Carrie
Ich mache mir gar nicht erst viele Gedanken darüber, wie ich auf das Päckchen mit den Slips reagieren soll, das Reid mir gerade geschickt hat. Stattdessen mache ich es mir auf der Couch gemütlich und rufe ihn an. Schon beim ersten Klingeln geht er dran.
»Du hast mein Päckchen bekommen.«
Gott, wieso stellt die Stimme dieses Mannes so seltsame Dinge mit meinem Magen an?
»Und du«, entgegne ich, »hast heute meinen Lieblingsslip zerrissen.«
»Lieblingsslip? Hm, na dann muss ich mir den noch mal genauer ansehen. Ich war mehr an der Frau interessiert, die ihn getragen hat.«
»Du meinst, du warst mehr daran interessiert, mich zu besänftigen. Und mich abzulenken, damit ich keinen Streit anfange.«
»Es macht mir Spaß, mit dir zu streiten, Carrie. Immer wenn du dich aufregst, würde ich dich am liebsten vögeln.«
»Und trotzdem hast du mich vorhin absichtlich provoziert, obwohl Gabe bei dir im Büro war.«
»Connie wollte eigentlich früher gehen, und Gabe ist ohne Ankündigung aufgekreuzt. Dementsprechend – und wenn man bedenkt, wie sehr ich dich wollte – hat Connie uns einen Gefallen getan. Gabe wäre einfach so reingeplatzt, und außerdem reicht mir das Büro eh nicht. Ich will dich hier bei mir haben.«
»Das werde ich nicht tun!«
»Warum nicht? Willst du etwa nicht, dass ich mir dich aus dem Hirn vögle?«
»Ich will nicht bei dir im Bett liegen und dann von dir zu hören kriegen: ›Zieh dich an und geh nach Hause‹, so wie gestern bei dir im Büro.«
Kurzes Schweigen, bevor er sagt: »Das wird nicht passieren.«
»Ich will nur … Nein.«
»Carrie.«
»Nein, Reid.«
»Dann komm zur Promenade – da, wo wir uns gestern getroffen haben -, und wir reden nur.«
»Du willst reden?«
»Ja, Carrie.« Seine Stimme klingt wie raue Seide. »Das will ich.«
»Wieso?«
»Komm einfach dahin.« Er legt auf.
Ich presse meine Handy gegen die Stirn. Was soll ich nur mit diesem Mann machen? Ich stehe auf – denn offensichtlich werde ich nach unten gehen und mich mit ihm treffen, weil … na ja, weil ich es will. Hastig schlüpfe ich in meine Turnschuhe, kämme mir die Haare und trage Parfüm auf, bevor ich mir das Umhängeportemonnaie schnappe, das ich gelegentlich benutze. Ich stecke meine Kreditkarte hinein – nur aus dem Grund, dass ich nicht gerne ohne Geld aus dem Haus gehe -, hänge mir das Portemonnaie über die Schulter und eile nach unten. Als ich in der Lobby ankomme und auf den Ausgang zugehe, flattern Schmetterlinge in meinem Bauch. Ich bin nervös. Wieso bin ich nervös? Immerhin hat der Mann mich schon angefasst, und das überall, doch noch während ich mir die Frage stelle, kenne ich die Antwort im Prinzip schon. Ich bewege mich auf gefährlichem Terrain, was Reid angeht. Er kann mir – beruflich gesehen – ziemlich wehtun. Und persönlich gesehen will ich mich eigentlich nicht auch noch verwundbar machen, aber ich fürchte, dafür ist es längst zu spät. Ich bin es schon.
Ich trete aus meinem Wohnhaus in die sternenklare Nacht hinaus und gehe die Promenade entlang. Die Meeresbrise weht mir durchs Haar und kühlt meine Haut, doch mir wird nur noch heißer, als ich Reid an der Brüstung stehen sehe, den Blick aufs Wasser gerichtet. Er trägt Jogginghose und T-Shirt, wirkt darin aber nicht weniger selbstsicher als sonst. Er gehört einfach zu den Männern, die immer Macht und Männlichkeit ausstrahlen, egal, was sie anhaben. Dafür muss er sich noch nicht einmal zu mir umdrehen. Mit der Stärke, die er ausstrahlt, habe ich schon hinlänglich Bekanntschaft gemacht.
Ich atme einmal tief durch, dann überbrücke ich die kurze Distanz zwischen uns und stelle mich neben ihn. Nahe, aber nicht zu nahe. Reids Reaktion folgt prompt: Er zieht mich zwischen sich und das Geländer, sodass ich den Ozean im Rücken habe und seinen breiten, harten Körper vor mir. Er vergräbt die Finger in meinem Haar, und er sagt nichts, bittet auch nicht um meine Erlaubnis für das, was er als Nächstes tut. Stattdessen presst er stumm seinen Mund auf meinen, dringt mit der Zunge zwischen meine Lippen, und ich denke nicht einmal eine Sekunde daran, mich zu wehren. Stattdessen versinke ich in dem Kuss, und als ich die Arme um ihn schlinge, spüre ich, wie seine harten Muskeln unter der Berührung zucken. Eine gefühlte Ewigkeit lang, die nicht lang genug ist, tauche ich in diesen Mann ein; in seinen herben, maskulinen Geschmack. Er nimmt mich vollkommen ein. Er …
Er löst seinen Mund von mir, lehnt seine Stirn an meine und legt die Hand an meine Wange. «Was machst du nur mit mir?« Dann beugt er sich ein Stück zurück, um mich anzusehen. »Komm mit zu mir. Verbring die Nacht mit mir.«
Entschlossen presse ich meine Hand auf seine Brust. »Nein, das werde ich nicht tun, Reid.«
»Weil du denkst, ich schicke dich wieder weg? So bescheuert bin ich nicht, dafür will ich viel zu sehr, dass du bleibst. Aber wenn es dir damit besser geht, komme ich mit zu dir. Da hast du alles unter Kontrolle und kannst mich nach Hause schicken.«
»Was tun wir hier eigentlich?«, frage ich wieder einmal.
»Versuchen wir doch, es herauszufinden.«
»Aber du hast nichts zu verlieren. Ich dagegen …«
»… hast alles zu verlieren«, beendet er den Satz für mich. »Ich weiß. Daran kann ich auch nichts ändern, aber ob du es glaubst oder nicht, mittlerweile habe ich auch sehr viel zu verlieren. Also, komm mit zu mir.«
»Nein. Dann verändert sich alles. Das hier wäre was anderes als der Hass-Sex bei dir im Büro.«
»Du kannst also mit mir im Büro vögeln, aber nicht bei einem von uns zu Hause?«, fragt er herausfordernd.
»Offensichtlich ist das so, ja.«
»Dann lass uns ins Büro gehen.«
Ich muss lachen. »Wir gehen nicht ins Büro.«
Sanft nimmt er mein Gesicht in beide Hände und küsst mich, bevor er die Finger mit meinen verschränkt. »Dann lass uns in das Café um die Ecke gehen und reden. Okay?«
Reden. Das will ich tatsächlich. Ich will diesen Mann verstehen. Ich will ihm vertrauen. »Okay.«
Wieder küsst er mich. »Wir könnten aber auch …«
»Nein«, wehre ich seufzend ab, doch dieses Nein fällt mir ganz schön schwer. Was auch immer er vorschlagen wollte: Ich will es. Ich will, dass er mich noch einmal küsst. Ich will mit ihm schlafen und wissen, wie es sich anfühlt, mit ihm zusammen zu sein – so richtig zusammen zu sein -, aber ich will nicht beherrscht werden. Und Reid würde mich beherrschen, wenn ich es zuließe.
»Also Kaffee trinken«, sagt er, und zu meiner Überraschung hakt er mich bei sich unter und zieht mich an sich. »Ich halte dich fest«, verkündet er. »Diesmal lasse ich dich nicht davonstürmen.«
»Benimm dich einfach nicht wie ein Arschloch, dann bleibe ich auch.«
Er stößt ein Lachen aus, ein tiefes, maskulines Lachen, das ich in jedem Winkel meines Körpers spüre. »Ich kann nichts versprechen, was ich vielleicht nicht halten kann.«
Er hebt unsere ineinander verschränkten Hände und drückt einen Kuss auf meine. »Und ich mache keine Versprechungen, die ich nicht halten kann. Genauso wenig sage ich etwas, das ich nicht auch so meine.«
Diese Worte lässt er während unseres kurzen Fußwegs in der Luft hängen, und ich nehme an, er will damit das unterstreichen, was er schon einmal klargestellt hat: Wir sind keine Feinde; wir wollen die gleichen Dinge; wir wollen einander – alles Sätze, die mir viel bedeuten, nun, da die Verbindung, die ich zu diesem Mann spüre, noch intensiver wird. Das heißt allerdings nicht, dass ich ihm blind folge und jegliche Vorsicht in den Wind schlage.
Wir erreichen den Eingang des Cafés, das sich um die Ecke befindet; in einem der Gebäude, an denen unser Arbeitsweg vorbeiführt. Reid lässt mich los und hält mir die Tür auf. »Ladies first«, sagt er und bedeutet mir, vorzugehen.
»Höflich und zuvorkommend«, befinde ich. »Wenn du nicht so ein Arschloch wärst, könnte man dich glatt für einen netten Kerl halten.« Als ich an ihm vorbeigehen will, blitzt eine Erinnerung in mir auf. »Aber keine Sorge, Reid, ich hab verstanden, was du zu mir gesagt hast, nachdem ich dein Telefonat mit dem Bezirksstaatsanwalt mitbekommen hatte. Ich werde also nicht den Fehler begehen, dich für einen netten Kerl zu halten. Sonst wäre ich auch mit zu dir gegangen.« Und mit diesen Worten marschiere ich an ihm vorbei und betrete das Café.
***
Reid
Ich bleibe noch einen Moment vor der Tür stehen, nachdem schon Carrie im Café verschwunden ist, und frage mich, warum ich nicht will, dass sie schlecht von mir denkt, obwohl ich genau das noch vor wenigen Tagen selbst provoziert habe. Wenn wir uns hassen, können wir einfach nur vögeln und es danach abhaken – genau das, was ich normalerweise tue. Ich vögle. Ich hake es ab. Auf diese Weise kann niemand verletzt werden, da ich nie behaupte, irgendetwas anderes zu sein als ein Arschloch. Aber verdammt – diese Frau ist anders als alle anderen Frauen. Sie geht mir unter die Haut. Sie geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Und ich muss sie mir aus dem Kopf schlagen, bevor die ganze Sache zum Problem wird. Doch zum ersten Mal in meinem Leben scheint sich der Satz Ich kann das nicht in meinen Wortschatz eingeschlichen zu haben.
Als ich das Café betrete und den Blick durch den Innenraum schweifen lassen, stelle ich fest, dass wir die einzigen Gäste sind. Dann geselle ich mich zu Carrie an den Tresen, und während wir unsere Getränke bestellen, knistert die Luft zwischen uns wie elektrisch aufgeladen. Als es ans Bezahlen geht, will Carrie nach dem Portemonnaie an ihrer Seite greifen, doch ich halte ihre Hand fest – ehrlich erstaunt darüber, dass sie, obwohl sie glaubt, ich hätte ihr so vieles weggenommen, trotzdem noch bezahlen will.
»Ich übernehme das.«
»Danke«, sagt sie, und als sie mich mit ihren smaragdgrünen Augen ansieht, liegt darin ein Ausdruck, den ich nicht deuten kann, auch wenn ich es gerne können würde. Anscheinend will ich vieles in Bezug auf diese Frau, das ich nicht wollen sollte.
Widerstrebend unterbreche ich unseren Blickkontakt und wende meine Aufmerksamkeit stattdessen der Bedienung zu. Nachdem ich bezahlt habe, gehen Carrie und ich gemeinsam zum Ende des Tresens, um dort auf unsere Bestellung zu warten. Wie automatisch nehme ich ihre Hand, ziehe sie zu mir und streiche ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Sie greift nach meiner, mustert mich forschend, und diesmal erkenne ich Verwirrung in ihren Augen. Ich verwirre sie, was mich allerdings nicht überrascht. Mir geht es ja genauso, ich bin wahnsinnig verwirrt und habe keine Ahnung, was diese Frau eigentlich mit mir macht.
»Setzen wir uns«, schlage ich schließlich vor und führe sie zu einer Ecknische mit einer hohen Rückwand, die uns vom Rest des Raumes abschirmt. Man hat zwar nicht absolute Privatsphäre, aber einen intimeren Platz werden wir nicht bekommen, bis ich sie davon überzeugt habe, mit zu mir zu gehen.
»Die Getränke sind fertig!«
Der Ruf hallt durch den Laden, noch bevor ich mich hingesetzt habe. Ich lege die wenigen Schritten zwischen mir und der Theke zurück, nehme die beiden Kaffeetassen und kehre damit zur Nische zurück, wo ich mich auf den Platz neben Carrie setze und die Getränke vor uns abstelle.
»Was tun wir hier, Reid?«, fragt Carrie, während wir uns instinktiv einander zuwenden.
»Das fragst du öfter.«
»Du sorgst auch ständig dafür, dass ich diese Frage stellen muss«, kontert sie.
»Wir werden nur reden, wobei ich dir fairerweise sagen muss, dass ich kurz davor bin, dich auf die Toilette zu schleifen und dich zu vögeln. Es braucht nur eine falsche – oder richtige – Bewegung.« Ich fasse sie am Bein und ziehe sie näher zu mir heran. »Eine winzige Bewegung.«
Sie legt ihre Hand auf meine, die immer noch ihr Bein festhält. »Reden heißt, dass du meine Frage sinnvoll beantwortest. Also, was tun wir hier, Reid?«
»Offensichtlich nicht vögeln.«
»Weil ich keine Lust habe, verarscht zu werden.«
Ich lege die Hand an ihre Wange. »Das tue ich nicht. Ich verfolge kein unlauteres Ziel. Hier geht es nur um uns. Nicht um die Firma. Und nicht um die Familie.«
»Aber der gute Name meiner Familie steht auf dem Spiel.«
»Nicht durch meine Schuld«, entgegne ich und wünschte, das Ganze hätte auch nichts mit meiner Familie zu tun. Ich beuge mich vor und streiche mit den Lippen über ihre. Sie belohnt mich mit einem Beben, das durch ihren Körper geht und das ich bis in mein Inneres spüre. »Ich verfolge keinen Plan bei dir, Carrie, abgesehen davon, dass ich dich will.«
»Dann beweise es«, sagt sie. »Oder nein, lass mich das noch deutlicher formulieren: Beweise mir, dass ich dir vertrauen kann.«
Auf eine solche Herausforderung würde ich mich bei keiner Frau einlassen, doch bei Carrie denke ich nicht einmal darüber nach. Ich lasse mich gegen die Lehne meines Sitzplatzes sinken und sehe sie an. »Was bedeutet das für dich, Carrie? Was soll ich tun?«