Der moderne christliche Roman ist in Frankreich beheimatet. Rücksichtslos verwerfen die Bloy, Claudel, Mauriac, Julien Green die Spielregeln der großen epischen Tradition seit Balzac, um den Widerspruch Gottes gegen die Schwerkraft des Menschlichen zu gestalten. Mit zermalmender Wucht zerbricht dieser Widerspruch die innere Konsequenz der Figuren. Welche Wandlung des Grundrezepts, wenn diese Gattung des Romans von einem Engländer praktiziert wird! Vergessen wir nicht, daß das Verbot der Einmischung Gottes in die Angelegenheiten der Natur und des Menschen in England zu Hause ist. Schon bei Graham Greene scheint der Triumph der Gnade stets fast zu spät, beinahe schon jenseits des faßbar Wirklichen zu gelingen. Und Evelyn Waugh gibt kaum noch etwas preis von den Errungenschaften der großen Society-Saga, des klassischen Gesellschaftsromans. Die Mimikry des göttlichen Zugriffs ist vollkommen; kein Gnadengewitter, kein niederbrechender Sturm – nur ein »Ruck an der Leine« (die der Übersetzer überdies zu einer »Schnur« verharmlost hat).
»Wiedersehen mit Brideshead«, Waughs bedeutendstes Werk, 1944 veröffentlicht, 1948 erstmals in einer »Packpapier«-Ausgabe deutsch vorgelegt, erscheint jetzt wohlfeil und in neuer, um etliche Anglizismen verminderter Übertragung (Claassen Verlag, Hamburg, DM 6,80). Breit und glänzend wird das Panorama englischer Gesellschaft entfaltet, kein Effekt der Dekadenz ist ausgelassen. Aus einem Handlungsprogramm im zweiten Weltkrieg wird der Held, der Hauptmann Charles Ryder, unversehens in den Abgrund seiner Erinnerungen gestürzt. Die Menschenwelt, die da auftaucht, ist zentriert um den Landsitz Brideshead, seinen Herrn, Lord Marchmain, und Julia und Sebastian, die letzte Generation. Anziehung und Abstoßung, Sich-verfehlen zur rechten, Sich-finden zur falschen Zeit – nichts Unübliches, was da zwischen Julia und Charles sich abspielt. Aber wie es gemacht ist! Beide hat das Leben, 203nachdem der Punkt der Entscheidung füreinander verpaßt war, weit auseinandergeworfen, in neue, ungesättigte Bindungen hinein; da begegnen sie sich mitten auf dem Ozean, in der Unausweichlichkeit eines Schiffes, auf dem alle anderen seekrank sind und ein Vakuum gelassen haben, das diese zwei hilflos aufeinander zutreibt. Alles ist in die äußeren Umstände verlegt, auf den Ausfall der anderen geschoben, damit auch nicht ein Fünkchen des Zweifels an der baren Zufälligkeit dieser erneuerten Verbindung aufkommen könne.
Trotz und Herausforderung des »großen Sünders« haben für Waugh keinen Reiz. Ohne ausholende Gebärde versinkt der Mensch in der mäßigen Untiefe, aus der er sich, wie man glauben sollte, jederzeit selbst wieder herausziehen könnte. Es bedarf nur eben des winzigen Rucks, um ihn gewahr werden zu lassen, daß er sinkt: ein lästiger, unerwarteter innerer Widerstand, der sich beim Tode des alten Lords in Julia meldet, eine Hemmung, zweideutig, eher der Rest eines alten Vorurteils als ein Stückchen Überzeugung, was nun den selbstverständlichen Fortgang der Dinge blockiert. Aber, so will Waugh wissen lassen, was das so Zwangsläufige, so weit her Motivierte aus dem Geleise bringt, bezeugt sich eben darin als Realität, als Macht. Die Trennung der Liebenden vor der stummen Härte des unüberschreitbaren Hindernisses ist keine Tragödie, keine Situation wegloser Verzweiflung, aber auch keine Umkehr, keine »große« Entscheidung. »Einfach weitermachen«, sagt Julia, um den Block herumgehen, der da in den Weg gelegt wurde, sich nicht entscheiden müssen.
Wer weiß auch, ob es überhaupt in der Macht des Menschen liegt, sich für Gott zu entscheiden? Aber – und das ist vielleicht der Kern des barocken Werkes – es könnte in seiner Macht liegen, nicht gegen ihn zu sein.204