor- und Zwischenstufen zwischen Normalität und Schizophrenie im Selbstversuch zu beobachten. Im Meskalinrausch bleibt das Ich klar genug, um feststellen zu können, was im gesteigerten Zustand des Bewußtseins erfahren wird.
Abseits von diesem medizinischen Interesse am Meskalin geht eine an186dere Verbindungslinie, der gleichfalls ein alter Verdacht zugrunde liegt: der Verdacht, die gesteigerte Fähigkeit des künstlerischen Menschen, die Welt und sich selbst zu erleben und wahrzunehmen, sei auch nur eine Vorstufe der Schizophrenie, die zuweilen, wie bei Van Gogh, sogar voll entfaltet würde. In dieser Richtung liegen die Motive des englischen Romanciers Aldous Huxley, an sich selbst einen Meskalinversuch zu machen, um die künstlerischen Möglichkeiten rauschhaft gesteigerter Erfahrung zu erkunden. Huxley hat sich als Kenner östlicher und westlicher Mystik ausgewiesen; er wollte aber mehr sein als Kenner ihrer Dokumente und Begriffe, er wollte ihre Erfahrungen teilen. Was erfuhr er, als er an einem Maitag des Jahres 1953 vier Zehntel Gramm Meskalin in einem halben Glas Wasser einnahm und in einen höheren Bewußtseinszustand versetzt wurde?
Huxleys Bericht »Die Pforten der Wahrnehmung« (R. Piper, München, 67 S.) enthält den Satz: »Ich sah, was Adam am Morgen seiner Erschaffung gesehen hatte – das Wunder, das sich von Augenblick zu Augenblick erneuernde Wunder bloßen Daseins.« Die Droge gewährt, die Dinge zu sehen, wie zum ersten und einzigen Male; sie verändert die Welt nicht, und macht sie doch erstaunlicher, wesentlicher, »seiender«. Von Blumen, die Huxley im Meskalinrausch sieht, heißt es, daß sie »unter dem Druck der sie erfüllenden Bedeutung fast erbebten«. Diese Qualität der Dinge nennt Huxley »is-ness«, ein Wort, das durch die Übersetzung ins Deutsche zurückkehrt: es ist Meister Eckharts »Istigkeit«. Raum und Zeit verlieren ihr Gewicht: die Dinge sind weder nah noch fern, weder vergänglich noch ewig; sie gehen ganz darin auf zu »sein«. Unsere alltägliche Wahrnehmung ist eher ein Übersehen als ein wirkliches Sehen; sie eilt über die Dinge hin, die für sie nur Mittel sind, ohne bei ihnen mehr zu verweilen, als es der Zweck erfordert. Die Droge legt diese zwecktätige Unruhe still, sie schaltet das um sich besorgte Ich gleichsam ab – und schon blühen die Dinge auf, werden sie selbst, geben den kritischen Philosophen unrecht, die von ihren »sekundären Qualitäten« gesprochen haben. Die Droge macht den nüchternen Zeitgenossen zum Bruder des Künstlers: er sieht auf die Falten, die sein Hosenbein schlägt, und ist beglückt vom Reichtum der Bedeutung, die sich in diesem zufälligen Spiel enthüllt, hat Teil an der »Herrlichkeit der Dinge« und ruft ein ums andere Mal: »So sollte man sehen!«187
Sollte man? Sollte dieses vorletzte Reservat der Begnadung, das wir Künstlertum nennen, jedem beliebigen Zugriff ausgesetzt sein? Sollten wir in der Drogerie kaufen können, was durch Jahrtausende nur wenigen Großen geschenkt wurde? Huxley sagt: warum nicht? Meskalin sei weniger giftig als Nikotin und Alkohol, hinterlasse keine trübenden Nachwirkungen und mache nicht süchtig; es eigne sich also hervorragend, um das »Bedürfnis nach häufigen chemischen Ferien von unerträglicher Selbstheit abstoßender Umgebung« zu stillen. Ja, er behauptet eine gewisse Vereinbarkeit von Christentum und Meskalin. Das steht zwanzig Seiten nach dem Satz: »Und plötzlich hatte ich eine Ahnung davon, was für ein Gefühl es sein muß, wahnsinnig zu sein.« Ist das eine Ahnung für jedermann, eine Erfahrung, die käuflich sein sollte, jedes Tabu entkleidet? Doch sind das immer noch Erwägungen der Verträglichkeit; sie erreichen nicht den Kern der Sache.
Der Mensch ist ein endliches Wesen; nur sein Wille ist unendlich. Auf diesem inneren Widerspruch beruht all sein Aufbegehren gegen das, was er ist. Auch die Neigung zur Droge gehört zu den Revolten, die die Grenzen sprengen wollen. Doch diese Grenzen sind nicht nur Schranken, die ihn beengen, sondern sie sind auch das Maß, das ihm Frieden gewährt. Der Übermensch, der in dieser oder jener Gestalt der Sehnsucht nach dem Rausch vorschwebt, ist nicht ein Mehr des Menschen, sondern seine Negation. Die Freiheit des Rausches ist trügerisch, denn immer ist da eine verborgene Sucht im Spiele; auch dann, wenn physische Gewöhnung – wie im Falle Meskalin – nicht eintritt, verrät sich die tiefere psychische Gewöhnung, das nicht sein zu können und sein zu wollen, was man ist. Hinter den Pforten der Wahrnehmung liegt kein Reich der Freiheit.188