Kapitel Vier

Carrie

Die Sonne scheint, als ich am Montagmorgen aufwache, und die Erinnerung an Reid Maxwell zwischen meinen Beinen führt dazu, dass ich die Decke beiseite werfe und die Hände vors Gesicht presse. Ich hasse diesen Mann. Er hat mir alles genommen – und dafür diesen verdammten Orgasmus gegeben, den ich gar nicht haben wollte. Ich stoße ein wenig damenhaftes Knurren aus und steige aus dem Bett, entschlossen, diesen Tag irgendwie durchzustehen. Heute werde ich zum letzten Mal West Enterprises betreten, die Firma, die mein Vater gegründet und bekannt gemacht hat. Er ist bereits gegangen, nach der von Reid Maxwell angeführten feindlichen Übernahme. Das ist alles Reids Schuld. Er ist dafür verantwortlich. Zumindest hat er den Stein ins Rollen gebracht, denn um ganz ehrlich zu sein, wäre es irgendwann wahrscheinlich ohnehin so gekommen. Mein Vater hatte mir schon angekündigt, dass meine Stelle gestrichen werden würde, und zwar ziemlich bald. Ich wusste, es würde schiefgehen, sogar noch bevor es dann passiert ist. Mein Vater ging immer riskantere und gefährlichere Geschäfte ein, was eigentlich gar nicht seine Art war.

Jetzt, nach meinem Date mit Reid Maxwell, würde ich mir wahrscheinlich noch schneller einen neuen Job suchen müssen als gedacht, aber wenigstens würde ich zu meinen Bedingungen gehen und hatte diesem Mann gezeigt, dass er auch nur ein Mensch war. Ganz sicher werde ich nicht als Sklavin von Reid Maxwell und seinen Investoren enden.

Ich gehe unter die Dusche und ziehe anschließend mein hellrosa Glückskleid an, dazu die schwarzen Jimmy Choos, die mein Vater mir geschenkt hat, als ich meinen Abschluss in Jura an der Yale University in der Tasche hatte und ein eigenes Büro als Anwältin in seiner Firma bekam. Eigentlich sollte ich nur für die rechtliche Abwicklung unserer größten Immobiliengeschäfte zuständig sein, doch in den vergangenen zehn Jahren übernahm ich weit mehr Aufgaben. Als mein Vater sich aus dem täglichen Geschäft zurückzog, leitete ich das Unternehmen. Ich handelte Deals aus, und ich wurde – bin es noch – zum Gesicht der Firma.

Ich verlasse meine Wohnung in einem Gebäudekomplex in der Innenstadt von Denver, die ganz allein mir gehört – dank eines riesigen Immobiliengeschäfts, das ich erfolgreich abgeschlossen habe. Das Apartment ist hundertsechsundachtzig Quadratmeter groß und man hat einen tollen Ausblick auf die Stadt.

Ich trete aus dem Gebäude, das sich nur ein paar Blocks von meinem Büro entfernt befindet – ein weiterer Grund, warum ich die Wohnung genommen habe. Ich lebe für meine Arbeit bei West Enterprises und hatte nie vor, den Job aufzugeben. Bis jetzt.

Überwältigt von Gefühlen, die ich mir sonst nur selten erlaube, lege ich einen Zwischenstopp in einem Café ein, um den Tag langsam anzugehen. Ich bestelle mir zwei Becher Haselnusslatte – mein Lieblingsgetränk – und verzichte aufs Essen. Ich weiß ja noch nicht mal, ob ich den Kaffee herunterbekomme, vom Essen wollen wir gar nicht reden. Der zweite Latte ist für meine Assistentin, Sallie, die diese Sorte genauso sehr liebt wie ich und die ich nicht nur deshalb sehr gern habe.

Ich betrete unsere Büroetage und winke der Empfangsdame zu, bevor ich einen langen Flur hinuntergehe und erst links, dann rechts zu den Büros der Geschäftsleitung abbiege. Als ich auf der anderen Seite der Glastüren ankomme, begrüßt mich die blonde Sallie – die neben ihrer wunderbaren Persönlichkeit auch noch wunderschön aussieht – mit einem strahlenden Lächeln. »Guten Morgen.«

»Guten Morgen«, entgegne ich und stelle ihr ihren Becher auf den Schreibtisch. »Ein Dankeschön für all das, was du für mich tust.«

»Ich liebe meine Arbeit«, versichert sie mir. »Vielen Dank.«

Ich steuere auf meine Bürotür zu, doch bevor ich eintrete, bleibe ich stehen und blicke in das dunkle Büro meines Vaters mit dem leeren Schreibtisch davor. Jessie, seine Assistentin, hat zwei Wochen Urlaub. Heute Abend muss ich sie mal anrufen.

Als ich mein Büro betrete, lasse ich den Blick zuerst über die Fotos auf meinem Schreibtisch schweifen: ich mit meinem Vater; ich mit den Angestellten; ich bei meiner Abschlussfeier in Yale, als ich noch das Gefühl hatte, eine neue Reise anzutreten; ich mit Kiki, meiner Hündin und besten Freundin, die mittlerweile gestorben ist – eine Wunde, die immer noch wehtut. Eigentlich habe ich vor, die Bilder in den Karton neben meinem Schreibtisch zu packen, doch als ich um den Tisch herumgehe und den Karton daraufstelle, zögere ich. Ich möchte die Angestellten nicht erschrecken, aber was soll erst passieren, wenn ich dann tatsächlich gehe?

Da ich irgendetwas tun muss, verstaue ich meinen Tacker in dem Karton, immer in der Erwartung, jeden Moment hinauseskortiert zu werden. Ja, ich weiß, es ist nur ein Tacker, aber ich überlasse Reid Maxwell nicht meine Büromaterialien. Er bekommt ja sowieso schon alles andere. In meinem Kopf blitzt eine Erinnerung auf, wie ich mit hochgeschobenem Kleid dastehe und dieser Mann vor mir kniet, die Hände an meinen Hüften und den Mund … na ja, woanders. Ich schlucke schwer, als ich mich an diese Szene erinnere. Ich hatte nie vor, mit dem Mann Sex zu haben – was ich ja technisch gesehen auch nicht hatte -‍, aber, Gott, es wäre fast so weit gewesen. Und um ehrlich zu sein: Hätte er mir nicht die Gelegenheit gegeben, ihm die Handschellen anzulegen, hätte ich tatsächlich mit ihm geschlafen. Ich habe keine Ahnung, wie ich einen Mann, den ich so sehr hasse, gleichzeitig so sehr wollen kann. Aber er ist einfach so …

Dieser Gedanke wird abrupt unterbrochen, als draußen auf dem Flur Lärm ertönt. »Sir!«, höre ich meine Assistentin Sallie rufen. »Sir!«

Sicher, dass der Moment gekommen ist, in dem ich abgeführt werde, stehe ich auf. Ich dachte, ich wäre bereit dafür. Ich dachte, ich käme damit klar, doch meine Hände zittern, und mir schnürt sich die Kehle zu und … Reid kommt in mein Büro, und ich kann kaum noch atmen. Er ist selbst hier, hat nicht irgendeinen Fremden hergeschickt, um mich rauszuschmeißen. So sauer ist er also über die Sache mit den Handschellen. Kurz hinter der Tür bleibt er stehen und wirft einen Blick durch den Raum auf meinen Konferenztisch und den Sitzbereich, bevor er seine eisblauen Augen wieder auf mich richtet und damit auf einmal den kompletten Raum einnimmt, während jede Pore seines Körpers Macht verströmt. Er ist groß, breitschultrig und sieht so verdammt und auf eine arrogante Weise maskulin aus in seinem perfekt sitzenden grauen Nadelstreifenanzug, und als er jetzt mit großen Schritten den Abstand zwischen sich und meinem Schreibtisch verkleinert, hält er mich weiterhin mit seinen verfluchten Augen gefangen.

»Hallo, Samantha«, sagt er.

Abwehrend hebe ich das Kinn, nicht bereit, vor ihm zu kuschen. »Es überrascht mich, dass du gekommen bist«, entgegne ich. »Aber das war wahrscheinlich auch deine Absicht, oder? Mich zu überraschen …«

»Genau genommen bist du gekommen«, merkt er an. »Ich hatte dieses Vergnügen leider nicht.«

Hitze durchströmt mich, und bevor mir eine passende Antwort einfällt, taucht Sallie neben meinem Schreibtisch auf, der mich von Reid trennt. »Tut mir leid, Carrie. Er ist einfach reingestürmt und …«

Reid sieht sie an. »Lassen Sie mich und Ms West jetzt allein.«

Sallie wirft mir einen verzweifelten Blick zu, und ich nicke. »Ist schon okay, Sallie. Mr Maxwell und ich haben etwas Geschäftliches zu besprechen.«

Sie wirkt nicht gerade überzeugt, weicht jedoch langsam zurück in Richtung Tür. »Schließen Sie die Tür hinter sich«, weist Reid sie an, die Augen immer noch auf mich gerichtet. Sein Blick ist scharf, hart und irgendwie intim, als würde er gerade daran denken, wo er mit seinem Mund war, und wollen, dass ich ebenfalls daran denke.

Das tue ich.

O Gott, das tue ich.

Als die Tür sich schließt, gleitet sein Blick zu dem Karton auf meinem Schreibtisch. »Ziehst du aus?«

»Bist du nicht genau deswegen hier? Um mich persönlich rauszuschmeißen? Vielleicht willst du mich sogar noch selbst rauseskortieren?«

Er lehnt sich vor, stützt sich mit den Händen auf meinem Schreibtisch ab, und seine Augen – diese eisblauen Augen – glühen geradezu, während der Duft seines herben, maskulinen Aftershaves mich daran erinnert, wie stark ich nach ihm gerochen habe, als ich das Hotelzimmer verließ.

»Ich gehöre nicht zu den Männern, die einen anderen schicken, um einen Job zu erledigen, den ich selbst viel besser erledigen kann. Und diesen hier kann ich besser erledigen.«

Wut flackert in meinem Bauch auf. »Dann tu dir keinen Zwang an«, erwidere ich, stütze mich ebenfalls auf dem Tisch ab und gehe in Angriffsposition, indem ich mich ihm entgegenlehne – ein Fehler, der sich nicht mehr rückgängig machen lässt. Jetzt bin ich ihm ziemlich nahe, verdammt nahe. »Was immer du vorhast«, füge ich entschlossen hinzu, »kann noch so schlimm sein: Es war es trotzdem wert, dich angekettet in dem Hotelzimmer zurückzulassen.«

»Und ich hatte in dem Hotelzimmer die ganze Zeit deinen Geschmack auf meinen Lippen, Samantha. Du hast einen bleibenden Eindruck hinterlassen.«

Wir starren einander an, und, Gott, meine Brustspitzen sind schon wieder hart, und ich bin feucht. Extrem feucht, und das wegen eines Mannes, der mein Leben zerstört hat. »Tu, was du nicht lassen kannst«, stoße ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Erneut zuckt es um seine Mundwinkel. »Oh, keine Sorge, das werde ich. Jetzt gleich.« Er stößt sich vom Schreibtisch ab, und erst in diesem Moment bemerke ich, dass er eine Aktentasche dabei hat, die er offensichtlich neben sich auf dem Stuhl abgestellt hatte. Schnell richte ich mich auf, während er eine Mappe aus der Tasche holt und sie anschließend auf den Schreibtisch wirft. »Du hast sechs Monate, um deine Firma zurückzukaufen. Die genauen Konditionen findest du hier im Vertrag, aber ich fasse sie noch mal zusammen: In dem angegebenen Zeitrahmen hast du ein Umsatzniveau zu erreichen, das meiner Familie und der Gruppe von Investoren, die ich für diese Transaktion ins Boot geholt hatte, das Gefühl gibt, angemessen entschädigt zu werden, falls sie sich aus dem Geschäft zurückziehen. Sie alle haben ihr Einverständnis gegeben, aber nur aus einem einzigen Grund: Weil ich mich bereit erklärt habe, das Ganze zu überwachen. Ich werde hier mein Büro aufschlagen.«

»Wieso verschwendest du deine Zeit mit so was?«

»Ich habe meine Gründe, aber die werde ich ganz sicher nicht mit dir teilen. Lies dir das Dokument durch. Du hast eine Stunde, um dich zu entscheiden. Wenn du den Vertrag bis dahin nicht unterschreibst, platzt der Deal, und du bist gefeuert.«

Ich öffne die Aktenmappe und beginne zu lesen. Reid ist gerade an der Tür angekommen, als ich die übertrieben hohe Summe entdecke, die ich innerhalb von sechs Monaten erwirtschaften soll. »Das hier ist doch bloß ein Spiel für dich«, sage ich. »Deine Methode, mich zu demütigen oder mit einem deiner Investoren abzurechnen oder sonst was. Aber da spiele ich nicht mit.«

Er dreht sich zu mir um und sieht mich an. »Und zu dieser Einschätzung kommst du, weil?«

»Wegen des hohen Profits, den ich erwirtschaften soll. Das kann ich nicht. Das ist einfach nicht machbar.«

Er kommt erneut auf mich zu und lehnt sich auf den Schreibtisch. »Die Frau, die mich dazu gebracht hat, mit ihr aufs Zimmer zu gehen und ihr einen Orgasmus zu bescheren, und die mich anschließend mit Handschellen ans Sofa gekettet und mich dann sitzen gelassen hat, sodass ich die ganze Zeit an sie gedacht habe, würde niemals sagen: ›Das kann ich nicht.‹ Du hast sogar für deinen Orgasmus bezahlt – mit einem Firmenscheck.« Er strafft die Schultern. »Sei wie Samantha, dann schaffst du das auch. Sie würde die Summe nicht für zu hoch halten. Dein Vater hat dir das Gefühl gegeben, dass so ein Gewinn unerreichbar ist. Aber das stimmt nicht. Wenn es so wäre, hätte ich meinen Namen nicht unter diesen Vertrag gesetzt. Du hast eine Stunde, um das ›geht nicht‹ in ein ›geht‹ umzuwandeln. Ich bin im Büro deines Vaters, das ab heute meins ist.« Damit dreht er sich um und geht auf die Tür zu – und diesmal bleibt er nicht wieder stehen.