Kapitel Vierundvierzig

Carrie

Reid legt den Arm um meine Schultern, und so eng aneinandergeschmiegt gehen wir zum Cottage zurück. Keiner von uns sagt etwas, mittlerweile ist eine neue Intimität zwischen uns entstanden, die sich in behaglichem Schweigen äußert. Sogar so behaglich, dass wir, als wir das Cottage betreten und nach oben gehen, immer noch nicht miteinander sprechen. Als wir schließlich an gegenüberliegenden Seiten des Bettes stehen bleiben, sehen wir uns einfach nur an, und dieser Austausch ist so intensiv und intim, wie ich es noch nie zuvor erlebt habe. Wir verstehen uns, ohne Worte. Wir kennen uns auf eine Weise, wie uns niemand sonst kennt.

Normalerweise spreche ich nicht über meine Mutter, aber bei ihm habe ich es getan. Er weiß, welche Schwierigkeiten ich mit meinem Vater habe. Er kennt meine Schwächen. Er weiß, was mich stark macht. Umgekehrt kenne ich seine Probleme mit seinem Vater, weiß, dass er sich seiner Mutter gegenüber schuldig fühlt und es ihm deshalb schwerfällt, Intimität zuzulassen. Ich weiß Bescheid über seine Migräne und über das, was zwischen ihm und Elijah passiert ist. Wir wissen, was wir beide wollen, und das ist, keine Distanz mehr zwischen uns zu haben.

Gleichzeitig ziehen wir uns aus, kriechen unter die Decke, küssen und berühren uns, und als er in mir ist, bin ich mir nicht mehr sicher, ob man noch von purem Sex sprechen kann. Es ist mehr als das. Es ist zärtlich, intensiv und fühlt sich einfach anders an. Zwischen uns hat sich wieder etwas verändert, so wie in dem Moment, als wir in unserem Viertel am Meer waren und uns geküsst haben.

Irgendwann dreht Reid mich mit dem Rücken zu ihm, presst mich an sich und legt die Hand um meine Brust. Er umgibt mich mit seinem ganzen Körper, und ich weiß nicht, wie es sein kann, dass es sich noch intimer anfühlt, wenn er hinter mir liegt, aber es ist so. Es kommt mir so vor, als würde er mich auf irgendeine unerklärliche Art beschützen. Als wir beide zitternd unsere Erlösung gefunden haben, trennen wir uns nicht. Stattdessen zieht Reid mich noch enger an sich und murmelt meinen Namen, bevor er von Müdigkeit und zufriedener Erschöpfung übermannt wird. Auch meine Lider senken sich langsam, und ich gleite ins Reich der Träume ab.

***

Als ich aufwache, hält Reid mich immer noch umschlungen, und dieser Moment fühlt sich ganz surreal an, bis auf die Tatsache, dass meine Blase kurz davor ist zu platzen und ich dringend pinkeln muss. Ich bin noch nie in den Armen eines Mannes aufgewacht, was in meinem Alter wahrscheinlich ein bisschen seltsam wirkt, aber es gab einfach niemanden, in dessen Armen ich gerne aufgewacht wäre. Selbst wenn mein Ex über Nacht blieb, habe ich eher mit einem Kissen gekuschelt als mit ihm. Reids Handy klingelt, und er stöhnt auf.

»Ich ignoriere es einfach«, sagt er, und seine Hand wandert zu meinem Bauch, während sein langer, harter Schaft sich zwischen meine Schenkel schiebt. »Damit ich dir richtig guten Morgen wünschen kann.«

Ich lege die Hand auf seine. »Geh ruhig dran. Das mit dem guten Morgen müssen wir verschieben, bis ich pinkeln war.«

Doch er rollt mich auf den Rücken, ohne sein Handy und meinen Wunsch, auf die Toilette zu gehen, zu beachten. »Ich wache normalerweise nicht neben einer Frau in meinem Bett auf, Carrie. Nie.«

»Ich auch nicht, Reid«, entgegne ich und streiche mit den Fingern über die harten Bartstoppeln an seinem Kinn. »Also, was machen wir hier eigentlich?«, frage ich zum wiederholten Male.

»Alles, und ich weiß nicht mal, ob mir das reicht, Kleines.« Wieder klingelt sein Handy. »Und offensichtlich heißt alles auch, an mein Telefon zu gehen, während du ins Bad gehst.« Er gibt mir einen sanften Kuss auf die Schläfe, bevor er sich von mir herunterrollt.

Ich rutsche in die entgegengesetzte Richtung, und während ich auf dem Weg ins Bad meine Klamotten einsammle, bin ich mir ziemlich sicher, dass Reids Handy aufgehört hat zu klingeln, bevor er drangegangen ist. Ich beeile mich auf der Toilette, und als ich mich anziehe, kommt mir das Wort »alles« in den Kopf. Was soll das überhaupt heißen? Welche Bedeutung hätte ich denn gerne? Doch ich gebe mir gar nicht erst die Gelegenheit, zu lange darüber nachzudenken. Stattdessen nehme ich mein wildes Haar und verschmiertes Make-up unter die Lupe, das ich gar nicht entfernt habe, und komme zu dem Schluss, dass ich meinen Kulturbeutel brauche – vor allem die Zahnbürste darin.

Als ich die Tür des Badezimmers öffne, ist Reid gerade dabei, sich seine Hose anzuziehen, und da er mir den Rücken zudreht, bietet sich mir die Chance, für einen kurzen Moment seinen perfekten Po zu bewundern.

»Ich gebe dir in einer Stunde Bescheid«, sagt er, und dann scheint sein Gesprächspartner zu reden – wer auch immer das ist. Reid fährt sich mit der Hand durchs Haar und hört nur zu, während er – offensichtlich angespannt – die Schultern hochzieht.

Ich gehe zu meiner Reisetasche hinüber, die Reid anscheinend irgendwann letzte Nacht auf den Boden gestellt hat, und hole meinen Kulturbeutel im selben Moment heraus, als er sagt: »Ich melde mich« und auflegt.

Er dreht sich zu mir um, als ich mit meiner pinken Tasche in der Hand aufstehe, in der sich mein Make-up und diverse andere Kosmetikartikel befinden. »Probleme?«

Sein Handy klingelt ein weiteres Mal, und er verzieht das Gesicht. »Wieso kann ich dich nicht einfach zu einer Portion Makkaroni mit Käse ausführen, nachdem ich dir einen anständigen Guten-Morgen-Orgasmus beschert habe? Und nein, es gibt keine Probleme.« So sieht er allerdings nicht aus.

Während er den Anruf entgegennimmt, gehe ich ins Bad zurück, putze mir die Zähne und entferne mein Make-up. Gerade als ich unter die Dusche steigen will, kommt Reid herein, stellt seinen eigenen Kulturbeutel auf den Waschtisch und holt seine Zahnbürste heraus.

»Das war Grayson«, sagt er, während er Zahnpasta auf seine Bürste aufträgt. »Er hat einen Vorschlag für uns.« Mit diesen Worten fängt Reid an, sich die Zähne zu putzen.

»Du putzt dir jetzt nicht wirklich die Zähne, nachdem du das gesagt hast?«, entgegne ich ungläubig und frage mich gleichzeitig, wie er beim Zähneputzen so verdammt sexy aussehen kann. Ich komme zu dem Schluss, dass es an all den Muskeln liegt, die sich dabei bewegen.

»Nur Geduld, Kleines«, sagt Reid schließlich, bevor er sich den Mund ausspült und anschließend seine Zahnbürste unter Wasser hält.

»Reid!«

Mit einem leisen sexy Lachen packt er mich an den Hüften, schiebt mich zwischen sich und das Waschbecken, und trotz meiner Ungeduld freue ich mich darüber, dass er lacht. »Erst muss ich das hier machen.« Er spielt mit einer meiner Haarsträhnen, während er hinzufügt: »Und du sollst es richtig genießen.« Seine Lippen schmiegen sich an meine, und er küsst mich ausgiebig, bevor er fortfährt: »Wir müssen nämlich nach New York zurück.«

»Was?« Sofort bildet sich ein Knoten in meinem Bauch, der mir gar nicht gefällt, genauso wenig wie das Gefühl der Zurückweisung, das ein wenig zu sehr wehtut für meinen Geschmack.

»Meine Schwester veranstaltet heute Abend eine Überraschungsparty für ihren Mann. Und sie besteht hartnäckig darauf, dass ich auch komme.«

»Ach so. Na ja, dann solltest du auch hinfahren.«

»Nur wenn du mitkommst.«

»Du … du willst, dass ich mit zu der Party komme?«

»Ansonsten gehe ich nicht hin«, sagt er nachdrücklich. »Ich mag diese Art von Veranstaltungen nicht, aber ich mag Cats Mann. Also, sag Ja. Hilf mir, das durchzustehen, sonst rufe ich sie an und sage ab.«

»Hier geht es um deine Schwester. Du sagst ganz sicher nicht ab, und das ist ein Befehl.«

»Dann kommst du mit«, beharrt er.

Ich bin verwirrt, total verwirrt von diesem Mann. »Ich dachte, wir machen nicht auf Familie und Häuschen im Grünen, Reid.«

Seine Finger an meiner Hüfte zucken, und als er antwortet, klingt seine Stimme tief und rau. »Stell mir noch mal die Frage, Carrie.«

Ich weiß, welche Frage er meint; worauf er hinauswill.

»Was machen wir hier eigentlich?«, frage ich und kann hören, wie meine Stimme zittert.

»Alles, und ich weiß nicht mal, ob mir das reicht.«

»Und ich weiß nicht, was das heißen soll.«

»Ich auch nicht, aber Angst hat mich noch nie von irgendetwas abgehalten.«

»Angst? Du hast Angst?«

»Aber so was von. Wie sehr, kannst du nicht verstehen, und das will ich auch gar nicht. Komm mit zu der Party.«

Er hat tatsächlich Angst. Dieses Geständnis hätte ich nie von ihm erwartet, aber mittlerweile hat er mir immer wieder gezeigt, dass er ganz anders ist, als ich bei unserer ersten Begegnung dachte. Am liebsten würde ich noch mehr aus ihm herausbekommen, aber ich beschließe, ihm stattdessen etwas zu geben.

»Ich … Okay, ich komme mit.«

»Gut«, sagt er, und ich spüre, wie die Anspannung aus seinem Körper weicht, als hätte er tatsächlich Angst vor meiner Ablehnung gehabt. »Dann essen wir die Makkaroni auf dem Weg zum Flughafen. Jetzt gehen wir zusammen unter die Dusche.«

Er will, dass ich mein Lieblingsessen bekomme. Wieso trifft er damit so viele richtige Nerven bei mir? Es sind doch nur Makkaroni mit Käse, aber gleichzeitig ist es so viel mehr. Dieser harte Mann, den ich so oft als Arschloch bezeichnet habe, macht sich darüber Gedanken, was mir gefällt und was ich mir wünsche.

»Duschen«, wiederholt er. »Zusammen.« Damit zieht er mich vom Waschtisch weg und mit sich, während er rückwärts in Richtung Dusche geht.

Ich kralle die Finger um seinen Hosenbund und halte ihn fest. »Moment. Was ist mit Grayson? Das hast du mir immer noch nicht erzählt.«

»Er hat sich heute Morgen mit unserer Konkurrenz überworfen, und nächste Woche will er schon Objekte in Asien kaufen. Texas ist erst mal auf Eis gelegt, bis in Asien alles unter Dach und Fach ist. Ich denke ja nicht, dass er wirklich schon Kaufangebote abgibt. Ich schätze, er will erst mal sehen, mit welchen Vorschlägen wir kommen, will uns aber gleichzeitig nicht in Sicherheit wiegen.«

»Du weißt ja, was ich von Asien halte. Darüber habe ich mir schon während des Gesprächs mit ihm Gedanken gemacht.«

»Ich hab schon ein paar Ideen dazu, die können wir beim Mittagessen besprechen. Außerdem habe ich einige gute Kontakte, Leute, denen ich wirklich vertrauen kann.«

»Reid, dieses Projekt wird noch laufen, wenn du schon nicht mehr in der Firma bist. Das heißt, ich habe dann die Verantwortung dafür und muss mit den Konsequenzen leben. Ich will mich aber nicht nach oben arbeiten, um dann wieder abzustürzen, weil ich jetzt eine falsche Entscheidung treffe.«

Beruhigend legt er die Hände an meine Wangen. »Wenn ich mich aus dem Vorstand zurückziehe und mich auszahlen lasse, bedeutet das nicht, dass ich dich alleinlasse, Carrie. Du kannst mir vertrauen«, verspricht er erneut.

»Das sagst du ständig, aber gleichzeitig bist du auch davon überzeugt, dass ich dich eines Tages hassen werde. Das beunruhigt mich, ehrlich gesagt.«

»Ich weiß«, bestätigt er. »Und das sollte es auch.« Er lässt mich los und geht weiter auf die Dusche zu.

»Was soll das heißen, Reid?«, frage ich und folge ihm, mit dem Ergebnis, dass er die Dusche anstellt, seine Hose auszieht und nun völlig nackt vor mir steht – wie immer wunderschön anzusehen, während sein dicker, harter Schwanz zwischen uns aufragt. Das wiederum führt dazu, dass ich schon wieder feucht bin und mir warm wird, und es fällt mir schwer, mich daran zu erinnern, was ich eigentlich sagen wollte.

»Was soll das heißen?«, wiederhole ich, froh, dass mein Hirn wieder funktioniert. »Dein ›Ich weiß, und das sollte es auch …‹? Es soll mich beunruhigen, dass ich dir vertraue?«

Er zieht mich zu sich. »Du kannst mir vertrauen. Hundertprozentig. Was ich sagen wollte, ist, dass wir jetzt unbedingt vögeln sollten, und du musst aufhören, dir immer so viele Gedanken über alles zu machen. Wir kriegen das schon hin. Dafür sorge ich. Und ob es dir nun gefällt oder nicht, da musst du mir einfach vertrauen.« Er küsst mich, dann zieht er mir das T-Shirt über den Kopf, und während er meine Brust streichelt, bin ich so abgelenkt, dass ich gar nicht mitbekomme, wie schnell ich meine Hose los bin.

»Verdammt, Reid«, murmle ich, als er mich in die Dusche zerrt und mich in die Ecke drängt. Der Wasserstrahl läuft ihm über den Rücken. »Fick mit mir, als würdest du mich hassen«, sagt er, hebt mein Bein an und schiebt sich in mich, während er mit der Hand mein Gesicht umfasst. »Dann fühlt sich Hass so gut an für dich, dass du vergisst, wieso du ihn fühlst.« Mit diesen Worten presst er erneut den Mund auf meinen, bevor er anfängt, in mich zu stoßen.

Und ich beschließe: Wenn das seine Vorstellung von Hass ist, teile ich sie gerne.