Reid
Ich bin gerade auf dem Weg nach unten, nachdem ich Carrie das versprochene Bad eingelassen habe, als Gabe anruft.
»Das war nicht Dad. Da bin ich mir sicher. Du hättest sein Gesicht sehen sollen, als ich ihm gesagt habe, dass Carrie bei dir einzieht. Außerdem habe ich noch einen Freund bei der Feuerwehr angerufen, um mir das bestätigen zu lassen, was man uns gesagt hat. Es war tatsächlich eine Maschine in dem Restaurant, und Carries Etage ist komplett ausgebrannt.«
Ich versuche, diese Info zu verdauen, warte darauf, dass sich Erleichterung einstellt, aber momentan bin ich zu dieser Emotion offensichtlich nicht fähig.
»Danke, Gabe.«
»Wie geht’s ihr?«
»Den Umständen entsprechend.«
»Klar. Ich melde mich morgen noch mal.«
Wir beenden das Gespräch, und ich stelle fest, dass ich vor der verdammten Bar im Wohnzimmer stehe und keine Ahnung habe, wie ich dorthin gekommen bin. So etwas passiert mir nicht. Ich presse die Hände auf die Theke und lasse das Kinn auf meine Brust sinken. Ich habe gerade meinem Vater die Schuld dafür gegeben, dass Carrie mir nicht vertraut, während ich das eigentliche Arschloch bin – und das schon von Anfang an. Ich, der ihr immer noch nicht gesagt hat, wieso ich mich so verhalten habe, weil es nichts damit zu tun hatte, dass sie eine West ist und ich ein Maxwell bin. Ich muss es ihr sagen. Wenn ich will, dass sie bei mir bleibt, muss ich ihr das erzählen, was ich noch nie jemandem erzählt habe. So viel Vertrauen muss ich zu ihr haben. Davor kann ich mich nicht drücken, und das will ich auch nicht – nicht, wenn das bedeutet, dass ich Carrie verliere, und das könnte passieren. Entschlossen stoße ich mich von der Theke ab, nehme mir eine Flasche Wein und zwei Gläser und gehe damit zurück nach oben.
Da Carrie nicht im Schlafzimmer ist, stelle ich die Gläser auf dem Nachttisch ab und gieße den Wein ein, bevor ich damit das Bad betrete. Carrie ist bis zum Hals im Schaum versunken, der nach meinem Duschgel riecht, und es gefällt mir verdammt gut, dass sie in meiner Badewanne liegt und mein Duschgel benutzt – eine Erkenntnis, die mir nur noch eindringlicher klarmacht, dass ich unbedingt mit ihr reden muss. Als sie mich hereinkommen hört, schlägt sie die Augen auf.
»Hey.«
»Wie ist das Bad?«
»Herrlich. Es ist wirklich faszinierend, was ein heißes Bad alles bewirken kann. Die Wärme hilft schon sehr.«
Ich setze mich auf die Umrandung der Wanne. »Wein?«
»O ja, bitte.« Sie hebt ihre nasse, mit Schaum bedeckte Hand aus dem Wasser und nimmt das Glas entgegen. Nachdem sie einen Schluck getrunken hat, nickt sie anerkennend. »Der ist gut. Nicht nach dem Preis fragen, stimmt’s? Einfach genießen.« Sie stellt das Glas auf der anderen Seite der Wanne ab.
»Genau. Gabe hat mit einem Freund bei der Feuerwehr telefoniert.«
»Und?«
»Es war tatsächlich irgendeine Maschine in dem Restaurant.«
Sie kneift die Augen zusammen und sieht mich an. »Du dachtest, es war dein Vater.« Das klingt nicht wie eine Frage, sondern wie eine Feststellung.
»Ich habe schon angefangen zu planen, wie ich ihn umbringe, ja. Und das meine ich wortwörtlich.«
»Ich habe das nicht gedacht.«
»Warum nicht?«
»Ich hab zwar vielleicht nicht – so wie du – erlebt, wie bösartig er sein kann, aber ich halte ihn für sehr intelligent. Er würde nichts machen, das man auf ihn zurückführen könnte und wofür er im Gefängnis landen würde. Dann könnte er ja gar nicht mehr zu den unpassendsten Gelegenheiten seine teuren Anzüge tragen.«
Ich breche in lautes Gelächter aus, was bei meinem derzeitigen Zustand einem Wunder gleichkommt. Nur diese Frau schafft es, mich in den unmöglichsten Situationen zum Lachen zu bringen. »Wie wahr, wie wahr.« Ich beuge mich vor und küsse sie, doch als ich mich wieder zurückziehe, verschwindet meine gute Stimmung, und meine Mission, ihr die Wahrheit zu sagen, tritt in den Vordergrund.
»Ich weiß, ich hab mich dir gegenüber wie ein Arschloch verhalten, aber das hatte nichts mit der Firma oder unseren Familien zu tun.«
»Womit dann? Was willst du mir damit sagen?«
»Die Antwort darauf ist ziemlich kompliziert, aber sie steht dir zu.« Ich weiche noch ein Stück zurück. »Jetzt genieß aber erst mal dein Bad und deinen Wein. Wir sprechen später.« Mit diesen Worten verlasse ich das Badezimmer, nehme die Flasche Wein und mein Glas mit und setze mich damit in meinen Rückzugsraum neben dem Schlafzimmer.
Carrie ist klug und hat eine gute Intuition. Sie weiß, dass ich etwas vor ihr verberge. Wahrscheinlich denkt sie, das hätte etwas mit der Übernahme der Firma zu tun oder mit meinen Absichten ihrem Vater oder auch ihr gegenüber. Trotzdem ist sie immer noch hier bei mir, weil sie gleichzeitig spürt, wie viel sie mir bedeutet. Ich will, dass sie morgen früh aufwacht und mein Bett als ihr Bett ansieht. Ich schenke mir Wein nach und versuche, mich innerlich für das Gespräch zu wappnen. Scheiße. Vielleicht sollte ich doch damit warten. Ihre Wohnung ist heute abgebrannt. Aber vielleicht müssen wir diese Unterhaltung genau deswegen noch heute Nacht führen, damit sie weiß, dass ich es ernst meine, wenn ich ihr sage, dass ich mit ihr zusammenziehen möchte.
Ich habe mein zweites Glas Wein schon halb ausgetrunken, als Carrie sich zu mir gesellt, eingehüllt in einen pinken Seidenbademantel. Sie setzt sich neben mich, und als sie ihr Weinglas auf den Tisch vor uns stellt, folge ich ihrem Beispiel. Sie rutscht enger an mich heran, bis unsere Beine sich berühren, und legt ihre Hand auf mein Knie.
»Möchtest du darüber reden?«
»Mit dir ja. Ich hab das noch nie jemandem erzählt, aber ich denke, du solltest wissen, warum ich so bin, wie ich bin. Oder war. Du hast vieles in mir verändert, und manchmal bin ich mir immer noch nicht sicher, ob das so gut ist. Es wird eine Weile dauern, bis ich diese Veränderungen akzeptiert habe. Das solltest du auch wissen.« Ich nehme mein Glas und trinke es aus.
»Dann sollten wir jetzt gleich darüber reden.«
Ich stelle mein leeres Glas zurück auf den Tisch und blicke sie an. »Ja, das sollten wir. Ich weiß zwar, inwieweit mich das beeinflusst und geformt hat, aber du nicht. Deswegen hast du auch Angst davor, dich ganz auf mich einzulassen. Aber das ist ganz allein deine Entscheidung, Carrie. Ich will, dass du hierbleibst, aber du musst entscheiden, ob du auch hier bei mir bleiben willst.«
»Weißt du, was ich gedacht habe, als du vorhin aus dem Schlafzimmer gegangen bist? Ich möchte mit dir zusammenleben, aber nicht mit Geheimnissen und Lügen.«
»Dann hatte ich recht: Ich muss dir das erzählen.« Ich senke den Kopf und schlinge die Hände um meine Knie. »In meinem ersten Jahr an der Uni, hatte ich eine Freundin, die ziemlich in mich verliebt war. Ich war nicht wirklich an ihr interessiert, aber ich war jung, und es war praktisch, jemanden zum Vögeln zu haben.« Mein Blick huscht zu Carrie. »Das war zwar beschissen, aber so war es nun mal, und das will ich dir nicht verschweigen.«
»Du kannst mir alles sagen. Versprochen.«
Hörbar stoße ich die Luft aus. »Irgendwann hab ich beschlossen, mit ihr Schluss zu machen. Sie hat schon von Liebe gesprochen, und ich wusste, die Situation gerät immer mehr außer Kontrolle. An dem Abend, als ich Schluss machen wollte, sind wir auf dem Rückweg zu mir noch in einen Supermarkt gegangen.« Ich dehne meinen Hals nach links und rechts. »Wir sind in einen Überfall geraten.«
»O Gott«, flüstert Carrie.
Ich drehe mich zu ihr um und schaue sie an, weil ich ihr ins Gesicht sehen will, während ich ihr das Folgende gestehe. »Ich habe das noch nie jemandem erzählt. Gabe hat keine Ahnung, abgesehen vom Ausgang des Ganzen. Cat weiß überhaupt nichts davon. Auch sonst niemand.«
Carrie nimmt meine Hände in ihre. »Ich höre dir zu.«
»Der Typ hatte eine Waffe und wollte den Verkäufer erschießen. Ich habe ihn angeschrien und bin einen Schritt auf ihn zugegangen, um ihn aufzuhalten. Dann hat der Typ sich umgedreht und die Waffe auf mich gerichtet, und Kelli – so hieß sie – hat sich vor mich geworfen. Sie ist gestorben.«
»O mein Gott. O mein Gott. Reid.«
»Ich hab sie die ganze Zeit nur verarscht, während sie mich offensichtlich wirklich geliebt hat. Und was war der Dank dafür? Sie wurde erschossen.«
»Und deshalb hast du überlegt, dich auf Strafrecht zu spezialisieren.«
»Ja. Ich wollte etwas tun, um die Welt zu verändern, aber das Rechtssystem ist voller Beschränkungen, und wie du sicher mittlerweile gemerkt hast, tue ich mich schwer mit Beschränkungen. Und dadurch, dass ich mich die ganze Zeit mit Strafrecht befasst habe, konnte ich das Ganze auch nicht richtig verarbeiten. Also habe ich mich stattdessen auf Unternehmensrecht spezialisiert und mich von allen um mich herum abgeschottet. Ich wollte nicht, dass noch mal jemand verletzt wird, weil er oder sie zu sehr an mir hängt. Besonders Cat nicht. Sie würde sich auch vor jemanden werfen, den sie liebt, um die tödliche Kugel abzufangen.«
Carries Augen füllen sich mit Tränen. »Gott, wenn ich mir vorstelle, dass du die ganze Zeit diese Schuldgefühle mit dir rumträgst.«
»Ich hab gelernt, damit umzugehen. Ich denke nur noch selten daran, aber ja, diese Momente bringen mich immer noch aus der Fassung. Ich fand es schrecklich, als Cat direkt nach der Uni im Büro des Bezirksstaatsanwalts angefangen hat, weil ich wusste, sie gerät dadurch ins Visier von Verbrechern. Das war der Grund, warum wir so heftig aneinandergeraten sind. Ich wollte, dass sie bei uns in der Kanzlei arbeitet, wo ich sie schützen kann.«
»Hast du ihr das mal gesagt?«
»Nein. Ich hab sie einfach nur niedergemacht. Wie ein Bulldozer.«
Carrie drängt mich nach hinten gegen die Lehne der Couch, setzt sich rittlings auf mich und legt die Hände an meine Wangen.
»Danke, dass du mir das erzählt hast. Jetzt verstehe ich vieles besser.«
»Das glaube ich nicht. Ich wollte keine Gefühle für dich entwickeln, aber irgendetwas an dir hat mich vom ersten Moment an fasziniert. Ich wusste, dass du die Tochter von West bist, und hab mich trotzdem nicht von dir ferngehalten. Ich wusste, dass ich uns beiden wehtun würde, und trotzdem hab ich mich nicht von dir ferngehalten. Nicht, weil ich mich an dir rächen oder dich verletzen wollte, sondern weil ich einfach nichts dagegen machen konnte.« Ich rolle sie auf den Rücken und lege mich auf sie. »Ich kann es immer noch nicht, Carrie. Weil ich dich einfach viel zu sehr liebe.«
»Du liebst mich?«
»Ja, Kleines, ich liebe dich. So sehr. Ich weiß, es ist wahrscheinlich viel zu früh, dir das zu sagen, aber ich hab es auch vor dir noch keiner Frau gesagt. Ich …«
»Ich verstehe jetzt, wieso du geglaubt hast, ich würde dich eines Tages hassen, aber das tue ich nicht. Ich liebe dich auch. Und, Reid, es war tatsächlich wichtig, dass du mir das alles erzählt hast. Jetzt verstehe ich, wieso du so ein Arschloch warst und wieso du so bist, wie du bist.«
»Dann ziehst du doch bei mir ein?«
»Ja, das tue ich, und ich will es auch. Ich wollte es schon vorher, aber ich brauchte einfach … mehr. Und das hast du mir jetzt gegeben.«
»Mehr«, flüstere ich. »Dieses Wort beschreibt jeden einzelnen Moment, den ich mit dir verbringe. Ich will mehr. Und ich bin mehr, wegen dir. Aber weißt du, was ich gerade am meisten will?«
»Was zum Essen?«
Ich lache laut auf. »Das wäre auch schön, aber wie wäre es, wenn wir das in mein Bett, das jetzt unser Bett ist, verlegen?« Ich stehe auf, hebe sie hoch und trage sie ins Schlafzimmer, wo ich sie auf dem Bett absetze und mich auf sie lege. »Unser Bett, Kleines.«
Sie schlingt die Arme um meine Schultern. »Unser Bett.«
Unser Bett und unser Leben. Ich werde diese Frau heiraten. Das weiß sie nur noch nicht.